Protocol of the Session on February 25, 2016

Mein ehemaliger Kollege beim Jugendgericht hat das auch deutlich in eines seiner Urteile geschrieben, das mehr Öffentlichkeit als manche anderen Urteile erlangt hat. Aber er hatte Recht damit. Ich erlaube mir zu zitieren:

„Die Kritik an geschlossener Unterbringung und damit auch die Verweigerung dieser Form der Einflussnahme auf junge Menschen mit diesem Problempotenzial stelle sich im Ergebnis als zynisch dar, da jeder Kritiker wissen müsste, dass dieser Weg mangels anderer geeigneter Betreuungsformen für diese Jugendlichen schnell in die Jugendgefängnisse führen müsse. Ganz offensichtlich werde dies in Kauf genommen, weil damit jedenfalls in den sozialen Diensten das selbst gesetzte Postulat einer Erziehung frei von Zwangsmaßnahmen aufrechterhalten werden könne.“

Diese Haltung ist nicht die Haltung der Koalition. Ich habe es schon gesagt. Diese Koalition steht geschlossen hinter der Notwendigkeit der fakultativ geschlossenen Heimunterbringung.

(Beifall SPD)

Aber solch eine Einrichtung schafft man nicht von heute auf morgen, insbesondere deshalb nicht, weil sie stark unter Beobachtung und auch unter teilweiser

harscher Kritik stehen wird, und das auch zu Recht. Da, wo so weitgehend staatliche Macht über schutzbedürftige Menschen ausgeübt wird, ist eine sorgfältige und transparente Entwicklung von Konzepten und fortlaufende Kontrolle Pflicht, auch angesichts der Missstände, die in stationären Jugendhilfeeinrichtungen immer wieder aufgedeckt werden, und beileibe nicht nur in geschlossenen Heimen. Denn es hängt nicht davon ab, ob sie geschlossen sind oder nicht, sondern das geschieht in stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Dort müssen wir immer und überall genau hinschauen, und dies tun wir.

Das sieht das Sozialressort genauso, und ich muss Herrn Röwekamp widersprechen, auch wenn ich ihm eben noch zugestimmt habe. Das Sozialressort arbeitet an einer fachlich fundierten, vernünftigen Lösung, das hat meine Kollegin Frau Dr. Schaefer schon dargestellt. Seit geraumer Zeit werden Gespräche mit dem Sozialressort in Hamburg geführt, auch mit dem avisierten Jugendhilfeträger. Es finden Ortsbegehungen, Prüfungen von Bauplanungs- und Baurecht sowie der Anforderungen an die Vergabe eines solchen Jugendhilfeauftrags statt. Das braucht seine Zeit. Konkret soll das Konzept mit einem vorläufigen ZeitMaßnahmenplan Anfang März im Senat vorgestellt werden.

Einig sind wir uns natürlich auch darin, dass schon jetzt für alle jungen Menschen ein adäquates Angebot gemacht werden muss, ambulant oder stationär, in Bremen oder auch – das ist auch eine gute Übung – in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern und in stationären Jugendhilfeeinrichtungen mit anderen Kommunen. Das war so und das ist so, und das wird auch weiterhin so bleiben.

Erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung zu dem, was Frau Dr. Schaefer sagte: Unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten politischen Fragestellungen gehören untrennbar zu einer Demokratie dazu, ebenso wie der durchaus engagierte und kontroverse Austausch über diese Auffassung. Frau Grotheer hat das gestern in der Debatte, als wir über die Menschenrechte gesprochen haben, noch einmal klar und deutlich gesagt und daran erinnert. Das ist in unserer Fraktion so, und das ist bei den Grünen so, und ich vermute einmal, dass es auch in den anderen Fraktionen, die in dieser Bürgerschaft vertreten sind, nicht anders ist, und das ist gut so, denn nur so entstehen die bestmöglichen Lösungen für Probleme. Aber, meine Damen und Herren – daran sieht man wieder, dass Demokratie hier gut funktioniert –, es gehört auch zu einer funktionierenden Demokratie, dass man am Ende gemeinsame Entscheidungen trifft und gesellschaftliche Probleme sachgerecht löst,

(Beifall SPD und Bündnis 90/Die Grünen)

und das tut die Koalition. Am Ende hoffe ich und appelliere diesbezüglich an alle Mitglieder dieses Hauses, dass wir es schaffen, für alle Jugendlichen

in Bremen und Bremerhaven die Angebote zu entwickeln, die nötig sind, um diesen jungen Menschen eine Entwicklung jenseits der Straffälligkeit und vielleicht sogar – hier möchte ich einmal etwas pathetisch werden – ein glückliches Leben zu ermöglichen, unaufgeregt und jenseits ideologischer Debatten im Sinne der Jugendlichen und – erlauben Sie mir – nicht zuletzt auch im Sinne der inneren Sicherheit in Bremen und Bremerhaven. – Danke!

(Beifall SPD und Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Thematik, über die wir uns heute erneut unterhalten, beschäftigt uns seit mehr als einem Jahr. Im Rahmen des letzten Wahlkampfes hatte der vormalige Bürgermeister Böhrnsen das Wort „wegsperren“ für diesen Personenkreis in die Debatte eingeworfen. Ein schlimmes Wort, das auch ein wenig an nicht rechtsstaatliches Verfahren erinnert.

In den vergangenen Monaten ist nichts Nachhaltiges passiert, obwohl die Thematik mehrfach angesprochen und angemahnt wurde. Wir haben im Jugendhilferecht keine Fortschritte erzielt, in der Organisation oder vielleicht auch in der gesetzlichen Weiterverfolgung, und wir haben auch nichts erreicht, was die Behandlung der jugendlichen Kriminellen im Jugendstrafrecht betrifft, deswegen unser Antrag, der noch einmal hervorheben soll, dass wir beides – beides! – benötigen. Wir brauchen ein echtes Verfahren, das dem Jugendstrafrecht gerecht wird und nicht auf Bestrafung setzt, sondern dem erzieherischen Gedanken, dem Resozialisierungsgedanken im Jugendstrafrecht Rechnung trägt.

(Beifall FDP)

Das ist in der Vielzahl der Fälle nicht so. Viele Jugendliche werden in Untersuchungshaft verwahrt, so nenne ich es, aber sie werden nicht zügig einer strafrechtlichen Entscheidung zugeführt. Dies liegt viel-leicht an der Vielzahl der Fälle sowie an der Überforderung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichten, deshalb in unserem Antrag auch die Forderung nach Auskunft darüber, wie sich diese Verfahren entwickelt haben, und wie man es ermöglichen könnte – weil dabei herauskommen wird, dass man das Personal braucht –, dass man aus dem Topf, der für die Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten vorgesehen ist, den Anteil für die Bearbeitung dieser Fälle bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendbehörden entsprechend aufstockt. Nur wenn wir dies tun, wird es überhaupt möglich sein, diesem Unwesen zu begegnen und Herr zu werden.

(Beifall FDP)

Der zweite Aspekt ist richtig genannt worden: Wir brauchen sozialpädagogische therapeutische Maßnahmen. In allen Anträgen, die hier vorliegen, wird dieser Baustein richtig benannt. Er ist im Antrag der LINKEN und im Koalitionsantrag benannt. Beim Antrag der CDU sehe ich den Fokus mehr auf der geschlossenen Anstalt. Dies sind jedoch Bausteine für das Jugendhilferecht, und es können auch Bausteine im Rahmen eines jugendstrafrechtlichen Verfahrens sein. Nicht nach der ersten, der zweiten oder dritten Tat werden die Jugendlichen weggesperrt. Jugendstrafe ist Freiheitsstrafe, aber unterhalb der Jugendstrafe als Freiheitsstrafe und nach einer Freiheitsstrafe kommen die jungen Leute auch wieder in die Gesellschaft zurück. Neben der Jugendstrafe gibt es andere Maßnahmen, die auch mit dem Jugendhilferecht kombinierbar sein können und müssen. Nur in diesem Zusammenspiel – kurzes Strafverfahren, strafrechtliche Ahndung unmittelbar nachdem die Personen straffällig geworden sind, und parallel dazu eine ausgearbeitete therapeutische Begleitung – kann eine richtige Behandlung dieser Fälle liegen.

(Beifall FDP)

Dazu gehört auch – darin unterstützen wir den Antrag der CDU – eine geschlossene Anstalt. Ob man diese immer auf den Einzelfall anwenden muss, kann man immer noch im Einzelfall entscheiden, aber die Möglichkeit, auf die geschlossene Anstalt zurückgreifen zu können, müssen wir uns – auch, was die Interessen – und die Sicherheitslage der Bevölkerung betrifft – unbedingt vorbehalten.

(Beifall FDP)

Deshalb fordere ich Sie auf, diesen Antrag mit zu unterstützen. Bei dem Antrag der Koalition haben wir ein wenig den Eindruck, dass man noch einmal vier Monate Zeit gewinnen will. Dann ist man in der Sommerpause. Wir hätten uns hier wesentlich mehr Drive vorgestellt und erwartet, dass Sie uns nach über einem Jahr nach der Ankündigung des Wegsperrens

(Glocke)

eine akzeptable und für die Bevölkerung tragbare Lösung anbieten könnten. – Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit jugendlichen Mehrfachtätern, die sich aggressiv verhalten, gibt es in Bremen ein Problem. Sie respektie

ren keine Grenzen und tätigen Übergriffe auf Passanten. Ich möchte zunächst betonen, dass nicht die Herkunft dieser Personengruppe, sondern ihre Sozialisierung das Problem ist.

Aus unserer Sicht kann man dieses Problem nicht sicherheitspolitisch lösen. Es handelt sich um Minderjährige, und daher ist zuallererst die Jugendhilfe zuständig. Herr Röwekamp, Sie haben hier etwas grundsätzlich falsch verstanden, die Jugendhilfe ist nicht für den Schutz der Öffentlichkeit, sondern die Jugendhilfe ist zuallererst für den Schutz der jungen Menschen zuständig.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Frau Ahrens [CDU]: Das hat er aber gesagt!)

Ich habe Herrn Röwekamp zugehört, er hat eben ausgeführt, dass die Jugendhilfe die Aufgabe habe, die Öffentlichkeit zu schützen. Dafür sind meiner Auffassung nach die Justiz und die Polizei die richtigen Ansprechpartner.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: So gut, wie Sie behaupten, ha- ben Sie nicht zugehört! – Abg. Frau Ahrens [CDU]: Das ist dummes Zeug, was Sie da sagen!)

Es ist nicht umsonst eine Trennung der Systeme vorhanden. Ich bin dafür, und ich appelliere daran, dass diese Trennung aufrechterhalten wird.

Die Jugendhilfe hat zu Recht erzieherischen Charakter, sie hat den Auftrag, junge Menschen zu integren Mitgliedern dieser Gesellschaft zu erziehen. Die grundlegende Frage ist doch, ob eine Erziehung zur Freiheit in Unfreiheit möglich ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht geht. Studien und Erfahrungsberichte bestätigen das. Das Deutsche Jugendinstitut hat im Jahr 2010 eine empirische Untersuchung zur geschlossenen Unterbringung durchgeführt.

Das Institut kommt in der Auswertung zu dem Ergebnis, dass – ich zitiere mit Erlaubnis – „Geschlossenheit und Abschottung nach außen den Erziehungsprozess für die große Mehrzahl der Jugendlichen erschweren“. Die Kollegin Frau Dr. Schaefer hat vorhin in ihrem Redebeitrag weitere Stellungnahmen von pädagogischen Fachleuten erwähnt. Wir wären alle gut beraten, wenn wir diesen Fachleuten auch Gehör verschaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Bremen hat aus guten Gründen seit vielen Jahrzehnten kein geschlossenes Jugendheim. Es ist auch nie zum Thema geworden, dass der ehemalige Bürgermeister Böhrnsen vor einem Jahr die geschlossene Unterbringung der geflüchteten jugendlichen Delinquenten gefordert hat. Dass die Jugendhilfe nicht nach

der Herkunft geleistet wird, scheint mittlerweile angekommen zu sein. Das Vorhaben an sich wird aber weiterverfolgt.

Sie haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die geschlossene Unterkunft als Ultima Ratio einzurichten.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: So ist es!)

Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag die Schaffung einer fakultativ geschlossenen Einrichtung.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Das steht nicht so im Antrag, er lautet deutlich anders!)

Ich frage Sie: Ist die Ultima Ratio schon erreicht? Können Sie sagen, dass Sie bereits alle Möglichkeiten der offenen Jugendhilfe ausgeschöpft haben, um jetzt auf die geschlossene Jugendhilfe zu setzen? Im Grunde verneinen Sie diese Fragen selbst mit Ihren übrigen Antragspunkten.

In diesen Antragspunkten fordern Sie den Aufbau der mobilen Betreuung, der Straßensozialarbeit und intensivpädagogischer Einrichtungen. Wenn Sie den Passus Ultima Ratio des Koalitionsvertrags ernst genommen hätten, dann hätten Sie diese Maßnahmen zuerst umgesetzt. Sie hingegen fordern jetzt die geschlossene Unterbringung, der Rest ist quasi das Begleitprogramm.

Ihnen allen müsste doch bewusst sein, dass die bestehenden Angebote der Jugendhilfe nicht bedarfsgerecht sind. Eine intensivpädagogische Betreuung der Personengruppe hat lange Zeit überhaupt nicht oder lediglich ungenügend stattgefunden. In seinem Urteil vom Oktober stellt Jugendrichter Rogoll – er wurde vorhin bereits erwähnt – eine Minimalbetreuung der Jugendlichen fest, die eine lange Zeit in den Hotels in Strom und Hastedt untergebracht waren und die später wegen Brandschutzverstößen und dubioser Geschäftsmodelle geschlossen worden sind.

Ich habe damals mit den Betreuern in den Hotels gesprochen, und sie berichteten, dass die Jugendlichen quasi sich selbst beziehungsweise einem zwielichtigen Umfeld überlassen worden waren. Ein Teil der Probleme ist also durch ungenügende und nicht bedarfsgerechte Jugendhilfe zumindest befördert worden.

(Beifall DIE LINKE)

Mit der Akademie Kannenberg sind intensivpädagogische Möglichkeiten sicherlich nicht ausgeschöpft. Sein umstrittenes autoritäres Konzept scheint ja auch nicht wirklich erfolgreich gewesen zu sein. Ich glaube, wir alle wollen, dass erfolgreiche Jugendhilfemaßnahmen gefunden werden. Ein Erfolg setzt aber voraus, dass man auf die Ursachen schaut.

Wiederholte Straffälligkeit und Aggressivität von Jugendlichen sind ein sichtbarer Hinweis darauf, dass tieferliegende Probleme vorhanden sind. Vielen der straffälligen Jugendlichen werden sogenannte Straßenkinderkarrieren nachgesagt. Man kann also davon ausgehen, dass sie schon früh vernachlässigt und misshandelt worden sind. Diese Erfahrungen lösen schwere Traumata aus, und Traumata äußern sich häufig in Selbstgefährdung, zum Beispiel durch Drogenkonsum, oder in Fremdgefährdung durch Aggressivität und Delinquenz.