Bürger aus Rumänien und Bulgarien in der Prosa so herauszustellen, als das Problem und als die Bevölkerungsgruppe, die uns europaweit solche Probleme macht, und das auch noch zu garnieren mit: „Tut uns so leid, dass sie so arm sind!“, ist wirklich zynisch, und deswegen haben wir einen eigenen Antrag eingebracht.
Das europäische Freizügigkeitsrecht ist eine tragende und die erfolgreichste Säule europaweit, und – Frau Grönert, Sie haben darauf hingewiesen – Deutschland profitiert in hohem Maße davon. Ehrlich gesagt, könnten wir in einem noch höheren Maße davon profitieren. Dazu ist – darin sind wir uns einig – ein sicherer Rechtsrahmen notwendig, und wir haben in der Debatte heute Morgen gesehen, dass es auch hier im Hause sehr viele Rechtsunsicherheiten gibt. Es gilt eben nicht nur das Urteil des Bundessozialgerichts in Berlin.
Ich möchte aber zumindest versuchen, zu sagen und zu verdeutlichen, worüber wir hier eigentlich reden. Wir hatten in den letzten Jahren mehr Abwanderung. Auch Deutsche wandern aus, um als EU-Bürger woanders zu arbeiten. Das waren in den letzten Jahren in der Regel viel mehr Menschen, als zu uns gekommen sind. Wir haben 2015 das erste Mal einen positiven Wanderungssaldo von 320 000 Menschen gehabt. Das ist jetzt nicht so überwältigend. Da ist Luft nach oben, und wir sollten uns anstrengen, noch mehr Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, in Deutschland Arbeit zu suchen.
Insgesamt leben derzeit 1,9 Millionen EU-Bürgerinnen und ‑Bürger in Deutschland. Davon beziehen 400 000 Sozialleistungen, und davon sind – da hat Frau Grönert recht – 110 000 aus Bulgarien und Rumänien. Dass also die Bürger und Bürgerinnen aus diesen beiden Ländern ein riesiges Problem für uns oder gar für unsere Sozialkassen darstellen sollten, kann ich bis hierhin nicht erkennen.
Noch einmal: Es gibt eine Rechtsunsicherheit sowohl für die Bürgerinnen und Bürger aus Bulgarien und Rumänien – also auch die müssen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie nach Deutschland kommen – wie auch für die Kommunen. Auch die müssen genau wissen, wann sie auszahlen und wann nicht, wobei für mein Empfinden auch jetzt schon klar ist, dass für Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt wird, die hier auf Arbeitsuche sind, denn alles andere ist ja jetzt schon ausgeschlossen. Das ist also auch ein Thema der Entscheidungswilligkeit.
Wir begrüßen die Initiative aus dem Hause Arbeit und Soziales, aber es ist eben doch eine sehr nationale Initiative. Meiner Fraktion ist sehr wichtig, noch einmal auf Folgendes hinzuweisen: Wir finden die Überlegungen richtig, und sie finden auch unsere Zustimmung. Wir sagen aber auch – darüber haben wir gestern diskutiert –, dass wir in Zeiten wie diesen eigentlich ein Mehr an sozialem Europa brauchen als weniger.
Dazu gehört, dass die europäische Freizügigkeit – ich wiederhole es –, eine der tragenden Säulen der Europäischen Union, sozial flankiert wird.
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die in einem anderen Land Arbeit suchen – auch das wiederhole ich gern: darunter sind auch viele Deutsche, die gern nach Skandinavien gehen, weil es dort höhere Löhne gibt –, brauchen für den Fall, dass sie vor Ort suchen und sich nicht irgendwie aus Rumänien per Internet auf dem deutschen Arbeitsmarkt zurechtfinden sollen, auch finanzielle Unterstützung. Wir dürfen deshalb die Chancen der Freizügigkeit für alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb der EU nicht unnötig reduzieren, denn es müsste doch allen klar sein – das ist sozusagen mein kleiner Beitrag zur Bremerhaven-Debatte –, dass ohne Existenzsicherung eine noch größere Gefahr besteht, dass nicht hochqualifizierte Unionsbürger von skrupellosen Unternehmern und Vermietern ausgebeutet werden. Die Gefahr wird größer, wenn wir hier nicht mit Bedacht den Rechtsrahmen sichern. Ich bin sicher, dass eine Erhöhung der Gefahr in niemandes Interesse hier im Saal ist. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema haben wir heute schon an verschiedenen Stellen aufgefangen, wir haben es auch gestern schon
in einem anderen Zusammenhang angerissen. Ich finde es teilweise sehr erschreckend, was für Aussagen hier getroffen werden.
Die rechtlichen Grundlagen sind jetzt schon von einigen Vorrednern und Vorrednerinnen angerissen worden. Der EuGH hat auch ein Urteil gefällt, das die bisherige Praxis in Deutschland bestätigt hat, dass nämlich ein Ausschluss von der SGB-II-Leistung stattfinden darf und dass das mit EU-Recht vereinbar ist. Das Bundessozialgericht hat dann mit dem Urteil gesagt: Na ja, das ist im SGB II so, im SGB XII ist es nicht so. Es verweist in dem Urteil auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was den Anspruch auf das Existenzminimum angeht. Das heißt, da gibt es schon eine Rechtsprechung, die ich für besser halte als das, was die EU-Rechtsprechung als Rahmen vorgibt. Der Vorschlag, deshalb die gesetzliche Grundlage zu ändern, ist tatsächlich einer, der aus einem SPDgeführten Ministerium kommt, der von der CDU jetzt in Bremen unterstützt wird und den wir für einen Schritt in die vollkommen falsche Richtung halten.
Denn es handelt sich dabei um eine Verschlechterung der sozialen Beteiligungsmöglichkeiten. Es gibt dazu übrigens eine Pressemitteilung aus der Bundestagsfraktion der Grünen, die auch verfassungsrechtliche Bedenken sehen und davon sprechen, dass es, wenn sich Menschen in Deutschland ohne Sozialleistungen aufhalten, zu einer erheblichen Gefährdung des sozialen Zusammenhalts führt. Deshalb hätte ich erwartet, dass sich die Grünen heute klar gegen den Gesetzentwurf aussprechen. Ich vermute aber, dass der Antrag im Endeffekt deshalb so schwammig ist und wenig aussagt, weil man da einen SPD-Vorschlag im Raum stehen hat.
In Ordnung! Die CDU möchte mit diesem Antrag also den SPD-Vorschlag unterstützen, der besagt, dass die Ansprüche erst nach fünf Jahren gelten. Übrigens nur einmal zur Einordnung, wie absurd dieser Vorschlag ist: Cameron hat einen Zeitraum von vier Jahren ausgehandelt, die AfD hat in der Vergangenheit vier Jahre gefordert, und Andrea Nahles fordert fünf Jahre. Manchmal merkt man schon, dass die AfD eine Rechtsverschiebung im politischen Klima zur Folge hat. Ich finde, es ist ein Skandal, dass sich die SPD positiv auf eine solche Forderung bezieht. Ich hätte da ein klareres Statement aus Bremen erwartet. Ich finde das peinlich!
Die sechs Monate sind übrigens nicht sechs Monate, weil es so witzig ist, sechs Monate zu nehmen, sondern die sechs Monate sind begründet mit dem Verstrei
chen der Einspruchsfristen für das Aufenthaltsrecht. Es ist also auch nicht so, dass man sich irgendeine Zahl überlegt.
Ja, es gibt aufenthaltsrechtliche Regelungen, in deren Rahmen Widerspruch eingelegt werden kann! Das ist Aufgabe der Ausländerbehörden. Wenn das nicht passiert, besteht ein Anspruch nach SGB II.
(Beifall DIE LINKE – Abg. Öztürk [Bündnis 90/Die Grünen]: Das sagt nur etwas über die Aufenthalts- verfestigung!)
Genau! Die Aufenthaltsverfestigung ist nach sechs Monaten, nachdem kein Widerspruch eingelegt wurde, passiert, und das ist die Begründung, die das Sozialgerichtsurteil vorgenommen hat. Deshalb kann man nicht einfach sagen: Gut, jetzt nehmen wir fünf Jahre! Denn dafür bräuchte man erst einmal eine Begründung. Es gibt übrigens auch viele Europarechtler, die erhebliche Zweifel daran haben, dass das so umgesetzt werden kann.
Aber was heißt das jetzt eigentlich de facto? Wir können uns das ja einmal vorstellen. Eine Familie kommt nach Deutschland. Zwei Erwachsene finden Arbeit und arbeiten hier vier Jahre durchgehend. Sie geraten dann, weil die Firma pleite ist, in die Arbeitslosigkeit. Sie haben jetzt noch ein halbes Jahr Anspruch auf SGB-II-Leistungen – das stimmt – und danach nichts mehr. Dann haben wir noch die von Frau Grönert angesprochenen vier Monate Übergang und ein bisschen Geld, damit sie wieder zurückkommen. Toll! Also so stellen Sie sich Integration vor. Erst nach fünf Jahren haben Sie einen vollständigen Anspruch auf Sozialleistungen erworben. Das kann es nicht sein. Das ist das Gegenteil von europäischer Integration. Das ist eine sozialpolitische Fehlentscheidung.
Ich knüpfe an das an, was gestern schon gesagt wurde und was auch unsere Position in der Europafrage ist. Wenn wir den europäischen Gedanken weiterentwickeln wollen, dann kann das nur funktionieren, indem man die europäische Integration verstärkt und den Gedanken der Sozialunion weiterentwickelt.
Was an dieser Stelle passiert, ist ein Rückschritt hinter die Forderungen, die eigentlich die weiteren Schritte einer europäischen Funktion zur Folge hätten. Den CDU-Antrag lehnen wir deshalb aus voller Überzeugung aus inhaltlichen Gründen ab! Auch der Koalitionsantrag enthält keine Ablehnung des Nahles-Antrags, und deshalb werden wir auch den ablehnen. Er ist komplett aussagelos. Man braucht halt
einen Antrag, damit man sich nicht zum CDU-Antrag verhalten muss. Aber in Ordnung! Unserer Meinung nach muss das Gesetz aufgehalten werden. Es ist eine politische Fehlentscheidung. Wir brauchen bei Sozialfragen mehr und nicht weniger EU-Integration!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir profitieren als Stadt und als Land, aber auch als Staat von der Freizügigkeit in Europa, von der Freizügigkeit für Menschen, Waren und Dienstleistungen. Europa hat seinen Wert für uns und zugleich seinen Preis. Die Frage ist aber – die diskutieren wir hier –, welchen Preis wir bezahlen wollen und welcher Preis angemessen ist. Ich finde es vollkommen richtig, hier die Frage zu stellen, wie der Kollege von den LINKEN das getan hat: Was wollen wir als Gegenseitigkeit auf europäischer Ebene? Wollen wir Rechtssicherheit auf europäischer Ebene? Wie viel Solidarität wollen wir, und wie viel Nichtsolidarität wollen wir? Wie wollen wir miteinander umgehen, und welche Sozialleistungen wollen wir gegenseitig in den Ländern zahlen und welche nicht? Wir als Bundesrepublik Deutschland sind natürlich hochattraktiv als ein Land mit höherem Lebensstandard, und deswegen müssen und wollen wir auch damit leben, dass Arbeitskräfte zu uns kommen, die hier arbeiten wollen. Wir müssen auch damit leben, dass einige es nicht schaffen, hier gleich Arbeit zu finden. Das tun übrigens einige Deutsche auch nicht. Insofern ist das eine Frage, die wir genau austarieren und überlegen müssen. Deswegen ist es auch gut und richtig, dass man überlegt, ob das nicht ausgenutzt worden ist und ob wir da eine Grenze ziehen. Dazu gibt es jetzt einen Gesetzentwurf auf Bundesebene. Das kann man grundsätzlich gut finden. Das tun wir auch. Aber natürlich muss man dann auch auf die Einzelregelungen schauen und fragen, was wir tun müssen, damit wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Das ist die Sache, die hier gerade getestet werden soll. Wir haben ja eben vom Kollegen Janßen schon die polittheoretische Ausführung gehört. Die Union prüft, ob ihr Koalitionspartner auf Bundesebene noch zu ihr steht und fragt die Grünen: Na, wie könnt ihr denn damit umgehen, und haltet ihr das vielleicht aus? Das erleben wir zum wiederholten Male, das machen wir auch gern mit, und wir positionieren uns als FDP auch dazu.
Wir müssen am Ende eines festhalten: Deutschland ist und bleibt Einwanderungsland. Wir werden diese Einwanderung brauchen.
Diese Menschen haben viele Chancen, die sie hier wahrnehmen können und von denen wir als Gesellschaft profitieren können. Wir brauchen diese Einwanderung in unser System. Eine Einwanderung nur in Sozialsysteme will keiner und brauchen wir nicht. Deswegen geht es darum, genau da auszutarieren. Deswegen tritt die FDP auch seit Langem dafür ein, dass wir ein qualifiziertes Einwanderungsrecht bekommen.
Denn das ist das, was wir am Ende brauchen, und wir brauchen europäische Regeln auf Gegenseitigkeit, wie wir damit umgehen, und nicht eine Haltung: Wir mögen die und die nicht! Wir brauchen keine Entsolidarisierung Europas. Das ist der falsche Weg.
Wer das anders diskutiert, vergiftet am Ende das Klima, grenzt Menschen aus, macht für alle, die zu uns kommen, die Integration und die Inklusion in unsere Gesellschaft schwieriger oder unmöglich. Man muss doch sehen, dass manche Menschen Probleme haben. Andere Menschen, die zu uns gekommen sind, sind Glücksfälle, und wir können froh sein, dass sie den Weg zu uns gefunden haben.
(Beifall FDP, SPD – Abg. Röwekamp [CDU]: Wie wird denn die FDP jetzt abstimmen? – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Ach Thomas, lass dich doch überraschen!)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich sage ganz ehrlich: Ich finde tatsächlich auch, dass es eines solchen Antrags nicht bedurft hätte. Dass wir Initiativen der Bundesregierung hier im Land Bremen begrüßen, halte ich für völlig überflüssig.
(Abg. Röwekamp [CDU]: Machen wir aber immer wieder auf Ihre Anträge hin! – Weiterer Zuruf: Wir werden Sie das nächste Mal daran erinnern!)
Nun haben wir von der CDU einen entsprechenden Antrag vorgelegt bekommen, und da schließe ich mich dem an, was Frau Dr. Müller hier bereits ausgeführt hat. In dem Duktus dieses Antrags finden wir uns überhaupt nicht wieder.