Protocol of the Session on December 12, 2006

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Milde, nun muss man in Hessen seit Kurzem auf der Hut sein und genau fragen, was damit überhaupt gemeint ist. Nachdem nämlich der Herr Finanzminister in den vergangenen Jahren auf seinem Weg zu verfassungsgemäßen Haushalten nicht etwa auf Einsparungen, sondern auf das Umdefinieren der Hessischen Verfassung gesetzt hatte, gab es immer gleich zwei Grenzen, die in aller Regel gerissen wurden: zum einen die seit Jahrzehnten gültige und angewendete Verfassungsgrenze, die von Herrn Weimar zur „Regelgrenze“ degradiert worden ist, zum anderen die neuere, um kommunale Investitionen ergänzte weimarsche Verfassungsgrenze. Nun ruft der Herr Finanzminister: Alles egal, in diesem Jahr unterbieten wir alle Grenzen.

(Minister Karlheinz Weimar:Was?)

Herr Finanzminister, da können wir nur zurückrufen: Das ist falsch. Das ist mitnichten so; denn wenn Investitionen die Schaffung langfristiger Werte bedeuten, für die man sich verschulden darf, weil diese Werte auch den zukünftigen Generationen zugutekommen, die diese Schulden einst abtragen müssen, kann der Verkauf von benötigten Immobilien nur das Gegenteil von Investitionen sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministers Karlheinz Wei- mar)

Das heißt aber nichts anderes, als dass die Einnahmen, die dadurch gemacht werden, entweder von der Summe der

getätigten Investitionen abgezogen werden müssen oder dass sie zur Neuverschuldung hinzuzurechnen sind. Nur eines von beidem ist möglich. Egal wie man es macht, im Ergebnis sind wieder alle Verfassungsgrenzen gerissen; denn der Verkauf von benötigtem Landesvermögen ist nichts anders als eine versteckte Neuverschuldung in Form von Miet- statt Zinszahlungen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Gegenruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD):Aber realistisch!)

Herr Milde, bezahlt werden muss es, so oder so.

(Zuruf des Ministers Karlheinz Weimar)

Herr Finanzminister, Sie werden es nie einsehen. Wir werden das Geld bezahlen müssen. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Wir werden es bezahlen müssen, entweder in Form von Mietzahlungen oder in Form von Zinszahlungen.

Deswegen bleibt auch dieser Haushalt trotz großer Einnahmeverbesserungen, trotz sprudelnder Einnahmequellen und trotz der wirklich guten Laune unseres Finanzministers so verfassungswidrig, wie es eh und je der Fall war. In Hessen haben wir also nichts Neues.

Nun wollen wir uns einzelne Schwerpunkte des Nachtragshaushaltsplanentwurfs anschauen. Wir finden z. B. Einmalzahlungen für Beamte in Höhe von 28 Millionen c. Das ist ein in jeder Hinsicht willkürlicher Akt.Dreieinhalb Stunden Mehrarbeit pro Woche über mehrere Jahre hinweg werden durch zwei Einmalzahlungen in Höhe von 250 c ausgeglichen. Der Betrag an sich ist schon völlig aus der Luft gegriffen und nicht begründbar. Aber nicht nur das: Tausende von Tarifangestellten, die ebenfalls länger arbeiten, werden von der Sonderzahlung ausgeschlossen. Wem kann eine solche Art von Gerechtigkeit noch vermittelt werden?

(Beifall bei der SPD)

Nächster Punkt. 10 Millionen c mehr werden für die Unterrichtsversorgung ausgegeben. Auf den ersten Blick sieht das ganz schön aus. Aber wenn klar ist, dass hiermit auch die grauenvolle Unterrichtsgarantie plus gemeint ist, d. h. die zwischenzeitliche Betreuung von Schülern durch Laien und andere „Experten“, kann man auch hiervon nur wenig begeistert sein.

(Beifall bei der SPD)

Ähnliches gilt für die zusätzlich zur Verfügung gestellten Lehrerstellen an den beruflichen Schulen.Auch das klingt zunächst gut und schön. Leider steht dahinter aber eine ausgesprochen schlechte Lehrstellenbilanz in Hessen. Das heißt, hier handelt es sich um die Extraschleifen derjenigen jungen Leute, die keine Lehrstellen gefunden haben und deshalb im 10. Schuljahr auf eine neue Chance warten.Auch hierbei geht es also lediglich um das Ausbügeln vorheriger Versäumnisse.

Ein weiteres Thema ist die verbesserte Eigenkapitalausstattung der Hessischen Investitionsbank. Ich möchte gar nichts dagegen sagen, dass das Stammkapital um 20 Millionen c erhöht wurde.Aber diese Maßnahme bleibt halbherzig, solange die Chancen zur Strukturanpassung nicht genutzt werden.Während andere Bundesländer ihre Förderinstrumente und -institute bündeln, leistet sich Hessen weiter eine ungeeignete Dreiteilung: Landestreuhandstelle, Investitionsbank und Hessen-Agentur. Damit hat Hessen gleich drei Förderinstrumente nebeneinander und leistet sich Antisynergien, die in mehreren Vorstän

den, mehreren Beiräten und in einer munteren Ämtervervielfältigung gipfeln. So stellen wir uns eine moderne Förderpolitik jedenfalls nicht vor.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich die angegebenen Einsparungen etwas genauer anschaut, stellt man fest, dass es dort noch ungünstiger aussieht. Ausgerechnet bei den Zukunftstechnologien, bei der Energie, im Klimaschutz und bei den regenerativen Technologien werden die Mittel um 20 bis 30 % gekürzt. Wer so handelt, der will von den fossilen Energieträgern nicht weg, und wer so handelt, für den bleiben irgendwann tatsächlich nur noch die Atomkraftwerke übrig.

Weitere Einsparungen gibt es bei den Zinsen. Es ist schön und gut, wenn die Zinsen nicht so sehr gestiegen sind, wie man es ursprünglich befürchtet hatte.Aber auch das ist im Grunde keine eigene Leistung.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Natürlich!)

Was die Absenkung in Höhe von fast 80 Millionen c bei den Investitionen betrifft: Ein Beitrag zur Nachhaltigkeit sowie zum Erhalt und zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze wird an dieser Stelle gewiss nicht geleistet.

Nun wollen wir allerdings herausstreichen, dass es auch einen positiven Punkt gibt. Unter anderem in der ersten Lesung des Entwurfs für den Nachtragshaushalt hat der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion gefordert, den hessischen Kommunen den ihnen zustehenden Anteil an den Steuermehreinnahmen bereits 2007 auszuzahlen. Wie wir nun wissen,erfüllt die Landesregierung diese Forderung, sodass den Städten, Gemeinden und Landkreisen im nächsten Jahr ungefähr 100 Millionen c mehr zur Verfügung stehen. Dank der Umsetzung unseres Antrags

(Lachen des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

profitiert die kommunale Familie bereits im kommenden Jahr von der überaus günstigen Steuerentwicklung des Landes.

(Beifall bei der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Trotz Ihres Antrags!)

Sie haben das nicht gewollt.Aber das ist zumindest ein Silberstreif am Horizont des Jahres 2007.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Nur mit uns!)

Ich komme zum Schluss. Es ist gut, wenn Sie einmal auf unsere Vorschläge eingehen. Dafür wollen wir Sie an dieser Stelle loben.

(Lachen des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Zuruf von der CDU: Wenn wir Sie nicht hätten!)

Der vorliegende Haushaltsplanentwurf ist, wenn man den Nachtrag einbezieht, nun nicht mehr so schlecht wie befürchtet. Er ist aber real weder verfassungskonform, noch wird der Weg in die Verschuldung – trotz Rekordeinnahmen – nachhaltig gestoppt. Es gibt daher wenig Grund zum Jubeln oder Feiern, sondern es wird endlich Zeit, an die Arbeit zu gehen.

(Beifall bei der SPD)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Kaufmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits bei der ersten Lesung des Nachtragshaushalts im November-Plenum – es ist noch nicht so lange her – haben wir an dieser Stelle die finanzwirtschaftlichen Aspekte der Vorlage ausgiebig erörtert. Bis zum heutigen Tag haben wir keine neuen Vorlagen, weder von der Landesregierung noch in Form von Änderungsanträgen aus anderen Richtungen, die wir bewerten könnten. Erst heute Abend, in der Sitzung des Haushaltsausschusses, soll dann mithilfe des weimarschen Kompasses der Punkt bestimmt werden, auf dem in diesem Jahr gelandet wird.

(Heiterkeit des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Meine Damen und Herren, wir erleben aktuell einen geradezu dramatisch zu nennenden Zuwachs an Steuereinnahmen. Das ist kurz vor Weihnachten ein echtes Evangelium für die Landesregierung. Darüber freut sie sich, nicht nur wie wir alle, sondern sie ist auch mächtig stolz. Wie immer vergisst die Landesregierung dabei, dass man stolz nur auf etwas sein kann, was eigene Leistung beinhaltet. Aber die jetzt sprudelnden Steuereinnahmen sind trotz dauernder Querschüsse aus dem schwarzen Lager zustande gekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es sind in allererster Linie die Früchte der rot-grünen Politik,die jetzt geerntet werden können,indem nach langer, auch für uns quälender Wartezeit die Maßnahmen z. B. der Agenda 2010 zu wirken beginnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Es muss nochmals betont werden – ich hatte es in der ersten Lesung schon angemerkt; ich wiederhole es gerne –: Wir könnten in diesen Tagen nicht das einjährigen Jubiläum der Bundeskanzlerin Angela Merkel gefeiert haben,

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

sondern wir könnten uns über den rot-grünen Wahlsieg in Berlin freuen, wenn im Mai vergangenen Jahres der Bundeskanzler nicht die Nerven verloren hätte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Ich glaube, da haben auch ein paar andere die Nerven verloren! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Viel Nostalgie!)

Denn die jetzt gemessene positive Entwicklung der wirtschaftlichen Daten ist alles andere als das Verdienst der amtierenden Bundesregierung. Im Gegenteil, schauen Sie doch einmal hin:Am lautesten schallt aus den Reihen der Wirtschaft die Kritik an der auffallend zögerlichen Politik der Großen Koalition, die angeblich Reformen auf den Weg bringen wollte und sich jetzt nur noch um die Förmchen streitet.

Nicht wenige sehnen sich schon jetzt vernehmlich nach der Reformpolitik von Rot-Grün zurück, wenn sie sich das derzeitige Chaos in Berlin anschauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren,man muss einen neuen Begriff für die Berliner politische gesetzgeberische Anarchie finden; denn unsere Handwerkerschaft hat es wirklich nicht verdient, dass man ständig ihren Namen für diese hanebüchenen Fehler missbraucht. Es sind keine handwerklichen Fehler oder alltäglicher Murks, sondern es ist die tief gegründete Unfähigkeit zur fachgerechten Lösung, weil in dieser Großen Koalition jeder jedem misstraut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es wäre schön, wenn es anders wäre. Aber die Möglichkeitsform hilft in der Realität der Politik wenig und hilft uns auch auf Dauer nicht weiter, wie übrigens auch die Schönrederei der Regierung Koch und seines Finanzministers Weimar letztendlich den Haushalt nicht schöner macht. Hier finden wir Selbstlob statt verantwortlichen Handelns und Verbalakrobatik statt präziser Aussagen. Denn wer sich als Finanzminister wirklich und ehrlich um eine geordnete Haushaltswirtschaft und die Verringerung der Schulden bemüht, der hätte die Zahlenspielereien um die Verschuldungsgrenze, die Regelgrenze oder die strenge hessische Selbstbindung, wie immer die aktuellen Begrifflichkeiten genannt werden, nicht nötig.