Protocol of the Session on June 22, 2006

(Beifall bei der FDP – Abg. Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) begibt sich zum Rednerpult.)

Ich warte noch ein bisschen.

(Heiterkeit)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank für die Bewegung, die Sie mir verschafft haben.

Meine Damen und Herren! Wie die Vorrednerin und die Vorredner auch, begrüße ich es ausdrücklich, dass wir heute Gelegenheit haben, uns im Landtag über die Situation der beruflichen Schulen zu unterhalten. Sie steht nicht immer im Mittelpunkt der bildungspolitischen Auseinandersetzung im Landtag. Nichtsdestotrotz wird an den beruflichen Schulen Hervorragendes geleistet. Sie erfüllen eine sehr wichtige Aufgabe in unserem Bildungssystem.Insofern ist es gut,dass wir heute auf Initiative der SPD über dieses Thema sprechen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich von wichtigen Aufgaben der beruflichen Schulen spreche, ist als Erstes das zu nennen, was die beruflichen Schulen in der dualen Ausbildung leisten. Das ist auch das, was vielen draußen als Erstes einfällt, wenn sie an berufliche Schulen denken. Aber berufliche Schulen leisten sehr viel mehr. Wenn wir uns die Ergebnisse der PISA-Studie anschauen, wenn wir uns ansehen, welche Qualität unser Bildungssystem bei den 15-Jährigen – sie wurden in der PISA-Studie betrachtet – hat, dann zeigt sich, welche Herausforderungen die beruflichen Schulen haben. Die beruflichen Schulen sind die Instanz, wo wir für die 15-Jährigen, von denen uns die PISA-Studie sagt, dass wir sie bislang nicht so hundertprozentig gefördert haben, wo wir für diese aktive, jetzt an den Schulen befindliche Generation noch etwas tun können.

Denn die beruflichen Schulen kommen noch für diese Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg hinzu. Insofern sind die beruflichen Schulen zum Ausgleich der schlech

ten Ergebnisse, die wir bei PISA haben, besonders gefordert, weil wir da etwas für die Schülerinnen und Schüler tun können, die bei PISA getestet wurden, und nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, die jetzt erst in die allgemeinen Schulen kommen. Das ist eine große Herausforderung für die beruflichen Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die beruflichen Schulen sind auch besonders dadurch herausgefordert, dass diese Landesregierung gesagt hat, Durchlässigkeit sei nicht mehr das Prinzip, nach dem wir das Schulsystem in Hessen organisieren, sondern Anschlussfähigkeit sei das Prinzip. Wir fördern also Schülerinnen und Schüler nicht mehr dann, wenn sie sich entwickeln, sondern wir fördern sie erst, wenn sie aus der Sekundarstufe I wieder herauskommen.

(Zuruf von der CDU: Schwachsinn!)

Dann geben wir ihnen die Möglichkeit, durchlässig Bildungsabschlüsse zu machen. Die ist bei den beruflichen Schulen angesiedelt. Wenn man das so organisiert, wie es die Landesregierung macht,kommt den beruflichen Schulen noch einmal eine gesonderte Verantwortung zu.

Die beruflichen Schulen sind aus einem weiteren Grund besonders herausgefordert. Das ist die Ausbildungsplatzsituation. Wir haben in Deutschland, auch in Hessen, zu wenige Ausbildungsplätze. Hier springen die beruflichen Schulen sehr stark in die Bresche. Sie leisten eine Qualifizierung für junge Menschen, die keine Ausbildungsplätze finden, oder übernehmen teilweise sogar die Ausbildung ganz,also auch den Teil,den normalerweise die Wirtschaft erfüllen müsste. Hier wird Großes geleistet. Hier ist die Aufgabe auch besonders groß. Denn je stärker sich die Wirtschaft aus ihrer Verpflichtung,Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, zurückzieht, umso größer wird die Aufgabe für die beruflichen Schulen. Das sollten wir uns immer bewusst machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch im Bereich der Weiterbildung – wir haben das gestern im Rahmen des Weiterbildungsgesetzes diskutiert – kommen neue Aufgaben und gibt es neue Möglichkeiten für die beruflichen Schulen. Wir haben das gestern ausführlich diskutiert.

Im Bereich der Fortbildung der Lehrkräfte haben die beruflichen Schulen das gleiche Problem wie die allgemein bildenden Schulen. Das, was es bisher an Fortbildungsbudget vonseiten des Landes gibt, reicht hinten und vorn nicht aus.Für die beruflichen Schulen kommt etwas hinzu. Im Bereich der Fortbildung haben viele beruflichen Schulen das Problem, die Angebote zu finden, die für ihre spezifische Situation richtig ist. Hier haben wir nicht nur das Problem von zu wenig Mitteln, sondern wir haben auch das Problem von zu wenig passgenauen Angeboten für unsere beruflichen Schulen.

Aus meiner Rede ist hoffentlich deutlich geworden, welch wichtige Rolle die beruflichen Schulen spielen. Umso unverständlicher ist eigentlich, dass mit dem Zuweisungserlass für das Schuljahr 2006/2007 eben in diesen beruflichen Schulen massiv gekürzt wird. Herr Kollege Riege hat es auch schon angesprochen. Ich nenne einmal ein paar Zahlen. Im Berufsgrundbildungsjahr in Vollzeit geht die Zuweisung laut Zuweisungserlass um drei Stunden zurück. Im Berufsgrundbildungsjahr in Teilzeit geht sie um eine Stunde zurück, im Berufsvorbereitungsjahr um zwei, in der Berufsfachschule um dreieinhalb Stunden. In der Fachschule in Vollzeit wird auch gekürzt. Es geht weiter

und weiter.Wenn die beruflichen Schulen eine solche Bedeutung haben, wie es alle Redner bislang betont haben, dann ist mit Sicherheit die Kürzung in der Stundentafel für das nächste Schuljahr der falsche Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Für die Landesregierung hat nun Frau Kultusministerin Wolff das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon bedauerlich, dass eine solche Debatte nicht nur zu diesem Zeitpunkt, sondern auch in dieser kurzen Zeit stattfindet, in Form einer Kurzdebatte. Herr Riege, vielleicht ist das mit ein Grund für die Schärfe, die Sie am Anfang hineingebracht haben.

Ich glaube, dass es die berufliche Bildung in all ihren Facetten wert ist, dass wir dies erörtern – auch auf der Grundlage dieses Antrages. Ich will im Rahmen dieser kurzen Zeit wenige Aspekte nennen, von denen ich glaube, dass wir darüber reden müssen.

Zum einen will ich feststellen, dass wir entgegen dem, was der Kollege Wagner gesagt hat – darauf komme ich noch einmal ganz kurz zurück –, exakt für diesen Bereich der beruflichen Schulen vor zwei Jahren mitten im Haushaltsjahr 500 Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt haben. Das geschah aus der Situation heraus, dass sich dort die Ausbildungsplatzsituation negativ niedergeschlagen hat und wir diese zusätzlichen Stellen brauchten.

Es ist darauf hinzuweisen, dass wir seit einigen Jahren deutlich gemacht haben, dass die beruflichen Ausbildungs- und Bildungsgänge ein Profil brauchen in Form von Zugangsvoraussetzungen, Inhalten, d. h. Lehrplänen, und in Abschlussbedingungen. Dies soll die beruflichen Bildungsgänge profilieren und auch dann für Abnehmer interessanter machen. Wir dürfen nicht darin verharren, dass Jugendliche, die anderweitig keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, dort verbleiben.

Nun kommt eine wesentliche Entscheidung in diesem Jahr, in dem wir beobachtet haben, dass viele Jugendliche über Jahre im vollzeitschulischen Bildungssystem verbleiben, die eigentlich eine Ausbildung im dualen System angestrebt haben.Wir sind in einer Situation, in der wir mittlerweile davon reden müssen, dass Jugendliche zu Beginn ihrer dualen Ausbildung bereits 20 Jahre alt sind, was für die vorherigen Runden an den beruflichen Schulen spricht. In dieser Situation müssen wir eine andere Konzeption angehen. Wir müssen nämlich solchen Jugendlichen einen offensiven Zugang zur betrieblichen Wirklichkeit eröffnen. Wir wollen ihnen zusätzliche Zeiten im Rahmen von kontinuierlichen Praxistagen ermöglichen. Darüber wollen wir die Chance erhöhen, dass sie einen Ausbildungsplatz finden.

(Beifall bei der CDU)

Dies in die Richtung einer gekürzten Stundentafel zu schieben, ist vor dem Hintergrund dieser Konzeption, die deutlich macht, dass wir die Zugänge der Jugendlichen in die Wirtschaft durch kontinuierliche Praxistage stärken wollen, völlig verkürzt. Dazu gehört, dass wir bestimmte Schritte gehen, dass wir etwa den Wahlpflichtunterricht in den beruflichen Bildungsgängen stärken, um deutlich zu

machen, dass es Möglichkeiten der Förderung im beruflichen Bildungswesen geben muss. Es muss auch die Herausforderung durch besondere Angebote geben, die schon fast im Bereich der Weiterbildung liegen, wie wir es gestern diskutiert haben. Nur so können wir dort weiterkommen.

Das bedeutet, dass wir so etwas wie Qualifizierungsbausteine entwickeln müssen,die allerdings die Anerkennung in den Kammern und Verbänden brauchen, genau wie die Frage der Anerkennungsverordnung, die sich derzeit im Landesausschuss für Berufsbildung zur Beratung befindet, eine ist, die auch die Anerkennung aus dem Bereich der Wirtschaft braucht.

(Beifall bei der CDU)

Dann haben Sie von dem angeblich so miesen Fortbildungsbudget gesprochen, Herr Wagner.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Mies“ war Ihr Wort! Aber es ist gut!)

Herr Kollege Wagner, ich kann mich nicht erinnern, dass von Ihnen die Forderung nach einem Fortbildungsbudget gekommen ist, bevor sie durch diese Seite des Hauses eingeführt wurde,und zwar durch Festbeträge speziell für berufliche Schulen, wie dies hier am Anfang eingeführt und jetzt übertragen worden ist.Dadurch ist das in der Summe gesteigert worden. Pro Stelle werden 40 c zur Verfügung gestellt. Damit wird den beruflichen und auch den allgemein bildenden Schulen ein erheblich höherer Betrag als vorher zur Verfügung gestellt.

Wenn Sie noch berücksichtigen, dass dies in einigen beruflichen Bereichen durch besondere Ausbildung aus den Mitteln des ESF ergänzt wird und dass dies auch dadurch ergänzt wird, dass wir eine andere Form der früheren Landesarbeitsgemeinschaften gefunden haben, die sich jetzt so darstellt, dass wir 17 Berufsfeldforen im Bereich der Fortbildung und zusätzlich weitere Foren für die Splitterberufe haben, dann kann man nicht mehr davon reden, dass es zu wenig Fortbildung an den beruflichen Schulen gibt.Vielmehr ist ein Konzept daraus gewachsen, das sich mittlerweile sehr ordentlich darstellt.

Ich will auch noch deutlich machen, dass wir auf dem Weg sind, im Bereich der beruflichen Schulen – aber jetzt schon im Sinne der dualen Ausbildung stärker als bei dem anderen – als Kompetenzzentren voranzuschreiten. Das beinhaltet, dass wir auch in einer sensiblen, klugen und weit vorausschauenden, die Kreisschulentwicklungsplanung weit übersteigenden Form planen müssen, wie Kompetenzzentren aus unseren bisherigen vielfältigen beruflichen Schulen entstehen können und welche Voraussetzungen wir dadurch in den Verordnungen für Bezirksfachklassen in einem Übergang hin zu einer Konzeption von Kompetenzzentren brauchen.

Dann will ich zu einem Punkt noch etwas sagen.Herr Kollege Wagner, natürlich haben neue Pläne auch etwas mit Zertifikaten und Abschlussmöglichkeiten zu tun. Ich denke, auch dies ist ein Markenzeichen dieser Landesregierung, dass wir uns nicht mehr auf das beschränken, was sich nicht geändert hat, sondern dass wir Durchlässigkeit in allen Jahrgangsstufen möglich machen.Wir wollen den jungen Menschen Chancen offensiv aufzeigen, wie sie nach einer 9.Hauptschulklasse den mittleren Abschluss in der 10. Jahrgangsstufe machen können.Wir wollen offensiv im beruflichen Bildungssystem Gelenkstellen zeigen, an denen sie weitermachen können und an denen sie weitere allgemein bildende Abschlüsse bekommen.

Deswegen besteht ein Teil der neuen Lehrplanarbeit darin, mit bestimmten Ausbildungsgängen etwa die Fachhochschulreife zu vermitteln. Ich sage das an dieser Stelle noch einmal und gebe es wieder zu Protokoll: Anschlussfähigkeit ist mehr als Durchlässigkeit, denn sie baut auf ihr auf und sorgt dafür, dass junge Menschen, die mit einem Bildungsabschluss gekommen sind, die Möglichkeit haben, dies ihr ganzes Leben lang begleitend weiterzuentwickeln und auch zu weiteren Abschlüssen und Zertifikaten zu kommen.

Wenn berufliches Bildungswesen diesen Grundsatz nicht beherzigt und die Anschlussfähigkeit nicht zu einem wesentlichen Herzstück wird, dann werden wir sehr große Schwierigkeiten haben, die anderen Aspekte hier mitzuberaten. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Schluss der Debatte angelangt.

Es wird vorgeschlagen,den Antrag der SPD betreffend Sicherung der Qualität beruflicher Bildung in Hessen, Drucks. 16/5457, an den Kulturpolitischen Ausschuss zu überweisen. Gibt es Widerspruch? – Den sehe ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Novellierung des Ersatzschulfinanzierungsgesetzes – Drucks. 16/5483 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion.Als Erster hat sich Kollege Wagner für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Ersatzschulfinanzierungsgesetz läuft Ende dieses Jahres aus. Zu dem Zeitpunkt, als wir unseren Antrag in das parlamentarische Verfahren eingebracht haben, gab es vonseiten der Landesregierung noch nicht einmal einen Entwurf für ein Gesetz darüber, wie die Finanzierung der Ersatzschulen weitergeführt werden soll.

Mittlerweile gibt es immerhin einen Kabinettsbeschluss, und das Gesetz befindet sich in der Regierungsanhörung. Wenn wir mit unserem Antrag dazu einen Beitrag leisten konnten,dass dieses Gesetz endlich auf dem Weg ist,dann begrüßen wir das natürlich ausdrücklich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

In der Tat, Herr Staatsminister Grüttner, die Hoffnung stirbt zuletzt – selbst bei dieser Landesregierung.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))