Protocol of the Session on March 8, 2007

(Michael Siebel (SPD): Wenn er das alles vorliest, was er in der Akte hat!)

Nein, das soll keine Drohung sein. Das ist nur ein bisschen Material;denn ich habe mir gedacht,als ich die Rede des Kollegen Lenhart gehört habe, dass man ihm einmal eine Ausgabe des Zuwanderungsgesetzes schenken müsste. Das gibt es mittlerweile auch in kommentierter Fassung. Im hinteren Teil findet sich die Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Aussiedler.

Herr Kollege Lenhart, wenn Sie zu diesem Thema reden, sollten Sie sich vielleicht vorher die eine oder andere maßgebliche Fundstelle in einem Gesetz heraussuchen. Dann würden Sie hier nicht über Punkte reden,von denen Sie offensichtlich nicht richtig viel verstanden haben – um es freundlich auszudrücken.

Herr Kollege Lenhart, es ist schon erstaunlich.

(Zuruf des Ministers Volker Bouffier)

Dabei habe ich Sie vorhin in einem Zwischenruf gelobt. Ich habe Ihnen gesagt, die Integration im Sport sei sehr gut gewesen. Jetzt müssen Sie aufpassen, dass ich das Lob nicht zurücknehme, Herr Kollege Bouffier.

Es hat mich schon gewundert, dass ausgerechnet Sie sich hierhin stellen und über einen Teil reden, den wir eigentlich gut auf der Bundesebene hätten regeln können. Wir haben damals auf der Bundesebene eine breite Diskussion geführt, als es um folgende Fragen ging:Wofür brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz? Sind wir ein Einwanderungsland? Wie gestalten wir die Einwanderung? Unter welchen Voraussetzungen kann eingewandert werden? Wir haben Punktesysteme vorgeschlagen.Wir haben über Gruppen geredet, die hinzukommen sollen oder nicht.

All das stand zur Diskussion. Es gab Vorschläge und Gesetzentwürfe einer Bundesregierung. Dann gab es eine CDU/CSU-Bundestagsfraktion und eine Mehrheit im Bundesrat, die genau das, was Sie hier vorne gefordert haben, verhindert haben.Von daher wundert es mich schon, dass ausgerechnet Sie sich hierhin stellen und über Integration sowie über Zuwanderung und Einwanderung reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Die Entstehungsgeschichte sollte Ihnen bekannt sein. Vielleicht sollten Sie sich einmal mit dem Kollegen Bouffier unterhalten. Der kann Ihnen viel über die Verhandlungen erzählen und darüber, wie das Zuwanderungsgesetz zustande gekommen ist.

(Zuruf der Abg. Birgit Zeimetz-Lorz (CDU) – Clemens Reif (CDU): Nennen Sie den Kollegen doch noch einmal beim Namen!)

Dass ausgerechnet Sie wieder da sind, das hat das Niveau im Hause nicht unbedingt gehoben, aber das ist in Ordnung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es geht bei der Einwanderung nicht darum,sich dagegen abzuschotten,sondern Einwanderung zu steuern. Integration ist nicht nur eine Aufgabe von denen, die zuwandern, sondern es ist auch ein Anspruch an die aufnehmende Gesellschaft. Es ist also eine Wechselbeziehung, die man von beiden Seiten fordern muss, Herr Kollege.

Vielleicht sollten Sie – wenn Sie zu diesem Thema reden – auch einmal das Integrationspapier Ihrer Landesregierung lesen; denn in Ihrem Antrag heißt es bezüglich der Sprachkurse im Herkunftsland: „Integration zielt auf die Partizipation der zugewanderten Menschen am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Integration ist dabei ein dauerhafter Prozess, der auf Gegenseitigkeit zwischen den Zugewanderten und der Aufnahmegesellschaft beruht.“ Frau Kollegin Lautenschläger schreibt dann in ihrem Konzept: „Integration ist ein langfristig angelegter Prozess, der oftmals über Generationen verläuft und überwiegend im Familienverband geschieht.“

Das ist der zentrale Punkt, den wir betrachten müssen, und deshalb sollten wir uns noch einmal Ihren Antrag ansehen. Denn Sie schreiben: „Der Landtag fordert die Landesregierung auf, zu prüfen, inwieweit erreicht werden kann, dass zuwanderungswillige Ausländer bereits im Herkunftsland einen Deutsch-Sprachtest absolvieren können, um damit die nötigen Sprachkenntnisse zu belegen.“

Sie haben, glaube ich, nicht verstanden, dass es um mehrere Formen von Zuwanderung geht.Es geht bei dem,was Sie zum Arbeitsmarkt dargestellt haben, um Einwandern. Wir hatten dazu Vorschläge gemacht, die von dieser Regierung bzw. von den damaligen Mehrheiten im Bundesrat verhindert wurden.

Eine andere Frage, die sich stellt – und da wird es spannend –, ist: Wie organisieren wir den Familiennachzug? Wie organisieren wir es, dass jemand, der sich in Deutschland legal aufhält, unter Umständen seine Ehefrau aus dem Heimatland nachholen kann? Wie organisieren wir diesen Prozess?

Meine Damen und Herren, da eine Hürde aufzubauen und zu sagen: „Wir koppeln das nun an einen Sprachtest im Herkunftsland“,das geht in die verkehrte Richtung.Es wird sich sicher keiner dagegen wehren, wenn jemand freiwillig in seinem Herkunftsland einen Deutschkurs besuchen möchte – bei welchen Institutionen auch immer. Jemanden, der zu seiner Familie reist, aber zu zwingen, in seinem Herkunftsland einen Sprachtest zu machen, das halte ich für den falschen Weg.

Im Übrigen – vielleicht haben Sie das einmal nachgeschlagen – sind die Integrationskurse durch das Zuwan

derungsgesetz überhaupt erst möglich geworden. Die Integrationskurse hat Rot-Grün eingeführt. Vielleicht sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen, dass dies seinerzeit zum Teil gegen Ihren erbitterten Widerstand geschehen ist; denn Sie haben damals in Deutschland noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollen, dass wir ein Einwanderungsland sind und dass wir Einwanderung gestalten müssen. Damals waren Sie noch auf dem Trip: Deutschland ist gar kein Einwanderungsland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben diese Kurse eingerichtet. Der Spracherwerb ist natürlich ein wichtiger Schlüssel zur Integration – das will ich nicht bestreiten.Wir haben das im Gegensatz zu Ihnen gemacht. Sie haben das nicht gemacht, und Sie hatten dafür 16 Jahre lang Zeit. Sie haben lange genug in der Bundesregierung verweilt. Sie hätten diese Dinge, die Sie heute einfordern und von denen Sie behaupten,dass es sie nicht gibt, vor 16 Jahren durchsetzen können.

Der Spracherwerb ist wichtig, und Sprache ist Schlüssel für eine gelungene Integration.Deswegen haben wir diese Kurse zur Integration eingeführt. Meine Damen und Herren, Sprache lernt man aber am besten in einem Land, in dem diese Sprache auch gesprochen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine Überlegung, der Sie sich vielleicht einmal näher widmen sollten. Das ist gerade für die Familienzusammenführung wichtig. Denn weshalb schicken wir Studentinnen und Studenten für ein Semester ins Ausland, um dort eine Sprache zu erlernen? Warum schicken wir Schülerinnen und Schüler zum Schüleraustausch? – Damit sie in den Ländern, die sie bereisen, deren Sprache erlernen. Es ist ein richtiger Ansatz, zu sagen: Beim Familiennachzug lassen wir die Leute rein, und sie sollen hier mit ihren Familien leben; denn das ist auch ein wichtiger Schlüssel zur Integration. Der Spracherwerb muss hier stattfinden, in der Familie, im Freundeskreis, und er findet aufgrund des Austauschs in der Familie, mit den Kindern statt. Das ist der richtige Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen gibt es – vielleicht ist Ihnen auch das entgangen – auf Bundesebene bereits den Versuch, das, was Sie hier von der Landesregierung fordern, gesetzlich zu regeln. Es gibt mittlerweile einen Gesetzentwurf, der da heißt: Richtlinienumsetzungsgesetz. Das ist bisher nur ein Entwurf, der es noch nicht bis zur Kabinettsreife geschafft hat. Dort steht geschrieben, dass dem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen sei, wenn sich der Ehegatte zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne.

Hierbei wird mit der EU-Richtlinie argumentiert, die umgesetzt werden muss und wo Sie schon wieder versuchen, Hürden aufzubauen. Diese Richtlinie besagt: „Die Mitgliedstaaten können gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen.“ Das ist der Anspruch, den die EU-Richtlinie an uns hat. Das tun wir mit dem Zuwanderungsgesetz und der Verordnung zu den Integrationskursen.

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihren Blick noch einmal darauf lenken – denn es ist ein Nebenkriegsschauplatz, den Sie hier eröffnen –, was die „Unabhängige Kommission Zuwanderung“ zur Integration und zum Spracherwerb geschrieben hat. Das ist eine Kommission, die seinerzeit von der Bundesregierung eingesetzt worden

ist. Als Vorsitzende gehört dieser Kommission eine hochkarätige Politikerin der CDU an, Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth. Diese Kommission schreibt zur zukünftigen Ausgestaltung des Familiennachzugs:

Familien leisten einen elementaren Beitrag zum Erfolg von Integrationsprozessen. Aus soziologischer Sicht ist daher grundsätzlich ein möglichst weitgehender Familiennachzug zu befürworten... Die „Unabhängige Kommission Zuwanderung“ sieht in der Zielsetzung des EU-Kommissionsvorschlags für eine Familienzusammenführungsrichtlinie, durch Einbeziehung des Familienverbands soziokulturelle Stabilität zu schaffen und infolgedessen die Integration Drittstaatsangehöriger zu erleichtern, grundsätzlich einen richtigen Ansatz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie wirklich Integration wollen und wenn Sie wollen, dass wir Zuwanderung auch ermöglichen, um für Menschen, die ihrer Familie nachziehen wollen, diese Möglichkeit zu schaffen, dann sollten Sie nicht Hürden aufbauen, sondern das umsetzen, was in der EU-Richtlinie zum Zuwanderungsgesetz steht. Hier hat Frau Kollegin Wagner völlig zu Recht gesagt,das Zuwanderungsgesetz werde – im Gegensatz zu den Gesetzen, die Sie hier immer wieder in Kraft setzen – gerade evaluiert, und es gebe sehr gute Hinweise darauf, was unter Umständen geändert werden müsste.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten die Realitäten in diesem Lande endlich anerkennen, und Sie sollten nicht permanent neue Hürden aufbauen,schon gar nicht, wenn es in Richtung Wahlkampf geht. Bei der Kommunalwahl haben wir nämlich über den Kurs-Test-Eid des Innenministers diskutiert, und jetzt diskutieren wir, weil es in den Landtagswahlkampf geht, wieder über Ausländerpolitik. Sie sollten dieses Land endlich gestalten; denn Integration ist ein Prozess sowohl seitens derer, die hier reinkommen, als auch seitens der Gesellschaft, die aufnimmt. Das ist der richtige Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Innenminister Bouffier.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Herr Kollege Frömmrich hat zum Schluss gesagt, wir sollten die Realitäten zur Kenntnis nehmen.Ich bin sehr dafür.Diese Debatte ist, wenn es auch nur im weitesten Sinne um die Zuwanderung geht, sehr emotional. Dafür habe ich Verständnis, denn es ist eine grundsätzliche Frage in Bezug auf die Zukunft unserer Gesellschaft. Was aber die wenigsten bisher begriffen haben ist: Wir werden unsere Gesellschaft in den nächsten 20 Jahren vollkommen umbauen, ohne dass wir das noch beeinflussen könnten.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Weil wir uns nicht mehr vermehren!)

Wir werden auf der einen Seite viel mehr ältere und nur noch ganz wenige junge Menschen haben.Das fordert uns in großer Weise heraus. Zur gleichen Zeit wird die Zahl der Menschen, die hier schon immer gelebt haben, immer weniger; und die Zahl der Menschen, die aus aller Herren Länder zu uns gekommen sind, wird immer größer wer

den.Das vollzieht sich in einer rasenden Geschwindigkeit, und ich sage Ihnen: Da ist Realismus gut angebracht.

Ich kann überhaupt nicht verstehen – aber das gilt hier für alle Redner, mit Ausnahme des Herrn Kollegen Lenhart –, was man gegen den Antrag der CDU eigentlich haben kann. Ich darf ihn einfach noch einmal vorlesen: „Der Landtag fordert die Landesregierung auf, zu prüfen, inwieweit erreicht werden kann, dass zuwanderungswillige Ausländer bereits in ihrem Herkunftsland einen DeutschSprachtest absolvieren können, um damit die nötigen Sprachkenntnisse zu belegen.“ Dagegen kann aus meiner Sicht jemand, der vom Thema auch nur ansatzweise eine Ahnung hat, nichts, aber auch gar nichts haben.

(Beifall bei der CDU)

Man kann auch nichts dagegen haben, dass wir das prüfen und schauen, wo es geht. Wenn jemand in unser Land kommt, der Deutsch kann, dann kann man dafür doch nur dankbar sein – sowohl der Betroffene als auch die hiesige Gesellschaft. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, dass jemand ein Argument gegen diesen Antrag haben könnte.

Liebe Kollegin Wagner, ich will mich ganz bewusst unter dem Stichwort Realismus um das Thema bemühen. Zu dem Sachverhalt der Zwangsehen empfehle ich aber Nüchternheit.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Was hat das mit Sprachtests zu tun?)

Zu den Erwartungen, die aufgrund des Gesetzentwurfs gehegt werden, der zum Teil in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung in Berlin diskutiert wird, habe ich persönlich eine zurückhaltende Meinung.

Dass es ohne jede Bedeutung ist, wie alt eine junge Frau oder ein Mädchen ist, die in unser Land kommt, für die Frage, wie sie ihre Interessen selbst vertreten kann, das bestreite ich aber auch. Es ist schon ein Unterschied, ob Aische mit 14 aus der hintersten Türkei hierher kommt oder vielleicht mit 21 und sieben weiterer Jahre Persönlichkeitsbildung,Charakterfestigung und ob sie dann auch die Möglichkeit eines eigenen Standpunktes gewonnen hat. Das sind schon Unterschiede. Das kann man nicht ernsthaft bestreiten.

Genauso ist richtig: Sie werden mit allen diesen Maßnahmen nie und nimmer imstande sein, den Sachverhalt vollständig in den Griff zu bekommen.Wer in unserem Lande Anschauungsunterricht über diesen Sachverhalt nehmen will, dem empfehle ich, die reichhaltige Berichterstattung über einen gerade in Limburg an der Lahn laufenden Strafprozess zur Kenntnis zu nehmen. Genau dort haben wir das Thema.

Dort hat ein Vater, der mit zwei Frauen hier lebt, der seit vielen Jahren mit neun Kinder hier ist, seine Tochter nach islamischem Recht verheiratet. Diese Frau hat gesagt, sie will das nicht. Daraufhin hat der Vater seinen jüngsten Sohn bestimmt, die Tochter zu ermorden. Dieser Sohn hat sich an einen Lehrer gewandt. Ich kann das vortragen; es stand alles in der Zeitung. Dieser Lehrer war so klug, die Polizei einzuschalten. Die Staatsanwaltschaft hat wegen versuchten Mordes angeklagt. Das Gericht verhandelt derzeit. Die Wirklichkeit ist: Die junge Frau musste in die Türkei,ist dort von bestimmten Gruppen betreut worden. Den jungen Mann hat die hessische Polizei in ihr Zeugenschutzprogramm aufnehmen müssen, weil er um Leib und Leben fürchten muss.

Das Ganze findet in diesem Lande statt, bei jemandem, der schon zig Jahre hier ist. Jetzt sage ich nur: Wer ernsthaft über diese Themen spricht,dem rate ich Realismus an und nicht die uralten Geschichten.