Protocol of the Session on February 16, 2017

Sie diskreditieren Menschen, die unter 20 000 oder 30 000 Euro verdienen und von Ihrem Vorschlag überhaupt nichts haben, wenn Sie behaupten, dass sie nicht fleißig sind und nicht ernsthaft Kinder erziehen würden.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Das wirft noch einmal ein fatales Licht auf die Politik Ihrer Partei und Ihre Haltung.

Noch eines: Ihnen scheint nicht klar zu sein, wenn Sie Eigenheime durch Steuererleichterungen finanzieren wollen und damit unter Umständen auch eine Alterssicherung für einige schaffen, dass Sie genau durch diese Steuererleichterungen eine Rentenpolitik gefährden, die eine Alterssicherung für alle schafft. Das ist fatal, und solche Prozesse darf man nicht unterstützen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wenn man genau hinsieht, wurde eine private Rentenversicherung eingeführt, und man ist damit auf das Glatteis gegangen, seit die Beschäftigungspo

litik anders ist: Wir haben Leiharbeit, wir haben prekäre Beschäftigung und Minijobs und leben in einer Gesellschaft, in der eine Deregulierung des Arbeitsmarktes eine Situation geschaffen hat, in der tatsächlich ein Großteil der Beschäftigten keine oder nur noch sehr wenig Steuern bezahlen, wenn es um Einkommensteuer und Abgaben geht. Das gefährdet die Sozialsysteme, und das kann man nicht durch Steuererleichterungen bekämpfen, denn die Steuererleichterungen von heute waren in den seltensten Fälle die Arbeitsplätze von morgen, im Wesentlichen waren es die Bankkonten und der private Reichtum von heute. Das lässt sich statistisch und durch wissenschaftliche Untersuchungen nachweisen.

Keine einzige Rechnung seitens der FDP kann an diesen Tatsachen etwas leugnen, es sei denn, man verschließt die Augen oder kann nicht rechnen. Deswegen ist die Form von Politik, die Sie hier vorschlagen – wie sagt man heute so schön? –, postfaktisch, und ich finde sie blöd. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Bürgermeisterin Linnert.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Staat zieht den Menschen nicht die Steuern oder das Geld aus der Tasche, sondern in Deutschland müssen auf der Basis von bestehenden Gesetzen Steuern gezahlt werden, und diese Gesetze werden von denjenigen erlassen, die vom Volk gewählt wurden. Es handelt sich also nicht, wie suggeriert wird, um eine Art Raubrittertum, sondern wenn man das so suggeriert, denunziert man demokratische Prozesse.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Der Staat verteilt auch nicht seine Wohltaten, sondern wir geben Geld aus für Kindergärten und Schulen, für Straßen, Jugendfreizeitheime, Gefängnisse, für die AIDS-Hilfe, für Gesundheitsvorsorge und so weiter. Ich würde dann gern einmal genauer wissen, welches jetzt aus Ihrer Sicht die Wohltaten sind und in welcher Größenordnung Bremen Wohltaten vergibt, denn dann könnten wir uns im Rahmen der Haushaltsberatungen einmal über die einzelnen Punkte auseinandersetzen, und dann müsste die FDP auch einmal Farbe bekennen, welches denn nun die Wohltaten sind. Aber auch diese werden – so sehr man auch unterschiedlicher Meinung über einzelne Ausprägungen sein kann – von einem vom Volk gewähltem Parlament als Haushaltsgesetzgeber, ja, bewilligt.

Es ist richtig, dass 50 Prozent der Bürgerinnen und Bürger 95 Prozent der Steuern zahlen, aber daraus kann man viele unterschiedliche Schlüsse ziehen.

Ich ziehe den Schluss daraus, dass das ein weiteres Indiz dafür ist, dass die Ungleichverteilung für die Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger haben, sehr weit fortgeschritten ist und man das ändern muss.

Es ist auch nicht zutreffend, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Steuern zahlen, durchweg weniger als die Hälfte des Geldes, das sie verdient haben, im Portemonnaie haben. Hier wurde ja auch schon von Vorrednern darauf eingegangen, das ist eine Rechnung, die man macht, wenn man einen ganz bestimmten ideologischen Hintergrund hat, nämlich einen, der im Grunde einen unterfinanzierten Staat auch noch rechtfertigen will. Es ist so, dass die Sozialleistungen bei dieser Berechnung dazugerechnet werden, und wenn Sie in anderen Ländern schauen, in denen die Sozialleistungen privatisiert sind, und das dazurechnen würden, dann kommt man zum Teil zu ganz anderen Größenordnungen.

Ich kann nur sagen, bei allen Defiziten – da habe ich auch gar keinen Dissens mit Herrn Rupp –, die unser soziales Sicherungssystem in Deutschland auch offenkundig hat, hat die Erfindung der paritätisch finanzierten Sozialleistungen einen sehr maßgeblichen Anteil an Sicherheit, Stabilität und sozialem Frieden in Deutschland, und die ideologischen Versuche, das immer weiter zu zerstören, anzusägen und in Richtung privat zu drücken, werden am Ende den Schwächsten in besonderer Weise und auch dem sozialen Frieden schaden. Wenn man übrigens einmal den Vergleich macht, dann ist Deutschland vor allen Dingen niedrig bei den Vermögenssteuern, das ist auch Fakt.

Sie fordern konkret, den Kinderfreibetrag zu erhöhen, die Vorredner haben das und auch unisono alle zutreffend gesagt, davon profitieren nur höhere Einkommen, und das überproportional, und je höher die Einkommen sind, desto stärker sind sie. Als ich den Antrag am Anfang gelesen habe, habe ich gedacht, es sei ein Versehen, aber Sie haben es hier ja auch noch einmal ausdrücklich gesagt, dass Sie nur den Kinderfreibetrag erhöhen wollen, weil Sie Leistungen für Leistungsträger ausschütten wollen. Da muss ich ihnen einmal sagen, also da ist man dann doch – ich wollte mich nicht mehr aufregen – schon irgendwie einigermaßen konsterniert! Meinen Sie wirklich, dass eine Familie mit zwei Kindern, in der der Mann bei der Müllabfuhr arbeitet und die Frau im Supermarkt an der Kasse, keine Leistungsträger sind? Die würden aber durch Ihre Regelung benachteiligt!

(Zuruf Abg. Professor Dr. Hilz [FDP])

Sagen Sie doch einmal: Welche Menschen sind denn für Sie keine Leistungsträger? Das sind aus Ihrer Sicht vielleicht die Hartz-IV-Empfänger – wobei ich so ein Wort sowieso nie benutzen würde –, aber die Hartz-IV-Empfänger profitieren sowieso nicht vom Kindergeld, und schon gar nicht vom Kinderfreibetrag. Sagen Sie doch einmal hier dem Haus, wer für Sie Leistungsträger sind und welche es eben nicht sind!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Die Grunderwerbsteuer in Bremen! Ich räume es ein und habe auch nie einen Hehl daraus gemacht: Wenn man sich wünschen könnte, welche Steuer abgeschafft werden soll, dann wäre es die Grunderwerbsteuer. Sie ist eine Steuer, die Flexibilität verhindert, und wenn man einem modernen Arbeitsmarkt Rechnung tragen will und trotzdem eine hohe Eigentumsquote haben möchte, wie es der Senat auch gern möchte und ja auch fördert, dann ist sie eine Steuer, die dem entgegenwirkt, weil nämlich jedes Mal, wenn man woanders hinziehen muss und das Haus verkauft, der Käufer fünf Prozent Grunderwerbsteuer zahlen muss. Das ist eine der ganz wenigen Ländersteuern – übrigens eine, die nicht in den Länderfinanzausgleich eingeht –, und die 100 Millionen Euro bringen einem – –. Ich habe keine Idee, aber vielleicht haben Sie ja eine, dann sagen Sie einmal, wie wir es schaffen sollen, in Bremen auf diese 100 Millionen Euro zu verzichten! Das ist für uns sehr viel Geld.

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Das war nicht der Vorschlag, sie abzuschaffen!)

Richtig ist – und so ist auch die Rechtsprechung –, dass eine Grunderwerbsteuer keine erdrosselnde Wirkung haben darf, aber das hat sie auch nicht, und auch in Bundesländern, in denen die FDP mit in der Regierung war, gab es die Grunderwerbsteuer, also so ganz ernst war es vielleicht auch nicht!

Ich finde es insgesamt nicht so gut, dass immer so ein overflow ist, dass die Frage der Steuereinnahmen für einen funktionierenden und handlungsfähigen Staat, der hier eine Infrastruktur schafft und für sozialen Ausgleich sorgt, bei Ihnen immer so einen untergeordneten Wert hat, und das halte ich für sehr gefährlich. Das Gegenteil ist der Fall: Unser starker Standort hat maßgeblich damit zu tun, dass wir es bei allen Defiziten doch geschafft haben – leider zu dem Preis einer zu hohen Verschuldung, aber Sie wissen ja, dass ich das nicht richtig finde –, einen handlungsfähigen und funktionierenden Staat zu haben, und der Senat wird alles dafür tun, damit es auch so bleibt.

Unser Grundgesetz möchte eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, davon sind wir, das haben auch Vorredner gesagt, leider schon viel zu weit weg. Ich jedenfalls und dieser Senat tun alles, um das Ungleichgewicht, das sich in den letzten Jahren durch die veränderte Bedeutung der Verbrauchssteuern ergeben hat, wieder ins richtige Lot zu bekommen und dem Gebot des Grundgesetzes, nämlich der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit – und damit ist finanzielle Leistungsfähigkeit gemeint –, wieder mehr Rechnung zu tragen.

Ansonsten ist Bremen nach wie vor ein Haushaltsnotlageland. Wir müssen uns sehr anstrengen, um mit den Einnahmen zurechtzukommen, und wir werden

im Bundesrat ganz bestimmt keine Initiativen zur Senkung von Steuern einbringen, denn sie würden sich nämlich fragen, ob wir „noch alle Tassen im Schrank“ haben. Das ist schon so – –. Dort, wo ich Verantwortung trage, haben wir jedenfalls schon transportiert, dass wir hier kein Geld übrig haben. Ich kenne auch keine Fraktion hier im Haus, die Einsparvorschläge für die Haushaltsberatungen in einer solchen Größenordnung vorlegt, und deshalb wird sich der Senat im Bundesrat nicht so verhalten, wie Sie es sich wünschen. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Eckhoff.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin doch noch einmal nach vorn gekommen, weil in dieser Debatte das eine oder andere – vielleicht auch, weil in einem halben Jahr Bundestagswahlen sind – ein bisschen durcheinandergeworfen wurde. Um das noch einmal festzustellen: Zur Thematik Kinderfreibetrag ist, glaube ich, mittlerweile mehrfach vom Bundesverfassungsgericht geurteilt worden. Dieser Kinderfreibetrag, Herr Rupp, ist auch nicht irgendwie ein Steuergeschenk für Reiche,

(Beifall CDU, FDP)

sondern das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass es sich dabei um das Existenzminimum der Kinder handelt, die damit steuerlich unberücksichtigt bleiben, also freigestellt werden sollen. Ich finde, es gehört auch zur Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass man das an dieser Stelle erwähnen muss: Sie bauen hier einen Popanz auf, der einfach nicht angemessen ist!

(Beifall CDU, FDP, LKR)

Das ist mehrfach höchstrichterlich entschieden worden.

Es ist auch entschieden worden, dass der Freibetrag – das geht in Richtung von Frau Steiner – auch immer einen direkten Zusammenhang mit dem Kindergeld hat. Auch dies kann man nicht alles irgendwie politisch sozusagen nach Gutdünken zusammen oder einzeln entscheiden, sondern da gibt es einen direkten thematischen Zusammenhang. Wer das Kindergeld erhöhen möchte, der muss auch diesen Kinderfreibetrag anpassen, weil er sonst wieder vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Nase fallen wird, das müssen Sie an dieser Stelle auch sagen, lieber Herr Rupp, wenn Sie hier Klassenkampf betreiben!

(Beifall CDU)

Zweite Bemerkung zu Herrn Gottschalk! Herr Gottschalk, ich glaube, vielleicht können wir uns auf dieses Level verständigen, aber 28 000 Euro, wenn das bei Ihnen im mittleren Segment ist, auch dies ist mittlerweile – –. Doch, das haben Sie gesagt, das ist für Sie ein mittleres Einkommen, Sie brauchen jetzt nicht mit dem Kopf zu schütteln, das haben Sie so gesagt.

(Abg. Gottschalk [SPD] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage. – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gottschalk?

Ich nehme sie gern an, vielleicht möchte er sich korrigieren.

Bitte, Herr Gottschalk!

Ich muss zugeben, dass ich eben, als die Zahl gefragt wurde, sie nicht richtig verstanden habe. Natürlich halte ich 28 000 Euro nicht für ein mittleres Einkommen in dem Bereich, ja?

Dann kann ich diese Bemerkung streichen.

Ich würde sonst sagen, wir sollten uns alle bemühen, und auch da, lieber Herr Rupp: Wenn man Sie so reden hört, hat man den Eindruck, wir lebten hier in der unsozialsten Republik in den letzten 20 Jahren, in den letzten 30 Jahren und auch im gesamten europäischen Vergleich. Sicherlich gibt es noch eine ganze Menge in unserem Sozialstaat zu verbessern, aber wir leben hier auf einem hohen Niveau. Wir haben mittlerweile weit über 40 Millionen Beschäftigte, und das ist noch mit die beste Existenzsicherung. Ich glaube, wir sollten alle daran arbeiten, dass wir das Niveau, das wir in anderen Bundesländern haben, nach Möglichkeit auch hier in Bremen erreichen. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der FDP mit der Drucksachen-Nummer 19/848 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür FDP)