Protocol of the Session on December 13, 2006

Wird jetzt die rechte Tyrannei abgelegt, eingeordnet und bagatellisiert, die linke dagegen dämonisiert – so werden rechtsradikale und konservative Revolutionäre salonfähig. Dann beanspruchen sie ihren Platz im demokratischen Verfassungsspektrum, dann verschiebt sich die Mitte nach rechts. Die Maßstäbe verschwimmen, und Deutschland driftet.

Der kluge Beobachter heißt Friedbert Pflüger, war Spitzenkandidat der CDU bei den letzten Berliner Wahlen und ist Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Klingt das nicht so, als ob er bestimmte Historiker im Auge hätte, die bei gewissen hessischen Parteien programmatische Reden zu dem Thema Patriotismus halten?

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU:Ach du Schande!)

Diese beiden Themen fehlen in Ihrer Fleißarbeit völlig. Deshalb sind die Strategien, die Sie vorgeschlagen haben, ungenügend. Es fehlen tief gehende Informationen und Bewertungen zu Bewusstseinsstrukturen, zu Mentalitäten und Milieus sowie zu den ideologischen braunen Netzwerken.

Gerade wegen der Aktualität des Themas will ich hier erneut sagen: Auch die Rolle der Burschenschaften wird in Ihrer Antwort im Kern ausgeklammert. Der Blick ist verengt, er ist nur auf das Gewalt- und das Jugendproblem gerichtet. Gibt es keine offene Gewalt – Sie betonen, dass das Gewaltproblem in Hessen relativ gering ist –, gibt es auch kein Problem. Das ist ein Tunnelblick, mit dem man die Dimensionen dieses Problems und die gesellschaftlichen Herausforderungen mehr als eingeschränkt wahrnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt keine vertiefenden Forschungen und Ergebnisse zu kleineren Organisationen und neuen Organisationsstrukturen. Ich will nur an das Thema Butzbach-Hochweisel erinnern. Es fehlt ein systematischer Blick auf die Zusammenhänge. Es gibt zwar, beispielsweise im Innenministerium, dafür zuständige Mitarbeiter. Aber es existiert keinerlei Task-Force, die die Präventionsarbeit im Blick hat. Bei dem Aussteigerprogramm Ikarus z. B. erfolgt die Arbeit ebenfalls nur rein polizeilich und verfassungsschutzrechtlich, aber nicht zivilgesellschaftlich. Eine Zusammenarbeit mit diesen Gruppen existiert nicht. Herr Innenminister, ich will ausdrücklich sagen: Ikarus ist richtig. Es ist eine notwendige Maßnahme, die jedoch nicht ausreicht. Genau an dieser Stelle entsteht Ihr Problem.

(Minister Volker Bouffier: Es ist sehr erfolgreich!)

Bildung und Erziehung müssten in der Gegenstrategie eine herausragende Rolle spielen. In Sachsen und Rheinland-Pfalz wird das Thema systematisch und strukturiert angegangen. In Hessen bleibt leider vieles dem Zufall überlassen. Die Rolle der Landeszentrale für politische Bildung ist unzureichend.Die Zuweisungen für die außerschulische politische Jugendarbeit stagnieren seit Jahren.

Den Kommunen fehlt auch hier das Geld, um das zu kompensieren oder die Mittel sogar aufzustocken.

Die Gedenkstättenarbeit wird vielerorts reduziert oder sogar eingestellt. Die Medienpädagogik – angesichts der erregten Debatte über Gewaltvideos wieder einmal ein hochaktuelles Thema – ist auf dem niedrigsten Stand angelangt. Die Antworten im Zusammenhang mit dem Thema Schule wirken beschämend; es handelt sich bei ihnen offensichtlich nur um eine verzweifelte Zusammenstellung von Ein-Punkt-Projekten. Von einer Strategie – auch angesichts des vermehrten Engagements von Rechtsextremisten an den Schulen – kann keine Rede sein. Wie uns in dem Strategiegespräch vor 14 Tagen einige Gruppen mitgeteilt haben,gibt es auch dort eine Kultur der Nichtauseinandersetzung.

Im September 2006 hat sich eine ganze Reihe von Organisationen, die im Kampf gegen den Rechtsextremismus eine bedeutende Rolle spielen, in einem offenen Brief an alle Fraktionen des Landtags gewandt. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass gerade der Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle zukommt, wenn es darum geht, dem Rechtsextremismus auf lokaler Ebene nachhaltig entgegenzuwirken, und dass es auch in Hessen zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure gibt, die dem Rechtsextremismus entgegentreten und kontinuierlich Impulse zu einer dauerhaften Stärkung von Demokratie und Menschenrechten geben. Das geschieht durch bürgerschaftliches Engagement, Forschung sowie durch akademische und professionelle Projekte in Pädagogik, Beratung und Aufklärung.

Diesen Brief haben Sie alle bekommen. Die SPD hat sich diese Vorschläge zu eigen gemacht und einen Haushaltsantrag eingebracht, in dem es darum geht, 250.000 c zur Umsetzung dieser Projekte bereitzustellen.Dieser Antrag ist im Haushaltsausschuss leider mit der Begründung abgelehnt worden, dass man all diese Maßnahmen aus dem eigenen Haushalt erwirtschaften könne.Herr Innenminister, deswegen bitte ich Sie nachdrücklich, im Rahmen Ihrer Antwort auf die Große Anfrage zu erläutern, wie Sie die Umsetzung garantieren wollen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der Union und bedauerlicherweise auch von der FDP, völlig unabhängig davon, dass die Antwort auf die Große Anfrage keine Perspektiven für die Fragen enthält, die ich eben skizziert habe, finden wir es sehr betrüblich, dass Sie bis heute nicht einmal auf die Initiative geantwortet haben. So haben sich zumindest die Vertreter der Gruppen, mit denen wir letzte Woche gesprochen haben, geäußert.

Ich möchte noch einmal auf das Thema Burschenschaften zurückkommen. Sie erinnern sich vielleicht an die Aktuelle Stunde des letzten Plenums, in der vom RCDS in Gießen und von Herrn Müller die Rede war. Abgesehen davon, dass der Vorstand inzwischen vollständig zurückgetreten ist und dass Herr Müller in Mannheim vor Gericht angegeben hat, dass der RCDS sehr wohl seine Gesinnung kannte – so heißt es jedenfalls in den entsprechenden Presseverlautbarungen –, möchte ich Sie nochmals auf die Anfälligkeit dieser Organisationen für eine Unterwanderung durch Rechtsextremisten hinweisen.

Der Dachverband Deutsche Burschenschaft, dem in Hessen 14 Burschenschaften angehören,hat sich nach der Debatte ausdrücklich mit der Dresdensia-Rugia solidarisiert. Ich sage das ausdrücklich; denn der Vorsitzende der Alten Herren einer dieser drei Burschenschaften aus Gießen,

die dem institutionellen Zusammenschluss angehören, hat sich inzwischen distanziert. Der organisierte Zusammenhang ist jedoch nach wie vor nicht aufgekündigt. Beim RCDS Gießen fand sich noch heute Morgen – zumindest war das der letzte Hinweis, den ich vor einer Stunde bekommen habe – eine Wohnungsanzeige der Burschenschaft Alemannia.

Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie die Bekämpfung des Rechtsextremismus ernst nehmen, müssen Sie sich endlich entschlossen an einer Isolierungs- und Ächtungsstrategie beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen endlich dem lobenswerten Beschluss des RCDS nacheifern und Unvereinbarkeitsbeschlüsse, wie sie auch die SPD auf Bundesebene gefasst hat, für solche Organisationen nachvollziehen und ein klares Signal setzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Joseph Wirth, der einer Partei angehörte, auf deren programmatische und organisatorische Tradition die CDU sich zu Recht beruft, blickte bei seiner Rede nicht nur im übertragenen, sondern auch im buchstäblichen Sinne nach rechts,wo die Abgeordneten der DNVP und anderer rechtskonservativer, deutschnationaler, nationalistischer und völkischer Parteien saßen. Da stand der Feind, den er meinte.

Niemand in diesem Haus darf zulassen, dass sich dies schleichend verändert und die Ränder Risse bekommen. Einen entscheidenden Beitrag haben wir geleistet. Jetzt sind Sie dran. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD – Bei- fall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ein Viertel aller Bürgerinnen und Bürger ausländerfeindlichen Aussagen zustimmt, wenn über 15 % der Bundesbürger meinen, Deutschland brauche wieder einen starken Führer, der das Land mit starker Hand regiere, wenn fast 9 % der Deutschen ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild haben, dann ist es für mich keineswegs beruhigend, was die Landesregierung als Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion vorgelegt hat. Die Regierung kann zwar berichten, dass die Anzahl der gemeldeten Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund in Hessen nahezu gleich geblieben ist, während anderswo ein Anstieg zu verzeichnen ist, beruhigend ist dies aber nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Anzahl der Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund ist auch nur ein Aspekt des Problems und sollte auf keinen Fall als Zeichen zur Entwarnung gesehen werden. Die von mir eingangs genannten Zahlen gründen auf einer Studie der Universität Leipzig im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung von Anfang November dieses Jahres.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus darf keineswegs unter

schätzt werden. Ohne Frage ist Repression gegen offenen Rechtsextremismus eine wichtige Aufgabe. Polizei, Verfassungsschutz und auch Justiz leisten in Hessen hierzu eine wichtige Arbeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Doch wenn wir, wie in der Studie beschrieben, Teile der Gesellschaft schon an rechtsextremistisches Gedankengut, an rechtsextremistische Weltanschauung verloren haben, geht das Problem viel tiefer, und wir müssen verstärkt in den Kampf um die Köpfe der Menschen investieren. Repressive Maßnahmen allein reichen meiner Meinung nach an diesem Punkt nicht aus. Die Zahlen der Studie geben Anlass zur Sorge und rufen uns alle auf,noch entschlossener gegen rechtes Gedankengut vorzugehen und Maßnahmen gegen Rechtsextremisten zu ergreifen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Am Anfang bedanken wir uns bei der SPD-Fraktion für die Fleißarbeit bei der Formulierung dieser Anfrage. Ich bedanke mich aber ausdrücklich bei der Landesregierung für die umfassende Beantwortung dieser Großen Anfrage. Wir haben mit dieser Antwort auf die Große Anfrage eine gute Datengrundlage, einen guten Überblick über das, was in Hessen geschieht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, wir sollten an vielen Punkten in diesem Hause strittig argumentieren und auch an vielen Punkten streiten. Aber das Thema Rechtsextremismus und Bekämpfung von Rechtsextremismus sollten wir in diesem Hause gemeinsam angehen. Hier sollten wir als Demokraten zusammenstehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir sollten uns jetzt nicht auf den im Bundesvergleich für Hessen teilweise günstigen Antworten ausruhen.Wir sollten die Erkenntnisse zum Guten nutzen. In Sachsen-Anhalt ist zwar im Vergleich zu Hessen die Gefahr zehnmal höher, Opfer von rechtsextremer Gewalt zu werden. Das entbindet uns aber nicht, in Hessen energisch und konsequent gegen rechte Gruppen vorzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Um rechtes Gedankengut an der Wurzel zu bekämpfen, ist es auch wichtig,dass die Ränder nicht unscharf werden. Wir haben im vergangenen Plenum über RCDS und Dresdensia-Rugia und die Nähe zur NPD gesprochen. In der Debatte ging es genau um diese Unschärfe.Es ging genau um die Trennschärfe nach rechts. Umso wichtiger ist es, dass sich Parteien von Menschen trennen, die genau diese Grenzen überschreiten, sogar wiederholt überschreiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist ein Skandal, wenn ein Politiker einer demokratischen Partei Andersdenkende ungestraft als „Schwuchteln“ tituliert und das Mahnen an Deutschlands Verantwortung für Holocaust und Vernichtungskrieg als „Schuldkult“ bezeichnet.Wer Andersdenkende als „Multikultischwuchteln“ bezeichnet, wer von „Schuldkult“ redet, der darf in einer demokratischen Partei keinen Platz haben.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, rechtes Gedankengut hat dann eine Chance, ausreichend Gehör zu finden, wenn es in der Mitte einer Volkspartei ungestraft geäußert werden darf.

Eine Bagatellisierung von rechtsextremistischen Parteien findet meiner Meinung nach auch statt, wenn Kommunen unkritisch Ehrungen an ehrenamtliche Politiker dieser Partei vergeben, bloß weil diese eine bestimmte Zeit lang im Kommunalparlament gesessen haben. Dies ist in diesem Jahr sowohl in Stadtallendorf als auch in Korbach geschehen. Hier muss der Landtag, hier muss Kommunalpolitik ein klares Signal setzen: Wer einer rechtsextremen Partei angehört, sollte in Hessen nicht auch noch für dieses politische Handeln geehrt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben für derlei Ehrungen keinerlei Verständnis. Öffentliche Institutionen sollten nicht durch Ehrungen von Mitgliedern dieser Organisationen dazu beitragen, dass es zu einer unterschwelligen Normalisierung deren Gedankengutes kommt. In meiner Heimatstadt Korbach haben wir das festgestellt. Da sagten viele: Das ist doch ein ganz netter Onkel. – Die Ideologien, die dieser Mensch verbreitet, sind ausländerfeindlich. Die Ideologien sind gegen Minderheiten gerichtet, und sie sind revanchistisch. Das ist genau das Gegenteil von gutem Onkel. Deswegen dürfen solche Menschen nicht ausgezeichnet werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen diesen Rechtsauslegern eine klare Absage erteilen und als Demokraten an diesem Punkt klar Kante zeigen. Wir sollten gemeinsam überlegen, was zu tun ist, welche Schlüsse zu ziehen sind. Wir müssen gemeinsame Strategien gegen rechts in Hessen entwickeln.

Genau diesen Weg wollen wir mit unserem Dringlichen Antrag beschreiten.Alle Fraktionen in diesem Hause sollten diese Herausforderung gemeinsam angehen. Wir fordern in unserem Dringlichen Antrag, dass eine zentrale Stelle zur Bekämpfung des Rechtsextremismus eingerichtet wird. Wir fordern, dass ehrenamtliches Engagement von Schülerinnen und Schülern stärker unterstützt wird. Wir fordern, dass Ausstiegshilfen im Bereich des Rechtsextremismus verstärkt werden.Wir tun es schon, aber wir müssen es noch verstärken.

Wir müssen Jungwählerinnen und Jungwähler ansprechen. Wir müssen soziale Arbeit in Jugendzentren unterstützen und fördern.Wir müssen bei der Erwachsenenbildung meiner Auffassung nach mehr tun, und wir meinen, dass wir diese Große Anfrage nutzen sollten, im Innenausschuss, im Kulturpolitischen Ausschuss und im Sozialpolitischen Ausschuss eine Anhörung durchzuführen, die sich mit der frühzeitigen Bekämpfung von rechtsextremistischen Tendenzen bei Jugendlichen beschäftigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)