Protocol of the Session on September 13, 2006

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Walter. – Als nächstem Redner erteile ich Herrn Kollegen Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Ich weise nochmals darauf hin, dass die Redezeit 22 Minuten beträgt.

(Zuruf von der FDP: Das müssen Sie nicht aus- schöpfen!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich beginne mit dem, womit Herr Kollege Walter seine Rede geschlossen hat, nämlich mit den bildungspolitischen Weisheiten der Hessen-CDU. Über Jahre und Jahrzehnte hinweg gab es die bildungspolitische Weisheit der Hessen-CDU, man dürfe nicht nach Nordrhein-Westfalen schauen, wenn es um Schulen gehe. Über Jahre und Jahrzehnte hieß es, das Thema der Schulen in Nordrhein-Westfalen bedeute den Untergang des Abendlandes oder Schlimmeres.

Vor drei Wochen wurde uns der Bildungsmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft vorgelegt. Diese Studie stellt schlicht und ergreifend fest, dass das Ergebnis von sieben Jahren Karin Wolff ist, dass nordrhein-westfälische

Schulen mittlerweile besser als hessische Schulen sind. Das ist das Ergebnis von sieben Jahren Karin Wolff.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, es sollte Ihnen zu denken geben, dass Ihr eigenes Mantra durch diese Studie derart konterkariert wurde. Hessens Schulen liegen auf dem vorletzten Platz im Bundesvergleich.

Man kann auf zwei Arten darauf reagieren.Man kann sich fragen, was man in der Politik falsch gemacht hat – das wäre die richtige Antwort –, oder man macht es wie Sie und stellt die Studie infrage. Ich meine, im Interesse der Kinder wäre es richtig, zu fragen, was Sie in den vergangenen sieben Jahren falsch gemacht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Frau Ministerin stellt die Methodik der Studie infrage. Hierfür zitiert sie die Aussage des Direktors des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Herrn Prof. Dr. Köller. Frau Ministerin, ich habe den Artikel in der „Zeit“ auch gelesen, in dem zweifelsohne steht, was Sie vorgelesen haben. Es wäre aber begrüßenswert gewesen, wenn Sie die nächsten Sätze aus diesem Artikel auch vorgelesen hätten. Dort heißt es nämlich: Im Ergebnis hält Köller die Daten der Studie dennoch für korrekt, warnt jedoch vor einer Präsentation in Ranglisten, da es dann zwangsläufig Verlierer geben müsse. Wenn die Länder von den Bildungsforschern immerzu hören, wie schlecht sie sind, hören sie irgendwann gar nicht mehr zu. – Damit hat Herr Prof. Dr. Köller Ihr Verhalten beschrieben.Sie müssen im Interesse unserer Kinder aber zuhören und etwas ändern, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte Ihre methodische Kritik nachvollziehen, wenn das Ergebnis, das uns das Institut der deutschen Wirtschaft mitteilt, ein Einzelergebnis wäre. Frau Kultusministerin, die Wahrheit ist doch, dass es in der gesamten Bundesrepublik keine einzige Studie gibt, in der Ihr Gerede vom Bildungsland Nummer eins auch nur im Entferntesten Erwähnung findet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Wahrheit entspricht doch, dass Ihre Politik uns leider nicht zum Bildungsland Nummer eins macht, sondern unsere Schulen nach sieben Jahren Ihrer Verantwortung bei allen nationalen Vergleichsstudien im Mittelfeld oder im unteren Drittel landen, vom internationalen Vergleich ganz zu schweigen.Das ist das Ergebnis Ihrer Politik,Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Rund 72 % aller hessischen Schulleiterinnen und Schulleiter sagen laut PISA-Studie, ihre Schule sei vielfältig belastet durch die Rahmenbedingungen der Politik.Das entspricht dem zweithöchsten Wert in der gesamten Bundesrepublik.

(Ministerin Karin Wolff: Das ist falsch!)

Lesen Sie es doch nach, Frau Ministerin.

Die PISA-Studie hat ferner gezeigt, dass Hessen bei den Naturwissenschaften auf Platz 12 landet. Frau Ministerin, ich räume ein, dass wir uns bei den Naturwissenschaften

etwas verbessert haben. Alle anderen waren aber schneller.Wir haben den geringsten Kompetenzzuwachs von allen Bundesländern zu verzeichnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Stellen Sie die Daten doch bitte richtig dar. Wenn Sie nichts zu verstecken hätten, müsste es von einer Ministerin zu erwarten sein, dass sie zumindest die Daten richtig darstellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, bei der Quote der Sitzenbleiber belegt Hessen Platz 12 unter den 16 Bundesländern. Damit erzielt Hessen einen der schlechtesten Werte im gesamten Bundesgebiet. Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass in Hessen wie in kaum einem anderen Land Kinder sitzen bleiben, dass wir Lebenszeit verschenken, dass wir Kinder frustrieren und dass wir sie nicht optimal fördern. Wie können Sie es eigentlich wagen, an dieses Pult zu treten und zu sagen, Sie seien auf dem Weg zum Bildungsland Nummer eins?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns die Abiturientenquote an. Die gestern vorgelegte OECD-Studie bringt deutlich zum Ausdruck, dass wir dringend mehr Nachwuchs benötigen, der an unseren Hochschulen studiert und vor allen Dingen an unseren Hochschulen besteht. Frau Kultusministerin, die Abiturientenquote in Hessen ist seit Ihrem Amtsantritt nahezu unverändert. Im vergangenen Jahr ist sie im Vergleich zum Jahr Ihres Amtsantritts sogar leicht gesunken.

Sie müssen nicht den Aussagen der Opposition Glauben schenken. Sie können aber den Aussagen Ihres Parteifreundes und Mitglieds in Ihrem CDU-Kreisverband,Andreas Storm, dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, Glauben schenken, der mit Blick auf die gestern vorgelegte OECD-Studie sagt, Deutschland müsse einen Zwischenspurt einlegen. Sie hingegen behaupten, alles sei prima, und Hessen sei Bildungsland Nummer eins. Sie nehmen doch die Wirklichkeit an unseren Schulen im Land gar nicht mehr wahr, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn ich Sie so reden höre, dann verstehe ich, weshalb Dr. Christean Wagner vor dem Entstehen von Parallelgesellschaften warnt. Sie und die Sie tragende Fraktion befinden sich in einer bildungspolitischen Parallelgesellschaft und nehmen nicht mehr wahr,was an unseren Schulen wirklich los ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Ministerin, Sie sagen, Bildung habe für diese Landesregierung Priorität.

(Ministerin Karin Wolff: Ja! – Zuruf des Abg. Mi- chael Boddenberg (CDU))

Guten Tag, Herr Boddenberg. Sind Sie auch da?

(Michael Boddenberg (CDU): Das erste Mal, das ich Ihnen zustimme!)

Das ist sehr schön.

Ich möchte Ihnen ausdrücklich zustimmen, dass es richtig war, in der ersten Legislaturperiode, in der Sie dieses Land regiert haben, 3.000 Lehrer einzustellen. Es war richtig,dass Sie damit Prioritäten gesetzt haben.Herr Kollege Boddenberg, weshalb sind Sie aber von diesem Kurs abgewichen?

Der Herr Finanzminister hat gestern den Entwurf des Landeshaushalts 2007 präsentiert,

(Zuruf von der FDP: Das war eine Offenbarung!)

mit 1 Milliarde c Steuermehreinnahmen.Was geht davon in Hessen zusätzlich in den Bildungsbereich? – 130 Lehrerstellen oder 6,5 Millionen c. Das entspricht 0,65 % der Steuermehreinnahmen. Da wollen Sie sagen, Bildung hätte für Sie Priorität? Das ist doch wohl ein Witz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Widerspruch des Abg. Axel Winter- meyer (CDU))

0,65 % der Steuermehreinnahmen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ungeheuerlich, was Sie den Leuten hier erzählen!)

Herr Kollege Boddenberg, wir meinen, wenn man in Berlin schon dafür sorgt, dass die Bürgerinnen und Bürger am 1. Januar mit dem Konzept der höchsten Steuererhöhung, die es jemals gegeben hat, abgezockt werden, dann muss von diesen Steuermehreinnahmen wenigstens etwas in Bildung und in unsere Schulen fließen, damit sich etwas in unserem Land bessert und die Menschen nicht nur abgezockt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

0,65 % mehr für Schule. Wir GRÜNE sagen, wir müssen die Steuermehreinnahmen verwenden, um an unseren Schulen etwas zu ändern. Deshalb fordern wir ein Sofortprogramm Schule. Ich möchte Ihnen die wichtigsten Eckpunkte vortragen.Wir sagen, wir brauchen endlich wieder etwas mehr Zeit und Muße an unseren Schulen.Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer wieder in die Lage versetzen, sich tatsächlich zu kümmern, um wieder jedem einzelnen Kind gerecht werden zu können. Das erreicht man nicht durch immer mehr Druck und durch Stellenstreichungen, die Sie in der zweiten Legislaturperiode übrigens auch gemacht haben, sondern nur durch Zeit und Muße, damit sich Pädagogen auf ihre Arbeit konzentrieren können. Deshalb halten wir es für erforderlich, 1.000 zusätzliche Lehrerstellen in zwei Schritten zu schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir halten ein Zweites für wichtig.Wir müssen den Schulen tatsächlich ein eigenes Budget geben, – Frau Kultusministerin, nicht so, wie Sie es machen, ein Budget geben, wie es das bisher schon irgendwo im Landeshaushalt gab, das die Schulen jetzt selbst bewirtschaften, sondern zusätzliches Geld. Unser Vorschlag: 50 c pro Schülerin und Schüler und Jahr für die Schulen zur freien Verfügung, damit die Schulen tatsächlich etwas entscheiden und damit zumindest die dringendsten Probleme angehen können. Das wäre unser Vorschlag. Eine Schule mit 800 Schülerinnen und Schülern hätte dann 40.000 c pro Jahr zur Verfügung. Das löst natürlich nicht alle Probleme, aber es versetzt die Schulen endlich in die Lage, die dringendsten Probleme einmal zu bearbeiten und nicht auf die Wartebank zu schieben, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Frau Wolff, jetzt möchte ich sehr präzise auf Ihre Regierungserklärung eingehen. Ihren ersten Satz fand ich für eine Kultusministerin sehr bemerkenswert. Sie sagten: Die Berichterstattung der hessischen Zeitungen zum Schuljahresbeginn war einhellig. – Wir lernen, dass das, was für die Frau Kultusministerin wichtig ist, nicht die Lage an den Schulen ist, sondern wie die Berichterstattung der Zeitungen über die Schulen ist. Das finde ich einen bemerkenswerten Vorgang, Frau Ministerin. Sie sollten eigentlich eigene Quellen haben,um zu wissen,wie die Lage an den Schulen ist.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD))