Protocol of the Session on March 14, 2018

Über welches Thema reden wir eigentlich in der Sache? Der Familiennachzug ist neben den 500 Resettlementplätzen in der Bundesrepublik der einzige legale Fluchtweg. Männer, aber vor allen Dingen Frauen und Kinder, müssen ansonsten ihr Leben riskieren. Diejenigen, die es nach Deutschland geschafft haben, müssen sich um ihre Angehörigen sorgen, um ihre körperliche Unversehrtheit, um ihr Leben und um ihr Wohl. Die Integration ist nicht möglich, wenn man sich Sorgen machen muss, ob die eigenen Familienangehörigen in der Türkei überleben können oder ob sie in Griechenland in der Isolation leben können. Es ist scheinheilig und zynisch die Integration zu fordern und gleichzeitig den Menschen ihr Recht auf Familie zu verweigern.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Über wie viele Personen reden wir eigentlich? Die Anzahl der Berechtigten liegt zwischen 44 000 und 70 000 Menschen. Das sind Berechnungen von Experten nach dem sogenannten Nachzugsfaktor, andere Berechnungen gehen von bis zu 180 000 Personen aus. Fast alle Berechnungen gehen aber von maximal 60 000 Menschen aus. Das wären für Bremen 600 Personen. Ich muss Sie, glaube ich, nicht daran erinnern, dass im Augenblick in Bremen 600 Plätze in Wohnheimen abgebaut werden.

Die Populisten haben Panikmache mit anderen Zahlen betrieben. Die AfD hat im Wahlkampf von weiteren zwei Millionen Migranten ab dem Jahr 2018 gesprochen. Horst Seehofer

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Der Heimatmuseums-Minister!)

sprach während der Jamaika-Sondierungen von Hunderttausenden. Der CDU-Innenminister von Sachsen-Anhalt Stahlknecht sagte, es könnten noch bis zu 800 000 Menschen kommen. Thomas de Maizière sprach von einer gewaltigen Zahl.

Die Zahl der Nachzugsberechtigten wurde in der Debatte auf diese Weise künstlich hochgerechnet, gleichzeitig wurde die Zahl der subsidiär Schutzberechtigten künstlich hochgetrieben. Im Jahr 2015 – ich habe das eben erwähnt, als der Kretschmann-Deal abgeschlossen worden ist – waren 1 707 subsidiär Schutzberechtigte in der gesamten Bundesrepublik vorhanden. Im Jahr 2016 waren es 153 700 subsidiär Schutzberechtigte.

(Unruhe CDU)

Es kann ja sein, dass Sie das Thema nicht interessiert, aber es ist sehr laut.

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Ich versuche, die CDU zu überzeugen, Frau Le- onidakis!)

Ich glaube, dafür reicht das hier nicht!

Es ist bemerkenswert, dass sich die Anzahl der subsidiär Schutzberechtigten fast verhundertfacht hat, sobald der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt wurde. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Die GroKo hat das Recht auf Familie auf 1 000 Personen kontingentiert. Das bedeutet, dass bei angenommenen 60 000 Nachzugsberechtigten alle Familien erst in fünf Jahren wieder vereint sein werden. Mit der bereits seit zwei Jahren andauernden Aussetzung waren die letzten Familien dann sieben Jahre getrennt. Das ist eine absolute Zumutung. Das ist ein Integrationshemmnis und eine Gefährdung von Menschenleben.

(Beifall DIE LINKE)

Machen wir uns doch nichts vor, diese Menschen werden, wenn sie irgendwie können, nicht solange warten. Sie werden sich in die Hände von Schleusern begeben und ihr Leben aufs Spiel setzen. Dies weitere Schließen des letzten legalen Fluchtwegs verschafft den Schleusern erst die Geschäftsgrundlage, und es passt einfach nicht zusammen, wenn man dann über Menschenhandel und Schleusertum schimpft, wenn man ihnen gleichzeitig die Geschäftsgrundlage verschafft.

Die schändliche Aussetzung des Familiennachzugs ist bereits am 1. Februar 2018 im Bundestag beschlossen worden, am 2. März folgte der Beschluss im Bundesrat. Im Bundesrat hat Schleswig-Holstein einen Antrag zur Anrufung des Vermittlungsausschusses gestellt, um geringfügige Verbesserung zu erreichen. An diesem Punkt muss ich den Senat kritisieren, denn selbst für diesen Antrag, geringfügige Verbesserungen im Vermittlungsausschuss nachverhandeln zu können, konnte der Senat nicht stimmen.

Das ist aus meiner Sicht eine moralische Bankrotterklärung, die ich bedaure, und andere werden sie mit ihrem Leben bezahlen. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Herr Zenner, Sie müssen den Antrag begründen, den Sie eingereicht haben. Deshalb erhalten Sie so schnell das Wort, Herr Zenner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir reden über den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte. Asylrecht, Flüchtlingskommission und subsidiär Schutzberechtigte, das ist quasi die Trias, über die es insgesamt zu reden gilt.

Das Asylrecht muss konsequent und schnell im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren abgearbeitet werden. Diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, müssen Deutschland verlassen. Dies gilt gleichermaßen, wenn die Voraussetzungen für einen Flüchtlingsstatus nicht gegeben sind.

Die Bundespolitik Deutschland hat sich durch die Öffnung der Grenzen mit einem großen Herzen gezeigt, aber Bundespräsident Gauck hat seinerzeit schon deutlich gemacht, dass wir zwar ein großes Herz haben, aber dass unsere Möglichkeiten der Integration und der Aufnahme begrenzt sind.

Heute führen wir eine Debatte, die letztlich in den Bundestag gehört. Wir sind hier quasi stellvertretend tätig, um die Position auf Bundesebene für die eine oder andere Partei oder Fraktion zu verstärken. Bremen kann als Bundesland eigentlich nur etwas dazu beitragen, wenn die Verwaltungsverfahren zügig abgearbeitet und die Gerichtsverfahren beschleunigt werden.

Das konkrete Thema ist der subsidiäre Schutz beim Familiennachzug. Die Regelung wurde bis zum März 2018 ausgesetzt. Im Hinblick auf die Verhandlungen der GroKo wurde die Regelung bis zum August 2018 verlängert. Es hat sich dann eine Regelung angedeutet, dass man etwa 1 000 Personen pro Monat als Nachzugsberechtigten anerkennen könnte. Daneben ist es natürlich immer noch möglich, die Paragrafen 22 und 23 des Aufenthaltsgesetzes zu nutzen. Ansonsten schlägt die CDU vor, den Königsteiner Schlüssel anzuwenden, aber der entscheidende Gesichtspunkt ist die Begrenzung auf 1 000 Personen.

Die AfD will den Nachzug nicht erlauben, während DIE LINKE den Familiennachzug vollständig öffnen will. Wir haben uns einen differenzierteren An

trag überlegt, allerdings nicht so, dass der Familiennachzug nach Kassenlage erfolgen soll. Das ist die typische Polemik, die man von politischen Kontrahenten hört, die sich nicht mit dem Thema im Einzelnen auseinandersetzen.

Es ist davon auszugehen, dass es natürlich wünschenswert ist und dass es grundsätzlich richtig ist, wenn eine Familie zusammenbleibt und alle engen Familienangehörigen miteinander leben können. Auf diesen Nachzug gibt es allerdings letztlich keinen direkten Anspruch.

Zweite Bemerkung: Schutzbedürftige sind hier grundsätzlich nur vorübergehend und sollen in ihr Heimatland zurückkehren, wenn sich die Situation dort geändert hat.

Dritte Bemerkung: Es kommt die Leistungsfähigkeit Deutschlands und der politischen Gemeinden hinzu. Alle haben gehört, wie die Bürgermeister über die Situation denken, klagen und dass sie sich komm noch in der Lage sehen, die Situation menschenwürdig zu gestalten.

Deswegen sind wir der Auffassung, dass wir der Situation eine handhabbare Struktur geben müssen. Wir sagen, dass es noch nicht ausgereift ist, wie es gemacht werden soll.

(Abgeordnete Leonidakis [DIE LINKE]: Es ist schwer zu begründen!)

Wir sind deswegen der Auffassung, dass wir die Zeit bis 2020 nutzen sollten, um zu vernünftigen Überlegungen zu kommen. Bis dahin soll jedoch gelten: Wenn es eine besondere Härte für die Person gibt, die in Deutschland lebt, wenn sie zum Beispiel Pflege benötigt, dann soll eine Nachzugsmöglichkeit nach Deutschland bestehen.

Es soll auch eine Nachzugsmöglichkeit nach Deutschland bestehen, wenn der Lebensunterhalt für die Person gesichert ist. Oder aber – noch einmal eingeschränkt –, wenn die Person, die schon in Deutschland lebt, einen subsidiären Schutzstatus besitzt und sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat und eigentlich einen besseren Aufenthaltstitel bekommen kann, dann soll auch für diesen Personenkreis eine Nachzugsmöglichkeit geben sein.

Wenn die Familienangehörigen befürchten müssen, Leib, Leben und Freiheit in ihrem Heimatland

zu verlieren, dann halten wir es unter diesen Härtegesichtspunkten für angemessen, wenn ein Nachzug möglich ist.

(Beifall FDP)

Das ist das, um das es konkret geht. Das lässt sich anhand des Aufenthaltsgesetzes richtig darlegen und juristisch abarbeiten.

Der nächste Punkt ist – ich komme zum Schluss! –, dass wir ein Einwanderungsgesetz gebrauchen. Das ist schon seit vielen Jahren ein Thema. Wir sollen selbst bestimmen und rechtlich festlegen, welche Personen wir in unsere Gesellschaft und in unseren Staat aufnehmen wollen. Derjenige, der nach Deutschland kommen will und möchte, um in unserer Gesellschaft zu leben, dem wollen wir, ganz gleich, welchen Status er besitzt, die Möglichkeit geben, sich in diese Gesellschaft zu integrieren und letztlich Deutscher zu werden.

Das ist unser Konzept für die nächsten Jahre. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, und wir bitten um Ihre Zustimmung. – Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Grönert.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! An der Feststellung, dass vielen Flüchtlingen die Integration ohne Familie schwerfällt, kann man nichts kleinreden. Die meisten Menschen, egal, welcher Herkunft, sehnen sich nach ihren Ehepartnern und Kindern, und, je nachdem, wo sie sich aufhalten, sind sie auch in ständiger Sorge um sie. Erst im Jahr 2015 wurde deshalb beschlossen, auch der Gruppe der subsidiär Geschützten – also der vorübergehend Geschützten – den Familiennachzug zu erlauben.

Doch dieses gerade dann beschlossene Gesetz galt tatsächlich nur wenige Monate, und zwar bis März 2016 – Frau Leonidakis hat das gerade ausgeführt –, weil sich Deutschland wegen des hohen Flüchtlingszuzugs völlig überfordert sah. Die Unterbringung lief komplett aus dem Ruder – nicht nur in Bremen, sondern auch in anderen Städten,

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: In Bremen lief nichts aus dem Ruder!)

in Bremen hat kein Flüchtling draußen kampiert, aber in anderen Städten war das so – und die Aufnahmesysteme kollabierten förmlich. Wir erinnern uns!

Man muss es deutlich sagen, es geht hier nicht darum, ob anerkannte bleibeberechtigte Flüchtlinge ihre Familien nachholen dürfen. Sie dürfen das uneingeschränkt schon immer, und daran hat sich auch trotz aller Schwierigkeiten nichts geändert. Wir reden hier wirklich nur über die subsidiär Geschützten, die nur vorübergehend hierbleiben dürfen, weil ihnen aktuell bei einer Rückkehr in das Herkunftsland ernsthafter Schaden drohen könnte.

Im Übrigen sollen Ende 2017 ungefähr 180 000 Menschen mit diesem Schutz in Deutschland gelebt haben. Ich habe auch noch höhere Zahlen gefunden. Die ganz niedrigen Zahlen, die Frau Leonidakis genannt hat, habe ich so nicht recherchieren können.

(Abgeordnete Leonidakis [DIE LINKEN]: Ich kann Ihnen die Zahlen zur Verfügung stellen!)

Die Unterbringung ist heute im Griff, doch andere Bereiche sind es eben lange noch nicht. Die Kinderbetreuung, die Schule, die Sprache, die Integrationskurse, die Anerkennung von Berufsabschlüssen, Fragen nach Ausbildung und Studium, medizinische und dabei besonders auch psychologische Betreuung, die Unterbringung in eigenem Wohnraum und vieles andere mehr sind zwar gefordert und auf dem Weg, aber noch lange nicht so aufgestellt, dass man ohne Probleme weitere Tausende Menschen aufnehmen könnte.

Welches Leben wollen wir selbst den bleibeberechtigten Flüchtlingen bei uns ermöglichen, wenn wir es nicht einmal schaffen, für sie die Grundlagen der Integration durch die nötige Bildung, medizinische Betreuung – ich habe ja gerade auch die psychologische Betreuung genannt –, Ausbildung, Arbeit und Wohnung herzustellen? Natürlich ist das Recht auf den Ehepartner, auf die Kinder oder auf die Eltern ein hohes Gut, aber dieses Recht wird ja nicht zuerst durch uns, die wir Flüchtlinge aufnehmen, sondern durch egoistische Mächtige und ihre unmenschliche Tyrannei in den Herkunftsländern ausgehebelt.