Protocol of the Session on November 23, 2006

(Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Ich will auch sehr deutlich sagen: Wenn wir über die Gesundheitsform reden, müssen wir bei den Dingen, die wir dort grundsätzlich wollen, einiges auseinanderhalten. Das hat zum einen – im Übrigen wurde das schon im letzten GMG vereinbart –, mit der Entschuldung der Kassen zu tun und mit der Gestaltung der Beitragssätze in einer solchen Höhe, wie sie tatsächlich notwendig sind. Das haben viele Kassen bis heute nicht geschafft und werden es auch bis zum Ende des bisher vereinbarten Zeitraumes nicht schaffen. Deswegen steigt im nächsten Jahr der Beitragssatz. Das hat noch überhaupt nichts mit dieser Gesundheitsreform zu tun.

Der zweite Punkt, über den man auch reden muss, ist die Frage Steuerzuschuss ins Gesundheitswesen oder Beitragsfinanzierung. Die Große Koalition konnte sich nicht auf ein komplett anders finanziertes Gesundheitssystem einigen. Wegen der Streichung eines Teils des Steuerzuschusses steigen die Beitragssätze im nächsten Jahr, und darauf können wir nur in zwei Weisen reagieren: Entweder heben wir weiter Steuern an und pumpen mehr Steuergelder in die Gesundheit; selbstverständlich kostet auch das die Bürgerinnen und Bürger mehr Geld. Oder man nimmt die Variante, die momentan im Gesetzentwurf steht, das über den Beitragssatz der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu regeln, bevor ein Fonds zum Tragen kommt. Das ist die derzeitige Gesetzeslage vor Einführung des Gesundheitsfonds.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dadurch werden auch im nächsten Jahr die Beiträge steigen.

Jetzt müssen wir als Nächstes darüber reden, ob wir alles dem Diktat der Beitragssatzsenkung unterstellen oder ob und an welchen Stellen wir Wettbewerb im Gesundheitswesen einführen, und was wir den Menschen im Gesundheitswesen weiterhin zugänglich machen. Das finde ich eine ganz spannende Frage. Denn ich kann mich sehr gut an aktuelle Diskussionen mit Bundesgesundheitsministerin Schmidt über die Höhe von Beitragssätzen der Krankenkassen erinnern, die wir auch in Hessen genehmigen mussten, z. B. bei der AOK, weil sie nach Gesetzeslage nötig waren. Diese Sätze mussten erhöht werden, aber wir hatten Diskussionen darüber, dass wir das nicht machen dürfen und die Krankenkassen lieber Schulden anhäufen sollten, damit der Beitragssatz gleich bleibt.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?

Ich möchte das kurz ausführen, dann gerne.

Das hat aber dazu geführt, dass in der Vergangenheit an vielen Stellen Beitragssatzerhöhungen verschleppt wurden. Das hat nicht zu einer Verbesserung des Gesundheitssystems geführt, sondern nur dazu, dass man das Problem vor sich herschob und der Druck in den nächsten Jahren größer wird.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Soll das dann das Kabinett entscheiden, jedes Jahr am 7. Dezember?)

Die spannende Frage aber ist:Wie schaffen wir es tatsächlich, mehr Wettbewerb ins Gesundheitssystem zu bekommen?

An einigen Stellen wird es auch durch die Reform gelingen, an anderen aber gibt es noch viel Nachbesserungsbedarf, vom Insolvenzrecht der Kassen bis zum Arzneimittelsektor.Denn klar ist auch – ob Sie nach wie vor eine Positivliste vertreten, ob man eine Kosten-Nutzen-Bewertung einführt, wofür manches spricht –, man muss es wenigstens so ordentlich machen, dass es dem internationalen Wettbewerb standhält.

Das, was wir heute an vielen Stellen in Deutschland erleben,ist,dass Dinge schlichtweg nicht mehr verordnet werden,sondern rausfallen und dem Patienten nicht mehr zur

Verfügung stehen. Das halte ich für einen groben Fehler im Gesundheitswesen, weil wir dann nicht einmal ermöglichen,dass sich Patienten selbst zusätzlich vernünftig versichern können

(Beifall des Abg. Dr. Peter Lennert (CDU))

oder sich von Anfang an absichern können. Stattdessen sind sie auf sich allein gestellt und bekommen nicht einmal den Zuschuss einer Krankenkasse. Das ist eine echte Zweiklassenmedizin. Das halte ich nicht für vernünftig, und ich werde mich im Bundesrat dafür einsetzen, dass dort weitere Veränderungen vorgenommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Frau Ministerin, Sie hatten die Beitragserhöhungen, die jetzt schon vor der Gesundheitsreform auf die Versicherten zukommen werden, erwähnt. Haben Sie denn auch ausgerechnet, welche zusätzlichen Kosten durch die Gesundheitsreform und vor allem durch die Mehrwertsteuererhöhung in Form einer entsprechenden Beitragshöhe auf die Versicherten zukommen werden?

Die Mehrwertsteuererhöhung hat z. B.Auswirkungen auf den Krankenhausbereich. Deswegen vertreten wir dort auch, dass die Kürzungen so, wie sie im Krankenhausbereich vorgesehen sind, nicht machbar sind, weil die Einsparbemühungen in den Krankenhäusern schon durch den Druck von Arbeitszeiten, Tarifverträgen und der Mehrwertsteuererhöhung dort zu mehr Wettbewerb führen. Das gilt auch für die Umstellung des DRG-Systems. Das ist einer der Punkte, bei denen man klar erkennen muss,dass die Krankenhäuser dort längst schon ihren Beitrag bringen. Deswegen werden wir uns im Bundesrat für Änderungen einsetzen.

Aber es kommen natürlich noch weitere Punkte dazu. Einige Dinge, die im Rahmen der Gesundheitsreform relativ unumstritten sind, führen auch zu Kosten. Das ist z. B. die Frage, wie mit den Leistungen im Bereich MutterKind-Kuren umgegangen wird. Darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein. Aber bisher waren in diesem Haus immer alle der Auffassung, dass das richtig ist. Es führt aber zu zusätzlichen Kosten, die entweder über Steuern oder über Beiträge zu tragen sind.

Sehr geehrter Herr Kollege Hahn, Sie stellen die Grundfrage, ob der Fonds das richtige Instrument ist, und ob wir dann nicht ein Parlament haben, das in Zukunft über die Beitragssätze entscheiden muss. Das ist richtig. Ich will auch,dass das Parlament darüber entscheiden muss.Denn dann haben wir die gleiche Wirkung wie bei einer Steuer. Es muss sehr genau hingeguckt werden, welche Erhöhungen vertretbar sind, wo Diskussionsbedarf besteht oder was ausgeschlossen wird und welche Leistungen nicht ausgeschlossen werden.

Da rate ich jedem, genau hinzugucken und darauf zu achten, dass es dann dort wenigstens eine politische Diskussion darüber gibt, was in Zukunft in unserem Gesundheitssystem an Versorgungen notwendig und was machbar ist. Man muss darauf achten, dass nicht durch die Hintertür eingeführt wird, dass viele Leute bestimmte Versorgungen nicht mehr bekommen, wie es schon heute der Fall ist. Denn dann müssen wir wenigstens genau darauf hinweisen und den Menschen ermöglichen, das ver

nünftig zusätzlich abzusichern, oder wir müssen es grundsätzlich in einem solidarischen Gesundheitssystem vorsehen.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Spies?

Jetzt würde ich das ganz gern einmal komplett ausführen. Sonst führen wir eine Diskussion, die wir sicher auch im Ausschuss führen können.

Ich glaube, dass es natürlich an vielen Stellen schwer werden wird, diese Dinge umzusetzen, weil wir als Landesregierung auch noch eine ganze Menge an Änderungsbedarf sehen. Das fängt beim Insolvenzrecht der Kassen an und geht über kartellrechtliche Fragen, die im Gesetz nicht berücksichtigt sind, weil sie natürlich genauso zum Wettbewerb dazugehören, wenn die Krankenkasse eine neue Machtstellung über Verträge haben wird. Es gehört dazu, wie wir das Gebührensystem bei den Ärzten umsetzen. Zum Basistarif in der privaten Krankenversicherung gibt es noch Fragen, die zu klären sind, sodass das tatsächlich verfassungsgemäß umgesetzt werden kann. Das alles sind Punkte, die im Bundesratsverfahren noch zu klären sein werden.

Aber ganz klar ist auch, dass im Vertragsärztewettbewerb eine ganze Menge an Schritten in die richtige Richtung gemacht wurde. Wir stellen uns dort ganz klar mehr vor. Das ist mit den Sozialdemokraten auf Bundesebene nicht zu machen. Deswegen werden wir uns als Landesregierung in den Ausschüssen dafür einsetzen, dass weitere Verbesserungen in das Gesetz hineinkommen und dass wir dann auch wieder die Möglichkeit haben, ein Gesetz so zu machen, wie wir es für vernünftig halten.

Folgendes muss klar sein. Die entscheidende Diskussion, die aus meiner Sicht in Zukunft geführt werden muss,geht um die Frage: Wie finanzieren wir das Gesundheitssystem? Das geht entweder über die Lohnnebenkosten oder eben davon abgetrennt, wenn wir klar sagen, dass das auch in Zusatzbeiträge hineinlaufen kann. Man kann dann darüber reden, dass das über Zuschüsse bei der Steuer sozial verträglich abgefedert wird. Das ist der eine Punkt. Oder Sie müssen das komplett umfinanzieren. Aber dort sehe ich keine Möglichkeit, einfach so Steuerzuschüsse in ein System zu pumpen, ohne das wenigstens an die Kinder zu binden. Das halte ich nicht für vernünftig. Denn dann werden nur Kosten abgefedert. Das macht keinen Sinn. Das versickert. Das hat dann auch nichts mit Wettbewerb zu tun. In diesem Bereich haben wir dem, was die Sozialdemokraten wollten, eine klare Absage erteilt. Das an die Kinder zu binden und auf Dauer tatsächlich die Kinder über einen Steuerzuschuss im Gesundheitswesen zu finanzieren, halte ich wiederum für richtig. Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass das in den nächsten Jahren umgesetzt wird.

Ein letzter Punkt. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass klar wird,was Patienten in Zukunft noch bekommen. Wenn wir medizinischen Fortschritt genauso wollen, wie wir eine Patientenversorgung für alle wollen, dann heißt das, dass in Zukunft auch weitere Kosten auf unser Gesundheitssystem zukommen werden. Die entscheidende Frage ist: Bleiben sie an den Arbeitskosten hängen, oder koppeln wir sie von den Arbeitskosten ab? Diese Frage ist

mit den Sozialdemokraten bisher nicht zu beantworten. Deswegen ist es ein Kompromiss – ein Kompromiss, der mir an vielen Stellen schwerfällt, aber bei dem wir versuchen werden, an vielen Stellen die gröbsten Fehler im Bundesrat noch auszubügeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Es wird vorgeschlagen, die beiden gerade behandelten Anträge Drucks. 16/6303 und 16/6364, an den Sozialpolitischen Ausschuss zu überweisen. – Ich sehe keinen Einspruch. Dann verfahren wir so.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 17:

Dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU für ein Hessisches Ladenöffnungsgesetz (HLöG) – Drucks. 16/6368 zu Drucks. 16/6350 zu Drucks. 16/5959 –

Berichterstatter ist der Kollege Kaufmann, der zunächst zur Berichterstattung das Wort erhält.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sozialpolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf in der Fassung der zweiten Lesung in dritter Lesung anzunehmen.

Der Gesetzentwurf war dem Sozialpolitischen Ausschuss in der 115. Plenarsitzung am 21. November nach der zweiten Lesung zur Vorbereitung der dritten Lesung zurücküberwiesen worden. Der Sozialpolitische Ausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 21. November 2006 behandelt und ist mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der FDP zu dem von mir vorgetragenen Ergebnis gelangt.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann. Bleiben Sie ruhig gleich stehen. Sie haben nämlich jetzt sofort als Vertreter für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Die Redezeit beträgt fünf Minuten.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Ladenöffnung bleibt leider auch trotz des Zwischenrufs des Kollegen Lortz nach der neuerlichen Ausschussberatung im Fokus ideologischen Eifers. Dieser kommt, wie wir wissen, aus fest gefügten Überzeugungen, die sich zu einem unerschütterlichen Glauben, lieber Frank Lortz, jenseits aller Realitäten verdichtet haben. Die CDU gibt sich unerschütterlich überzeugt, unabhängig davon, welche Argumente von wem vorgetragen werden, dass die planlose und unspezifische Abschaffung der Regeln zur Ladenöffnung der richtige Weg zu mehr Prosperität sei.

Dabei muss sie sich allerdings natürlich, wie es sich für die CDU gehört, an den christlichen Werten orientieren. So ist für die CDU die Zeit des Hauptgottesdienstes nach wie vor von besonderer Bedeutung. Aber auch da wird nicht beachtet, dass die Hauptgottesdienste keineswegs überall zu denselben Zeiten stattfinden. Es wird auch nicht verraten – das hatte ich am Dienstag schon einmal angesprochen –,in welcher Weise denn die Berücksichtigung dieses Gottesdienstes erfolgen soll.

Wenn wir einmal weit zurückschauen – auch historisch betrachtet – in frühere Zeiten, als die Kirche noch sehr viel stärker im Mittelpunkt des Lebens der Menschen stand, als das heute der Fall ist, dann erkennen wir, dass da die Kirchen nicht nur baulich, sondern auch organisatorisch sehr viel stärker im Zentrum standen – auch im Zentrum wirtschaftlicher Aktivitäten. Doch wenn Sie im Auge haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, daran anzuknüpfen, dann müssen die Läden zeitlich rund um den Gottesdienst nicht nur geöffnet sein,sondern es müsste obendrein auch noch mit besonderen Angeboten gelockt werden. Ich fürchte allerdings, dass Sie genau dies – wie im Mittelalter der Gottesdienst am Sonntag gewissermaßen das Zentrum des Marktgeschehens war, um das sich alles gruppierte – nicht im Auge hatten. Ihnen geht es nicht um eine Symbiose von Klerus und Kommerz zur Steigerung der Attraktivität des Angebots beider Seiten – man könnte ja darüber nachdenken –, sondern Ihnen geht es höchstens um ein formales, aber gleichermaßen verschwommenes Zeichen in Richtung Ihrer Anhängerschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ergebnis bleibt, wie schon am Dienstag festgestellt, dass die Ladenöffnungsbemühungen der CDU-Fraktion in diesem Hause ein Hin-und-her-Gewackel zwischen Ladentheke und Altar sind.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU)

Wir dagegen sagen, dass neue Regelungen für die Ladenöffnungen Lösungen liefern müssen und nicht nur neue Probleme schaffen dürfen. Deswegen muss man die Realitätstauglichkeit genau überprüfen. Deswegen sollte man Ladenöffnungsregeln nicht an Glaubenssätzen orientieren.

Ich erinnere noch einmal daran:Vor gar nicht langer Zeit haben wir hier im Landtag einvernehmlich das INGE-Gesetz beschlossen, um den Gemeinden die Chance zu geben, innerstädtische Geschäftsquartiere vor dem Abstieg zu retten und gemeinsam mit den dort ansässigen Geschäftsleuten entsprechende Aktivitäten zu entwickeln. Jetzt wird die CDU – das unterstreiche ich deutlich – all diese Bemühungen, deren erste zarte Ansätze mittlerweile zu erkennen sind, auf dem Altar ihrer Glaubenssätze wieder zerstören. Denn jede Innenstadt zeigt es doch: Nur den Einkaufszentren werden freigegebene Öffnungszeiten nutzen, da sie sie einheitlich handhaben können. Die innerstädtischen Quartiere, der klassische Einzelhandel,die mittelständischen Geschäfte werden immer mehr Kunden verlieren, weil es eben dort keine einheitlichen und damit für die Kunden attraktiven, zeitlich koordinierten Angebote geben wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau dies wollte unser Änderungsantrag verhindern. Es ist nämlich völlig falsch, die derzeit generell bestehenden Öffnungszeiten einfach pauschal weiter zu vergrößern,