Protocol of the Session on August 23, 2017

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist kein Problem, sondern eine normale Entwicklung, dass auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge irgendwann volljährig werden und dann, rein theoretisch, aus dem Jugendhilfebereich herausfallen. Es gibt die Möglichkeit, die dortige Unterbringung in Ausnahmefällen bis zum 23. Lebensjahr aufrechtzuerhalten. Von dieser Möglichkeit wird man oft Gebrauch machen müssen. Das finde ich übrigens richtig.

(Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vor- sitz.)

Die Antwort auf die Frage, wie wir es hinbekommen, dass diese Jugendlichen in unserem Bundesland Bremen, in Bremen und Bremerhaven, eine Chance, eine Perspektive erhalten, hängt letztlich davon ab, ob wir bereit sind, die notwendige Hilfe zu leisten oder nicht. Wenn wir diese Hilfe leisten wollen, dann kostet sie selbstverständlich auch etwas. Umsonst ist diese Hilfe nun einmal nicht zu haben.

(Beifall SPD)

Ich glaube, dass wir sehr gut daran tun, diesen Jugendlichen eine ganz besondere Hilfe zukommen zu lassen. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, dass man aus einem Kriegsgebiet - oder wo immer die Flucht begonnen hat - traumatisiert hier ankommt und sich auf eine neue, völlig andere Lebenswelt einstellen muss, sollten wir nicht außer Acht lassen. Ich war in den Achtzigerjahren in Pakistan, einem für mich so fremden Land, dass ich nicht

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das Gefühl hatte, dort leben zu können. Für die Jugendlichen, die in unser Land kommen, ist genau das auch der Fall. Sie kommen hierher und haben keinerlei oder nur sehr wenige Erkennungsbezüge. Das will und muss gelernt werden.

Damit bin ich bei dem Teil Lernen beziehungsweise Bildung. Der wichtigste Part ist die Sprache. Wenn die Jugendlichen die Sprache können, haben sie Zugang zu allen möglichen Hilfsangeboten. Vorher ist das schwierig. Dann muss man nämlich organisieren, dass diejenigen, die kein Deutsch können, an die Hilfsangebote herangeführt werden. Das Beratungsangebot in Bremen ist, wie ich finde, ausgezeichnet. Dieses Beratungsangebot kostet aber auch Geld. Ich finde es richtig, dass wir Geld dafür ausgeben.

An dem Beitrag des Abgeordneten der Bürger in Wut hat mich besonders geärgert, dass er den Eindruck erweckt hat, als ob Rechtsstaatlichkeit hier nicht mehr gegeben sei. Man müsse diesen Jugendlichen eigentlich nicht mehr helfen, sondern sie zurückschicken. Ich habe nicht verstanden, welche Lösung in diesem hetzerischen Redebeitrag präsentiert wurde. Ich habe nur verstanden, dass Ihnen nicht gefällt, dass diese Menschen hier sind. Mehr habe ich dem Redebeitrag nicht entnehmen können: Es gefällt Ihnen nicht, dass diese Menschen hier sind.

(Abg. Leidreiter [BIW]: Marokko!)

Marokko? Ja, mein Gott! Dann schicken Sie einmal einen Jugendlichen nach Marokko zurück! Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen ein glückliches weiteres Leben und dass Sie es nie mit solchen Problemen zu tun bekommen. Das kann man Ihnen an dieser Stelle vielleicht einmal zurufen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Unsere Aufgabe, insbesondere unsere sozialpolitische Aufgabe, besteht nun einmal darin, diesen Jugendlichen zu helfen, hier klarzukommen, hier voranzukommen und ihnen eine Perspektive zu schaffen. Am besten gelingt das mit einer vernünftigen Ausbildung, einer vernünftigen Arbeitsstelle und einer eigenen Wohnung. Wenn das alles zusammenkommt, sind die Integrationschancen am allerbesten.

Die Wohnungen sind ein Teil des Problems. Wir haben in dem preisgünstigen Segment zu wenige Wohnungen.

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Dann ma- chen Sie doch endlich etwas dagegen!)

Dann machen Sie doch etwas? Soll der Senat jetzt Häuser bauen, oder wie ist Ihre Vorstellung?

Es gibt so etwas wie einen Wohnungsmarkt. Das ist nun einmal so. Das kann die LINKE doof finden, aber die gesellschaftliche Realität ist so. Wir müssen schauen, dass wir preisgünstige Wohnungen fördern. Genau das passiert. Manchmal geht es nur nicht so schnell, wie man es sich wünscht. Es dauert eben auch eine bestimmte Zeit, bis ein Haus fertiggebaut ist. Zahlreiche Dinge sind im Vorfeld zu regeln. Zudem muss ordentlich gebaut werden, wenn man keine schlechten Bauten haben möchte. Als Handwerker betone ich das. All das muss man bedenken. In dem Bereich geschieht aber schon eine ganze Menge.

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage. - Glocke)

Nein, ich rede in Ruhe zu Ende. Keine Fragen! Jetzt kommt der Hinweis, dass Einrichtungen, die wir für Flüchtlinge aufgebaut haben, in dieser hohen Zahl nicht mehr gebraucht würden. Das ist in der Tat so. Ich warne aber davor, zu viel abzubauen. Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem man sich bewegt. Man weiß nämlich nicht, wie es sich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Daher plädiere ich dafür, einige Einrichtungen als Puffer zu erhalten, auch wenn sie möglicherweise eine Zeit lang leer stehen. Wir haben so viel aufgebaut, dass wir mit Augenmaß und Vernunft tatsächlich ein Stück weit zurückbauen können.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! - Im Rahmen dieses Rückbaus kann man versuchen - so lautet auch der Vorschlag in unserem Antrag -, Wohnformen für diese Jugendlichen zu entwickeln.

Da die Präsidentin geläutet hat, höre ich an dieser Stelle auf. Vielleicht muss ich nachher noch einmal nach vorn kommen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Dr. Buhlert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir reden in dieser Debatte anscheinend über vieles. Zur Klarstellung: Auch minderjährige Menschen, die hierhergekommen sind, haben

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Rechte, egal, welcher Nation sie angehören, egal, was sie hier hergebracht hat, und egal, welche Motive diejenigen, die das finanziert haben, hatten!

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben einen Rechtsstaat. Dieser Rechtsstaat handelt, und zwar so, dass diese Menschen entweder durch den Staat oder durch ehrenamtliche Vormünder, die sich darum kümmern, einen besonderen Schutz erhalten. Das ist richtig und gut so. Wenn es um Menschen geht, die erwachsen, das heißt eigenverantwortlich werden wollen, findet das afrikanische Sprichwort Anwendung: Es braucht ein ganzes Dorf, um sie zu erziehen.

Genauso ist es, wenn jemand allein hierherkommt. Dann braucht es eben die ganze Stadt, um diese Menschen zu erziehen und groß werden zu lassen. Diese Menschen sind entsprechend zu unterstützen. Das müssen wir einsehen.

Der Rechtsstaat gestattet es uns nicht, dass wir uns dieses Problems entledigen, nur weil diese Menschen nicht deutscher Nationalität sind. Wir sind verantwortlich, weil es Menschen sind, und um diese haben wir uns verdammt noch einmal zu kümmern!

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir können gern darüber reden, ob der einzige Weg, der beschritten wird, das Asylrecht sein muss. Wir Freien Demokraten sagen: Schafft ein vernünftiges Einwanderungsrecht!

(Abg. Leidreiter [BIW]: Das sagt die AfD!)

Schafft ein Asylrecht für diejenigen, die aus entsprechenden Gründen fliehen mussten! Gewährt humanitären Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention in den Fällen, in denen Menschen tatsächlich von Krieg bedroht sind! Unterscheidet das! Macht euch die Verwaltung damit einfacher!

Damit hätten wir auch nicht mehr das Problem, dass Menschen hier Asyl beantragen, weil dies ihr einziger Weg nach Deutschland ist. Wir eröffnen ihnen derzeit nur diesen Weg. Es gäbe die Chance, auch andere Wege zu eröffnen. Ein Weg wäre ein vernünftiges Einwanderungsrecht.

(Beifall FDP)

Es geht darum, dass diese Jugendlichen Chancen gewinnen. Wir haben gestern Abend im Zollhaus - Nicola Beer war zu Gast, Lencke

Steiner hat die Veranstaltung moderiert - mit der Inhaberin darüber gesprochen, wie Integration dort gelingt. Es ist eine Einrichtung mit 60 Menschen. Integration gelingt dort im Wesentlichen deshalb, weil Menschen sich um diese Jugendlichen kümmern und mit ihnen sprechen. Vorhin ist zu Recht gesagt worden, dass Bildung und das Erlernen der deutschen Sprache wichtig seien. Glaube doch niemand, dass man Deutsch nur in der Schule lernt! Dort braucht man natürlich auch mehr Plätze. Geschenkt! Deutsch lernt man, indem man mit Deutschen spricht, arbeitet, die Freizeit gestaltet und Sport treibt. In diesen Bereichen sind dankenswerterweise immer noch viele Ehrenamtliche unterwegs. Das sind die Chancen, die diese Jugendlichen brauchen. Man lernt Deutsch nicht dadurch, dass man in der Schule Grammatik lernt, sondern durch Sprechen.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Die Idee, dass wir alle in die Schule bringen müssen, ist das eine. Die Idee muss es aber eigentlich sein, Ausbildungs- beziehungsweise Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Wir müssen schauen, welche Fähigkeiten diese Menschen mitbringen, und sie dann fragen, wohin sie wollen, wofür sie motiviert sind. Ein Handwerksmeister hat zu Recht gesagt, dass er seit 35 Jahren ausbilde. Dass zu ihm Leute kämen, die nicht ausreichend Deutsch sprechen und schreiben können und die Mathematik nicht ausreichend beherrschen, sei er seit 35 Jahren gewohnt. Er hat hinzugefügt, er brauche Leute, die pünktlich erschienen, die mitarbeiten und lernen wollen. Unter den Flüchtlingen sind solche Menschen. Deswegen bildet er sie aus. Das ist gut und richtig so, das muss man machen. Damit werden den Jugendlichen Chancen eröffnet und zwar hier, aber auch dort, wo sie hergekommen sind, wenn sie zurückgehen wollen.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir als Gesellschaft müssen dafür sorgen, dass einige sehr schnell Erfolge haben, sonst funktioniert die Integration derjenigen, die hierbleiben, nicht. Es werden aber einige hierbleiben. Sie müssen ihrer Gruppe, ihren Freunden und denjenigen, die mit ihnen hierhergekommen sind oder die sie in der Einrichtung kennengelernt haben, erzählen können, wie sie es geschafft haben, dass es sich gelohnt hat, sich anzustrengen, dass es sich lohnt, in unserer Gesellschaft Leistung zu bringen. Das ist wichtig. Das wollen wir den Jugendlichen beibringen. Das wollen wir ihnen vorleben. Dafür brauchen wir Erfolge. Es ist alle Anstrengungen wert, hier Möglichkeiten zu schaffen. - Vielen Dank!

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(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Möhle das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Debatte ist komplett anders verlaufen, als ich es mir vorstellte, nachdem ich die Antwort des Senats und unseren Antrag gelesen hatte. Deswegen möchte ich wenigstens an dieser Stelle ausdrücklich die Antwort des Senats loben. Darin wird sehr sorgfältig und sehr gründlich aufgearbeitet, woher welche Jugendlichen kommen, wohin sie kommen, wie alt sie sind und, und, und. Das ist sehr gutes Informationsmaterial. Anhand der Zahlen kann man sich über die konkreten Probleme einen Kopf machen.

Dass die Debatte ausgeufert ist, hat vielleicht mit dem Titel zu tun. Unter „Integration“ kann man wahrlich so gut wie alles fassen. Ich will das an dieser Stelle nicht kritisieren, finde aber, dass ein paar Schwerpunkte noch einmal benannt werden müssen.

Für mich ist der zentrale Punkt des Antrags die Erprobung neuer Wohnformen. Warum soll man nicht versuchen, unter Nutzung der Einrichtungen, die man für die Erstaufnahme von Flüchtlingen nicht mehr benötigt, Wohnungsmodelle zu entwickeln, die den Charakter von Wohngemeinschaften et cetera haben? Das ist im Wesentlichen der Antrag, der hier eingebracht worden ist. Ich finde, das ist eine Sache, die man zumindest ausprobieren sollte. Wie weit man am Ende des Tages tatsächlich damit kommt, wird man sehen. Die Chance zu nutzen, diese Einrichtungen dafür herzurichten, fände ich aber ganz schön. Ich würde mich sehr freuen, wenn unser Antrag in diesem Haus eine Mehrheit fände.

Wir haben im Jahr 2015 ziemlich auf einen Schlag über 2 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bremen gehabt. Wir mussten schauen, wie wir damit klarkommen. Jetzt haben wir eine Situation, die deutlich entspannter ist. Wir können deutlich mehr darauf schauen, welche Qualität wir eigentlich anbieten. Ich habe am Anfang der Geschichte gesagt: Container? Das ist es wirklich nicht. - Dann kamen die Turnhallen. Auch dazu habe ich gesagt, das geht eigentlich nicht. Irgendwann waren wir bei Zelten. Die Unterbringung erfolgte nicht deshalb so, weil das irgendjemand gut gefunden hätte, sondern weil es sich aus der Not heraus ergeben hatte.