Protocol of the Session on May 4, 2007

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich gebe mir Mühe, die Anträge und auch die Überschriften zu lesen.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ein Fortschritt!)

Aber da steht etwas davon, dass Online-Durchsuchungen verhindert werden sollen. Die Begrifflichkeiten, die Sie hier einführen: Es geht nicht darum, dass Sie sich sachlich mit der Frage auseinandersetzen wollen. Sie beklagen, dass den Menschen Angst gemacht wird.Sie gehören doch zu denjenigen, die den Menschen mit solchen Begrifflichkeiten Angst machen.

(Beifall bei der CDU)

Unter Punkt 4 steht, „dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger immer mehr unter Generalverdacht gestellt werden“, und es ist von „grundlosen Maßnahmen von Sicherheitsbehörden und Polizei“ die Rede.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unsinn!)

Lieber Herr Kollege Frömmrich, Sie müssen sich einmal rückbesinnen, in welchem Land Sie leben.Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie, in einem Rechtsstaat. Hier funktioniert alles nach Recht und Gesetz.Nur weil hier alles funktioniert hat, diskutieren wir die Frage. Der BGH hat festgestellt: Es gibt in der StPO keine Rechtsgrundlage. – Insofern ist es gut, dass wir die Diskussion führen können.

Herr Kollege Frömmrich, die Begrifflichkeiten, die Sie hier einführen – „Überwachungsfantasien“ – werden dem Thema nicht gerecht. Nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, und nachdem Sie sich so über die Form der Diskussion beklagt haben, haben wir ein bisschen Hoffnung, dass Sie beim Inhalt einräumen werden, dass wir auch bei der Frage der Online-Durchsuchungen einen Schritt weiterkommen und Rechtsgrundlagen schaffen müssen, damit wir die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land gewährleisten können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Herr Minister.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass wir im Ausschuss noch Gelegenheit haben, über vieles zu sprechen. Deshalb will ich nur einen Punkt ausdrücklich zurückweisen. Herr Kollege Frömmrich, Sie haben dem Bundesinnenminister heute wieder unterstellt, er habe die Unschuldsvermutung in Abrede gestellt bzw. quasi abgeschafft. Das kann ich in einem deutschen Parlament nicht stehen lassen.

Der Bundesinnenminister hat zu keiner Zeit das tragende Prinzip der Unschuldsvermutung in Zweifel gestellt. Er hat allerdings darauf hingewiesen – so viel Fachlichkeit muss sein –, dass es bei der Gefahrenabwehr überhaupt keine Unschuldsvermutung geben kann, weil die Gefahren abzuwehren sind. Die Unschuldsvermutung ist ein tragendes Element der Strafverfolgung. Wenigstens für zukünftige Debatten sollten wir solche vordergründigen – Sie wissen es besser – Vorwürfe unterlassen, die nur dazu dienen, Stimmung zu machen und die Menschen zu verunsichern. Sie dienen vielleicht dem Beifall Ihrer Fraktion. Da habe ich schon Zweifel. Sie dienen auf gar keinen Fall der Sache.Aber sie dienen schon überhaupt nicht den Bürgerinnen und Bürgern, die – unabhängig davon, welcher Fraktion die 110 hier angehören – von uns erwarten können,dass wir uns mühen und darum ringen,wie wir Sicherheit am besten gewährleisten. Dazu brauchen wir aber nicht Unwahrheiten zu verbreiten, wie Sie das eben getan haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Dann gehe ich davon aus, dass wir alle vier Anträge dem Innenausschuss zur weiteren Beratung zuleiten. – Dem wird nicht widersprochen. Dann ist das so beschlossen.

Ich darf eine sitzungsleitende Anmerkung an die Geschäftsführer machen: Gegenüber dem Zeitplan von 15.30 Uhr haben wir jetzt einen Verzug von 40 Minuten, sodass das voraussichtliche Ende um 19.15 Uhr sein wird.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Richterwahlausschuss fachlich besetzen – Unabhängigkeit der Justiz stärken – Drucks. 16/7069 –

Dazu rufe ich auf:

Änderungsantrag der Faktion der FDP – Drucks. 16/7255 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Das Wort hat Herr Dr. Jürgens für die Antragstellerin.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Rechtsausschuss war im Februar dieses Jahres auf Informationsreise in Spanien. Wie Sie wissen: Reisen bildet.

(Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Nicht immer, Herr Kollege!)

In diesem Falle schon.Wir haben dort nämlich erfahren, dass die Justiz in Spanien vollständig anders organisiert ist als in Deutschland.

Es gibt in Spanien ein besonderes Verfassungsorgan, das aus dem Kreis der Richterinnen und Richter und anderer erfahrener Juristen besetzt wird. Insgesamt bilden 20 Personen die Mitglieder dieses Consejo General del Poder Judicial.Wenn Ihnen das übrigens spanisch vorkommt, ist das richtig. Genau das war es auch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Consejo ist verantwortlich für die Ausbildung, die Auswahl, die Ernennung, Beförderung und Zuweisung der Richterinnen und Richter an die einzelnen Gerichte, und zwar spanienweit. Das ist dort vom Bundesstaat aus zentral organisiert. Mit dieser Konstruktion soll ein politischer Einfluss der Regierung, insbesondere des Justizministers, möglichst ausgeschaltet werden. Im Übrigen werden Funktionsstellen wie z. B. Gerichtspräsidenten auch nur auf Zeit besetzt.

Auch bei uns wird seit Längerem und immer wieder einmal die Frage diskutiert, wie wir die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz auch institutionell gewährleisten können, ohne auf der anderen Seite das Demokratieprinzip zu missachten. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgesetz. „Die Staatsgewalt liegt unveräußerlich beim Volke“, heißt es in der Hessischen Verfassung. Das bedeutet nach allgemeiner Auffassung, dass jede staatliche Gewalt, auch die rechtsprechende Gewalt, in ununterbrochener Legitimationskette auf Entscheidungen des Volks zurückgeführt werden muss.

Andererseits muss aber die politische Einflussnahme der zweiten Gewalt, in diesem Fall der Landesregierung und des Justizministers, auf die dritte Gewalt, die unabhängige Justiz, möglichst getrennt werden, wenn deren Unabhängigkeit nicht nur formal, sondern auch tatsächlich inhaltlich gewährleistet sein soll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Ich glaube, es war ein preußischer Justizminister, der im letzten Jahrhundert einmal Folgendes gesagt hat.Ich kann das Zitat nicht wörtlich wiedergeben, aber sinngemäß hat er gesagt: Gebt den Richtern ruhig die Unabhängigkeit. Solange ich sie ernenne und befördere, weiß ich, dass mein Einfluss gesichert ist.– Dieser mittelbare Einfluss ist derjenige,über den wir heute sprechen und der manchmal wirkungsvoller ist als der direkte.

Wir haben im Übrigen gerade bei dieser Landesregierung allen Anlass, politisch motivierte Entscheidungen in der Justiz zu problematisieren. Wir werden es erleben. Wenn wir im nächsten Jahr die Regierung übernehmen, werden wir eine Justiz vorfinden, die auf Leitungsebene pechschwarz gefärbt ist. Von dieser Landesregierung werden, wie wir in der letzten Rechtsausschusssitzung debattiert haben, schon Proberichterinnen und Proberichter im Justizministerium z. B. als Pressesprecherin eingesetzt, die in diesem Fall noch nicht einmal an einem einzigen Tag bei Gericht tätig waren. Der Missbrauch der Justiz zur Förderung von CDU-Nachwuchspolitikern ist inzwischen offensichtlich.Wir haben allen Grund, darüber zu reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU: Niveaulos!)

Nun macht uns die Hessische Verfassung Vorgaben für die Ernennung von Richterinnen und Richtern. Sowohl die Ernennung auf Probe als auch auf Lebenszeit erfolgt nach der Hessischen Verfassung durch den Justizminister, gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss. Dieser Richterwahlausschuss ist unser Verfassungsorgan.Wie wir dieses Verfassungsorgan wiederum zusammensetzen, gibt uns die Verfassung nicht vor, sondern das ist im Gesetz zu regeln.

Deshalb schlagen wir Ihnen vor, den Richterwahlausschuss dafür zu nutzen, die fachliche Ausrichtung dieses Organs zu stärken und den Einfluss der Politik in diesem Organ zurückzudrängen. Nach unserer Vorstellung wären die Abgeordneten nicht mehr die Mehrheit in diesem Ausschuss. Dafür würden mehr Richterinnen und Richter nachrücken sowie erstmals beispielsweise ein Staatsanwalt. Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssen durch den Richterwahlausschuss, aber kein Staatsanwalt wirkt bisher daran mit.

Wir wollen auch beide Präsidenten der hessischen Rechtsanwaltskammern dort aufnehmen, nicht nur jeweils im Wechsel einen. Auch ein Hochschullehrer sollte dem Ausschuss angehören.

Im Übrigen bliebe das Demokratieprinzip gewahrt. Denn der demokratisch legitimierte Justizminister muss in jedem Fall an der Entscheidung mitwirken. Man muss eben gemeinsam entscheiden – so unsere Vorstellung bzw. die Vorgabe der Verfassung. Vor allem wollen wir dem Richterwahlausschuss auch die Aufgabe übertragen, die bisher der Präsidialrat hat. Denn bei der Beförderung von Richterinnen und Richtern ist es bisher so, dass der Justizminister faktisch allein entscheidet. Der Präsidialrat hat ein Mitwirkungsrecht, indem er Einwände geltend machen kann. Bei widerstreitenden Entscheidungen oder Vorschlägen gibt es ein Einigungsgespräch, an dessen Ende faktisch immer der Justizminister entscheidet.

Auch hier wollen wir,dass der Richterwahlausschuss – das gibt es in anderen Bundesländern schon – an der Beförderung gemeinsam mit dem Justizminister mitwirkt, wie bei der Ernennung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Außerdem wollen wir – das ist der letzten Punkt unseres Antrags – gern die Praxis in Spanien aufgreifen, wonach Funktionsstellen in der Justiz nur auf Zeit besetzt werden können. Das hat sich dort bewährt. Ob es nach der Föderalismusreform auf Landesebene möglich ist, müsste verfassungsrechtlich noch geprüft werden. Das ist Gegenstand unseres Antrags.

Ich freue mich im Übrigen, dass die FDP-Fraktion einen Änderungsantrag eingebracht hat und damit dokumentiert, dass sie grundsätzlich offenbar unserem Antrag folgt.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Ich habe auch keine Probleme, für den Richterwahlausschuss eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden zu berufen. Über das, was mit der Einigungsstelle gemeint ist, müssen wir noch diskutieren. Aber ich glaube, wir kommen in der Ausschussdebatte auf einen gemeinsamen Nenner. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Hofmann für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst noch einmal für die Nichtjuristen hier im Hause klarstellen, welche Aufgaben der Richterwahlausschuss in Hessen eigentlich hat. Er entscheidet im Wesentlichen über die Einstellung von Richtern auf Probe sowie derjenigen auf Lebenszeit. Er übernimmt damit – da möchte ich Herrn Dr. Jürgens beipflichten – eine wichtige Aufgabe im System der Gewaltenteilung, also auch eine wichtige Aufgabe für unseren Staat.

Der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingereichte Antrag zur Veränderung der Binnenstruktur des Richterwahlausschusses, aber auch zur Veränderung von dessen Befugnissen findet nicht unsere volle Unterstützung.

(Zuruf von der CDU: Sehr vernünftig!)

Herr Dr. Jürgens, wir waren auf der gleichen Ausschussreise. Ich bin auch sehr erstaunt darüber, welche weitreichenden Erkenntnisse Sie aus dieser Reise für Hessen gezogen haben.

(Zurufe von der CDU und der FDP)