Protocol of the Session on February 23, 2022

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Das Letztgenannte gilt auch für Dr. Sandra Heinrich und Rebecca Remke aus der Bürgerschaftskanzlei. Vielen Dank! Ohne Sie wären wir, glaube ich, ganz oft aufgeschmissen gewesen. Vielen Dank für Ihre Arbeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD, DIE LINKE)

Ich möchte mich auch bei meinen Kolleg:innen aus der Bürgerschaft für die sehr weitgehend sehr konstruktive und angenehme fraktionsübergreifende

Zusammenarbeit bedanken. Auch das habe ich als etwas sehr Besonderes wahrgenommen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Nicht zuletzt möchte ich den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen der Fraktionen danken, von denen heute auch einige hier sind und die am Ende wahrscheinlich den größten Teil dieses Abschlussberichts verfasst haben. Vielen Dank an Kristina Kötterheinrich, Elina Aksionava, Jule Oldenburg, Reinhard Seekamp, Knud Oldörp und Dr. Tom Bauermann.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD, DIE LINKE)

Jetzt, wo der Bericht fertig ist, richtet sich das Auge also auf die Umsetzung, und dabei habe ich immer wieder die Sorge gehört, dass wir uns die Messlatte zu hoch legen. Keine Frage, im Vergleich zur Klimapolitik der vergangenen Jahre ist diese Messlatte hoch. Es ist eine andere Geschwindigkeit und Priorität von Klimapolitik notwendig. Die Vergangenheit kann ja aber nicht der Maßstab von Klimapolitik sein, sondern der Maßstab von Klimapolitik sind die planetaren Grenzen, muss das Pariser Klimaschutzabkommen sein, zu dem wir uns verpflichtet haben.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Gemessen daran ist die Messlatte keineswegs zu hoch. Zum Einhalten des Treibhausgasbudgets, wie es der Sachverständigenrat für Umweltfragen für Deutschland ausgerechnet hat, wie es uns auch in der Enquetekommission vorgestellt wurde und worauf sich das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr bezogen hat, reicht unsere Klimastrategie gerade so und das auch nur in der für Bremen günstigen Quellenbilanz, also in dem Prinzip, in dem CO2 auf der Landesfläche bemessen wird, auf der es anfällt. Dieses Budget beschreibt auch nur eine halbwegs gute Chance, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Das heißt, wir können mit unserer Klimastrategie eher gerade so Paris einhalten.

1,5 Grad unter den Grundsätzen von Klimagerechtigkeit, wie wir es uns ja eigentlich wünschen würden, können wir mit diesem Enquetebericht nicht erreichen. Das heißt doch, liebe Kolleg:innen, diese Messlatte ist nicht zu hoch, sie ist die Untergrenze.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Was bedeutet das? Zunächst ist damit klar, dass wir stets über das Gesamtpaket reden müssen. Es reicht nicht, sich einzelne Prioritäten herauszupicken, auch wenn die noch so groß sind, wie zum Beispiel die Transformation des Stahlwerkes. Wir brauchen alle Sektoren dieses Berichts, mit allen ihren Maßnahmen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Das haben wir auch in unserem gemeinsamen Antrag der Koalition klargestellt, Herr Michalik. Deswegen haben wir in unserem koalitionären Antrag auch festgehalten, dass jede Maßnahme, die nicht umgesetzt werden kann – und das kann ja immer passieren in der Umsetzung, dass man feststellt, dass doch etwas rechtlich nicht möglich ist oder so –, durch eine mindestens ebenso wirksame Maßnahme ersetzt werden muss. Das ist nach dem Klimavorbehalt für Verwaltungsvorlagen jetzt quasi der Nichtumsetzungsvorbehalt für die Enquetestrategie.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Trotzdem kann es sein, dass wir auf halbem Wege feststellen, dass wir drohen, unsere Ziele zu verfehlen. Dafür brauchen wir erst einmal ein enges Controlling, um das festzustellen. Wenn wir dann aber feststellen, dass wir nicht mehr auf dem Zielpfad sind, dass wir nicht mehr auf Kurseinhaltung der Pariser Klimaziele sind, dann müssen wir natürlich auch nachschärfen, dann müssen wir Maßnahmen nachlegen, dann müssen wir bestehende Maßnahmen anziehen.

Ich habe vorhin erwähnt, dass der Enquetebericht nur nach der Quellenbilanz als Paris-kompatibel gelten kann. Das bedeutet, dass es auch Bereiche gibt, die diese Bilanz nicht abbildet und in denen unsere Politik nicht ausreicht, und das sind alle Bereiche, die mit Konsum zu tun haben, mit Verhaltensänderungen, mit Lebensstilfragen – also: Suffizienzpolitik. Hier ist es uns in vielen Fällen nicht gelungen, die nötigen Mehrheiten zu finden, um Ziele und Maßnahmen zu beschreiben, die mit dem Einhalten des Paris-Abkommens kompatibel sind.

Besonders schwerwiegend ist das im Bereich Ernährung. Aus einer bundespolitischen Perspektive heraus mag das erstaunlich oder positiv erscheinen, dass wir uns vorgenommen haben, bis zur Klimaneutralität den Fleischkonsum in Bremen und Bremerhaven zu halbieren. Für manche hier im Raum ist vielleicht auch schon das unvorstellbar. Wenn wir es aber dabei belassen würden, dann

würde allein das, was dann noch verbleibt, also der dann noch verbleibende Konsum von Fleisch, Milch und Co., verhindern, dass wir überhaupt jemals klimaneutral werden können, weil allein die Emissionen, die dann noch in der Landwirtschaft entstehen, unsere Emissionsgrenzen sprengen dürften.

Deswegen ist der Ernährungssektor so wichtig, und deswegen ist es so bitter, dass es uns hier nicht gelungen ist, eine Mehrheit für Paris-kompatible Ziele in diesem Sektor in der Enquetekommission zu beschließen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Die größte Schwäche hat der Enquetebericht aber wohl im Verkehrssektor, und zwar nicht im Kapitel 6 des Abschlussberichtes „Mobilität und Verkehr“, in dem wir uns auf Anraten der Sachverständigen starke Ziele und wirksame Maßnahmen vorgenommen haben, sondern im Anhang A des Berichts in den Sondervoten. Das ist deshalb eine Schwäche, weil der große Wert dieser Enquete ja die breite Einigkeit ist. Hier ist es nicht gelungen, einen breiten politischen Konsens über die wissenschaftlich gebotenen Maßnahmen zu finden.

Ein Beispiel: Alle verkehrswissenschaftlichen Sachverständigen der Enquetekommission haben uns erklärt, dass die Antriebswende nicht ausreicht, sondern dass es auch weniger Autos geben muss und dass es dafür, um das zu erreichen, PushMaßnahmen braucht, also solche Maßnahmen, die den Autoverkehr unattraktiver machen. Wer dann anschließend solchen Maßnahmen eine sehr weitgehende Absage erteilt, verlässt damit den wissenschaftsnahen Geist dieser Enquetekommission.

Ja, man stößt auf Widerstand, wenn man zum Beispiel Parkplätze abschafft, um Platz für Fuß- und Radverkehr zu machen. Gegen solchen Widerstand hilft es dann aber doch nicht, diesem Widerstand hinterherzulaufen und die verkehrs- und klimapolitisch notwendigen Maßnahmen abzulehnen. Gegen solchen Widerstand hilft politischer Schulterschluss. Deshalb ist es so bitter, dass es nicht gelungen ist, im Verkehrssektor alle Fraktionen hinter diesem Bericht zu versammeln. Diese Enquetekommission war der Ort für die politische Kompromissbildung und für den Schulterschluss, für den breiten politischen Schulterschluss, mit dem wir anschließend an die Bremer:innen herantreten, um sie von unserer gemeinsamen Politik zu überzeugen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE – Zuruf Abgeordneter Jens Eckhoff [CDU])

Besonders wichtig ist dieser Schulterschluss auch in der Zeit, die jetzt kommt, in der Phase der Umsetzung. Das ist keine Zeit für Opportunismus, das ist keine Zeit für Wohlfühlstorys, dass es bei irgendwem auch Klimaschutz geben könnte, ohne dass man die schmerzhaften Maßnahmen machen müsse. Dafür haben wir uns nicht zwei Jahre lang mit Sachverständigen, mit Wissenschaftler:innen zusammengesetzt. Es ist Aufgabe aller, die die Enquetekommission ernst nehmen, solchen Opportunismus in der jetzt kommenden Zeit und im nahenden Wahlkampf zu entlarven.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Alle Mahnungen, dass dieser Bericht das Minimum dessen ist, was wir zum Einhalten der Pariser Klimaschutzziele benötigen, täuschen aber natürlich nicht darüber hinweg, dass es zweifellos eine große Aufgabe, eine große Herausforderung ist, das alles umzusetzen, dass es auch unsere Verwaltung in einem Maß fordern wird, wie wir es wahrscheinlich bisher nicht kannten.

Für mich besteht kein Zweifel, dass die Umsetzung dieser Strategie erfordert, dass die Klimakrise auch endlich als solche behandelt wird: als Krise! Vor zwei Jahren haben wir hier im Parlament die Klimanotlage ausgerufen und genau dieses Krisenhandeln eingefordert. Wenige Zeit später wurde ein Krisenstab gegründet, es wurde Personal mobilisiert, in allen Ressorts wurden kurzfristig Maßnahmen entwickelt und mit hoher Priorität umgesetzt – aber zur Bekämpfung der Coronakrise. Das war natürlich völlig richtig, aber ein solches Krisenhandeln steht bei der Bekämpfung der Klimakrise trotzdem noch aus, obwohl die Klimakrise noch weit existenzieller ist als die Coronakrise.

Mein Eindruck ist, dass die Pandemie aber zumindest die Maßstäbe verschoben hat. Wenn es möglich ist, zur Bekämpfung der Coronakrise Mensen zu schließen, dann muss es doch auch möglich sein, zur Bekämpfung der Klimakrise Mensen ohne Fleisch anzubieten.

Solche Parallelen zwischen Corona- und Klimakrise kommen einem vielleicht erst einmal komisch vor, aber ich glaube, das liegt vor allen Dingen daran, dass wir die Klimakrise und die Mittel zu ihrer Bekämpfung noch nicht in ihrer Dramatik und in ihrer Bedeutung verinnerlicht haben. Diese verän

derte Einstellung zur Klimakrise, und zwar nicht allein von uns, der Politik, sondern von allen, das ist, glaube ich, das zentrale Element, das wir jetzt brauchen, wenn uns diese große Transformation gelingen soll. Ich bin überzeugt, mit dieser veränderten Einstellung kann es dann auch gelingen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn wir unser Bild der Klimakrise geändert haben und dieses Bild der Notlage verinnerlicht haben, dann ist der nächste Schritt, glaube ich, nicht mehr so verwunderlich, nämlich, dass die Klimakrise, dass die Klimanotlage auch eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenbremse ist.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Dass das auch verfassungsrechtlich so ist, hat uns der Verfassungsrechtler Professor Wieland im Finanzgutachten noch einmal dargelegt. Seine Begründung unterstreicht auch noch einmal, welche herausgehobene Bedeutung die Bekämpfung der Klimakrise hat, warum das kein Politikbereich wie jeder andere ist: Weil die Bundesländer eine Verfassungspflicht zur Bekämpfung der Klimakrise haben. Eine Pflicht, die laut Professor Wieland so nur für die Bekämpfung der Klimakrise gilt, nicht in gleichem Maße für zum Beispiel die Bekämpfung von Bildungsungerechtigkeit oder sozialer Ungleichheit, obwohl das ja zweifellos genauso zentrale Aufgaben des Staates sind.

Die Finanzbedarfe dieser Klimastrategie sind milliardenschwer. In der Enquete waren wir uns auch einig, dass das auch eine Kreditfinanzierung erfordert. Das kann man im Bericht nachlesen. Nach der Enquete bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher. Wenn die CDU jetzt öffentlich vor horrenden Schulden warnt, dann kann man sich erst einmal fragen, wo eigentlich horrend anfängt.

(Zuruf Abgeordneter Heiko Strohmann [CDU])

Doch, das haben Sie. Das kann man bei Social Media nachlesen. Dann bekommt man auch den Eindruck, dass sich die CDU offenbar von der klimapolitischen Ernsthaftigkeit der Enquetekommission verabschieden will und lieber schon einmal in den Wahlkampf einsteigt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Herr Michalik, Herr Eckhoff, denken Sie doch noch einmal darüber nach. Ich fände das sehr bedauerlich, wenn Sie sich nach Ihrer ja wirklich weitgehend konstruktiven Mitarbeit in der Enquetekommission jetzt vom Acker machen.

(Zuruf Abgeordneter Heiko Strohmann [CDU])

Wenn wir einen Blick auf die Lösung dieser Finanzierungsfrage werfen, ist das Anerkennen der Klimakrise als außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenbremse wohl der klarste und transparenteste Weg. Er vermeidet finanzpolitische Manöver oder Schattenhaushalte und begrenzt die Kreditaufnahme auch gleichzeitig auf den einen Zweck, für den sie laut Professor Wieland eine Rechtfertigung hat, nämlich die Bekämpfung der Klimakrise. Dieser Vorschlag muss jetzt entsprechend intensiv geprüft werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Teilweise wird auch im Zusammenhang mit der Finanzierung von Prioritäten gesprochen, weil unsere Haushaltsmittel begrenzt sind, und das ist ja auch erst einmal richtig. Diese Prioritätensetzung darf aber natürlich nicht bedeuten, dass wir bestimmte Maßnahmen der Klimastrategie umsetzen und andere nicht, also, dass wir innerhalb der Klimastrategie priorisieren. Wer das sagt, verlässt den Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens. Diese Prioritätensetzung muss bedeuten, dass wir innerhalb des Gesamthaushalts und der Möglichkeiten, die dieses Gutachten darüber hinaus aufgezeigt hat, die Prioritäten so wählen, dass dieser Bericht umgesetzt werden kann, und zwar vollständig, liebe Kolleg:innen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

All das, ein politischer Schulterschluss, die veränderte Einstellung zur Klimakrise und das Ermöglichen von Kreditfinanzierungen wird aber zusammen nicht ausreichen, um diese Pläne umzusetzen. Ein weiterer elementarer Flaschenhals – den hat Herr Dr. Sieling eben schon angesprochen –, an dem wir arbeiten müssen, ist Personal, sind Fachkräfte. Der Bedarf wird riesig sein, in den Behörden, in der Planung, aber vor allem auch in der Umsetzung. Jetzt ist wahrscheinlich die beste Zeit, einen handwerklichen Beruf aufzunehmen. Ob Solateur:innen, Heizungstechniker:innen und bis hin zum Tiefbau – wir werden alle diese Menschen brauchen.

Wir müssen als Politik intensiv dafür werben, klimarelevante Berufe einzuschlagen, nicht nur junge Menschen, auch ältere Menschen, die sich vielleicht noch einmal neu orientieren müssen oder möchten. Wir brauchen sie alle, wir müssen als Politik Hürden abbauen, wir müssen diese Wege unterstützen, wo immer wir können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)