Der gravierendste Punkt in Ihrem Gesetzentwurf ist, dass der offene Vollzug der Regelvollzug sein soll. Sie haben es hier ausgeführt. Dies steht im Gegensatz zur heutigen Praxis. Sie fordern das, obwohl alle Erfahrungen im Inund Ausland gezeigt haben,
dass die Anforderungen des offenen Vollzugs an Selbstdisziplin und Eigensteuerung die meisten jugendlichen Straftäter zumindest anfangs überfordern.
Ich will erst einmal ausführen. – Eine Haftstrafe wird bei Jugendlichen sowieso nur als letztes Mittel angewandt, wenn sie einiges angestellt haben oder, wie der Volksmund sagt,einiges auf dem Kerbholz haben.Bei den meisten jungen Straftätern,die zu einer Jugendstrafe verurteilt wurden, war kein ausreichender sozialer Rückhalt im Alltag vorhanden. Nur eine intensive Einwirkung auf die Jugendlichen bietet die Chance auf Besserung.Herr Dr.Jür
gens, leider geht es im Jugendstrafvollzug häufig nicht nur um Resozialisierung, sondern um das erstmalige Vermitteln von Selbstbewusstsein und Gemeinschaftssinn, die dann ein Leben ohne Kriminalität ermöglichen.
Die Missbrauchsquote des bis 1999 unter Rot-Grün in Hessen sehr extensiv praktizierten offenen Vollzugs hat anschaulich bewiesen, dass dies keine Lösung darstellt. Es ist nicht der Weg aus der Kriminalität, junge Menschen ohne intensive Einwirkung eines Behandlungsstrafvollzugs in das Umfeld zurückzuschicken, das ihren Lebensweg bisher so negativ geprägt hat.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist völliger Quatsch, was Sie erzählen! Es geht um Vollzug!)
Die Erfahrung zeigt, dass viele Jugendliche vor ihrer Inhaftierung bereits Hilfestellung verschiedenster Art erhalten haben, die im Ergebnis aber nicht zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung geführt hat.
Offener Vollzug als Regelvollzug, verbunden mit einer freundlichen Aufforderung an die Strafgefangenen,an der Erreichung des Erziehungsziels mitzuwirken, so, wie es die GRÜNEN wollen, reicht nicht aus.
Vielmehr muss den jungen Gefangenen nachdrücklich vor Augen geführt werden, dass sie die Pflicht haben, sich in den Erziehungsprozess einzubringen. Dazu ist es nötig, ihnen ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich ohne zu viele äußere Ablenkungen in den Prozess des Umdenkens einlassen müssen. Dabei werden sie von Pädagogen und Psychologen intensiv betreut.
Meine Damen und Herren, es würde dem Erziehungsgedanken, der im Jugendstrafvollzug zweifelsohne eine besondere Bedeutung einnimmt, geradezu zuwiderlaufen, wenn die jugendlichen Straftäter zu früh wieder in ihrem bisherigen sozialen Umfeld verkehren würden. Der geschlossene Vollzug muss daher der Regelvollzug bleiben, so, wie es in Hessen bisher schon erfolgreich in unseren Justizvollzugsanstalten Wiesbaden und Rockenberg für männliche und in der JVA Frankfurt III für weibliche Straftäter praktiziert wird.
Meine Damen und Herren, es passt ins Bild, wenn als weiterer Schwerpunkt des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN allein das Erziehungsziel eines zukünftig straffreien Lebens als Ziel des Vollzugs formuliert wird. Dagegen bleibt bei Ihnen der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten als weiteres Ziel unberücksichtigt. Das kritisieren wir.
Die CDU kritisiert besonders, dass Belange des Opferschutzes in dem Entwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN völlig vernachlässigt werden. Es kann doch nicht sein, dass ein Opfer den Eindruck gewinnt, dass ein Straftäter, der sich im offenen Vollzug befindet, wieder in Freiheit ist, als sei nichts geschehen.
Der Schutz der Allgemeinheit und der Opferschutz dürfen nicht in den Hintergrund treten. Das ist im Gesetzentwurf der GRÜNEN der Fall.
Für die CDU-Fraktion ist es eine unverzichtbare Forderung:Der Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten muss gleichrangig neben dem Ziel der Erziehung stehen.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN sieht auch keinerlei Einschränkungen für die Nutzung von neuen Medien vor. Die CDU-Fraktion ist hier völlig gegensätzlicher Meinung. Eine Nutzung von elektronischen Unterhaltungsmedien wie Spielkonsolen oder Computer soll nur im Einzelfall gestattet werden und nur dann, wenn es dem Erziehungsziel dient. Meist hat der Umgang mit diesen Gerätschaften jedoch keinen pädagogischen Wert.Sie fördern im Gegenteil Passivität und tragen nicht zu einer sinnvollen Freizeitgestaltung bei.
Wir alle wissen, wie wichtig eine richtig gestaltete Freizeit für junge Gefangene ist, um eigene Neigungen und Begabungen herauszufinden und so eine positive Persönlichkeitsentwicklung zu fördern.
Es gibt noch weitere strittige Punkte im Gesetzentwurf der GRÜNEN, so etwa bei der Anstaltskleidung, der Dauer der Besuchszeiten und der Möglichkeit des Arrests als besondere Disziplinarmaßnahme. Wir werden in der Ausschussberatung Gelegenheit haben, uns mit diesen Punkten detailliert auseinanderzusetzen.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten ein Hessisches Jugendstrafvollzugsgesetz, das jugendlichen Straftätern die Möglichkeit zu einem künftig straffreien Leben gibt und das zugleich die Bevölkerung vor weiteren Straftaten dieser jugendlichen Täter schützt. Vollzugslockerungen auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung müssen endgültig der rot-grünen Vergangenheit angehören.
Meine Damen und Herren, eines müssen wir in aller Klarheit sagen: Der hessische Jugendstrafvollzug ist schon jetzt hervorragend aufgestellt. Überall wird er ob seines qualifizierten Behandlungsvollzugs von den Fachleuten gelobt. Auf dieser bewährten Praxis im hessischen Jugendstrafvollzug baut der Gesetzentwurf der Hessischen Landesregierung auf. Ich möchte hier stellvertretend für all die Fachleute, die an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben, Ihnen, Herr Justizminister Banzer, danken. Es ist ein gelungener Entwurf, und dafür gebührt Ihnen Dank und Anerkennung.
Nein. – Die CDU-Fraktion ist sehr zuversichtlich, dass wir hier im Landtag ein modernes und vorbildliches Jugendstrafvollzugsgesetz beschließen werden, das den Erziehungsgedanken und den Schutz der Bevölkerung gleich
berechtigt nebeneinanderstellt. Der Gesetzentwurf der GRÜNEN erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Deshalb und aus den genannten Gründen wird die CDU-Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Gerling. – Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Dr. Jürgens zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Gerling, ich danke Ihnen für die Klarstellung, warum es notwendig war, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute einen eigenen Gesetzentwurf vorlegt und damit den Sachverständigen in der Landtagsanhörung ein vernünftiges Konzept zur Verfügung stellt. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.
Ich habe mich vor allem gemeldet, weil ich darauf hinweisen wollte, dass Sie im Grunde genommen das bestätigt haben, was ich in meiner Rede auch gesagt habe: Es gibt bei Ihnen eine ideologische Blockade gegen den offenen Vollzug.
Sie scheinen nicht verstanden zu haben, dass auch offener Vollzug Vollzug ist. Im Strafvollzugsgesetz steht nur, dass sich offener Vollzug von geschlossenem dadurch unterscheidet, dass er weniger oder gar nicht gesichert ist.Aber ob jemand Freigang hat, ob er draußen herumlaufen darf und ob er Urlaub hat, richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Selbstverständlich können wir auch dann Weisungen erteilen – wie auch beim Freigang aus dem geschlossenen Vollzug –, beispielsweise den Kontakt zu bestimmten Personen zu vermeiden. All das ist richtig und notwendig. Auch offener Vollzug ist Vollzug. Er ist nicht „Freiheit zweiter Klasse“. Das möchte ich festhalten.
Sie sprechen das Thema Entweichungen an. In Groß-Gerau gab es das Fliedner-Haus, in dem der offene Jugendvollzug untergebracht war. Das haben Sie im Zuge der „Operation düstere Zukunft“ geschlossen, weil es Ihnen angeblich zu teuer war. Nennen Sie ein einziges Beispiel dafür, dass aus dem Fliedner-Haus in den letzten 20 Jahren seines Betriebs jemand weggelaufen ist. Es gibt keine solchen Beispiele. Das Fliedner-Haus war eine hervorragend geführte und vor Ort hervorragend integrierte Einrichtung mit vernünftigen Arbeitsmöglichkeiten.
Ein letzter Satz. Sie sagen, die Zielsetzung des Vollzugs muss auch darauf ausgerichtet sein, die Bevölkerung vor weiteren Straftaten zu schützen. Das ist das Ergebnis eines gelungenen Vollzugs,der auf die Resozialisierung ausgerichtet ist. Aber das Bundesverfassungsgericht – das ist nicht unsere Erfindung – hat eindeutig festgelegt, dass aus dem Grundgesetz die Verpflichtung folgt, für den Jugendvollzug als einziges Ziel das Erziehungsziel festzuschreiben und nichts anderes. Das ist die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, die wir erfüllen wollen, Sie nicht.
Herr Gerling, möchten Sie antworten? – Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Faeser für die SPDFraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gerling, lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Eigentlich bin ich es von Ihnen gewöhnt, dass Sie seriösere Politik im Jugendstrafvollzug machen und hier nicht schon den Wahlkampf einläuten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
Nachdem wir im September letzten Jahres bereits den Gesetzentwurf der FDP zum Jugendstrafvollzug diskutiert haben, diskutieren wir heute den der GRÜNEN. Wenn man die Presse aufmerksam verfolgt hat, fragt man sich doch:Wo ist eigentlich der Entwurf der Landesregierung, der am 5. März dieses Jahres so groß angekündigt wurde? Er ist noch nicht eingebracht.