Protocol of the Session on September 13, 2006

(Florian Rentsch (FDP):Aha!)

Sie ist aber nicht nur grammatikalisch falsch, sie ist auch inhaltlich falsch. Besser wäre es gewesen, zu sagen: CDU in der Bildungspolitik völlig vom Kurs abgekommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ich will Ihnen das auch erklären. Das wird Herr Kollege Irmer nachher wahrscheinlich auch wieder machen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, der hält die Rede von 1996!)

Sie dürfen doch die Messlatte nicht immer an 1998 und 1999 legen. Damals haben wir eine Legislaturperiode gemeinsam regiert. Das haben wir auch gut gemacht.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja!)

Sie regieren seit 2003 alleine. Sie haben die alleinige Verantwortung. Eigentlich haben Sie es bei der Umsetzung Ihrer Ziele noch einfacher, als wenn Sie mit einem Koalitionspartner reden müssten. Aber was hat sich denn von 2003 bis 2006 verändert? Es wurden unendlich viele Projekte angestoßen.Vieles bleibt in der Umsetzung stecken. Vieles wird verkorkst umgesetzt. Alle diese Dinge erhöhen extrem den Verwaltungsaufwand an den Schulen. Dort herrschen nur noch Unruhe und Aufstöhnen. Im Grunde sagen alle Lehrer in Hessen: Lasst uns endlich in Ruhe unseren guten Unterricht vorbereiten und guten Unterricht machen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist etwas, was uns alle Studien sagen: Entscheidend für den Bildungserfolg ist guter Unterricht.– Da stören im Grunde genommen ständige Vorgaben des Kultusministeriums, was man anders machen sollte, nur bei dem Inhalt.

Sie haben angestoßen: Unterrichtsgarantie plus, Selbstverantwortung plus, Schulzeitverkürzung, Schulgrößen, Bildungs- und Erziehungsplan.Alles muss auf einmal und alles muss auf der Stelle passieren. Aber die Leute, die es betrifft, die mitarbeiten sollen, werden nicht partnerschaftlich in die Vorbereitungen eingebunden.

(Beifall bei der FDP)

Es stellt sich auch heraus, dass die Finanzen fehlen. Wir hatten neulich Gespräche an Schulen. Da sind nicht genügend Schulbücher für den Französischunterricht in G 8 vorhanden. Das ist etwas, was wir Ihnen bei der Umsetzung von G 8 auf den Kopf zugesagt und prophezeit haben. Es fehlen die klaren Ziele.

Selbstverantwortung plus: Es ist immer noch nicht klar, wohin die Reise für die einzelnen beruflichen Schulen geht. Oder die Teilnahme der Betroffenen:Wir haben hier mit Mehrheit einen Antrag verabschiedet, der Regionalkonferenzen für die Entwicklung der Schulgrößen unter der Moderation des Kultusministeriums fordert. Nichts ist passiert.Das Kultusministerium hat sich in diese Richtung nicht bewegt und hat den Antrag,den wir hier beschlossen haben, nicht ausgeführt.

(Beifall bei der FDP)

Ein klarer, ruhiger und verlässlicher Kurs in der Bildungspolitik ist nicht mehr erkennbar. Es werden unheimlich viele Baustellen aufgemacht, und ich sage Ihnen: Sie sehen drüben an dem Landtagsgebäude, wie das funktioniert, wenn man riesige Baustellen aufmacht und unglaublichen Druck macht; es muss alles ganz schnell ge

hen, und dann kommt es eben vor, dass der Estrich nicht richtig trocknet. Dann sitzt man hinterher auf der Baustelle und kann nicht einziehen.

(Beifall bei der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau, und dann gibt es nichts zu essen!)

In dieser ganzen Situation kommen der Bildungsmonitor 2006, den man nicht einfach zurückweisen kann, die OECD-Studie, die Zahlen über Bildung und Innovation. Da ist es nun leider so: Bei den Bildungsausgaben je Einwohner in Euro befindet sich Hessen auf Platz 12 und Baden-Württemberg auf Platz 1. Beim PISA-Test „Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften“ ist Hessen auf Platz 10, also Mittelwert, und Baden-Württemberg auf Platz 3; beim Vergleich Schüler je Lehrer im Sekundarbereich ist Hessen auf Platz 10, Baden-Württemberg auf Platz 7.Wir liegen also gar nicht an der Spitze,auch wenn man sich das noch so schönreden will. Im Gegenteil: Das Bildungsland Nummer eins ist in sehr weite Ferne gerückt.

(Beifall des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Jetzt kann man natürlich die Vogel-Strauß-Politik betreiben und sagen, das stimme alles nicht, es sei alles ganz anders; die Lehrerzuweisung sei zu Beginn des Schuljahres so gut wie noch nie gewesen. Ich kann Ihnen nur sagen, es gab viele BAT-Kräfte, die in den letzten Ferienwochen viele Tarifverträge unterschrieben haben. Da kann ich doch nicht sagen, das sei vor den Ferien schon alles so gewesen, und die Lehrerzuweisung sei so gut wie noch nie. Ich darf Ihnen noch einen Kommentar von Herrn Dinges vorlesen: „Jedenfalls wissen wir jetzt, warum Karin Wolff immer mehr Schulen zu Leuchttürmen macht.Auch wenn Hessen keine Küste aufweist, Leuchttürme helfen, wenn es gilt, den richtigen Kurs zu halten.“ Einen klaren Kurs kann man aber nur halten, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. Da nützen auch noch so viele Leuchttürme am Rande nichts, wenn man dieses Ziel nicht stringent verfolgt.

Für alle, die an hessischen Schulen beschäftigt sind, ist jetzt nicht mehr erkennbar, wohin die Reise gehen soll. In der Diskussion um Selbstverantwortung plus haben 17 berufliche Schulen angefangen, sich auf die Selbstständigkeit vorzubereiten. Sie wollen sich eigene Verfassungen geben und arbeiten unheimlich engagiert daran. Sie sind Züge, die auf Gleise gesetzt worden sind, und sie fahren irgendwie los. Sie wissen nur alle noch nicht, wo eigentlich das Ziel ist, wo der Bahnhof ist, an dem sie einmal ankommen sollen. Sie wissen noch immer nicht, wie es mit der Rechtsstellung aussieht, und sie wissen noch immer nicht,wie es mit der Budgetierung aussieht.Sie haben sich sehr engagiert und sind jetzt maßlos enttäuscht, weil es einfach nicht vorangeht.

(Beifall bei der FDP)

Das beschreibt die „FNP“ sehr zutreffend mit der Frage „Schafft sie die Wende?“:

Für Karin Wolff ist die Lösung all dieser Probleme von nahezu existenzieller Wichtigkeit. Sie muss in den letzten Monaten den Vorwurf entkräften, dass sie zu schnell zu viel gewollt habe und darüber die Kontrolle über manche Entwicklung verlor.

Es stellt sich wirklich die Frage:Wie geht es mit den Schulen weiter? Bekommen sie jetzt endlich einmal eine ruhige Zeit, um das umsetzen zu können, was man angestoßen hat?

Das entscheidende Projekt war die Unterrichtsgarantie plus.Es ist nicht nur den Kollegen Wagner und Walter aufgefallen, dass Sie dieses Wort in ihrer Regierungserklärung so gut wie nicht mehr verwendet haben. Sie sprechen überwiegend nur noch von der verlässlichen Schule. Da muss ich Ihnen sagen: Große Plakate ersetzen kein gutes Konzept. Große Plakate überzeugen auch keinen Kritiker.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben jetzt auch an der Helmholtz-Schule erlebt, dass es mit dem Fachunterricht in einer Fremdsprache eben nicht so einfach geht, wenn diejenige, die diesen Fremdsprachenunterricht gibt, russischer Abstammung ist und deshalb ein Französisch spricht, das deutsche Kinder, die Französisch lernen wollen, überhaupt nicht verstehen können. Diese 390.000 c hätte man besser ausgeben und an die Schule geben können. Damit hätte sie bessere Dinge anfangen können.

Die Unterrichtsgarantie plus hat eine riesige Bürokratie ausgelöst – wenn Sie schon gesehen haben, dass sich die Schulleiter alle einen großen Packen Papier ausdrucken müssen, um überhaupt an die Rahmenverträge und Verträge zu kommen. Es wäre eine interessante Frage: Wie hat das die Papierkosten der einzelnen Schulen in den letzten Jahren der Amtszeit dieser Regierung gesteigert? Denn es wird alles nur noch elektronisch übermittelt, und die Bürokratie wird immer größer.

(Beifall bei der FDP)

Dabei sind Schulen und Schulleiter eigentlich gutwillig. Sie bemühen sich wirklich alle.Sie haben sich alle bemüht, einen Pool zu finden, und sie bemühen sich alle, wirklich gute Leute einzusetzen. Um sie jetzt aber zu disziplinieren, kommt aus dem Kultusministerium pünktlich zum Schulstart eine Telefonhotline für die Eltern. Ich kann das lediglich als „Petzhotline“ bezeichnen.

(Ministerin Karin Wolff:Also, nein!)

Natürlich, die Eltern sollen sich beschweren, wenn es nicht klappt. – Auch das ist ein sehr aufwendiges Kontrollverfahren: Die Eltern rufen beim Kultusministerium an;das Kultusministerium ruft das Staatliche Schulamt an; das Staatliche Schulamt ruft die Schule an; die Schule muss klären, was wirklich los gewesen ist, ob es ein begründeter Ausfall gewesen ist oder ob es kein Fachunterricht bzw. was es gewesen ist. Das Gleiche geht dann wieder zurück ans HKM. Und was passiert dann? Welche Schlussfolgerungen kommen dann? Kriegt der Schulleiter eine auf den Deckel? Wird er diszipliniert? Wird er zum Nachsitzen einbestellt? Oder wird an die Schulen mehr Geld gegeben? Was wird aus dieser Kontrolle denn wirklich gemacht, außer dass sie zu statistischen Zwecken dient?

Die Hotline der GRÜNEN ist natürlich genauso kontraproduktiv; auch hier werden Eltern angestachelt, anzurufen und sich zu beschweren. Das geht nach dem Motto: Wer sammelt die meisten Beschwerden, die GRÜNEN oder das Kultusministerium?

(Beifall bei der FDP)

Zum Glück verstehen sich Eltern und Schulen zumeist besser, als man das im Allgemeinen denkt. Deshalb werden relativ wenige Eltern anrufen, weil sie einfach wissen, dass die Schulen auch Zeit für die Umsetzung brauchen. Das war genau die Forderung aus der Anhörung. Alle

Schulen haben gesagt:Okay,das Konzept ist grundsätzlich in Ordnung, abgesehen vom Fachunterricht und dem Begriff der „Unterrichtsgarantie“. Gebt uns aber bei der Umsetzung Zeit. Lasst uns das drei bis vier Monate probieren. Macht eure Statistik doch erst nach den Herbstferien. Lasst das Ganze erst einmal in Ruhe anlaufen. Verlangt nicht gleich am ersten Tag eine absolute Unterrichtsgarantie. – Was hat man aber gemacht? Nein, es musste vom ersten Tag an funktionieren, und entsprechend wurden Telefone eingerichtet.

Ich darf Ihnen aus dem Wahlprogramm der FDP vom Jahre 2003 etwas vorlesen. Da steht: „Verlässliche Unterrichtszeiten sicherstellen: Bei kurzfristigen, krankheitsbedingten Fehlzeiten müssen die einzelnen Schulen mithilfe einer internen Vertretungsorganisation und eines eigenen Schulbudgets in die Lage versetzt werden,sicherzustellen, dass keine Schülerinnen und Schüler vorzeitig nach Hause geschickt werden.“ Das war bereits 2003 das Konzept der FDP. Das ist das Konzept unserer „garantierten Schulzeit“. Hätten Sie auf uns gehört bzw. hätten wir noch mehr Mitspracherecht, wäre das Ganze sehr viel besser umgesetzt worden.

(Beifall bei der FDP)

Wirkliche Selbstständigkeit und Deregulierung an den Schulen sind einfach nicht zu erkennen. Ich will Ihnen eines sagen: Sie haben für die Fortbildung natürlich ein Budget gemacht, Sie haben für die Unterrichtsgarantie plus ein Budget gemacht. Sie führen die Schulen trotzdem weiter am Gängelband, indem Sie ihnen vorschreiben, was sie damit machen, und indem sie das Geld nicht übertragen dürfen.Sie dürfen nur 70 % übertragen.Nach dem, was wieder in der Selbstverantwortung plus stand, unterliegt auch das noch einmal der Genehmigung des Finanzministers.Deshalb werden die Schulen weiterhin am Gängelband geführt. Sie sind nicht einmal in der Lage, sich von dem Hitzefrei-Erlass zu trennen. Denn jeder Erlass ist unheimlich wichtig, und man darf keine Bürokratie abschaffen.

(Beifall bei der FDP)

Das Kultusministerium antwortet auf unsere Frage: „Es liegt schon nach dem derzeitigen Erlass im Ermessen der einzelnen Schule, ein solches Angebot zu machen.“ Wenn es im Ermessen der einzelnen Schule liegt,ob sie Hitzefrei gibt oder nicht, dann kann ich diesen Erlass streichen und kann sagen: Schule, entscheide du, wie du das machst. – Das wäre für dieses Land ein Stück weniger Bürokratie.

Sie haben aber auch bei der Selbstverantwortung plus nicht Kurs gehalten. Der Sachstandsbericht im Kulturpolitischen Ausschuss zeigt, dass wir im Grunde nicht sehr viel weiter sind als vor drei Jahren, dass wir die Probleme, die wir vor drei Jahren eigentlich einvernehmlich, alle Fraktionen, gesehen haben, jetzt sehr deutlich beschrieben haben – es gab einen sehr guten Problemaufriss –, dass es aber keine Zielvorgaben gibt. Da kann ich nur sagen: Wagen Sie mehr Freiheit, machen Sie das, was Frau Merkel angekündigt hat. Sie macht das leider auch nicht, aber wenigstens hat sie es angekündigt. Das wäre einmal etwas.

(Beifall bei der FDP)

Sie sagen nicht klar und deutlich, wo Sie eigentlich hinwollen. Sie sagen, Sie wollen zum Bildungsland Nummer eins werden. Dann sagen Sie doch einmal, was für Sie das Bildungsland Nummer eins ist. Dass Schulen möglichst selbstständig sind, dass der Unterricht möglichst gut ist

und dass der Unterricht garantiert ist? Oder welche Ziele sind es denn, die uns zum Bildungsland Nummer eins machen? Wir waren vergangene Woche in Holland und haben uns zwei selbstständige Schulen angeschaut, die wirklich selbstständig sind. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Dort haben die Schulen einen eindeutigen Auftrag und ein eindeutiges Ziel. Die Kinder sollen die Schule gut vorbereitet auf ein aktives Leben in der Gesellschaft verlassen. Das ist ein Ziel für das Bundesland Nummer eins. Das deckt sich mit dem, was der Herr Kollege Walter vorhin gesagt hat.Wenn man diesem Ziel alle schulpolitischen Maßnahmen unterordnet, dann weiß auch jeder, wohin die Reise eigentlich geht. Die „selbstständige Schule“ steht hier nur als Begriff im Raum und wird letztendlich nicht mit Leben gefüllt.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben die SchuB-Klassen erwähnt, und die CDU hat wieder einen Jubelantrag zum Thema SchuB-Klassen eingereicht. Natürlich sind die SchuB-Klassen begrüßenswert, aber sie sind in Hessen nicht das einzige Mittel, um Kinder gut auf den Hauptschulabschluss vorzubereiten und um ihnen einen guten Start zu geben. Da gibt es in Hessen noch viele andere Dinge.Da kann man nicht eines herausheben und so bejubeln, als wäre das das einzig Richtige.

Die SchuB-Klassen setzen in meinen Augen zu spät an. Sie sammeln nämlich Schülerinnen und Schüler,die schon Misserfolge hatten und deren Schulabschluss schon gefährdet ist. Es muss eigentlich viel früher losgehen, insbesondere bei den Hauptschulen. Die Hauptschulen brauchen eine andere Förderphilosophie. Herr Kollege Walter, ich sage Ihnen: Die Hauptschulen abzuschaffen ist völlig falsch. Die Hauptschüler bleiben. Sie müssen eine Schulform für den Schüler haben, der im Rechnen, Lesen und Schreiben nicht so gut ist, der dafür aber handwerkliche Fähigkeiten hat. Sie müssen den Schüler sehr viel früher an den Beruf heranführen, um ihm auch in der Schule eine Berufsausbildung zuteil werden zu lassen. Da, denke ich, ist es notwendig, dass sich die Hauptschulen sehr viel enger mit den beruflichen Schulen zusammenschließen; denn die beruflichen Schulen haben die materiellen Möglichkeiten. Sie haben die Unterrichtsräume für einen sehr viel praxisorientierteren Unterricht. Das muss früher beginnen, das muss spätestens in der 6. oder 7. Klasse beginnen.

Sie können sich an der John-F.-Kennedy-Schule in Bad Vilbel ein Beispiel nehmen. Diese haben wir neulich besucht. Sie fängt bereits in der 6. Klasse mit einem Nachmittag in der Woche als Ganztagesangebot an, während dessen die Schülerinnen und Schüler in die Betriebe gehen, in denen sie schon mitarbeiten, Kontakte knüpfen und den Betrieb kennen lernen können. Dann beginnt ab der 7. Klasse der Praxistag: einen Tag in der Woche im Betrieb. Diese Schule hat es fertig gebracht, seit drei Jahren kein Kind mehr ohne Abschluss zu entlassen.Alle Kinder haben einen Hauptschulabschluss und meistens sogar einen qualifizierten Hauptschulabschluss aus diesem Zweig.