Protocol of the Session on February 16, 2017

Frau Kollegin, eine weitere Zusatzfrage?

(Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: Nein, vielen Dank! Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Herr Staatsrat, es hat Freude gemacht, Ihnen zuzu- hören. (Beifall SPD, Bündnis 90/Grünen)

Die zehnte Anfrage steht unter dem Betreff „Einsatz des Schulbuches ‚Anstöße 2‘ des Klett Verlages an Bremer Schulen“. Die Anfrage ist unterzeichnet von den Abgeordneten Frau Dr. Müller, Dr. Güldner, Frau Dr. Kappert-Gonther, Frau Dr. Schaefer und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bitte, Frau Dr. Müller!

Wir fragen den Senat:

Erstens: An welchen Schulen im Land Bremen wurde das Schulbuch „Anstöße 2“ des Ernst Klett Verlages, in dem mindestens eine antisemitische Grafik als Anschauungsmaterial verwendet wird, seit 2012 im Unterricht verwendet?

Zweitens: Wird von den betreffenden Schulen von dem Angebot des Klett Verlages, ein korrigiertes Austauschblatt zur Verfügung zu stellen, Gebrauch gemacht?

Drittens: Wie wird zukünftig sichergestellt, dass keine Schulbücher und andere Lehrmaterialien mit antisemitischen, rassistischen oder andere Bevölkerungsgruppen herabsetzenden Inhalten im Unterricht genutzt werden?

Diese Anfrage wird beantwortet von Frau Senatorin Dr. Bogedan.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu den Fragen eins und zwei: Der Senat führt keine Liste über die Lernbücher, die Schulen in eigener Verantwortung einsetzen. Insofern hat der Senat keine Kenntnis darüber, ob eine Schule das genannte Lernbuch eingesetzt und ob möglicherweise die Schule das vom Klett Verlag angebotene Austauschblatt angefordert hat.

Zu Frage drei: In der Freien Hansestadt Bremen soll über die Richtlinie für die Zulassung von Lernbüchern an den öffentlichen Schulen gewährleistet werden, dass keine Schulbücher rassistischen Inhalts im Unterricht genutzt werden. Die Lernbücher werden dahingehend geprüft, dass sie nicht gegen allgemeine Verfassungsgrundsätze oder gegen Rechtsvorschriften verstoßen und insbesondere den Bildungs- und Erziehungszielen des Bremischen Schulgesetzes genügen.

Bei dem Lernbuch des Ernst Klett Verlages handelt es sich um ein Buch für die gymnasiale Oberstufe. Nach der genannten Richtlinie unterliegen solche Lernbücher für die gymnasiale Oberstufe und bestimmte andere Lehrmaterialien keinem Zulassungsverfahren. Für diese wenden Schulleiterinnen und Schuleiter im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Qualitätssicherung des Unterrichts nach Paragraf 63 Bremisches Schulverwaltungsgesetz die Kriterien aus der Richtlinie in ihrer Schule an. – Soweit die Antwort des Senats!

Frau Kollegin Dr. Müller, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Frau Senatorin, ist es richtig, dass aber alle potenziell betroffenen Schulen inzwischen informiert wurden, dass es Austauschblätter für die entsprechende Grafik gibt? Des Weiteren, sollten solche Bücher benutzt werden, dass das dann auch ausgetauscht wird?

Das ist völlig richtig. Ich möchte dazu anfügen, es ist aus meiner Sicht ein echter Skandal, dass eine solche Grafik – ich habe sie mir angeschaut – in ein Schulbuch gelangen kann. Wir gehen, ehrlich gesagt, im Grunde davon aus, dass auch die Bildungsverlage ihrerseits eigentlich im Vorfeld bereits ordentlicher arbeiten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe letztes Jahr persönlich in meiner Eigenschaft als Präsidentin in der Kultusministerkonferenz mit dem Zentralrat der Juden eine Vereinbarung unterschrieben, in der es genau darum geht, stärker zu überprüfen, inwieweit antisemitische Haltungen in Schulbüchern zum Ausdruck gebracht werden. Die dort vorliegenden Fälle waren subtilerer Art. So offensichtlich, wie diese Grafik, die jetzt tatsächlich in ihrer Anmutung nahezu stürmerhaft daherkommt, ist mir das bislang in dieser Debatte nicht begegnet. Natürlich wird dafür Sorge getragen, dass so etwas nicht vorkommen kann. Tatsächlich ist es aber nicht möglich, dass wir alle Unterrichtsmaterialien, die in den Schulen eingesetzt werden, bei uns im Haus prüfen lassen. Das wäre ein unmöglicher Verwaltungsaufwand und auch der Sache nicht gerecht.

Fakt ist, dass das Buch bei uns in den Schulen offensichtlich auch gar nicht eingesetzt wird, so lautet jetzt die Rückmeldung aufgrund der Presseberichterstattung, die noch einmal aus den Schulen jetzt auch in die Behörde gekommen ist. Insofern ist es gut, dass diese Themen öffentlich und breit diskutiert werden, damit deutlich wird, so etwas wollen wir in unseren Schulbüchern nicht haben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Frau Senatorin, weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Meine Damen und Herren, mit Beantwortung dieser Anfrage ist die Fragestunde beendet.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüße ich recht herzlich auf der Besuchertribüne den 9. Jahrgang der Wilhelm-Focke-Oberschule und eine Gruppe „Brücke der Solidarität Bremen-Lesbos“.

Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Die EU muss ihrer Verantwortung gerecht werden: in der Kälte festsitzende Flüchtlinge dringend aus Griechenland umsiedeln Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 7. Februar 2017 (Drucksache 19/932)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin Hiller.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Frau Dr. Müller.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ihnen liegt für die jetzige Debatte ein Antrag vor, in dem wir die EU-Mitgliedsstaaten und auch die Bundesregierung auffordern wollen,

ihrer Verantwortung zum Flüchtlingsschutz nachzukommen. Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie herzlich darum bitten, uns hier zu unterstützen.

Sie alle erinnern sich womöglich an die Bilder vom Budapester Bahnhof im Sommer 2015. Die Bilder, die damals dazu führten, dass unsere Bundeskanzlerin, ich zitiere sie selbst: „ein freundliches Gesicht“ zeigte. Sie verhinderte damals im Hochsommer damit eine drohende humanitäre Katastrophe in Ungarn.

Heute, anderthalb Jahre später, im tiefsten Winter ist allerdings von Freundlichkeit europaweit nicht mehr sehr viel zu spüren. Mitten im Winter harren auf den griechischen Inseln wie zum Beispiel Lesbos und Samos circa 16 000 Menschen aus, unter Bedingungen, die den Mindeststandards der EU zur Unterbringung von Flüchtlingen bei Weitem nicht entsprechen. Diese Zustände kann man nicht als verantwortungsvollen Umgang mit Flüchtenden bezeichnen.

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, auch die Bundesregierung, erfüllen die eigenen ausgehandelten Abkommen nicht, nicht den Ratsbeschluss zur Umsiedlung von Geflüchteten aus dem Herbst 2015, nicht die Bedingungen, die im EU-Türkei-Abkommen festgeschrieben sind. Letzteres, so wurde es immer wieder in der Öffentlichkeit bekanntgegeben, sollte zu mehr Schutz von Geflüchteten führen. Tatsächlich führt es aber dazu, dass Tausende Menschen in Griechenland festsitzen, weitgehend unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit.

Lassen Sie uns die Daten zu den bisher erfolgten Umsiedlungen einmal genauer anschauen. Von den im Herbst 2015 vereinbarten 160 000 Personen sind jetzt, mehr als ein Jahr später, lediglich drei Prozent umverteilt worden. Drei Prozent, meine Damen und Herren, das ist inakzeptabel!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Diese mangelnde Umsiedlung lässt sich nicht etwa mit mangelnden Finanzmitteln erklären, die Mittel wurden bereitgestellt. Es lässt sich nicht mit fehlender Infrastruktur erklären, denn ein Kontinent wie Europa verfügt über Züge, Busse, Beamte, die man zur Verfügung stellen könnte. Platz in den Unterkünften ist im Übrigen auch wieder vorhanden. Die Krise ist für uns Aufnehmende doch längst vorbei, für die Flüchtenden nicht.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als Einziges fehlt, und das muss man deutlich sagen, offenbar der politische Wille, den Menschen aus ihrer desolaten Lage mitten in Europa, nicht außerhalb, mitten in Europa zu helfen. Die Prioritäten liegen inzwischen eben nicht mehr bei den freundlichen Gesichtern, es geht auch nicht mehr darum, Humanität zu zeigen oder gar die eigenen Vereinbarungen einzuhalten. Die EU-Regierungschefs und die

Bundeskanzlerin konzentrieren sich lieber auf die Sicherung der europäischen Außengrenzen und auf weitere potenzielle Verabredungen mit Drittstaaten, die die Flüchtenden von Europa fernhalten sollen. Es ist auch nicht falsch, Gespräche zu suchen.

Sich um die Außengrenzen zu kümmern, gehört zu einer Steuerung von Migrationspolitik dazu, ich fürchte aber, wir machen als europäische Gemeinschaft den gleichen Fehler wie vor 2015, obwohl im Jahr 2015 alle europäischen politischen Entscheidungsträger gebetsmühlenartig beteuert haben, sie hätten verstanden. Wir schotten allerdings wieder ab, die Flüchtenden vor Europa und uns vor ihrem Leid.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wir lagern wieder aus, die Flüchtenden sitzen an Europas Rändern fest, wir lassen Griechenland allein, wir lassen Italien wieder allein. Die Flüchtenden sitzen nicht am Bremer oder am Münchner Hauptbahnhof, das ist sehr praktisch für unsere hiesige Öffentlichkeit.

Wir schieben die Verantwortung ab in die Türkei. Zukünftig vielleicht nach Libyen und in andere Staaten. Diese Strategie hatten wir aber bereits. Wir erinnern uns, wie Flüchtende in den Gefängnissen von Gaddafi in Libyen dahinvegetierten, weit weg von der europäischen Öffentlichkeit.

Meine Damen und Herren, wollen wir den gleichen Fehler wieder machen? Oder wollen wir endlich einmal auch auf mahnende Stimmen, die man auch von der europäischen Ebene vernehmen kann, hören?

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wollen wir auch einmal auf Stimmen wie die des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs Paolo Mengozzi hören und jetzt rechtzeitig umsteuern? Er hat die richtigen und notwendigen Maßnahmen erläutert, um für diejenigen, die Hilfe brauchen, legale Wege, sichere Wege nach Europa zu schaffen.

(Beifall Bündnis 90/Grüne, DIE LINKE)

Sein flammendes Plädoyer an uns, an die Europäer, für die Einhaltung unserer Grundrechtecharta sollte uns angesichts des Elends an den europäischen Grenzen – und ich habe jetzt noch gar nicht über Serbien gesprochen, darüber könnten wir jetzt auch noch lange beraten – eine Mahnung sein. Ich bitte Sie daher herzlich, insbesondere, weil wir hier im Hause sehr viel über Abschiebungen straffälliger Ausländer gesprochen haben, unterstützen Sie unseren Antrag, um denjenigen, die jetzt auf den griechischen Inseln festsitzen, einen Weg von den Inseln aufzuzeigen. –Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grüne, SPD, DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.