Protocol of the Session on July 1, 2015

(Anhaltender Beifall)

Ich bitte den Präsidenten, jetzt hier oben Platz zu nehmen.

(Präsident Weber übernimmt den Vorsitz.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Abgeordnete! Es ist ein schöner Tag für mich, und das in zweierlei Hinsicht: Ich bedanke mich sehr herzlich für den erneuten Vertrauensbeweis, den Sie mir mit meiner Wiederwahl entgegengebracht haben. – Herzlichen Dank dafür! Für mich ist es eine Freude, vor allem aber auch eine Verpflichtung, und ich bin mir der Bedeutung des Amtes bewusst, das ich im Einklang mit der Landesverfassung und der Geschäftsordnung und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger für diese Stadt und dieses Land und für die Abgeordneten ausüben werde.

Ich verstehe mich als ersten Repräsentanten unserer Städterepublik und als politischen Präsidenten. Dabei ist es natürlich selbstverständlich, auf Überparteilichkeit zu achten und nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Den Fraktionen, Gruppen und Einzelabgeordneten sage ich eine gute und enge Zusammenarbeit zu, und das Versprechen gilt für die Regierungskoalition genauso wie für die Opposition, ohne deren Schlagkraft die Demokratie wenig wert wäre.

Ich wünsche mir für die weiteren Diskussionen und Debatten stets ein möglichst so volles Haus wie heute und eine vollständig besetzte Senatsbank, wie wir sie gerade mit Freude und Genugtuung erleben dürfen.

(Beifall)

Ich möchte mich vor allem bei denjenigen bedanken, die mich gewählt haben. Im Juli werde ich 16 Jahre Bürgerschaftspräsident sein; Ausdauer oder Erbhof mag vielleicht mancher argwöhnen, aber dazu kann ich nur sagen, ich habe nach wie vor Lust und Leidenschaft, dieses Amt auszuüben, dazu den Willen, in der parlamentarischen Demokratie Bewährtes zu bewahren und neue Wege mitzugestalten. Schließlich waren meine Vorgänger noch länger im Amt als ich, Dieter Klink und August Hagedorn zum Beispiel.

Warum sage ich das? Herr Hagedorn war derjenige, der nach dem Krieg für die bremischen Abgeordneten erstmals ein eigenes Domizil errichten ließ, und im kommenden Jahr wird das Haus der Bürgerschaft 50 Jahre alt. Das ist für mich nicht nur ein besonderes Jubiläum, sondern eine nötige Rückbesinnung auf die Symbolkraft dieses außergewöhnlichen Objektes der Moderne. Die Kombination aus Architektur und Parlament, aus Form und Zweck ist hier nicht nur gelungen, sondern sie sorgt für kreative Impulse und gibt uns bis heute Handlungsanleitungen. Das Haus der Bürgerschaft liefert uns ein Beispiel für den Mut zum Neuen. Beachten und benutzen Sie das für Ihre Arbeit!

August Hagedorn sprach in seiner Eröffnungsrede 1966 von einer Heimstatt demokratischen Geistes, vom Wert und der Würde des Hauses, die dazu ani

mierten, über allem Trennenden das Verbindende zu sehen und um die besten Lösungen der anstehenden Probleme zum Wohle unserer Freien Hansestadt Bremen zu ringen. Ja, das bleibt modern, wie auch der Transparenzgedanke des Architekten Wassili Luckhardt und die Gleichwertigkeit in der Anordnung, wonach Parlamentarier und die interessierte Öffentlichkeit gleichermaßen denselben Eingang benutzen sollten. Das tun sie bis heute.

Der Charakter dieses Hauses ist einzigartig und von der Liebe und dem unerbittlichen Willen zur Demokratie geprägt. Deshalb steht es – noch so jung und doch schon weise! – seit 23 Jahren unter Denkmalschutz, Bestandsschutz sozusagen; übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Plenargestühl, auf dem Sie sitzen, ebenfalls!

(Heiterkeit)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist mir ein besonderes Bedürfnis, die 30 neuen beziehungsweise wieder neuen Volksvertreterinnen und -vertreter unter uns willkommen zu heißen.

(Beifall SPD, CDU)

Wir haben eine Newcomerquote von beinahe 40 Prozent, das ist durchaus beachtlich.

Wir Erfahrenen wollen Ihnen, den Neulingen, den Einstieg so leicht wie möglich machen. Sie sollen Spaß und Befriedigung haben an Ihrer Arbeit, gefördert werden in Ihrer Neugierde, Ihrem Ehrgeiz und Engagement, Sie sollten hier aber auch ein faires Miteinander erfahren, nicht zu vergessen die Mitmenschlichkeit.

Ein alter Hase, wenn ich das so sagen darf, hat unsere heutige Sitzung bisher geleitet, Bernd Ravens aus Bremerhaven. Sehr geehrter geschätzter Herr Kollege, ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie als Alterspräsident der konstituierenden Sitzung Ihren Stempel aufgedrückt haben mit offenen, nachdenklich stimmenden Worten und der Umsicht eines routinierten Parlamentariers. Bernd Ravens ist bald 40 Jahre in der Bürgerschaft vertreten, das wird ihm so schnell keiner nachmachen. Über einen langen Zeitraum diente er dem Hohen Haus als Vizepräsident, und es war überaus angenehm und konstruktiv, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Das wollte ich Ihnen gern noch einmal sagen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Landesparlamente werden oft ob ihrer vermeintlichen Bedeutungslosigkeit belächelt, dabei verfügen gerade die Landtage dank der Föderalismusreform über eigene, sogar erweiterte Gestaltungsspielräume, mit der sie wichtige Zukunftsfelder wie Bildung, Integration und demografischen Wandel beackern können, sie müssen nur die Initi

ative ergreifen und den Willen zu Veränderungen zeigen. Wenn sie es denn wollen, sind Landesparlamente der Schrittmacher für den Föderalismus und für die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer Ebene, und sie sind mehr denn je gefordert, dem Ungeist der zunehmenden Wahlverweigerung entgegenzuwirken.

Dass inzwischen die Hälfte der bremischen Wählerinnen und Wähler eine Ohne-mich-Haltung einnimmt, ist ein gefährlicher Rückschritt, der uns die Legitimation als Volksvertreter klammheimlich entzieht. Gewiss, wir werden neu nachdenken, was Wahlrecht, Wahlorganisation und Wahlunterlagen angeht, wenn nötig, Korrekturen anbringen, wir müssen die politische Bildung verbessern, das ist auch klar, doch das größte Hindernis haben wir Politikerinnen und Politiker selbst errichtet, nämlich eine latente Entfernung und Entfremdung von den Wählerinnen und Wählern. Das spiegelt sich sicherlich nicht immer in den realen Verhältnissen wider, wird von den Menschen aber als gegeben empfunden.

2017 werden wir auch in Bremen 500 Jahre Reformation feiern. Martin Luther sagte damals, als er die Bibel ins Deutsche übersetzte: Man muss dem Volk aufs Maul schauen und zuhören, was das gemeine Volk sagt. Dieser Rat scheint mir heute gerade für unsere Politikerzunft so aktuell zu sein wie nie zuvor. Er bedeutet für mich, auf die Menschen zu achten und auf sie zuzugehen und mit ihnen, nicht über sie zu reden, sie in ihren Alltagszusammenhängen abzuholen, ihre Ängste ernst zu nehmen – beispielsweise die Angst vor dem Fremden – und Projekte und Pläne, Argumente und Gegenargumente auch denjenigen zugänglich und verständlich zu machen, die sich nicht täglich um das politische Geschehen kümmern.

Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern wieder klar machen, dass über ihre Lebenswelten nicht sowieso in Brüssel, Berlin und in Banken entschieden wird, sondern durch die von ihnen gewählten Mandatsträger, die freilich den Teilhabewillen der Bevölkerung respektieren und begleiten. Das müssen wir ihnen klar machen und entsprechend handeln.

Ganz wichtig ist es dabei, sich immer wieder zur Wahrheit zu bekennen, auch wenn sie bitter ist. Ich möchte dazu Ingeborg Bachmann zitieren: „Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die anderen, wenn sie ihm... zu verstehen geben, dass sie die Wahrheit von ihm fordern... und in den Stand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.“ Das betrifft Schriftsteller und Politiker gleichermaßen.

Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, Prioritäten zu setzen, und Priorität haben Mittel und Wege, die den Spalt zwischen Arm und Reich in unseren beiden Städten verkleinern und absehbar schließen. Je mehr ärmere und reichere Reviere beziehungsweise Stadtteile auseinanderklaffen – und das jüngste

Wahlergebnis hat das einmal mehr erschreckend dokumentiert –, desto mehr bröckelt das Fundament der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Der Kampf gegen Ungleichheit, gegen Ausgrenzung und für Verteilungsgerechtigkeit ist Aufgabe von uns allen, in erster Linie aber die Hauptaufgabe eines verantwortungsbewussten Staates, der Menschenrechte nicht nur aus Pflicht, sondern als Chance und als die Zukunft in Deutschland und Europa hochhält.

Zu den Menschenrechten! Die Bremische Bürgerschaft hat jüngst ein Projekt mit jugendlichen Flüchtlingen unterstützt mit dem Namen „Ich bin die Wahl!“. Unter diesem Motto wurden Wahlkämpfe von Parteien und ganz persönliche Wünsche per Foto und Film umgesetzt, und die Resultate werden am 9. Juli in einer Ausstellung im Festsaal zu sehen sein. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Sie können sich dann auch davon überzeugen, was viele eigentlich schon wissen, andere aber nicht so recht wahrhaben wollen: Flüchtlinge sind in der Regel eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Hassan aus Pakistan und Mamadou aus Guinea, beide 17 Jahre alt, betonen: Wir kommen von anderen Kontinenten, haben nicht die gleiche Kultur und sprechen noch nicht einmal die gleiche Sprache, trotzdem haben wir uns von Anfang an verstanden. Das Projekt „Ich bin die Wahl!“ ist beispielgebend.

Meine Damen und Herren, nach den schrecklichen Terroranschlägen in Tunesien und wieder in Frankreich dürfte die Furcht vor Flüchtlingen wohl wachsen, aber die meisten Flüchtlinge, die in unseren Breiten Schutz suchen, fliehen gerade vor jenen Verbänden wie dem IS, die den Terror anrichten und deren Opfer sie sind. Deshalb müssen wir diesen Flüchtlingen helfen und ihnen die Chance geben, ein Leben in Freiheit und ohne Repressionen führen zu können.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Erinnern wir uns – das Reformationsjubiläum erwähnte ich –: Schon vor 500 Jahren zog es Glaubensflüchtlinge nach Bremen, weil die Gastlichkeit der Stadt und ihre Niederlassungsfreiheit sich herumgesprochen hatten. Auch verfolgten Theologen bot die Stadt Zuflucht, damit sie hier gefahrlos leben und lehren konnten. Auf diese Historie bremischen Niederlassungsrechts dürfen wir stolz sein, und wir sollten uns heute immer wieder daran orientieren.

Noch einmal zurück zur Prioritätenliste! Vorrang für die Bürgerschaft und den Senat in den kommenden vier Jahren – darauf wies der Alterspräsident bereits hin – hat der wohlüberlegte und entschlossene Einsatz für die Existenz unseres Zwei-Städte-Staates, und zwar in der Überzeugung, dass sie dem Wohl der Menschen dient. Nur mit der Perspektive lohnt sich dieser Einsatz, der einer Herkulesaufgabe ähnelt, wirklich. Mit verunsicherten und ängstlichen Men

schen können wir diese Herausforderung nicht bewältigen, sondern mit Menschen, die sich optimistisch stimmen lassen, die mitmischen und Mitverantwortung tragen, die Konflikte aushalten, aber für plausible Ziele auch Konsense finden und Toleranz üben, die Mehrheiten respektieren und Minderheiten schützen.

Diese Menschen können wir auf unsere Seite ziehen, wenn wir Abgeordneten ihnen mit Offenheit, Aufrichtigkeit, Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Ideen begegnen, und das in beiderseitigem Vertrauen, um das man gerade als Politiker ständig neu werben muss.

Tun wir es hier und jetzt! – Ich danke Ihnen!

(Beifall)

Wir kommen nun zu weiteren Wahlen.

b) Wahl der Vizepräsidenten/Vizepräsidentinnen

Es sind zwei Wahlvorschläge eingereicht worden, und zwar von der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Sülmez Dogan und von der Fraktion der CDU der Abgeordnete Frank Imhoff.

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Es ist vereinbart worden, auch diese Wahl gemäß Paragraf 58 Absatz 4 unserer Geschäftsordnung als geheime Wahl in Wahlkabinen durchzuführen. Damit gelten im Grundsatz dieselben Verfahrenshinweise, die auch bereits bei der Wahl des Präsidenten gegeben worden sind. Da hier in einem Wahlgang mehrere Personen gewählt werden, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass gemäß Paragraf 58 Absatz 6 Satz 4 der Geschäftsordnung ein Stimmzettel insgesamt ungültig ist, wenn ein Kreuz fehlt. Für eine gültige Stimmabgabe sind daher sämtliche Wahlvorschläge entweder mit Ja, Nein oder Enthaltung zu kennzeichnen.

Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass das Wahlverfahren klar ist. Dann können wir die Wahl durchführen.

Ich bitte jetzt die Abgeordneten Antje Grotheer, Susanne Wendland, Klaus-Rainer Rupp und Rainer Buchholz, an der Ausgabestelle für die Stimmzettel beziehungsweise an der Wahlurne Platz zu nehmen.

Ich komme zum Namensaufruf.

(Es folgt der Namensaufruf.)

Meine Damen und Herren, damit ist der Namensaufruf beendet.

Ich frage die Anwesenden, ob alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben haben. – Ich stelle fest, ist der Fall.

Damit ist der Wahlgang geschlossen.

Wir kommen jetzt zur Auszählung der abgegebenen Stimmen.

Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, die Auszählung vorzunehmen.