Protocol of the Session on March 28, 2007

(Beifall bei der SPD)

Die kleinen Mittelständler und die kommunalen Betriebe sehen sich zunehmend der Konkurrenz von Global Playern aus anderen Ländern ausgesetzt, mit denen sie in keiner Weise konkurrieren können. Der sogenannte hessische Weg zwingt alle privaten und öffentlichen Verkehrsunternehmen in einen europäischen Wettbewerb, obwohl EU- und Bundesrecht die Vergabe von Verkehrsleistungen nach dem Personenbeförderungsgesetz auch ohne Ausschreibung ermöglichen.

(Andrea Ypsilanti (SPD): So ist es!)

Nach der Vorgabe der EU-Verordnung 1191 können Mitgliedstaaten Unternehmen, deren Tätigkeit auf den Betrieb von Stadt-, Vorort und Regionalverkehr beschränkt ist,vom Anwendungsbereich der Verordnung ausnehmen. Genau von dieser Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber im Personenbeförderungsgesetz Gebrauch gemacht.

Hessen ist das einzige Bundesland, in dem die Rechtssicherheit dieser nationalen Regelung nach wie vor, auch nach dem Leipziger Urteil, angezweifelt wird. Zudem fürchtet man bei der Finanzierung der ÖPNV-Leistungen Probleme im Zusammenhang mit dem europäischen Bei

hilferecht. Die Konsequenz daraus lautet: In Hessen unterscheidet man nicht mehr zwischen eigenwirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Verkehren und ordnet daher generell die Pflicht an, europaweit auszuschreiben.

Diese Praxis gab und gibt es in keinem anderen Bundesland. Sie widerspricht auch dem Diskussionsstand in der EU im Rahmen der Novellierung der EU-Verordnung 1191/69,

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Stimmt doch gar nicht!)

die noch in diesem Halbjahr unter der Ratspräsidentschaft von Deutschland im Europäischen Parlament verabschiedet werden soll.

(Dieter Posch (FDP): Hoffentlich nicht!)

Herr Kollege Posch, das Europäische Parlament hat verpflichtende Ausschreibungen bei der Vergabe von Verkehrsleistungen mit großer Mehrheit abgelehnt. Zudem wurde im Europarecht die Möglichkeit von Tariftreueverpflichtungen geschaffen.

Es konnten weitere wichtige deutsche Interessen durchgesetzt werden, wie z. B. Klauseln zum Schutz des Mittelstands, Optionen zur Direktvergabe, Möglichkeiten zum Schutz der Beschäftigten und vor allem das Wahlrecht der Kommunen im Hinblick auf die Vergabe. Alle diese Regelungen, die sehr wichtig sind, spielen bei der Hessischen Landesregierung überhaupt keine Rolle.

(Beifall bei der SPD)

Damit wird wieder einmal deutlich, dass die Regierung Koch zwar die Stärkung des Mittelstands so gerne im Munde führt, in der Praxis jedoch genau das Gegenteil verfolgt.

(Beifall bei der SPD)

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit seinem Urteil vom 19. Oktober 2006 in letzter Instanz klargestellt, dass eigenwirtschaftliche Busverkehrsleistungen im Sinne des § 13 Personenbeförderungsgesetz vom Anwendungsbereich der EU-Verordnung ausgenommen werden dürfen. Das bedeutet, dass die nationale Regelung nach dem Personenbeförderungsgesetz den Grundsatz der Rechtssicherheit erfüllt und demzufolge die Verkehrsleistungen eben keiner Ausschreibungspflicht unterliegen.

Zudem sagt das Bundesverwaltungsgericht, dass den Genehmigungsbehörden nach dem Personenbeförderungsgesetz keine Prüfungskompetenz zusteht,ob die Finanzierung der Verkehrsleistungen durch gemeinschaftsrechtliche Leistungen unzulässig erfolgt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit haben wir es schwarz auf weiß: Ministerpräsident Koch ist mit seiner Dumpingpolitik und seiner Lohndrückerei auf ganzer Linie gescheitert.

(Beifall bei der SPD)

Mit einer anderen Politik in Hessen hätten die mittelständischen Busunternehmen und öffentlichen Verkehrsanbieter eine faire Chance. Die Busfahrer müssten nicht für Dumpinglöhne arbeiten. Sie gehen jetzt einer Vollerwerbsarbeit nach und können sich und ihre Familien von dem erarbeiteten Lohn nicht mehr ernähren.

(Beifall bei der SPD)

Mit Dumpinglöhnen von 7,50 c pro Stunde,zum Teil auch Zeitarbeitstarifen, die noch weit tiefer liegen, gewinnen vor allem europaweit tätige Konzerne die Ausschreibungen. Regionale Busunternehmen entlohnen nämlich ihre

Busfahrer mit rund 10 c die Stunde. Die Billigangebote der Global Player gehen ausschließlich zulasten des Personals. Das akzeptieren wir nicht, denn für gute Arbeit muss es auch einen entsprechend guten Lohn geben.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig die Einführung von Mindestlöhnen auch in Deutschland ist. Ich begrüße es deswegen sehr, dass sich auf Bundesebene auf Druck der SPD einiges bewegt.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Die Tariflöhne liegen bei 9,80 c! – Michael Boddenberg (CDU): Haben Sie heute schon einmal über die Gäste gesprochen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, keine Aufregung. – Die Hessische Landesregierung steht nun vor den Scherben ihrer ÖPNV-Politik. 15 andere Bundesländer schauen voller Schadenfreude auf Hessen, weil das Bundesverwaltungsgericht der Regierung Koch eine gigantische Fehlinterpretation bei ihrer Rechtsauffassung und ihrer Vergabepraxis ins Stammbuch geschrieben hat.

(Beifall bei der SPD)

Zudem drohen dem Land Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe aus dem privaten Busgewerbe. Vor allem kleine Unternehmen im Liniendienst und öffentliche Verkehrsunternehmen sind in große Schwierigkeiten geraten und in vielen Fällen von großen Buskonzernen verdrängt worden.

Vielen von uns sind mittlerweile Busunternehmen bekannt, die von den Global Playern übernommen wurden. Sie existieren nicht mehr oder mussten Mitarbeiter entlassen. Leider muss befürchtet werden, dass sich der Konzentrationsprozess auf dem hessischen Verkehrsmarkt fortsetzt und am Ende ähnliche Oligopole und Strukturen entstehen können wie auf dem Strommarkt, auf dem es keinen fairen Wettbewerb gibt. Unser Anliegen ist, fairen Wettbewerb herzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Um Interpretationen vorzubeugen, will ich an dieser Stelle noch einmal besonders hervorheben:Die SPD steht ausdrücklich hinter dem Wettbewerb im ÖPNV im Interesse der Kunden und im Interesse einer Qualitätsverbesserung.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Aber dieser Wettbewerb muss zu fairen Konditionen und zu gleichen Bedingungen für alle Wettbewerber organisiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Ferner darf die Kostenersparnis, die Sie, Herr Minister Rhiel, so gerne ins Feld führen, nicht zulasten der Versorgungsqualität, der Fahrpreise und genauso wenig auf Kosten der Mitarbeiter und deren Arbeitsbedingungen gehen. Wer den Wettbewerb in Hessen für alle Beteiligten voranbringen will, der beschreitet keine Sonderwege, sondern führt den Wettbewerb im Gleichklang mit den anderen Bundesländern und den europäischen Nachbarn durch,damit unsere hessischen Verkehrsbetriebe und ihre Mitarbeiter nicht einem Preisdruck unterliegen. Die Einsparungen, die erzielt wurden – Herr Minister, Sie reden von 30 % im Busverkehr und 20 % im Bahnverkehr –, sind bisher nicht unmittelbar bei den Kunden angekommen. Die Fahrgäste sind bisher keine Gewinner der Ausschreibungen im Bus- und Bahnverkehr.

(Dr.Walter Lübcke (CDU):Wer hat denn das Geld weggenommen?)

Die Realität zeigt, dass wir es mit geringeren Taktfrequenzen,Angebotsreduzierungen und mit Preissteigerungen von knapp 6 % zu tun haben. Herr Minister, die Einsparungen wurden vor allem für den Ausgleich der Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln – –

(Minister Dr. Alois Rhiel: Wer ist denn der Minis- ter? Das ist Steinbrück!)

Herr Koch war der Treiber, das darf man an dieser Stelle nicht vergessen.

(Zuruf des Ministers Dr.Alois Rhiel)

Herr Minister, deshalb muss das nicht richtig sein. – Die Einsparungen wurden für dringend erforderliche Investitionen wie den Ankauf von neuen Schienenfahrzeugen verwendet.Auch hier stellen wir fest,dass andere Bundesländer Schienenfahrzeuge nach wie vor aus Landesmitteln fördern. Hessen hat sich im Gegensatz dazu daraus verabschiedet.

(Beifall bei der SPD – Norbert Schmitt (SPD):War das auch der Steinbrück?)

Nicht genug,die Verbünde haben zwar in den letzten zehn Jahren eine hervorragende Arbeit geleistet und das Fahrgastaufkommen erheblich gesteigert.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Gleichwohl wären die Ergebnisse noch besser, wenn das Land die ÖPNV-Mittel in den vergangenen Jahren nicht kontinuierlich abgesenkt hätte.

Zudem haben Sie die Verbünde aufgefordert, die Kürzungen der Regionalisierungsmittel in Höhe von 147 Millionen c vollständig aufzufangen. Widerwillig wurde dann eine Übergangshilfe für drei Jahre in Höhe von 66 Millionen c bewilligt. Davon sind lediglich 18 Millionen c aus originären Landeshaushaltsmitteln, alles andere hat die kommunale Ebene alleine zu schultern. Auch an dieser Frage hat die CDU-Regierung ihre Kommunalfeindlichkeit wieder einmal dokumentiert und dem ÖPNV einen Bärendienst geleistet.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2006.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Haben Sie das richtig durchgelesen? – Gegenruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wir haben es sogar verstanden!)

Herr Kollege, ja, ich habe die Begründung gelesen. – Es hat Rechtsklarheit geschaffen und dem hessischen Sonderweg einer europaweiten Ausschreibungspflicht eine überdeutliche Absage erteilt, lieber Herr Kollege Dr. Lübcke.

Herr Minister Rhiel, wir erwarten nun, dass Sie unverzüglich Ihre Genehmigungsvorgaben und Ihre Ausschreibungspraxis der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts anpassen und von der Pflicht zur Durchsetzung der europaweiten Ausschreibung endlich Abstand nehmen. Das ist eine Forderung, die ich in diesem Hause seit etwa zwei Jahren vortrage.