Protocol of the Session on December 13, 2018

Ich glaube, wenn wir den Erfolg unseres Sozialsystems bemessen wollen, dann kann man es nur daran bemessen, ob wir die Leute aus dem Transferleistungsbezug herausbekommen, in den Arbeitsmarkt integriert bekommen und ob wir der Tatsache Rechnung tragen, dass manche Leute eben weniger verdienen und auch nicht so viel abgeben können. Dies tun wir nicht richtig. Ich möchte jetzt nicht über Arbeitsmaßnahmen reden, sondern über die fiskalischen Probleme. Die Transferleistungsentzugsquote bei Geringverdienern ist abstrus. Jemand, der mit Frau und zwei Kindern von Hartz IV lebt, erhält das Gleiche wie ein Facharbeiter. Das kann so nicht sein.

(Beifall BIW – Zuruf Abgeordnete Böschen [SPD]: Weil die Löhne so schlecht sind, Herr Schäfer!)

Man könnte sich natürlich sehr gut über neue Systeme unterhalten. Ich kann das System mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nachvollziehen. Ich kann das mit dem Bürgergeld nachvollziehen. Ich kann auch Ihr Flat-Tax-System nachvollziehen. Wenn man einmal genauer hinschaut, stellt man fest, Sie reden alle von dem Gleichen. Sie nutzen

bloß unterschiedliche Bezeichnungen. Es geht dabei im Prinzip darum, einen prozentual angemessenen Teil seines Einkommens als Abgabe zu zahlen und eine Gutschrift im fixen Bereich zu erhalten, was als negative Einkommensteuer wirkt, wenn man gar nichts verdient, und für ein Auskommen reicht.

Das bekommen wir aber nicht hin. Wir bekommen so ein System nicht von heute auf morgen umgestellt, sondern wir müssen schauen, wie wir mit dem bisherigen System arbeiten und es verbessern können. Auch dabei, glaube ich, kann ein Blick über die Grenze helfen. Wenn man sich Österreich anschaut: Denen gelingt es, die Progression in einem Bereich des Niedriglohns zu mindern, in dem ja gar keine Einkommensteuer anfällt. Dort bekommen es die Österreicher beispielsweise mit der so genannten Negativsteuer hin. In Österreich ist die Negativsteuer im Wesentlichen eine Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge.

So etwas könnte eine Maßnahme sein, die hilft, diese Progressionsungerechtigkeiten im Niedriglohnsektor anzugehen und es auch attraktiver zu gestalten, aus Hartz IV heraus einen Job anzunehmen, weil das natürlich kein Job als Gehirnchirurg oder Fachingenieur sein wird, denn die Leute sind, wenn sie Hartz IV beziehen, in der Regel niedrig qualifiziert oder gar nicht qualifiziert. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die sehr hohe Einkommen erzielen werden.

Wie bekommen wir es aber hin, dass diese Menschen von ihrem Einkommen eine anständige Summe behalten können und dann substantiell besser dastehen als im Transferleistungsbezug. Wenn wir das hinbekommen, werden wir es schaffen, dass wir mehr Leute in Arbeit bekommen und dann werden wir es unter dem Strich auch schaffen, dass wir die Sozialleistungsquote von 30 Prozent gesenkt bekommen. Wenn wir die auch nur auf 28 Prozent kommen, dann haben wir schon wieder zwei Prozent des BIP, die wir für Bildung, für Straßenbau, für Brückenbau und weiteres ausgeben können. Da fallen einem noch eine ganze Menge anderer Bereiche ein.

Ich glaube, insgesamt ist es fraktionsübergreifend Konsens, dass unser System Mängel hat, aber unsere Fraktionsdisziplin und unsere eigene Terminologie verhindern, dass wir zueinanderkommen und konstruktiv an einer Reform arbeiten. Ich sehe eigentlich keinen parteiübergreifenden Ansatz hinsichtlich einer solchen Reform.

Vielleicht klären Sie mich aber ja auf. Vielleicht weiß ich das auch nur nicht. Ich glaube aber, das wäre notwendig. Ich glaube, dass wir hier an einem Strang ziehen müssen, um zu verhindern, dass unser schwerfälliges Sozialleistungssystem am Ende an sich selbst zugrunde geht, weil es einfach nicht mehr finanzierbar ist und weil es Ungerechtigkeiten beinhaltet – auch für diejenigen, die in Deutschland die höchsten Abgaben auf der ganzen Welt schultern müssen. – Vielen Dank!

(Beifall BIW)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Ich finde die Debatte sehr interessant. – Herr Möhle möchte auch noch reden.

Herr Möhle kann nach Ihnen selbstverständlich das Wort zu einer Kurzintervention erhalten.

Vielleicht bietet meine Rede ja auch noch einmal Anlass zur Kurzintervention. Ich fand es sehr interessant, eben die verschiedenen Denkmodelle zu hören zum Thema, wie wichtig Arbeit eigentlich in unserer Gesellschaft ist. Arbeit dient dem Gelderwerb, aber über Arbeit realisieren sich Menschen ja auch und verwirklichen sich selbst. Ich glaube, wenn man sich einmal andere Länder anschaut: Butan bemisst nicht nur das Geld, sondern Butan bewertet auch den Faktor Glück im Leben.

Ich glaube, diese Debatte, hat jetzt auch durch Robert Habeck noch einmal an Fahrt aufgenommen. Auch aus der SPD ist die Diskussion mit angestoßen worden und auch andere haben sich zu Wort gemeldet. Ich glaube, das Abschiedslied auf Hartz IV ist gesungen. Ob es nun Grundsicherung heißt, Bürgergeld, Sozialgeld, Grundgeld oder Garantiesystem wird sich dann noch zeigen.

Wir brauchen ein neues staatliches Garantiesystem und auch die Zeit ist über Hartz IV hinweggegangen. Wir Grünen, Karoline Linnert und ich, haben uns damals bei der Einführung von Hartz IV ganz klar gegen Hartz IV positioniert, weil es ein Wahnsinnsunterfangen war und viele Menschen schnell Ansprüche verloren haben. Nach 18 Monaten war man schon am unteren Ende und die Anrechnung von Vermögen ist sehr schnell eingetreten.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass mit der Einführung dieser Regelung, die Menschen, die Arbeitslosenhilfe bezogen, erstmals Ansprüche auf Weiterbildung und Fortbildung bekommen haben. Das darf man auch nicht vergessen. Es sind auch Verbesserungen mit dem System gekommen. Ich halte es auch nicht für schlecht, dass es eine Behörde gibt, die alles aus einer Hand bearbeitet. Aber auch darüber wird man in Zukunft diskutieren müssen, denn es gibt Modelle, die fordern, aus der einen Hand sollen die Leistungen gezahlt werden und aus der anderen Hand soll vermittelt werden. Dafür spricht auch einiges.

Bei den Grünen läuft die Debatte über das Thema Garantiesicherung auf Hochtouren. Frau GörgüPhilipp hat das soeben dargestellt. Aber zu sagen – Frau Wendland, ich weiß nicht wo Sie waren – hier sei in den letzten Jahren nichts passiert? Hier ist nicht zu wenig passiert. Wir haben mit dem Bauprogramm des Senats in Bremen bezahlbaren Wohnraum geschaffen. Wir haben staatliche Leistungen ausgebaut. Wir haben regelrechte Teilhabepakete geschnürt. Wir haben Kommissionen eingesetzt. Wir haben eine parlamentarische Anhörung zur Kindergrundsicherung durchgeführt. Sich also hier hinzustellen und zu behaupten, dieser Senat und dieses Parlament hätten zu wenig unternommen, um sich mit dem Thema Armut, Existenzsicherung und Grundsicherung zu beschäftigen, finde ich wirklich sehr verwegen und falsch.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich weiß gar nicht, ob ich das sagen soll, aber als Einzelabgeordnete zu denken, man erreicht mehr als in einer Fraktion, finde ich genauso verwegen. Wo kann man eigentlich als Abgeordneter mehr erreichen, als sich wenn man sich Fraktionen anschließt und parlamentarische Mehrheiten bildet, um politische Ziele zu verwirklichen? Ich habe Ihren Punkt nicht so richtig verstanden, dem Senat vorzuwerfen – –. Wir bekommen ja heute auch noch einmal den Auftrag, das zu tun, was wir in den letzten Jahren massiv getan haben, uns dafür einzusetzen, Sanktionen abzuschaffen und das Existenzminimum neu zu berechnen. Ich habe hier vier Seiten mit Bundesratsinitiativen in der Hand, die der Bremer Senat ergriffen hat, um an diesem Ziel zu arbeiten. Wir werden das weiterhin tun. Wir haben weitere Anträge im Bundesrat laufen. Aber ich glaube, man kann sich hier nicht hinstellen und behaupten, dass der Senat an diesem Thema nicht gearbeitet hat.

Im Gegenteil: Ich stand als Sozialsenatorin in mehreren Debatten hier und sagte: Hartz IV ist zu niedrig berechnet, das ist auch vom Gericht festgestellt worden, und wir brauchen eine Neuberechnung. Wir sind jetzt auf Bundesebene dabei, uns mit 16 Bundesländern zum Thema Kindergrundsicherung zu verständigen. Das ist hoch komplex. Es ist hoch umstritten. Aber wir haben es jetzt geschafft, eine gemeinsame Erklärung auf der ASMK auf den Weg zu bringen, zu der nur Bayern noch eine Protokollerklärung abgegeben hat.

Es ist an der Zeit, dass wir die Familien von Transferleistungen unabhängig machen – Herr Schäfer hat es angesprochen – die auf diese angewiesen sind, weil Kinder das Armutsrisiko darstellen. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung in Deutschland. Es ist längst an der Zeit, dass diese eingeführt wird. Wir brauchen auf Bundesebene, so wie es eine Rentenkommission gibt, auch eine Kommission, die sich fachübergreifend zum Thema Kindergrundsicherung an einen Tisch setzt. Davon sind sehr viele Rechtskreise betroffen.

Wir hatten, bei Temperaturen von 40 Grad, eine sehr spannende parlamentarische Anhörung in der Handelskammer. Dort hätte ich mir noch den einen oder anderen Abgeordneten mehr gewünscht, der an dieser Debatte teilnimmt, weil das auch für das Bundesland Bremen eine ganz entscheidende Frage ist. Einige waren dort, aber ich hätte mir bei dem hochrangigen Vortragspublikum noch mehr Abgeordnete gewünscht. Wenn wir aufgefordert werden, eine parlamentarische Anhörung durchzuführen, ist es auch wünschenswert, dass deutlich mehr Abgeordnete an solchen Anhörungen teilnehmen. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen.

Der Senat nimmt den Auftrag aus dem rot-grünen Antrag gerne an und wird sich weiterhin im Bundesrat dafür einsetzen. Diese Debatte wird uns mit Sicherheit wieder hier, in der Bremischen Bürgerschaft, erreichen. – Dankeschön!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Nun hat der Abgeordnete Möhle das Wort für eine Kurzintervention.

Herr Präsident! Ich wollte noch einmal darauf hinweisen, dass der Kern dieses Antrags ist, ausschließlich das Existenzminimum abzusichern. Ich wollte an dieser Stelle keine Debatte über das gesamte Sozialsystem führen,

weil das mindestens eineinhalb bis zwei Jahre dauert, bis man das reformiert hat. Diese Existenzsicherung ist aber relativ zügig herstellbar, das wollte ich gerade Herrn Dr. Buhlert noch einmal sagen.

Der zweite Punkt, den ich nicht in Ordnung finde, ist, dass hier nach wie vor ein Subtext transportiert wird, als seien die Arbeitslosen an ihrem Schicksal selbst schuld und als müssten sie nur ordentlich drangsaliert werden, um arbeiten zu gehen. Das Problem ist, dass die Arbeitsplätze nicht da sind. Das ist das Problem.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Das wollen Sie von der CDU und auch von der FDP einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Jedwede Sanktion hat noch keinen einzigen Menschen zusätzlich in Arbeit gebracht. Das ist völliger Unsinn.

(Unruhe – Beifall SPD, DIE LINKE)

Der letzte Punkt, das wollte ich zu Herrn Schäfer sagen: Die Frage nach dem Erfolg unseres Sozialsystems so zu stellen, als wenn es nicht funktioniert, weil viele Sozialhilfe bekommen – –. Der Erfolg liegt einfach darin, dass die Menschen nicht elend auf der Straße sterben, –

(Zurufe CDU, FDP)

sondern dass selbst diejenigen, die sozial geschwächt sind, hier noch eine Chance haben. Und das ist Erfolg einer Sozialpolitik und nicht nach dem Motto: Wir lassen das einmal alles so laufen und schauen, wohin es führt. Die war unterirdisch, Ihre Bemerkung zum Erfolg unserer Sozialpolitik. Das ärgert mich tatsächlich maßlos.

(Beifall SPD)

Ich gebe das Wort an den Abgeordneten Dr. Buhlert für eine persönliche Erklärung.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe mich gemeldet, weil ich den Anwurf, so will ich es einmal nennen, von Herrn Möhle zurückweisen möchte, denn ich habe niemandem unterstellt, dass es so ist, dass hier faule Menschen unterwegs seien. Aber ich habe gesagt, dass es notwendig ist, dass wir das Sanktionssystem brauchen, auch weil es für ein Gerechtigkeitsempfinden derjenigen nötig ist, die arbeiten und die das finanzieren müssen.

(Beifall FDP, BIW)

Ansonsten weiß auch ich und wissen auch wir Freien Demokraten, dass es bei der Arbeitsmarktsituation in Bremen besonders schwierig ist. Sozialdemokraten haben vielleicht auch dazu beigetragen, dass es besonders schwierig ist.

(Beifall FDP, BIW)

Aber wir sorgen doch bitte schön alle zusammen dafür, dass es ausreichend Arbeitsplätze für Menschen gibt, damit sie ihr Existenzminimum und – die Senatorin hat zu Recht darauf hingewiesen – auch ihr Leben gestalten können, und das wollen wir doch alle zusammen. Dafür brauchen wir ein Transfersystem, dabei bleibe ich, das dafür sorgt, dass es Anreize gibt, dass man auch arbeiten mag. – Danke!

(Beifall FDP, BIW)

Zur Geschäftsordnung! So eine Hin-und-Her-Rede geht jetzt nicht, Frau Vogt. In Ordnung? Liebe Frau Kollegin, es gibt noch so viele Gelegenheiten, zu denen Sie reden können.

Meine Damen und Herren, wir nähern uns dem Ende unserer heutigen Sitzung, aber dieser Tagesordnungspunkt ist jetzt abgeschlossen.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Gemäß § 51 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung lasse ich zunächst über den Änderungsantrag, Drucksache 19/1945, Neufassung der Drucksache 19/1905, der Fraktion DIE LINKE abstimmen.

Wer dem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Abgeordneter Patrick Öztürk [SPD, fraktionslos], Abgeordnete Wendland [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!