Protocol of the Session on May 10, 2017

Daher bezeichne ich diese pauschale Kritik an der freien Wirtschaft als unaufrichtig. Wir lesen in der uns vorliegenden Antwort des Senats auf die Große Anfrage der FDP, dass sich die Zahlen der Leiharbeitsverträge zwischen 2011 und 2016 in den senatorischen Diensten fast verdreifacht, an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen mehr als verzehnfacht und in den Beteiligungsgesellschaften mehr als verdoppelt hat. Prozentual ist der Anteil der Leiharbeitnehmer an allen Beschäftigten mit rund 25 Prozent an den Schulen und 70 Prozent in den Beteiligungsbetrieben am höchsten.

Klar gibt es dafür Erklärungen! Bei der Leiharbeit in den Beteiligungsgesellschaften handelt es sich fast ausschließlich - wir haben es schon gehört - um Arbeitnehmer im Hafenbereich, die für die BLG arbeiten. Die überwiegende Mehrheit sind Beschäftigte des GHB, also der Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft. Die Situation des GHB haben wir mehrfach ausführlich im Hafenausschuss der Wirtschaftsdeputation und auch hier in der Bürgerschaft diskutiert. Es gibt eine unterschiedliche Bewertung.

Beim GHB läuft ein Umstrukturierungsprozess. In einer Sache waren wir uns aber doch einig. Der Hafenumschlag unterliegt nun einmal starken

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Schwankungen. Deswegen liegt der GHB im Interesse der Beschäftigten und wird auch in Zukunft benötigt. Die in absoluten Zahlen große Bedeutung von Leiharbeit in diesem Bereich ist daher erklärbar und nachvollziehbar. Da liegen wir teilweise gar nicht weit auseinander.

Jetzt muss man der Ehrlichkeit halber auch sagen, dass sich der Einfluss des Senats auf die Beschäftigungspolitik der Beteiligungsgesellschaften in Grenzen hält. Bei Mehrheitsbeteiligungen wie bei der BLG ist er höchstens indirekt gegeben, und bei Minderheitsbeteiligungen ist er eigentlich gar nicht vorhanden. Wenn man etwas anderes sagt, weckt man Erwartungen, die man hinterher nicht erfüllen kann.

Ich werfe noch einmal einen Blick auf die Leiharbeitnehmerinnen und -nehmer in den Schulen. Es handelt sich dabei um Beschäftigte, die bei der Stadtteil-Schule, bei Schulvereinen und freien Trägern angestellt sind und die im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung an Schulen ausgeliehen werden. Das betrifft die Aufgabenfelder Unterrichtsvertretung, Ganztagsschulen, verlässliche Grundschule, Schulassistenten, Lese-IntensivMaßnahmen, Sprachförderung und Vorkurse für Migranten. Es handelt sich also um unterrichtendes und um nicht unterrichtendes Personal. Auch hier wird Leiharbeit eingesetzt, um die immer wieder aufklaffenden Lücken an Schulen kurzfristig halbwegs zu stopfen und neue Regelaufgaben - Stichwort Inklusion - personell abdecken zu können. Dass dies im Land Bremen bisher nicht hinreichend gelingt, weiß eigentlich jeder, der Zeitung liest. Ohne das Instrument Leiharbeit sähe es aber wahrscheinlich noch viel schlechter aus.

Insofern lautet meine Bitte an die Regierungsfraktionen: Kritisieren Sie nicht die freie Wirtschaft für ein Instrument, auf das Sie selbst in hohem Maße angewiesen sind und offensichtlich auch kräftig zurückgreifen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU, FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Aus der Antwort auf die Große Anfrage der FDP ergibt sich, dass sich diese Beschäftigungsverhältnisse überwiegend in den Beteiligungsgesellschaften - und hier nahezu nur bei der BLG - sowie im Bereich der Schulen befinden. Das heißt, im öffentlichen Dienst, in dem man direkten Einfluss hat, ist das nur in sehr geringem Maße der Fall. Darauf ist bereits eingegangen worden.

Warum die BLG so viele Leiharbeiterinnen und -arbeiter beschäftigt, erklärt sich eigentlich von selbst. Der Umfang der Arbeiten im Hafen ist großen und kurzfristigen Schwankungen unterworfen. Frau Bergmann hat das ausgeführt. Der jeweilige Arbeitskräftebedarf richtet sich nach den über die bremischen Häfen umgeschlagenen Waren. Dabei kann weit im Voraus weder die Anzahl der an den Umschlagkajen ankommenden Schiffe noch der Umfang des hierdurch entstehenden Umschlages vorhergesehen werden und damit auch nicht der jeweils benötigte Umfang an Personal. Frau Steiner, wir waren letzte Woche bei der BLG. Herr Professor Dr. Hilz war auch da. Dort wurde es allen Hafenausschussmitgliedern noch einmal näher dargestellt. Der Einsatz von zusätzlichem Personal erfolgt meist sehr kurzfristig und oft auch nur für eine sehr kurze Dauer, teilweise sogar tageweise.

Ich möchte jetzt noch einmal zu dem zweiten Bereich kommen, der sich aus der Antwort ergibt und in dem Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer beschäftigt werden. Hierbei handelt es sich um Menschen, die in den letzten Jahren bei Schulvereinen als sozialpädagogisches Fach- und Betreuungspersonal angestellt waren und den Betreuungsbedarf an Ganztagsschulen abgedeckt haben. Wie Sie auch der Antwort entnehmen können, wurden diese Menschen inzwischen in den öffentlichen Dienst übernommen.

Liebe Frau Steiner, Sie behaupten, dass wir - vor allem wir Grünen - auf Bundesebene die Arbeitnehmerüberlassung bekämpfen, diese hier aber im öffentlichen Dienst über die Maßen einsetzen. Das haben Sie eben gesagt, und in der Prosa zu Ihrer Anfrage ist das auch noch einmal deutlich erwähnt worden. Deshalb bin ich Frau Bergmann sehr dankbar dafür, dass sie eben deutlich gemacht hat, dass wir auf die BLG keinen Einfluss in dem Maße haben, wie Sie in Ihrer Rede den Eindruck erweckt haben. Die Antwort des Senats zeigt ganz klar, dass die öffentliche Hand und ihre Beteiligungsgesellschaften im Land Bremen Leiharbeit nur dann nutzen, wenn es wirklich nötig und angemessen ist.

Zur Klarstellung: Wir Grünen bekämpfen nicht die Leiharbeit an sich. Sie ist ein gutes Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Viele Betriebe und Unternehmen benötigen diese Flexibilität. Insbesondere für kleinere und mittlere Betriebe sind Flexibilitätsvorteile unverzichtbar. Sie benötigen kurzfristig Personal, um Personalengpässe und Auftragsspitzen zu bewältigen. Auch für die Leiharbeiter und -arbeiterinnen selbst kann die Leiharbeit Vorteile haben. Das haben Sie ja gesagt, Frau Steiner. So haben Menschen die Gelegenheit, sich bei einem Arbeitgeber zu beweisen und beim nächsten Mal, wenn

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dauerhaft Arbeitsplätze besetzt werden, eine Festanstellung zu erhalten. Das ist der Sinn von Leiharbeit. Deshalb haben wir grundsätzlich nichts dagegen. Es gibt aber inzwischen auch einen erheblichen und teilweise massenhaften Missbrauch dieses Instruments Leiharbeit. Das wissen wir alle hier inzwischen. Dagegen haben wir Grünen sehr viel.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Für Leiharbeit wird weniger Lohn gezahlt, obwohl die Leiharbeitskräfte häufig die gleichen Tätigkeiten verrichten wie die Stammbeschäftigten. Der Kündigungsschutz wird umgangen und Sozialabgaben werden gespart.

(Abg. Frau Bergmann [CDU]: Das stimmt nicht!)

Unternehmen verlagern damit das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten. Das geht natürlich zulasten der Beschäftigten, Frau Bergmann, denn Menschen in Leiharbeit haben ein erhöhtes Armutsrisiko sowohl während des Arbeitslebens als auch später im Rentenalter.

(Abg. Frau Bergmann [CDU]: Nach neun Monaten wird das Gleiche bezahlt!)

Es ist auch unfair gegenüber all jenen Betrieben, die sich verantwortungsvoll verhalten und Leiharbeit nur dann einsetzen, wenn sie wirklich nötig ist, denn durch diese Konkurrenz laufen sie Gefahr, vom Markt verdrängt zu werden. Dass dies Ihrem Verständnis von liberaler Wirtschaftspolitik entspricht, liebe Kollegin Steiner, will mir nicht so richtig in den Sinn.

(Abg. Frau Steiner [FDP] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage. - Glocke)

Für uns Grünen muss Leiharbeit wieder zu einem sozialverträglichen Instrument für die Unternehmen und die Beschäftigten gleichermaßen werden. Die Leiharbeitskräfte müssen fair und gerecht entlohnt werden und mehr Planungssicherheit erhalten.

(Glocke)

Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Frau Steiner, wir können uns nachher gern draußen bei einem Käffchen ausführlich über dieses Thema unterhalten.

(Abg. Remkes [LKR]: Super!)

Wir brauchen in Deutschland Regelungen, durch die der Missbrauch von Leiharbeit verhindert werden kann. Gleichzeitig darf die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt nicht zerstört werden. Wir bedauern

sehr, dass unsere Änderungen zum Gesetzesentwurf auf Bundesebene im vergangenen Jahr nicht so angenommen worden sind. - Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Irgendwie ist alles ein Stückchen falsch herum. Die einen - hier Rot-Grün - sagen: Wir haben ja fast gar keine Leiharbeit. Letztendlich ist das etwas, was wir gar nicht so feststellen können. Das muss man differenziert sehen. Die FDP sagt: Leiharbeit hat wahnsinnig zugenommen, und wir kritisieren das auch. Ich muss feststellen, dass die Argumentationen sehr widersprüchlich sind.

Mit dieser Anfrage bestehen aber Fakten. Ich finde es sehr lobenswert, dass die FDP diese Anfrage gestellt hat und dass diese so ausführlich beantwortet wurde. Das ist ausgesprochen erhellend von den Ergebnissen her. An der Tatsache, dass Leiharbeit im öffentlichen Sektor einen wirklich großen Anteil hat, kann hier ja wohl niemand vorbeidiskutieren.

(Beifall DIE LINKE)

Im Land Bremen sind durchschnittlich 14 800 Menschen in Leiharbeit beschäftigt. Egal, wie man dazu steht, ist es eine ganze Menge, wenn davon auf den öffentlichen Sektor 4 500 entfallen. Natürlich sind 3 900 Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig. Man muss sich die Stellen differenziert ansehen. Der Fakt besteht aber zuerst einmal. Diese 25 oder 26 Prozent sind also durchaus zutreffend. Bei der GeNo kämen wahrscheinlich noch einmal entsprechende Zahlen hinzu. Wir haben hiervon keine Rückmeldung bekommen. Das wäre auch noch so ein Hotspot.

Auf jeden Fall ist die tatsächliche Gesamtzahl der Leiharbeit im öffentlichen Sektor noch höher, als diese Anfrage hervorbringt. Der Senat weist zu Recht darauf hin, dass die Gesamtzahl letztendlich auch das Umland ein Stück weit einbezieht. Das heißt also, der Anteil des öffentlichen Sektors an der Leiharbeit liegt bei einem Drittel oder vielleicht sogar eher bei 40 Prozent. Das ist verdammt viel. Der größte Teil der Leiharbeit im öffentlichen Sektor kommt der BLG vor. Das hat natürlich auch mit dem GHB zu tun. Wir haben gesagt, dass der GHB letztendlich die bessere Alternative hinsichtlich der Arbeitsbedingungen darstellt. Das muss man auseinanderhalten. Das heißt aber auf der anderen

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Seite, dass sich die BLG in einem nicht unerheblichen Maße bei privaten Leiharbeitsfirmen ohne gute Arbeitsbedingungen bedient. Die genaue Aufteilung kann man aus dieser Aufstellung nicht nachvollziehen.

Dann möchte ich auch noch etwas zu den Schwankungen sagen. Ich sehe keine Schwankungen. Glücklicherweise wurde nach den Monatszahlen gefragt. Deshalb können wir ganz klar nachvollziehen, dass die Werte von Januar bis Dezember relativ wenig differieren. Die Argumentation, Leiharbeit müsste irgendwelche Spitzen abfedern, greift weder bei der BLG noch im Schulbereich. Im Schulbereich ist das überhaupt nicht mehr nachvollziehbar.

(Beifall DIE LINKE)

Insbesondere muss ich noch einmal darauf hinweisen, dass zwei Drittel dieser 1 200 Beschäftigten Frauen sind, die keinen Vollzeitvertrag haben. Das finde ich in Bezug auf unseren Gender Pay Gap, der für Bremen nach wie vor höher ist als im Bundesvergleich, durchaus bedenklich. Das heißt, der öffentliche Sektor, ob man ihn jetzt als Konzern bezeichnet oder nicht - über die Begrifflichkeiten will ich mich gar nicht auseinandersetzen -, leistet einen nicht unerheblichen aktiven Beitrag dazu. Das ist ein Problem. Wir können uns nicht auf der einen Seite hinstellen und sagen, dass wir im Land Bremen überall Equal Pay und gute Arbeit benötigen und die ganzen Kriterien dafür erfüllt sein müssen, und auf der anderen Seite zulassen, dass der öffentliche Bereich einen fast einen doppelt so hohen Anteil an Leiharbeit hat wie der private Bereich. Das halte ich für einen ausgesprochen interessanten und sehr bedenklichen Befund.

(Beifall DIE LINKE)

Die Leiharbeitskräfte an den Schulen sind ganz überwiegend über die Stadtteil-Schule angestellt. Dieser Wert hat sich seit 2013 sogar verdoppelt. Überhaupt sind die Zahlen rapide im Steigen begriffen. Allein diese Entwicklung müsste uns doch aufstoßen. Es waren 2011 noch 1 600 Leiharbeiternehmerinnen, und jetzt haben wir 4 500 Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl verdreifacht. Also bitte! Das gehört zur dunklen Seite der PEP-Quote. Das muss man einbeziehen.

(Beifall DIE LINKE)

An dieser Situation muss sich dringend etwas ändern. Das ist letztendlich der tiefe Kern dieser Anfrage. Wir können nicht mit dem Finger auf andere zeigen und aus Sicht des Senates sagen: „Wir sind eigentlich gegen diese Arbeitnehmerüberlassung“,

während wir davon gleichzeitig in einem Maße Gebrauch machen, der absolut nicht statthaft ist.

Ich möchte zum Schluss sagen, natürlich hat Leiharbeit einen negativen Aspekt. Wir haben das als Linke immer kritisiert, insbesondere deshalb, weil es diese ganzen Verlängerungsoptionen gibt. Die Bundesgesetzgebung wurde hier schon angesprochen. Ich finde es auch völlig sträflich und indiskutabel, dass die IG Metall das Ganze auf 48 Monate verlängert. Man muss sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was es für eine Gewerkschaft bedeutet, dass man das gleich so ausweitet. Ich meine, dass das ein Zusammenhang ist und dass wir uns den Schuh anziehen müssen. Ich finde, das hat keine Zukunft. - Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Herr Präsident! Ich würde gern noch ein paar Dinge ergänzen. Mich hat es wirklich bewegt, dass der Anteil der vollzeitbeschäftigten Leiharbeiter seit 2011 um 15 Prozent gesunken ist. Es wäre schon wichtig, hierzu noch einmal einen Überblick zu bekommen. Je mehr Arbeitnehmer in Teilzeit beschäftigt sind, desto größer ist im Endeffekt auch das Risiko, dass sie aufstocken müssen. Dazu gibt es leider überhaupt keine belastbaren Zahlen. Es wäre schön, wenn man das mit aufnehmen könnte.