Protocol of the Session on January 23, 2019

(Beifall FDP)

Das mag daran liegen, dass wir in Bremen leider eine viel zu hohe Quote von Hartz-IV-Beziehern haben. Reden wir aber doch darüber, wie die Menschen es vermehrt schaffen, sich hinauszuarbeiten aus dem Hartz-IV-Bezug, wie sie durch Dazuverdienstmöglichkeiten, die wir dringend erhöhen müssen, mehr von dem haben, was sie leisten, wie sie lernen in dem System und wie sie auch Vorbilder sein können für andere, dass sie arbeiten und sich damit herausarbeiten und dann eine Existenz aufbauen können und sich aus dem Bezug von Arbeitslosengeld herauskämpfen.

Sprechen wir doch darüber, wie wir die Möglichkeiten schaffen, dass Alleinerziehende nicht nur wenige Stunden arbeiten und dann als Aufstocker unterwegs sein müssen, sondern die Möglichkeit haben, ganztags ihren Lebensunterhalt zu verdienen und damit auch Vorbild für ihre Kinder sein können. Die dann auch die Werte, die wir in der Gesellschaft haben, nämlich dass man schaut, wie man sich selbst versorgt, entsprechend vermitteln können. Das ist doch das, worauf wir setzen müssen und wo wir Möglichkeiten schaffen müssen.

Dann schauen wir doch, dass wir Belohnungen für diejenigen geben, die sich engagieren und dass wir

ein positives System haben. Wir müssen sicherlich diskutieren, wie wir das Existenzminimum für alle absichern. Wir diskutieren ja liberales Bürgergeld, Bürgergeldsysteme, nicht bedingungsloses Grundeinkommen bei uns, sondern schon immer noch mit dem Anspruch, dass wir als Staat eine Gegenleistung fordern, nämlich sich zu engagieren und einzubringen von denjenigen, die sich in der Gesellschaft einbringen können.

Wir schauen aber doch bitteschön hin, dass es möglich wird, dass Menschen diese Arbeitsmöglichkeiten bekommen und dass sie einen Leistungsgedanken für sich entwickeln. Der heißt auch, dass man dann Abstriche von dem macht, was man sich als Arbeit wünscht und so weiter.

Ich habe in meiner Arbeitslosigkeit auch erlebt, dass ich beraten wurde und mir deutlich gemacht wurde: Also eine nette Vorstellung, die wird sich im Zweifel nicht realisieren lassen. Das ist dann eben so, dass man dann Abstriche von dem Ganzen machen muss, was man sich gewünscht hat.

Das heißt aber nicht, dass es dann am Ende immer schlecht ausgehen muss, sondern man muss sich daran gewöhnen, dass man, wenn man etwas leistet, an der einen oder anderen Stelle einen anderen Weg nimmt und dort seine Zufriedenheit finden und sich in seinem Leben weiterentwickeln kann.

Es ist angesprochen worden, und das zu Recht, dass wir schauen müssen, wie wir das geschützte Vermögen für Menschen erhöhen, die für ihr Leben nach der Arbeitszeit, also nach der Berufstätigkeit, für ihre Rente etwas zurückgelegt haben. Ja, da müssen wir etwas tun, denn bei älteren Menschen ist es in der Vermittlung wirklich im Moment in Bremen nach wie vor schwer. In dem Bereich gibt es zu Recht Existenzängste. Aber schauen wir mehr, als dass wir darauf achten, wie wir mehr Menschen in Arbeit vermitteln können. Schauen wir, dass es mehr Menschen gibt, die vermitteln, und dass es mehr Menschen gibt, die dazu beitragen, dass wir hier Leute finden, die diese Menschen beschäftigen wollen.

Frau Grönert hat zu Recht darauf hingewiesen, welche finanziellen Möglichkeiten auch von der Bundesagentur für Arbeit gewährt werden, und wir haben doch auch die Möglichkeit, noch einmal zu schauen, wie wir weniger Bürokratie für die Menschen schaffen, die auf Hartz IV angewiesen sind, dass sie sich mit den Ämtern kürzer, knapper und zielführender sich austauschen können.

Am Ende bleibe ich dabei: Schaffen wir Möglichkeiten, dazuzuverdienen, damit man sich anstrengt, damit wir das Signal setzen, dass man sich anstrengen muss und dass sich Anstrengungen in dieser Gesellschaft lohnen. Denn wenn wir bedingungslose Grundeinkommen zahlen, wenn wir Hartz IV ohne Sanktionen gewähren, dann senden wir das Signal aus: Du brauchst dich nicht anzustrengen, es wird schon bezahlt. Das können wir nicht wollen in unserer Gesellschaft. Wir wollen ein soziales Netz für diejenigen, die aufgefangen werden müssen.

(Beifall FDP)

Über die Behinderten und Kranken habe ich gesprochen. Über die Wechselfälle des Lebens und Schicksalsschläge, Konkurse von Firmen et cetera kann ich sicherlich auch noch ergänzend sprechen. Wir wollen aber doch, dass die Menschen wieder aufstehen können, dass sie sich weiterentwickeln können. Dafür wollen wir ihnen Chancen bieten, und dafür sollten wir ihnen Chancen bieten.

Das muss das Ziel unserer Sozialpolitik sein und nicht die Frage, wie die Menschen mit ihrem Minimum gut abgesichert sind. Sondern wir müssen dafür sorgen, dass möglichst wenige von diesem Minimum überhaupt nur leben müssen, weil wir eine Gesellschaft wollen und schaffen können, in der mehr Menschen Arbeit haben, in der weniger Menschen auf das Existenzminimum angewiesen sind. Daran sollten wir arbeiten, und das muss unser Ziel in Bremen und Bremerhaven sein. – Danke!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Böschen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Tatsache, dass es Sanktionen gibt, bewirkt sehr Unterschiedliches in der Gesellschaft. Auf der einen Seite löst diese Vorstellung Druck und bei vielen sogar Angst aus, nämlich bei denjenigen, die in dem System sind und sich davon gegebenenfalls betroffen sehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Akzeptanz in der Gesellschaft.

Machen wir uns nichts vor: Es gibt eine Menge Menschen in unserer Gesellschaft, die durchaus der Meinung sind, dass auch sie unter einem sehr großen Druck stehen, dass auch sie an verschiedenen Stellen sanktioniert werden und dass, was

ihnen widerfährt, auch bei der Gruppe der Bezieherinnen und Bezieher Hartz IV greifen muss.

Dann muss man sich aber natürlich ansehen: Was will man mit einer Sanktion? Eine Sanktion ist aus meiner Sicht immer dann gerechtfertigt, wenn sie dazu beiträgt, Verhaltensveränderungen zu bewirken. Denn – es ist ja ausgeführt worden – wir wollen, dass die Menschen, die hier in diesem System sind, auch entsprechende Termintreue an den Tag legen, entsprechende Angebote annehmen oder sich auch selbst um eine existenzsichernde Beschäftigung kümmern.

Wenn wir uns aber ansehen, wen diese Sanktionen häufig treffen, stellen wir fest, dass hier eine Verhaltungsänderung nicht möglich ist, weil es oft die Schwächsten der Schwachen sind, die Ärmsten der Armen, die sanktioniert werden, während diejenigen, die sich als sogenannte „Sozialschmarotzerinnen oder -schmarotzer“ im System bewegen können, clever genug sind, nicht in die Situation zu kommen, sanktioniert zu werden. Das ist ein Problem.

Wenn wir aber von „Sozialschmarotzerinnen und – schmarotzern“, wie das hier getan wurde, reden, finde ich, sollten wir viel stärker den Blick auf diejenigen lenken, die aus meiner Sicht in sehr viel größerem Umfang der Gesellschaft, dem Staat schaden, indem sie Steuern hinterziehen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Ich würde gern noch einmal ein Stück in die Vergangenheit blicken. Als die damalige Sozialhilfe durch Hartz IV ersetzt wurde, sollte endlich Schluss mit diesen ganzen komplizierten Berechnungen für diejenigen sein, die Sozialtransfers zum Überleben brauchen. In der Pauschale von 424 Euro für Alleinstehende sollte möglichst alles abgebildet werden und zusätzlich werden die Kosten für Heizung und Wohnung übernommen. Das gibt unter dem Strich für eine alleinstehende Person circa 780 Euro im Monat.

Sie alle wissen, dass es viele Menschen gibt, die 40 Stunden arbeiten und keine 780 Euro netto haben, die ergänzende Leistungen benötigen und die häufig genau diese Erwartungshaltung an den Tag legen, dass es Sanktionen geben muss, die viel und hart arbeiten, so wie sie das empfinden, sich aber trotzdem dieser Situation aussetzen müssen, um mehr Geld zu erbitten. Das ist aus meiner Sicht eine ganz schwierige Situation.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das, was einmal als Vereinfachung gedacht war, ist heute überhaupt nicht mehr einfach. Das wissen wir auch alle. Das System treibt doch irre Blüten. Es ist so, dass früher einmal davon ausgegangen wurde, dass im Prinzip ein Fünftel aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jobcenter die Leistungsansprüche der mehr als 6 Millionen Empfängerinnen und Empfänger berechnen, bearbeiten. Heute sind es 50 Prozent der Beschäftigten. Das ist doch enorm!

Dieses System ist für die Beschäftigten im Jobcenter schwierig genug, keine Frage, aber es hat auch zur Folge, dass zwei von drei Bescheiden mehr als 20 Seiten umfassen, manche Monsterbescheide bis zu 200 Seiten. Die durchschnittliche Akte eines Hartz-IV-Empfängerhaushaltes ist circa 650 Seiten dick. Selbst für die Frage, welchen Zuschuss es gibt, wenn sich ein Haushalt mit einem elektrischen Boiler getrennt von der Heizung mit Warmwasser versorgt, existieren Regelkataloge, die dann auch noch spezifiziert sind je nach Alter der Kinder, weil man davon ausgeht, dass ein älteres Kind mehr Wasser verbraucht, öfter duscht als ein jüngeres Kind. Das ist absurd, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es verursacht einen irren Verwaltungsaufwand, das kann man eindeutig festhalten.

Nun aber zu den Mitwirkungspflichten und Sanktionen: Ich halte es für völlig richtig, dass Leistungsbezieherinnen und -bezieher zur Mitwirkung verpflichtet werden. Das bedeutet, dass sie die Termine wahrnehmen, dass sie im Prinzip den Programmen, den Projekten, die ihnen angeboten werden, folgen, dass sie in Maßnahmen gehen, dass sie sich selbst um einen neuen Job bemühen.

Das tun in der Regel fast alle, nämlich circa 96 Prozent werden nicht sanktioniert und machen genau das, was von ihnen erwartet wird. Aber wir haben tatsächlich bundesweit 3,4 Prozent, in Bremen sind es 3,1 Prozent der Leistungsempfängerinnen und empfänger, die in der Regel mehrmals Versäumnisse haben und sanktioniert werden.

Das ist glücklicherweise eine sehr kleine Gruppe, aber trotzdem ist es natürlich für die Betroffenen eine ungeheure Härte, wenn in diesem System auch noch Kürzungen vorgenommen werden und wenn diese Kürzungen tatsächlich auch noch in die

Wohnsituation eingreifen, wenn dadurch Obdachlosigkeit erzeugt wird oder eventuell sogar der Schutz der Krankenversicherung verlorengeht. Dort, finde ich, muss man tätig werden. Da gibt es kein Vertun.

(Beifall SPD)

Das ist selbstverständlich auch mitverantwortlich für ganz viele Ängste, Ressentiments gegenüber dem Jobcenter, die sich wiederum auch auf die Mitwirkungsbereitschaft vieler Menschen auswirken. Wenn ich nur aus Angst vor der Strafe irgendwo hingehe, das kann ich als Lehrerin durchaus nachvollziehen, ist meine Bereitschaft als Schülerin durchaus eine andere, als wenn ich das Gefühl habe, ich gehe in eine Institution, in der mir geholfen wird, in der man ein Interesse hat, mich aus dieser Situation herauszuholen.

Hier, finde ich, gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Sanktionen dürfen wirklich nur das allerletzte Mittel sein. Machen wir uns nichts vor: Oft genug sind selbst die Bescheide des Jobcenters durchaus fehlerhaft.

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Eben!)

Wenn Sie einmal so einen Bescheid gesehen haben, oder wenn Sie selbst Menschen begleiten, die im Kontakt mit dem Jobcenter stehen, werden Sie sehen, wie häufig hier zulasten von Menschen entschieden wurde, ohne dass die Menschen das tatsächlich verdient hätten, dass sie es verursacht hätten. Daran sind durchaus andere Schuld.

Ich halte die Grundentscheidung aus dem Jahr 2005 für eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik für völlig richtig. Arbeitslosigkeit darf nicht verwaltet werden. Menschen müssen aus der Arbeitslosigkeit herausgeholt werden. Dabei wird auf Eigenverantwortung gesetzt und es wird auch auf Mitwirkung gesetzt. Das, finde ich, ist durchaus richtig.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Über die Ausgestaltung dieser Mitwirkung muss man reden. Das tun wir auch. Die Überschrift der Aktuellen Stunden hier, Politik muss endlich handeln, ist völlig überflüssig, denn es gibt derzeit eine intensive Debatte, das ist hier auch von verschiedenen Rednerinnen und Rednern dargestellt worden.

Das Erste ist aus meiner Sicht die Arbeitsfähigkeit. Das, was Voraussetzung ist, dass Sie überhaupt zum Jobcenter kommen müssen, Termine einhalten müssen, sich eventuell qualifizieren müssen oder auch Jobs suchen müssen, ist, dass Sie drei Stunden am Tag arbeitsfähig sind.

Wenn wir uns die Menschen ansehen, die durch Sanktionen belangt werden, dann handelt es sich ganz häufig um Menschen, bei denen wir eigentlich der Meinung sind, ob die wirklich in der Lage sind, dem nachzukommen, da habe ich meine Zweifel. Ich bin nicht die Expertin. Machen wir uns nichts vor: Wenn wir davon abweichen, wissen wir sehr genau, dass das mit immensen Kosten für die Kommunen verbunden ist. Trotzdem haben wir einen Personenkreis im System, der hier auch ein Stück weit drangsaliert wird, ohne die eigentlich angemessene Unterstützung zu erhalten. Das muss geändert werden.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das fängt schon bei der Eingliederungsvereinbarung an. Diese Vereinbarung braucht eine Vertrauensbasis, in der tatsächlich die Möglichkeiten und Perspektiven der einzelnen Arbeitssuchenden im gegenseitigen Einverständnis eruiert und festgestellt werden.

Dann schauen wir einmal weiter auf die Maßnahmen der Jobcenter: Also im Moment sind sie alle hervorragend, aber ich kenne durchaus, und Sie alle wahrscheinlich auch, Beispiele, in denen noch ein Bewerbungstraining und noch ein Bewerbungstraining und irgendwelche Maßnahmen dazu geführt haben, dass Leute sich schikaniert und entwürdigt fühlen. Das kostet viel Geld und macht keinen Sinn.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Aus meiner Sicht ist es deutlich erfolgsversprechender, wenn man Anreize schafft. Menschen brauchen einen Anreiz, um aus Routinen und aus Situationen herauszukommen. Warum ist es nicht möglich, denjenigen, die eine Qualifizierung durchlaufen, etwas mehr zu zahlen als das, was sie gemeinhin bekommen? Das machen wir durchaus auch mit einem Ein-Euro-Job. Dort ist es möglich, bei Qualifizierungen ist es nicht möglich.

Warum kann man Menschen nicht darin unterstützen, dass sie sich vielleicht tatsächlich besondere Mühe mit Bewerbungen geben? Das ist bisher alles

nicht auf Bundesebene geregelt. Ich finde, hier besteht ein großer Veränderungsbedarf.