Protocol of the Session on March 17, 2016

Wo in der Wertstoffkette die Verluste auftreten, ist durchaus nicht einhellig belegt. Es gibt auch in den Studien umstrittene Teile. Ich fand das ganz interessant. In der Studie der Universität Stuttgart heißt es quasi, dass die privaten Haushalte zwei Drittel zu einem Drittel dazu beitragen, und in der WWF-Studie aus dem letzten Jahr ist es genau umgekehrt. Es kommt eben immer darauf an, was man einbezieht. Der WWF verweist zum Beispiel darauf, dass eine nicht unerhebliche Menge an Lebensmittel erst gar nicht in die Wertschöpfungskette hineinkommt. 30 Prozent der Möhren erreichen eben nie den Nachernteprozess. Das haben wir hier vorhin schon angesprochen. Als Nahrungsmittel sind sie völlig in Ordnung, aber sie entsprechen eben nicht den Verbrauchererwartungen, wenn man so will.

Es geht aber auch um die Annahme des Handels, was man dem Verbraucher anbieten kann. Die Seite gibt es auch. Es geht vielleicht auch um die eine oder andere EU-Norm, die nicht so zukunftsleitend ist.

Wenn wir über Lebensmittelverschwendung reden, rechnen wir zumeist in Tonnen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Lebensmittel einen sehr unterschiedlichen ökologischen Fußabdruck haben. Fleisch und Milcherzeugnisse stellen mengenmäßig einen geringeren Teil der weggeworfenen Lebensmittel dar. Gerade in Ihnen steckt ja aber auch besonders viel Flächenverbrauch und viel CO2-Produktion, ganz abgesehen davon, dass bei weggeworfenem Fleisch auch immer quasi dahintersteht, dass ein Tier dafür gestorben ist und die entsprechende Geringschätzung dessen letztlich auch eine Botschaft ist.

Bevor man zu den Handlungsmöglichkeiten kommt, muss man für einen Moment erst einmal zulassen, dass das Thema gar nicht so einfach ist wie auf den ersten Blick angenommen. Wir haben derzeit einen starken Trend, dass Ressourcen und Flächen, die eigentlich zur Lebensmittelproduktion bestimmt sind, der Ernährung entzogen werden – Stichwort: Mais für Bio-Diesel! Da verschwinden Lebensmittel, bevor sie überhaupt in die Lebensmittelkette aufgenommen werden können. In vielen Regionen des globalen Südens ist das ein aktuelles Thema.

Man kann auch nicht sagen: Schaffen wir das, was bei uns übrig ist, in andere Weltgegenden. Darüber haben wir hier auch hin und wieder schon diskutiert. Wir kennen das von den Hähnchenschenkeln. Auch die wurden gerade angesprochen. Die werden billig nach Afrika exportiert und machen dort die einheimische Landwirtschaft kaputt.

(Abg. Imhoff [CDU]: Jetzt holen Sie mal nicht zu weit aus!)

Ich weiß! Ist in Ordnung! – Deshalb läuft es immer wieder darauf hinaus: Entscheidend ist, dass wir verantwortlicher und besser mit Lebensmitteln umgehen!

Ich möchte einen Aspekt aufgreifen, der mir gerade bei den Kochhinweisen des Kollegen Imhoff aufgefallen ist. Wir haben eine hemmungslose Kurzbratkultur. Schließlich heißt Kochen: Zeit, sich auseinandersetzen, sich dem auch hingeben! Das heißt also, mehr Ökologie bedeutet mehr Zeit, mehr Qualität und auch mehr Arbeit. Man kann die Wegwerfkultur nicht von der heutigen Arbeitskultur und die Wertschätzung für reproduktive Arbeit trennen. Die reproduktive Arbeit wird zumeist von Frauen ausgeführt.

In jeder Ernährungsdebatte, die ich in den letzten Jahren geführt habe, fand ich das ein wichtiges Thema. Meine Herren, Sie kochen zu wenig! Kochen Sie täglich,

(Abg. Imhoff [CDU]: Das stimmt!)

nicht hin und wieder, weil es gerade einmal schön ist!

(Abg. Imhoff [CDU]: Aber das ist auch so lecker, was meine Frau kocht! – Abg. Rupp [DIE LINKE]: Man- che lügen dann auch!)

Ja, ja, das sagen die Alttraditionalisten natürlich gern.

(Heiterkeit – Beifall DIE LINKE)

Ich möchte auf den Bürgerantrag eingehen. Faktisch geht es darum, dass wir innerhalb der Auseinandersetzung – die werden wir demnächst in den Deputationen noch haben – folgende Ansatzpunkte haben:

Erstens. Ich finde völlig richtig, dass wir den bewussten Umgang mit Lebensmitteln in eine Kampagne einbetten müssen. Das halte ich für wesentlich. Wir müssen die Lebensmittelverschwendung thematisieren.

Ich kenne auch meine Kinder, die an den Kühlschrank gehen und sagen: Uh, gestern abgelaufen, kann ich überhaupt nicht mehr verwenden! – Ich finde, so etwas geht nicht. Das hat sich aber inzwischen total eingeschliffen.

Zweitens wäre es richtig, dass der Senat bei der Abgabe von Lebensmitteln an die Tafeln auf freiwillige Initiativen verweist. Was man aber prüfen muss, ist, ob es eine Verpflichtung zur Abgabe geben sollte – das ist eben noch fraglich –, wenn die Waren das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben.

Drittens sollten wir prüfen – das wäre durchaus ein Thema für den Europaausschuss –, welche Normen und Richtlinien dazu beitragen, dass Lebensmittel verschwendet werden.

Viertens brauchen wir Fortschritte und Stufenziele für die regionalen Produkte in Kitas, Schulen und Kantinen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn wir den regionalen Bezug zwischen Lebensmitteln und ihrer Erzeugung wieder herstellen, vermeiden wir damit auch Transporte und Lagerverluste, und wir tragen zu einer entsprechend veränderten Haltung bei uns bei. Damit schließe ich. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Wie ist das mit den Arbeitsplätzen in der Nahrungsmittel- industrie?)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Professor Dr. Hilz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig und gut, hier über Lebensmittel zu sprechen. Es ist wichtig, dass dieses Thema in der Bürgerschaft aufgegriffen wird, denn nur, wenn das Thema aufgegriffen wird und wir es thematisieren, kann uns das gelingen, was wir alle wollen, nämlich die Verschwendung von Lebensmitteln einzudämmen.

(Beifall FDP)

Was mir in der Diskussion aufgefallen ist, werde ich in kleinen Punkten abarbeiten. Viel Richtiges ist schon gesagt worden. Die erste Frage, die ich mir stelle: Warum kosten zwei Einkaufwagen eigentlich nur 235 Euro?

(Abg. Imhoff [CDU]: Im Durchschnitt!)

Im Durchschnitt! Die Frage ist: Wie gehen wir eigentlich mit unseren Lebensmitteln um? Deutschland ist das Land in Europa, in dem die Milch am billigsten ist. Es ist das Land in ganz Europa, in dem die Schokolade am billigsten ist.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Schokolade wird auch sel- ten weggeworfen!)

Schokolade wird durchaus häufiger weggeschmissen als Sie glauben, Frau Grotheer!

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Bei mir nicht!)

Bei Ihnen nicht! – Wir müssen schauen: Welche Lebensmittel haben wir, und was sind die Gründe dafür? In Deutschland stammen 60 Prozent der Lebensmittel, die in die Tonne wandern, aus dem Haushalt. Wenn wir uns unsere Nachbarn anschauen, stellen wir fest, das ist anders. In Holland werden beispielsweise 60 Prozent der Lebensmittel bei der Produktion in den Müll geworfen, während nur 40 Prozent aus dem Haushalt stammen. Es ist nicht so, dass die Betriebe in Holland verschwenderisch produzieren,

denn der Lebensmittelmarkt ist längst ein internationaler, sondern es ist so, dass in Holland im Haushalt viel sorgfältiger mit Lebensmitteln umgegangen wird als bei uns. Da muss man sich schon die Frage stellen: Warum ist das so?

Gehen Sie einmal in Dänemark durch eine Obst- und Gemüseabteilung in einem Supermarkt! Da finden Sie nicht die Jonagold in Reih und Glied, ungefähr zwei Drittel ist rot, der Rest ist gelb,

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Ehr- lich gesagt, ist es in Dänemark einmal so und einmal so!)

sondern da sehen die Äpfel noch so aus wie bei meiner Mama im Garten, wenn sie welche vom Baum pflückt. Da haben die einmal eine Stelle. Da sind die einmal kleiner und einmal größer. In Dänemark ist das ganz normal. Bei uns haben wir Reih und Glied, man könnte fast sagen: auf Standard gezüchtete Jonagold-Epidemien.

Was kann man tun? Frau Dehne hat angesprochen, kleinere Portionen wären sinnvoll. Ja, es ist so, dass oft größere Portionen gekauft werden, Familienportionen. Darauf war die Lebensmittelproduktion ursprünglich ausgerichtet. Wir haben in Deutschland mittlerweile aber 50 Prozent Singlehaushalte. Das heißt, wenn Sie eine Dose Mais kaufen, brauchen Sie davon nur ein kleines bisschen, wenn Sie tatsächlich frisch kochen, und der Rest steht erst einmal im Kühlschrank, dann wird er vergessen, und dann wird er irgendwann weggeschmissen. Das Problem dabei ist, dass die Produktion von größeren Gebinden immer noch billiger ist als die Produktion von kleineren Gebinden, weil die Industrie entsprechend darauf eingestellt, die Maschinen da sind und auf entsprechenden Durchsatz gesetzt werden. Bei der Produktion pro Gebinde geht es nicht um 10 Cent, sondern um einen viertel oder einen halben Cent, den man pro Dose Mais einsparen kann.

Was können wir tatsächlich tun? Wo können wir ansetzen? Der technologische Fortschritt, den wir in der Lebensmittelproduktion haben, wurde noch nicht angesprochen. Der kann dazu führen, dass wir durch Verlängerung der Haltbarkeit der Lebensmittel am Ende auch einen Fortschritt im Haushalt haben. Denn der Trend ist so – Sie haben es gesagt –: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nicht nur zu Hause ein großer Schrecken für den Großteil der Bevölkerung, sondern auch im Supermarkt. Wenn Sie drei verschiedene Chargen mit drei verschiedenen Mindesthaltbarkeitsdaten haben, dann wissen Sie aus eigener Erfahrung, welche Packung Sie wahrscheinlich nehmen, nämlich die, die frischer ist, die mit dem längeren Haltbarkeitsdatum. So hat man nur einen gewissen Zeitraum, in dem man Lebensmittel tatsächlich verkaufen kann. Man kann Milch, die einen Tag vor dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums ist, nicht mehr verkaufen. Der technologische Fortschritt, der

eine Verlängerung der Haltbarkeit ermöglicht, ist ein Weg, um aus dieser Bredouille herauszukommen.

Eines möchte ich Ihnen zum Schluss noch sagen. Das ist etwas, was wissenschaftlich nicht richtig ist und so auch nicht stehenbleiben sollte. Derjenige, der sich von Convenience-Food, wie es die wissenschaftliche Welt nennt, also Fertiggerichten, Mikrowellengerichten und so weiter, ernährt, produziert in der Tat weniger Abfall als derjenige, der jeden Tag frisch kocht.

(Abg. Imhoff [CDU]: Da gibt es den Abfall woanders!)

Das gibt die Natur der Sache einfach her. Sie kaufen verschiedene Lebensmittel in verschiedenen Mengen. Sie schneiden das zurecht. Sie kaufen nicht immer die Portion, die Sie sich eigentlich vorgenommen haben. Plötzlich ist es doch viel mehr. Dann wandert irgendetwas – –.

(Abg. Imhoff [CDU]: Irgendwo muss ja gekocht wer- den!)

Ja, es irgendwo muss gekocht werden. Die Industrie kann es in dem Fall deutlich effizienter und mit weniger Abfall. Das muss man auch berücksichtigen. Dennoch stehen auch wir zu dem Punkt, dass der Umgang mit Lebensmitteln frühzeitig in der Schule und auch in der weiterführenden Schule eine Rolle im Lehrplan spielen muss. Der eigentliche Umgang mit Lebensmittel führt nämlich auch dazu, dass Lebensmittel wertgeschätzt werden. Kochen führt dazu, dass Lebensmittel viel mehr wertgeschätzt werden als die schnelle Zubereitung in der Mikrowelle. Insofern begrüßen wir, dass wir hier darüber gesprochen haben, und hoffen, dass wir gemeinsam dadurch, dass wir weiter darüber sprechen, am Ende vielleicht in wenigen Jahren dastehen und sagen: Es ist nicht mehr so! Wir haben es geschafft, dass im Haushalt weniger Lebensmittel in den Müll wandern! – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Crueger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Abgesehen von der geschäftsordnungstechnischen Tatsache, dass wir eine zweimal Fünfminutendebatte haben, hat es auch noch einen inhaltlichen Grund, dass ich mich jetzt in dieser sehr einvernehmlichen und konstruktiven Debatte zu Wort gemeldet habe. Wir haben uns nämlich in der SPD-Fraktion darauf verständigt zu sagen: Bei Themen, bei denen es um Ernährung geht, wollen wir immer sowohl den Verbraucherschutz als auch den landwirtschaftspolitischen Teil beleuchten,

(Beifall SPD)

wobei beides – das klang schon an – miteinander zusammenhängt.

(Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Jetzt kommt Schärfe in die Diskussion! – Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das schaffen Sie nicht in dreimal fünf Minu- ten! – Abg. Röwekamp [CDU]: Das haben wir in ei- ner Person!)