Protocol of the Session on September 27, 2018

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir reden über ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft. Der Strafvollzug darf nicht ein Schattendasein im Strafrecht, im Strafprozessrecht haben, sondern ist quasi der zweite Teil, nachdem es zu einer Verurteilung gekommen ist. Man muss anschließend genauso ernst genommen werden, wenn wir Prävention und Resozialisierung ernst nehmen wollen.

Es stellt sich auch die Frage, wieviel uns dies finanziell wert ist. Wieviel wollen wir finanziell in die Präventionsarbeit, in die Resozialisierungsarbeit investieren. Wir müssen die Angebote für die einzelnen Häftlinge im Rahmen eines Vollzugsplans sorgfältig erarbeiten. Zwar kann niemand zu seinem Glück gezwungen werden, aber die Angebote und ein gewisser freiwilliger Druck müssten schon vorhanden sein, um zu verhindern, dass straffällig Gewordene in eine Spirale hineinkommen: hinein in die Haftanstalt und in einigen Jahren, nachdem man aus der Haftanstalt entlassen worden ist, wieder in die Haftanstalt zurück.

(Beifall FDP)

Es sind über 60 Fragen gestellt worden, die kann man jetzt in fünf Minuten nicht beantworten. Ich will drei, vier, fünf Punkte hervorheben, die uns wichtig sind. Das Erste, das mir aufgefallen ist: Warum werden in Bremen 20 bis 40 Euro weniger pro Tag im Strafvollzug ausgegeben im Vergleich mit Niedersachsen oder Hamburg. Hat dies eine wesentliche Auswirkung? Woran liegt das? Das würde mich interessieren.

Das Zweite, das in der Beantwortung der Fragen auffällt, ist, dass die Personen im Strafvollzug nicht nur mehr geworden sind, sondern komplexere Herkünfte und auch komplexere persönliche Probleme haben. Da kann man nur Hochachtung vor den Mitarbeitern im Strafvollzug haben, dass sie sich diesen Aufgaben widmen. Es kommt darauf an, dass wir die Ausbildung für die Mitarbeiter im Strafvollzug verbessern und dabei auf die neuen Probleme, die der Strafvollzug mit sich bringt, eingehen.

(Beifall FDP)

Ich gehe einmal davon aus, dass wir in diesem Zusammenhang auch mehr Personal brauchen, gerade um auch die sehr hohen Krankenstände, die offenbar durch eine Überbeanspruchung hervorgerufen worden sind, abzubauen.

Das Dritte, das auffällt und wo nach meiner Auffassung Verbesserungsbedarf besteht, ist die Ausbildung. Es sind zwar um die 60 Prozent in der Ausbildung. Eine Vollausbildung sieht die Bremische Haftanstalt nicht vor. Hier, glaube ich, müssen wir noch mehr den Finger in die Wunde legen und schauen, wie wir die Ausbildungsmöglichkeiten verbessern können, denn eine qualifizierte Ausbildung bietet die Möglichkeit, nach der Haftentlassung wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Möglicherweise könnte man dabei auch eine Teilprivatisierung ins Auge fassen. Hier sehe ich noch Handlungsbedarf.

Der vierte große Problemkreis ist die hohe Suchtproblematik in der Haftanstalt. Mehr als 100 Personen von 600 sind von der Suchtproblematik betroffen. Von daher gibt es erhebliche Schwierigkeiten, in der Kürze der Haftdauer Erfolge zu erzielen. Was auffällt, ist: Warum gibt es nur 18 begleitete medizinische Entgiftungen? Wäre es hier nicht möglich, im Rahmen eines Vollzugsplanes diese begleiteten medizinischen Entgiftungen zu erhöhen?

(Beifall FDP)

Weiter fällt unter der Rubrik „sonstige Drogen“, also nicht Cannabis, Heroin, Kokain auf, dass – es wurde schon angesprochen – neue psychoaktive Substanzen in der Haftanstalt im Umlauf sind. Sie werden nicht festgestellt, nicht nur weil das schwierig ist, sondern nach unserer Kenntnis auch, weil ein entsprechender Test nicht ganz preiswert ist. Er soll um die 800 Euro kosten. Hier stellt sich die Frage, ob man sich das antun will, obl man diesen finanziellen Aufwand betreiben will, um Umgehungsmöglichkeiten mit diesen Psychosubstanzen auszuräumen. Das wäre auch eine Überlegung, die man mit einbeziehen muss. Ob wir diesen Weg gehen wollen.

Dann ist etwas zur Strafverfolgung gesagt worden.

(Glocke)

Ist das jetzt an mich gerichtet?

(Heiterkeit – Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Man könnte fragen, an wen sonst!)

Ich dachte, die Leute sollen ruhiger sein.

(Heiterkeit)

Dann komme ich halt zum Schluss. Die Ausbildung zu verbessern und bei der Suchttherapie mehr Anstrengungen zu unternehmen, sind die einzigen Möglichkeiten die ich sehe, die zum Erfolg führen können. Wir können niemanden zu seinem Glück zwingen, aber diese Angebote an die Häftlinge sollten wir unterbreiten und es nicht bei der Beschreibung des Status Quo belassen. Wir brauchen weitere Resozialisierungsimpulse, die sich aus der Beantwortung des Senats noch nicht ergeben. – Dankeschön!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Schulz.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt zum Schluss auch noch der Senat! Ich weiß, dass Sie eigentlich alle gerne nach Hause möchten. Dass man zum Schluss unter Zeitdruck steht ist, wie ich meine, ein bisschen misslich bei diesem sehr ernsten Thema. Ich versuche, weil ich hier einen ausformulierten Redetext habe, ein bisschen Zeit aufzuholen.

Mit der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen liegen Ihnen nun zahlreichen Zahlen, Daten und Fakten zum Bremischen Justizvollzug vor. Dahinter verbirgt sich ein Vollzugsniveau, das sich sehen lassen kann. Nur als kleine Einfügung: Heute hatte ich die Freude, eine serbische Delegation zu begrüßen, die sich hier in Bremen den Justizvollzug angeschaut hat, weil in Serbien auch eine Vielzahl an Reformvorhaben auf den Weg gebracht werden. Man muss wissen, dass das in Serbien nicht unkritisch ist. Die Delegation, die heute bei uns in Bremen ist, ist Teil eines Projekts, das über die EU gefördert wird, aber so ganz klar und eindeutig sie auch sind, die Werte, die wir in der EU vertreten, werden mittlerweile auch in diesem Land hinterfragt. Es gibt auch andere Tendenzen. Von daher finde ich es wirklich sehr spannend, wenn die Menschen hier sind und den Bremischen Strafvollzug als ein Praxisbeispiel für einen gelungenen Strafvollzug mitnehmen können.

(Beifall SPD)

Es sind aber auch die aktuellen Herausforderungen im Justizvollzug, beispielsweise sei die aktuelle Belegungsentwicklung genannt. Tagesaktuell haben wir 652 Insassen in der JVA, einen hohen Ausländer- und Migrantenanteil, der auch schon erwähnt worden ist, eine Anzahl drogenabhängige und therapiebedürftige sowie psychisch auffällige Gefangene. Zu den aktuellen Herausforderungen gehört auch der Ersatzfreiheitsstrafvollzug. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist in den Fällen ein nach unserer Auffassung unverzichtbares Instrument der strafrechtlichen Sanktionssysteme, in denen es darum geht, die Strafandrohung bei Zahlungsunwilligkeit durchzusetzen. Die problematischen Konsequenzen des Ersatzfreiheitsstrafvollzugs sind nicht zu bestreiten. Sie ergeben sich vor allem aus der kurzen Dauer dieses Vollzugs, die eine auf Resozialisierung ausgerichtete Freiheitsstrafe erschwert. Der Senat finanziert deshalb nicht nur eine Reihe von Projekten zur Haftvermeidung, mit dem anstaltsinternen Projekt „Reduzierung von Ersatzfreiheitsstrafen im Strafvollzug“ haben wir auch ein aus Justizmitteln finanziertes Projekt der Haftverkürzung, das wiederum Haftplätze schafft.

Der politisch oder religiös motivierte Extremismus ist auch ein Thema in der Gefangenengesellschaft, der Gefängnisgesellschaft. Im Bremischen Justizvollzug werden derzeit Maßnahmen zur Früherkennung sowie spezifische Deradikalisierungsansätze weiterentwickelt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult. Auch insoweit ein kleiner Einschub: Wir haben eine viel beachtete und hochkarätig besuchte Veranstaltung in der Landesvertretung Bremens in Berlin zu dem Thema „Radikalisierung im Strafvollzug“ durchgeführt. Auch hier werden wir wahrgenommen als ein Land, das sich diesen Themen sehr wohl stellt. Wie gesagt, die wirklich gute Resonanz und vor allem auch die Qualität der Redner zeigt, dass wir von außen wohlwollend beobachtet werden.

Resozialisierung ist Prävention und Hilfe zum Ausstieg. Mit Blick auf Vollzugs- und Vollstreckungsentscheidungen kommt der Analyse des Haftverhaltens eine besondere Bedeutung zu. Das Haftverhalten ist aber nur bedingt Indikator für eine generelle Verhaltensbereitschaft. In der Haft eintretende Veränderungen dürfen ohne einen Blick auf früheres Verhalten in Freiheit nicht umstandslos als tragfähig für ein zukünftiges Leben in Freiheit angesehen werden. Der Bereich der politisch oder religiös extremistischen Gefangenen gilt bisher zwar

als wenig erforscht. Der Justizvollzug steht hier aber bereits in einem länderübergreifenden internationalen Austausch. Das Sicherheitskonzept der Justizvollzugsanstalt Bremen ist mit Blick auf extremistische Gefangene bereits überarbeitet worden.

Ein ganz wesentlicher Wirkfaktor für einen heute und morgen humanen und erfolgreichen Justizvollzug sind die im Vollzug tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier will ich das Rückgrat der Beamtenschaft, den allgemeinen Vollzugsdienst, hervorheben. Sie haben nicht nur den häufigsten Kontakt mit den Gefangenen, sondern unterziehen sich ihr gesamtes Berufsleben lang der Aufgabe, mit den übrigen Beamten den Gefangenen zu helfen, den Wert ihres Lebens zu erkennen und daraus die Folgerungen zu ziehen. Als Ansprechpartner und Gestalter wirken sie aktiv an dem Ziel mit, dass die Gefangenen zukünftig ein Leben ohne Straftaten führen und soziale Verantwortung übernehmen. Sie leisten daher einen besonders wertvollen Dienst für unser Gemeinwesen. Die Beamten des Justizvollzugs tragen nicht nur buchstäblich den Schlüssel bei sich, sie sind der Schlüssel für die Institution Strafvollzug.

(Beifall SPD, FDP)

Hierfür gebührt ihnen Dank und Anerkennung!

Dank und Anerkennung dürfen aber keine leeren Worte bleiben. Sie müssen sich in einer guten sachlichen und personellen Ausstattung des Justizvollzugs widerspiegeln. Nur so kann die Justiz in Zeiten des demographischen Wandels junge Menschen dafür begeistern, sich mit ihrem Talent, Engagement und ihren Fähigkeiten in der dritten Gewalt einzubringen. In der Justizvollzugsanstalt Bremen haben wir mit der Ausweitung des Personals bereits begonnen. Perspektivisch wollen wir den allgemeinen Vollzugsdienst auf 260 Kolleginnen und Kollegen ausbauen, um auch angesichts der neuen Herausforderungen einen leistungsstarken Strafvollzug gewährleisten zu können. Aufgrund ihrer anspruchsvollen Ausbildung und Arbeit und weil der Schutz der Gesellschaft eben gerade nicht mit der Festnahme eines Verdächtigen endet, erscheint mir auch die Forderung nach einer Eingangsbesoldung A8 als durchaus angemessen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Festzuhalten bleibt, dass angesichts der aktuellen Herausforderungen die Durchführung des Vollzugs nicht einfach ist. Der Bremische Justizvollzug verfolgt das vorrangige Ziel der Rückfallverhinderung durch Resozialisierung. Dafür müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dem Personal und vor allen Dingen dem allgemeinen Vollzugsdienst kommt also in der Zukunft im doppelten Wortsinn der Bedeutung eine Schlüsselfigur zu. Soweit zu dem Thema Strafvollzug.

Nun noch ein paar Anmerkungen zum Thema Drogen im Strafvollzug: Die bundeseinheitliche Erhebung der stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug liefert erstmals verlässliche Zahlen zur suchtmittelbezogenen Belastungsquote sowie zur Suchtbehandlung im Bremischen Justizvollzug. Neben der stichtagsbezogenen Erfassung von zielgruppenspezifischen Behandlungsbedarfen erlaubt die Jahresverlaufserhebung auch einen Überblick über den diesbezüglichen Versorgungsgrad im Bremischen Justizvollzug.

Diejenigen opiatabhängigen Gefangenen, bei denen derzeit eine ärztliche Indikation besteht und eine Behandlung verantwortbar ist, werden substituiert. So lautet eines der Ergebnisse der Landeserhebung. Um die Landesergebnisse richtig einordnen zu können, hilft der ländervergleichende Blick. Sobald die entsprechenden Länderergebnisse der hierzu eingesetzten länderübergreifenden Arbeitsgruppe zusammengestellt sind, wird ein entsprechender Vergleich mit den Bundeszahlen möglich sein. Die drogenspezifische Versorgung im Bremischen Justizvollzug ist, so lässt es sich bereits jetzt erkennen, gut aufgestellt. Nach der ärztlichen Feststellung einer Suchterkrankung stehen den Gefangenen die medizinisch gebotenen Behandlungsverfahren einschließlich einer Entgiftung und Substitutionsbehandlung im Vollzug zur Verfügung. Eine therapeutische Suchtentwöhnungsbehandlung analog der Behandlung in externen Suchttherapieeinrichtungen findet jedoch in der JVA Bremen nicht statt. Die Gefangenen werden aber weiterführend beraten und gegebenenfalls in vollzugsinterne abstinenzorientierte und therapievorbereitende Maßnahmen integriert.

Der Sozialdienst im Justizvollzug vermittelt auch eine externe suchttherapeutische Maßnahme auf der Grundlage des § 35 Betäubungsmittelgesetz. Es gibt jedoch Inhaftierte mit Suchtproblemen, die durch die Möglichkeit der Zurückstellung nach § 35 BtMG nicht erreicht werden können. Nach

vielen Jahren der Strafhaft oder in Erziehungskliniken leben sie in sozialer Randständigkeit. Hier sind wir nach wie vor gefordert, besondere Maßnahmen zu entwickeln und auf die einzelnen Personen zuzuschneiden. Neben der Behandlung und Vermittlung in Nachsorgeeinrichtungen wird aber auch ganz besonderer Wert auf die Abwehr des Einschmuggelns von Drogen in die JVA Bremen gelegt. Es finden laufend Durchsuchungen und Haftraumkontrollen statt, wobei auch der vollzugseigene Drogenspürhund zum Einsatz kommt. In der Vollzugspraxis gibt es jedoch Probleme mit Räuchermischungen, so genannten Legal Highs, deren Konsum ebenso wie synthetische Cannabinoide Spices, mit Urintests nur schwer nachweisbar sind. Schließlich wird auch der Drogenkonsum von Gefangenen im Bremischen Justizvollzug konsequent – das ist vorhin ausgeführt, zum Teil auch kritisiert worden – disziplinarisch geahndet. Auch geringste Fälle von Drogenbesitz und Drogenhandel werden angezeigt und strafrechtlich verfolgt.

Festzuhalten ist, dass die Bekämpfung von Rauschmittelkonsum und Drogendelinquenz nicht allein einer rein repressiven Reaktionsstrategie überlassen sein darf. Behandlung und Sicherheit schließen sich eben nicht aus, sie sind vielmehr als die beiden Pole eines Kontinuums zu verstehen. Mit der jährlichen Erhebung zur stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug wird es künftig möglich sein, die Entwicklung und den Versorgungsgrad im Justizvollzug mit den Vorjahreserhebungen zu vergleichen. Die Evaluierung der Praxis vor Ort schafft damit die empirischen Grundlagen für eine bedarfsgerechte Vollzugsgestaltung, an der uns angesichts der Auswirkungen des Drogenkonsums im Justizvollzug sehr gelegen ist.

Soweit die Haltung des Senats. Ich freue mich auf weitere fachpolitische Diskussionen im Rechtsausschuss. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von den Antworten des Senats Drucksachen-Nummer 19/1757 und 19/1758 auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.Ich bedanke mich für den heutigen Tag. Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen, sofern Sie nicht noch