Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, eine wichtige Erkenntnis ist in dieser Debatte schon mehrfach gesagt worden, die auch mir am Herzen liegt. Dass wir es nicht mit einer beliebigen Grundeinkommensdebatte zu tun haben, sondern dass wir es mit Kindergrundsicherung zu tun haben, und Kinder ganz groß geschrieben. Das bedeutet, die Bedürfnisse der Kinder müssen im Mittelpunkt stehen, die Bedürfnisse der Kinder sind das, woran wir uns politisch orientieren und nicht die Auseinandersetzung über theoretische Konstrukte, sondern es geht darum, wie wir Kinder besser vor Armut schützen. Das machen wir. Das machen wir auch übergreifend, aber das machen wir mit begrenztem Erfolg, wie wir immer wieder feststellen. Die 35 000 Kinder in Bremen und die zwei bis zweieinhalb Millionen in ganz Deutschland, bei denen wir es nicht schaffen, die sollten unser Maßstab sein. Ich glaube, darum geht es.
Ich will noch einmal begründen, warum es sinnvoll war, diesen Weg mit der Anhörung und auch mit der Antwort auf den Antrag der Fraktion DIE LINKE zu gehen. Kein Bundesland und auch keine einzelne Fraktion im Bundestag kann diese Frage der Kindergrundsicherung allein herbeiführen. Wir brauchen eine Mehrheit im Bundestag, dort regiert zurzeit die Große Koalition. Im Bundesrat, da haben wir allerbunteste 16 Landesregierungen, die zusammengesetzt sind, und weder die Regierungen unter Beteiligung der LINKEN noch die Regierungen mit grüner Beteiligung oder sonst jemand
kann im Moment allein einen Beschluss herbeiführen, der im Bundesrat und Bundestag eine Mehrheit hätte. Deswegen ist die Antwort, die die Sozialdeputation gegeben hat, zu sagen, das ist genau die Zielrichtung und darin sind auch genau die wichtigen Punkte. Zu den essenziellen Inhalten komme ich gleich noch einmal, aber wir müssen in ein Verfahren gehen, in dem wir über die Arbeits- und Sozialminister, die Jugend- und Familienministerinnen und Familienminister und über die Landesregierungen und über den Bundestag eine Mehrheit, eine übergreifende Einigung auf ein bestimmtes Konzept erreichen.
Nur wenn es diese Mehrheit gibt, ändert sich tatsächlich etwas. Es hat also überhaupt keinen Sinn, dass jetzt jeder seinen eigenen Weg geht, sondern in diesen Verhandlungen und Gesprächen liegt parteiübergreifend die Lösung. Das ist schlichtweg die Antwort zusammengefasst, die heute auch auf dem Tisch liegt, auf diesen Antrag der Fraktion DIE LINKE, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
Das ist der Weg, wie wir tatsächlich zu einer Veränderung kommen. Es geht im Kern, da unterscheiden wir uns, glaube ich, doch von einigem, was ich gerade gehört habe, zwar auch um eine Zusammenfassung von bestehenden Leistungen, aber es geht keineswegs darum, alle Leistungen zusammenzufassen und zu pauschalieren und in einem Betrag zu bündeln. Es gibt nach wie vor in den Sozialgesetzbüchern – denken Sie an die Eingliederungshilfe, denken Sie an Gesundheitsvorsorge, denken Sie an Sprachförderung, an ganz viele andere Dinge – Leistungen, die wir auch weiter bräuchten, wenn wir eine Kindergrundsicherung hätten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Draußen denken viele Menschen, da packe ich jetzt alles in ein Paket, gebe denen dann 500, die einen sagen 600 und so weiter, und dann ist alles abgegolten.
Es ist eine ganz wichtige Errungenschaft, und das haben wir bei der Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen so oft, dass das verwechselt wird, in der wir bestimmte Sozialleistungen auf keinen Fall abschaffen wollen, sondern wir wollen sie gerade erhalten, und wir werden sie auch zukünftig noch brauchen. Das ist ein ganz wichtiges Essential, um auch eine grüne Zustimmung zu einer solchen Kindergrundsicherung zu bekommen.
Ein zweites Essential ist, dass wir Fehlsteuerungen, die wir im Moment über die Freibeträge haben, umkehren müssen in eine Steuerungswirkung zugunsten der ärmeren Familien und ihrer Kinder.
Das ist eine ganz wichtige Geschichte. Im Moment ist es ja umgekehrt, je mehr ich verdiene, desto mehr kann ich an Leistungen durch die Freibeträge herausbekommen. Wenn man dann noch bedenkt, dass bestimmte Leistungen von vielen Menschen gar nicht abgerufen werden. Das ist eine solche Schieflage in dem System, dass ganz deutlich ist, dass wir auch einen sozialen Ausgleich brauchen, der sagt, die Bedürfnisse und die Bedarfe der Kinder in den armen Familien, sind das, was im Mittelpunkt steht. Diese Leistung kann mit steigendem Einkommen dann entweder abschmelzen oder besteuert werden, da gibt es unterschiedliche Modelle. Darauf kann man sich einigen. Es muss aber auf jeden Fall der Effekt eintreten, dass die, die es besonders brauchen, auch besonders begünstigt werden in diesem System.
Ein weiteres Essential ist, dass wir einen gewissen Ausgleich erreichen, den haben wir schon, aber den noch weiter verstärken zwischen Erwachsenen, die Kinder haben, also zwischen Eltern, und denen, die keine haben. Die Mehrbelastungen, die Familien haben, die Kinder großziehen und die damit eine gesellschaftliche Leistung für das gesamte Land erbringen, Sie können es ökonomische Leistung nennen, Sie können es soziale, gesellschaftliche Leistung nennen, sind jedenfalls eine Leistung, die für alle erbracht wird, dass die auch in einem solchen System anerkannt und ausreichend berücksichtigt wird.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Dieses Essential ist eine Festlegung von Punkten, die wir in diesen Verhandlungen, die wir auf Bundesebene meines Erachtens, wie ich erwähnt habe, führen müssen, weiter vorantreiben müssen. Bleibt unter dem Strich der Zwang zu Verhandlungen im Bundesrat und Bundestag. Das heißt nicht, dass wir ewig Zeit haben, sondern Kinder sind heute arm, Kinder leiden heute Not, und das heißt die Aufforderung an alle, sich zu arrangieren, auch bei den schwierigen Mehrheitsverhältnissen dann auch tatsächlich bald zu einem solchen Konzept zu kom
men. Wir Grünen haben ganz viele Vorschläge unterbreitet und sind bereit, uns an diesem Prozess zu beteiligen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gerade gefragt, ob ich eigentlich selbst ein armes Kind war. War ich ein armes Kind, weil meine Eltern in den ersten Jahren meiner Kindheit weniger verdient haben als die Hälfte dessen, was der Durchschnitt verdient hat? War ich ein armes Kind, weil meine Eltern sich keinen Fernseher leisten konnten – gut, das war vielleicht damals normal – keine Waschmaschine, keinen Kühlschrank? Oder war ich vielleicht gar kein armes Kind, weil meine Eltern eine gewisse Bildung hatten, eine gewisse kulturelle Ressource, aus der sie schöpften, weil sie dafür gesorgt hatten, dass ich anständig geimpft war, dass ich anständig ernährt wurde? Meine Mutter hat für mich gekocht, man hat auf meine Bildung geachtet, man hat mich zur Schule geschickt, dafür gesorgt, dass ich etwas lernte.
Wenn wir uns heute das Thema Kinderarmut anschauen, wie es die OECD zum Beispiel betrachtet, dann stellen wir fest: Ja, wir sind hier in Deutschland offensichtlich ein Problemgebiet, weil die Kinderarmut in Deutschland im Gegensatz zum OECD-Trend überdurchschnittlich steigt. Aber mir greift diese Diskussion, was das Pekuniäre angeht, was das Geld angeht, zu kurz.
Im Ruhrgebiet gab es beispielsweise eine Untersuchung über Gesundheit. 80 Prozent aller Kinder in bürgerlichen Vierteln sind gesund, in prekären Stadtvierteln sind es nur 10 bis 15 Prozent. Wenn wir uns anschauen, was für Gesundheitseinschränkungen das sind, dann finden wir dort chronische Krankheiten. Gut, das mag direkt armutsbezogen sein. Wir finden aber zum Beispiel auch Probleme durch mangelhaften Impfschutz. Wir haben hier eine Krankenversicherung, kein Mensch muss aus pekuniären Gründen seinen Kindern einen mangelhaften Impfschutz angedeihen lassen. Wir sehen ganz erheblich Probleme mit Überernährung, Übergewicht, Fehlernährung. Wir sehen motorische Defizite, weil die Kinder irgendwo vor dem Fernsehen geparkt werden.
Und wenn wir uns das weltweit anschauen, dann stellen wir fest, es gibt nun einmal arme Milieus, beispielsweise das Milieu der vietnamesischen Einwanderer in den USA, die viel weniger materielle Ressourcen zur Verfügung haben als der Durchschnitt, die aber so ausgeprägte Familienwerte haben und einen solchen kulturellen Zusammenhalt, dass sie ihre Kinder vor den Auswirkungen dieser Armut nachhaltig schützen. Die nachkommenden Generationen der vietnamesischen Einwanderer in den USA sind extrem erfolgreich. Ähnlich ist es im Übrigen in Europa bei dem Nachwuchs der Landwirte zu beobachten, die auch grundsätzlich weit weniger verdienen als der Durchschnitt, aber über hohe kulturelle Kompetenz dafür sorgen, dass aus ihrem Nachwuchs etwas wird.
Worauf ich hinaus will, ist, dass die Diskussion, wie viel Geld jetzt pro Kind ausgegeben wird, zu kurz greift. Kinder brauchen Bildung, Kinder brauchen einen kulturellen Background, und da reicht es nicht, wie es in Entwicklungsländern mit bestimmten Programmen gemacht wird, dass jedes Kind einen Laptop bekommt. So ein 100-Dollar-LaptopProgramm gibt es da in der Entwicklungshilfe. Es gibt in den skandinavischen Ländern die Überlegung, allen Kindern einen Gratis-PC und einen Gratis-Internetzugang bereitzustellen. Das reicht nicht. Wir müssen an den kulturellen Defiziten der Eltern ansetzen, die wir massiv in dieser Gesellschaft vorfinden. Wir haben Bildungsdefizite, wir haben soziale Defizite, und wir müssen das Thema Bildung viel ganzheitlicher betrachten, als wir das heute unter ökonomisierten Berufserfordernisgesichtspunkten tun. Armut ist nun einmal im Zweifelsfall auch eine kulturelle Armut und nicht nur eine finanzielle. Ich gebe zu, das finanzielle Element ist ein wichtiger Aspekt, aber er greift aus meiner Sicht viel zu kurz. – Vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Redebeitrag hat mich noch einmal dazu ermutigt, ein paar grundsätzliche Anmerkungen anzubringen, was das Menschenbild angeht, das hier beschrieben wurde. Wenn hier Kinderarmut mit kulturellen Defiziten erklärt wird oder wenn die Frak
tion der FDP in ihrem Antrag schreibt, dass Erziehungsberechtigte Geld zweckentfremden, oder die CDU sagt, Alleinerziehende bräuchten einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme, dann kann ich Ihnen nur sagen: Eltern, Mütter und Väter, wollen alle arbeiten, wollen alle ihre Familien ernähren.
Das Problem ist, sie haben schlechte Rahmenbedingungen und die staatlichen Leistungen und die Arbeitszeitmodelle erlauben es ihnen nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das Problem in diesem Land und das ist auch genau das, was ich vorhin meinte.
(Beifall – Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Alle 100- Prozent-Aussagen sind falsch! – Abgeordnete Vogt [DIE LINKE]: Warum gehen so viele trotz SGB II ar- beiten? Das Geld reicht nicht aus!)
Genau! Viele Alleinerziehende müssen aufstocken, weil das Einkommen aus Vollzeittätigkeit nicht ausreicht, um ihre Familie zu ernähren, weil die Arbeitszeitmodelle zum Beispiel in Schichtbetrieben im Einzelhandel nicht mit dem Modell der Einelternfamilie vereinbar sind.
Genau das sind die Probleme, mit denen wir es hier zu tun haben und zu denen von unserer Seite schon viele Vorschläge gemacht worden sind, wie man damit umgehen kann. Sie können gern unserem Antrag für 12,63 Euro Landesmindestlohn zustimmen, dann hätten wir unter anderem das Problem der Elternarmut teilweise beseitigt. Das ist natürlich ein Problem, Herr Kollege Möhle, dass Kinderarmut immer gleichzeitig die Elternarmut ist.
Ich glaube, wir sind diejenigen, die relativ viele Vorschläge machen, wie man Elternarmut beseitigen kann, wie man die staatliche Infrastruktur von Kitas et cetera so aufstellen kann, dass sie möglichst Armut auffangen und beseitigen. Wir würden uns freuen, wenn die ganzen Bekenntnisse, die Kinderarmut beseitigen zu wollen, dazu führen würden, dass diesen Vorschlägen zugestimmt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte noch einmal, damit es jetzt nicht so aussieht, als wäre das meine Meinung, die Bertelsmann-Stiftung zitieren. Die Bertelsmann-Stiftung ist, wie Sie wissen, nicht gerade bekannt dafür, linksradikal zu sein. Ich zitiere aus einer Studie von der Bertelsmann-Stiftung vom November 2018.
Die Studie heißt „Gegen Armut – Geld für Familien kommt bei Kindern an“, und darin steht: „Kinder profitieren von direkten staatlichen Geldtransfers. Entgegen bestehender Vorurteile werden diese so genannten Direktzahlungen von den Eltern in der Regel nicht zweckentfremdet“, liebe FDP, „sie werden vielmehr in größere Wohnungen, bessere Bildung, bessere Betreuung und in die Hobbys der Kinder investiert.“ Das zeigt, es ist erwiesen, dass Eltern das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, für die Kinder ausgeben. Es wird der Realität von Eltern und armen Kindern in diesem Land nicht gerecht, von Zweckentfremdung zu sprechen und ich finde das schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt komme ich einmal zur Koalition: Ich habe vorhin gesagt, wir sind uns alle einig, wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Wenn das Problem der grassierenden Kinderarmut, das wirklich ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem in dieser Gesellschaft ist, wenn dieses Problem seit Jahren beziehungsweise Jahrzehnten bekannt ist, wenn wir wissen, dass Bremen das Bundesland mit der höchsten Kinderarmut unter allen Bundesländern ist, wenn wir wissen, in Bremerhaven leben über 40 Prozent der Kinder in Armut, dann müssen wir im Tempo wirklich etwas zulegen, diese Armut beseitigen zu wollen. Wenn man das nicht tut, ist das fahrlässig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da muss ich sagen, dass mir Ihr Tempo nicht reicht und mir das Tempo des Senats auch nicht reicht.
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der sehr gut ausformuliert ist, den wir uns auch nicht im stillen Kämmerlein ausgedacht haben, sondern den wir in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten ausgearbeitet haben, wie dem Paritätischen Landesverband, der einen eigenen Vorschlag zur Erarbeitung einer Kindergrundsicherung erstellt hat.
(Abgeordneter Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Einen Vorschlag dem Bundesrat vorlegen, damit ist es noch nicht beschlossen!)
Ja, natürlich dem Bundesrat, weil man es auf Bundesebene erarbeiten muss. Sehr geehrter Herr Dr. Güldner, in der Vorlage steht – –.
Nein danke, ich möchte jetzt erst zu Ende sprechen, Sie können sich ja später noch melden. Die Beschlussvorlage der Deputation für Soziales, Jugend und Integration besagt: Wir lehnen ihren Antrag ab. Die Begründung dazu ist, man würde den Konsens zwischen den Ländern aufkündigen und es wäre im Bundesrat nicht mehrheitsfähig. Wenn man so ambitionslos an die Bekämpfung von Kinderarmut herangeht, dann erreicht man nie etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das, was die ASMK, die Arbeits- und Sozialministerkonferenz erarbeitet, ist ein so genanntes Teilhabegeld, das die bestehenden Leistungen auch wieder zusammenführt. Das heißt, wir bleiben im bestehenden System, das zum Beispiel auch Sanktionen enthält. Wir haben das im Dezember hier an dieser Stelle abgefragt. Allein im Bundesland Bremen wurden im letzten Jahr 1 636 Sanktionen gegen Haushalte mit Minderjährigen ausgesprochen.
Da haben wir doch ein Problem, denn das ist das Geld, das am Ende des Tages auch bei den Kindern fehlt. Da wünsche ich mir mehr Ambitionen, da wünsche ich mir mehr Entschiedenheit, dass Sie das System systematisch verändern und zu einer echten Kindergrundsicherung kommen, die genau diese Lücken und Sanktionen nicht mehr enthält, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Danke schön!