Protocol of the Session on November 23, 2006

Dieses Grundübel des deutschen Versicherungssystems zu beseitigen, wäre die große Aufgabe der Großen Koalition gewesen, die sie aber nicht bewältigt hat. Eine Reform die dieses Grundübel nicht beseitigt, ist eine Reform, die wirklich versagt. Das muss man hier konstatieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einige positive Punkte. Zum Beispiel finde ich es sinnvoll, dass ehemals privat Versicherte, die die Prämien nicht mehr zahlen konnten und deshalb überhaupt nicht mehr krankenversichert sind, nun die Möglichkeit erhalten, in die Versicherung zurückzukehren. Das ist ein positiver Ansatz.Aber er ist eigentlich nur deswegen entstanden, weil wir eine Trennung zwischen diesen beiden Systemen haben. Bei der jetzigen Regelung ist nicht einmal klar, ob das tatsächlich so gelingt, wie es beabsichtigt ist.

Ein weiterer Punkt, der hier groß gefeiert wird, ist der Einstieg in die Steuerfinanzierung, was die Kinder betrifft. Die Große Koalition sieht für das Jahr 2008 zusätzlich 1,5 Milliarden c aus Steuermitteln vor. Für 2009 sind 3 Milliarden c vorgesehen, und ab 2010 gibt es überhaupt keine sichere Finanzierung mehr. Logisch, dazwischen liegt eine Bundestagswahl.

Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein Taschenspielertrick, mit dem den Familien etwas vorgegaukelt wird. Es wird nicht langfristig geplant, und schon jetzt ist klar, dass dies wahrscheinlich scheitern wird. Wir müssen bedenken, dass in den gesetzlichen Krankenversicherungen schon heute 14 Milliarden c für die Kinder ausgegeben werden. Sie setzen hier Summen von jeweils 1,5 und 3 Milliarden c an. Das ist eine zutiefst unseriöse Finanzierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Prävention mit dem Rohrstock: Die CDU hat über Jahre hinweg verhindert hat,dass wir in diesem Land ein Gesetz zur Prävention haben. Die Große Koalition, die es nach einem Jahr immer noch nicht geschafft hat, praktisch fertige Vorlagen zur Abstimmung zu stellen, kommt jetzt mit einer Anhebung der Zuzahlungen für chronisch Kranke und Krebskranke für den Fall, dass sie nicht an Früherkennungsuntersuchungen teilgenommen haben. Das ist ein perfides Verständnis von Prävention. Das hat mit einer vernünftigen Organisation der Krankenversicherung und des Gesundheitssystems nichts mehr zu tun.

Die Beiträge werden steigen. Das ist schon angekündigt worden. Insbesondere an Kranken und an Versicherten toben Sie sich aus.

Deshalb möchte ich noch einmal auf ein paar Fragen eingehen, die den Wettbewerb betreffen und bei denen ich der Meinung bin, dass tatsächlich keine Lösungen gefunden wurden. Darin unterscheiden wir uns sicherlich von der FDP.

Wenn wir über Wettbewerb reden,sprechen wir auch über den Wettbewerb bei Arzneimitteln und darüber, welche Kosten durch Arzneimittel entstehen. Dazu sage ich Ihnen: Apotheken und eine Ständemedizin, wie Sie sie im

mer vertreten und für deren Fürsprecher Sie sich halten, halte ich nicht für Teile eines modernen Gesundheitssystems.Auch daran müssen wir arbeiten. Es muss moderne, wettbewerbsfähige Strukturen bei der Versorgung mit Ärzten und Apothekern geben. Herr Hahn, hier geht es um Mittelstandsförderung, nicht um „Mittelalterförderung“. Das muss auch einmal gesagt werden, da Sie sich hier immer für einige Lobbys stark machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als weiteren positiven Punkt der Gesundheitsreform muss man erwähnen, dass die geriatrische Versorgung in die Leistungen der Krankenversicherung aufgenommen wurde. Das finde ich gut. Auch die Aufnahme der Schmerztherapie Sterbender – darüber haben wir in diesem Hause schon oft diskutiert, und das unterstützen wir auch einvernehmlich – und die Aufnahme der ElternKind-Kuren können wir durchaus befürworten.

Aber es darf nicht wahr sein, dass man gleichzeitig die Krankenhäuser, in denen ein großer Teil dieser Leistungen angeboten werden soll, zur Spardose dieser Krankenversicherungsreform macht. Die 1-%-Regelung, also die generelle Budgetkürzung um 1 % im nächsten Jahr, wird die meisten kommunalen Krankenhäuser in Hessen nicht überleben lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen selbst, dass sich die Krankenhäuser in einer schwierigen Umstellungsphase befinden. Sie stellen sich gerade auf die Fallpauschalen um. Einige sind auf diesem Weg weit vorangeschritten, andere nicht. Sie wissen selbst, dass aufgrund des demografischen Wandels die Auslastung einzelner Abteilungen oder ganzer Krankenhäuser infrage steht. Sie alle wissen, dass diese Krankenhäuser seit Jahren auf Knopf arbeiten.Jeder,der hier sitzt, sollte sich wirklich überlegen, ob sein kommunales Krankenhaus die 1-prozentige Budgetkürzung im nächsten Jahr überleben wird. Das kann sich jeder einzelne Abgeordnete überlegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, liebe Große Koalition in Berlin und liebe beteiligte Parteien hier im Hause, Deutschland ist keine Insel.Die Probleme,über die wir hier reden, nämlich der demografische Wandel und der medizinische Fortschritt, existieren auch in anderen Ländern. Ich finde, dass man Erfahrungen und unterschiedliche Rahmenbedingungen berücksichtigen muss und dann auch zu vernünftigen Lösungen kommen kann.

Ich denke, dass man gerade das, was in den Niederlanden gemacht wurde, genauer beobachten sollte, um herauszufinden, welche Folgen das hat. Dort gibt es eine privat organisierte Versicherung. Herr Hahn, allerdings erfolgt all das im Umlageverfahren,also nicht so,wie es sich die FDP vorstellt. Aber auch dort droht ein Jahr nach Einführung der Kopfpauschale eine Erhöhung des Betrages um 10 %.

Meine Damen und Herren,solche Erfahrungen kann man sich anschauen. Wir hinken in Deutschland – in diesem Fall vielleicht glücklicherweise – auf allen Gebieten hinterher. Aber welche Erfahrungen in anderen Ländern mit Reformen gemacht werden, könnte man sich tatsächlich noch einmal genauer ansehen. Für uns GRÜNE ist entscheidend, dass eine Reform zukunftsfest und solidarisch ist. Das habe ich eingangs schon gesagt. Das heißt, dass sowohl alle Bürgerinnen und Bürger als auch alle Arten von Einkommen in diese Versicherung einbezogen sein müssen.

Wir brauchen mehr Transparenz insbesondere für die Versicherten und sowie für die Patientinnen und Patienten. Wir brauchen einen vernünftigen Solidarausgleich zwischen den Kassen, und wir brauchen eine medizinische Versorgung, die sich nicht länger an den Lobbys, sondern endlich am Patienten orientiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere daran – ich habe schon im Jahr 2003 eine Rede zu dem Thema gehalten –, dass wir, wenn wir eine zukunftsfeste Versicherung haben wollen,eine Arzneimittelversorgung brauchen, die mehr Wettbewerb beinhaltet und sich auf eine Positivliste anerkannter Wirkstoffe stützen kann.Auch das gehört dazu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Fazit, das ich in Bezug auf die Gesundheitsreform ziehe, die Sie in Berlin „ausgemurkst“ haben – um bei dem Begriff zu bleiben –:Kein einziges Problem ist gelöst. Strukturen,die keinen Wettbewerb vorsehen,werden verfestigt. Die Gerechtigkeitslücken des heutigen Systems werden vertieft. Ich fordere die Landesregierung auf, diesen Gesetzentwurf im Bundesrat abzulehnen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Oppermann für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Überschrift des FDP-Antrags heißt „Hessen sagt Nein zur Verschlechterung der Gesundheitsversorgung in Deutschland und zum Eintritt in die Staatsmedizin“. Herr Kollege Hahn, ich erkläre Ihnen ganz deutlich: Die CDU sagt Nein zur Verschlechterung der Gesundheitsversorgung in Deutschland und zu einer Staatsmedizin. – Das sage ich, damit dies hier ganz deutlich wird.

(Beifall bei der CDU)

Bekanntlich haben die Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf stattgefunden. Nach meinem jetzigen Kenntnisstand soll er im Januar 2007 im Bundestag beraten werden. Ich sage hier auch deutlich: Über Detailfragen wird noch zu sprechen sein.

Frau Kollegin Schulz-Asche, damit greife ich gleich eine Detailfrage auf, die Sie angesprochen haben. Es geht um die Krankenhäuser. Sie haben sie als „Spardose“ bezeichnet. Im ersten Entwurf, in den Eckpunkten, war in der Tat ein Einsparbetrag in der Höhe von 1 % genannt. Dieser Betrag ist mittlerweile auf 0,7 % reduziert worden.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Da werden sich die kommunalen Krankenhäuser aber freuen!)

Ich bitte Sie, das einfach zur Kenntnis zu nehmen. Ich verweise auf die Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Rentsch, die die Sozialministerin am 14.11.2006 vorgelegt hat. Dort wird ausdrücklich dargelegt, dass sich die Landesregierung in den Verhandlungen zur Gesundheitsreform nachdrücklich gegen die einseitige Belastung der Krankenhäuser ausgesprochen hat und dass eine Redu

zierung – das ist dieser Sozialministerin zu verdanken – auf 0,7 % geglückt ist. Herzlichen Dank dafür, Frau Sozialministerin.

(Beifall bei der CDU)

Es ist absolut kein Geheimnis, dass die beiden großen Volksparteien CDU und SPD mit völlig unterschiedlichen Konzepten zur Gesundheitsreform in den Bundestagswahlkampf gezogen sind: wir mit der Gesundheitsprämie und die SPD mit ihrer Bürgerversicherung. Ich sage an dieser Stelle ganz klar: Die Bürgerversicherung à la SPD wäre der absolute, der direkteste Weg in die Staatsmedizin gewesen.

(Beifall bei der CDU – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ihr fahrt noch eine Schleife!)

Herr Kollege Hahn, diese Gesundheitsreform ist ein Kompromiss. Sie ist ein Kompromiss zwischen CDU und SPD. Ein zentrales Anliegen der Gesundheitsreform ist der Einstieg in einen Systemwechsel mit dem Ziel der Entkoppelung der Arbeits- von den Gesundheitskosten.

(Nicola Beer (FDP):Wann kommt das? – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): 2015!)

Steigende Gesundheitsausgaben werden sich in Zukunft nicht mehr automatisch auf den Faktor Arbeit auswirken. Das war doch eines der Hauptprobleme in der Vergangenheit.

(Nicola Beer (FDP): Wo steht denn das in dem Papier? – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Haben Sie neue Informationen? Das wissen wir noch gar nicht!)

Frau Kollegin Beer, ich habe diese 600 Seiten sehr intensiv gelesen. Das können Sie mir glauben. – Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung stehen von nun an auf mehren Säulen. Das heißt aber auch, zusätzliche Kosten, bedingt durch die demografische Entwicklung, den medizinisch-technischen Fortschritt und die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder, sollen den Faktor Arbeit nicht mehr belasten, sondern sie werden über Steuern finanziert.

Ich gebe zu, dass es an einem Punkt noch Diskussionsbedarf gibt. Nach der jetzigen Vorstellung soll der Beitrag vom Ministerium per Verordnung erlassen werden.

(Nicola Beer (FDP): Wozu denn, wenn das jetzt festgeschrieben ist?)

Ich bin der Auffassung, das dies vom Bundestag oder, besser noch, vom Bundesrat gemacht werden sollte.

Herr Kollege Hahn,Sie schreiben in Ihrem Antrag,dass es „eine Entlastung weder der Lohnzusatzkosten noch der Versicherten“ gebe; stattdessen würden die Beiträge steigen.

(Nicola Beer (FDP): Richtig!)

Meine Damen und Herren, wie sieht es denn mit der Lösungsmöglichkeit aus, die Deckungslücke von 7 Milliarden c im nächsten Jahr zu schließen?

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Es ist also richtig, was wir schreiben!)

Ich weiß, die SPD wollte Steuererhöhungen. Diese Steuererhöhung war mit CDU und CSU nicht zu machen, und das ist auch gut so. Das ist völlig in Ordnung.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))