Protocol of the Session on November 10, 2011

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

die kommen manchmal vollkommen zerstört aus diesen Familien heraus. Das hat sich in Bremen ja ganz stark verbessert, Herr Möhle hat es gesagt, früher war man allein auf weiter Flur als Sozialarbeiter, jetzt hat man aber wenigstens ein Team von Fachleuten um sich herum, mit dem man sich berät. Wir haben nicht nur zwei Augen, die hinschauen, nein, es sind vier und sechs Augen. Frau Dr. Mohr-Lüllmann, wenn man erkennt, dass ein Kind nicht gut aufgehoben ist, dann muss man es herausnehmen, wenn das zwei Augen sehen genauso, als wenn es sechs Augen sehen, aber ohne zu zögern. Ich glaube, dass wir da in Bremen viel erreicht haben, und das möchte ich auch hier hervorheben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Professor Dr. Pragst ist Spezialist für forensische Haaranalytik. Unter Gelehrten gibt es ja immer Witze über Juristen: drei Juristen, vier Meinungen. Ich habe es auch auf der Veranstaltung gesagt – Sie kamen ja auch mit anderen Theorien, die man bei Haaranalysen haben kann, bitte! –, aber Professor Dr. Pragst ist ehemaliger Leiter der Rechtsmedizin der Charité, er hat viele Preise in seinem Leben bekommen, er berät Firmen in England und meines Wissens nach sogar die englische Regierung, er hat weltweit 19 Patente angemeldet, er gilt als einer der Koryphäen bezüglich Alkoholanalysen in Haaren, und er setzt sich mit Partydrogen auseinander. Ja, er ist schon 70 Jahre alt,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, und?)

aber er ist kein alter Mann, der zu Karstadt gegangen ist und sich einen Chemiebaukasten gekauft hat. Er ist ein ausgewiesener Fachmann.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Da fand ich die Diskussion wirklich kleinlich. Wir haben ihn eingeladen und Sie gebeten, Fragen zu stellen. Er kam und hat mit großem Sachverstand, wie ich finde – ich meine, wie es halt so ist, wenn Wissenschaftler frei erzählen dürfen –, einen sehr chemischen Vortrag gehalten, aber ich fand es in Ordnung.

(Abg. H i n n e r s [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinners?

Gern!

Frau Senatorin, wie erklären Sie sich denn den Umstand, dass es ja ganz offensichtlich Kinder aus Drogenfamilien gibt, bei denen in den Haaren keine Drogen festgestellt worden sind, während bei anderen Kindern, die aus Drogenfamilien kommen, Drogen in den Haaren festgestellt worden sind?

Dazu haben wir natürlich auch den Professor gefragt, Herr Hinners. Das ist eine Frage gewesen, die auch er nicht völlig klar beantworten konnte. Wir haben Familien gehabt, in denen die Kinder unbelastet sind, in denen die Eltern sich auch von dem Drogenmilieu fernhalten, die sich gelöst haben, und wir haben Kinder gehabt, bei denen Spuren von verschiedenen Drogen an den Haaren festgestellt worden sind. Man muss die Leute auf frischer Tat ertappen, ich sage es einfach einmal so, das Familiengericht sagt, diese Haaranalyse reicht nicht aus. Wir sind aber nicht in jeder Sekunde zu Hause dabei, das ist einfach die Tatsache. Herr Dr. Schlenker hat ja gesagt – vielleicht klang es etwas flapsig –, eine Videoüberwachung haben wir bei niemandem zu Hause.

Wir können nur die Sozialarbeiter jeden Tag dort hinschicken, mit Erziehern und Lehrern sprechen und schauen, ob es den Kindern gut geht, und so versuchen, da ein möglichst genaues Bild der Familie zu zeichnen. Das ist meine Antwort an der Stelle, aber es wird keine hundertprozentige Gewissheit geben. Professor Dr. Pragst hat gesagt, dass Marihuana auch durch den Rauch übertragen werden kann. Ich finde es nicht gut, wenn Eltern zu Hause Cannabis konsumieren. Das ist nicht in Ordnung, und ich würde auch gern dafür sorgen, dass kein Elternteil das im Beisein seiner Kinder tut. Ich bin weder geklont noch kann ich das machen, ich kann nur darauf hinwirken, dass wir ein vernünftiges Sozialhilfesystem mit einer guten aufsuchenden Familienarbeit haben, Herr Hinners. Das wäre meine Antwort an Sie an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich habe es auch deutlich gesagt: Das Sozialressort kann allein die Welt nicht retten. Ich bin froh, dass wir den runden Tisch Substitution haben, der von der Kassenärztlichen Vereinigung angeregt wurde, an dem sich unser Ressort und das Gesundheitsressort beteiligt haben. Dort arbeiten die Kinder- und Jugendärzte und die Familiengerichte mit, und es ist jetzt gelungen, Empfehlungen vorzubereiten, die verabschiedet worden sind. Das sind doch die Dinge, die wir jetzt in den Deputationen gemeinsam besprechen müssen. Wie will die bremische Politik mit diesen Empfehlungen umgehen, und wie gießen wir das noch in verbesserte Handlungskonzepte?

Ich nehme Ihren Antrag jetzt in die Deputation mit, wir werden ihn in unsere Beratung mit einbeziehen, aber auch dafür brauche ich keine Handlungsaufforderung. Es ist selbstverständlich, dass wir darüber, was Frau Dr. Mohr-Lüllmann gesagt hat – das habe ich in der vergangenen Woche auch mehrfach auf verschiedenen Veranstaltungen gesagt –, nämlich sozialpädiatrische Gutachten mit einzubeziehen, nachdenken. Ich bin sehr für eine psychosoziale Beratung bei den Methadonpraxen, und ich bin gegen Urinhandel am Bahnhof.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe jetzt ein Büro, aus dem ich Tag für Tag sehe, was am Bahnhof passiert. Das ist ein Zustand, den man in Bremen auch nicht tolerieren darf. Als Sozialsenatorin kann man viel, aber dagegen kann eine Sozialsenatorin, egal wie gut sie ist, nichts tun, da müssen mehr Leute, mehr Ressorts mitarbeiten, und da muss es eine abgestimmte Zusammenarbeit geben. Die Forderungen dafür liegen jetzt auf dem Tisch.

Frau Dr. Mohr-Lüllmann hat bemängelt, dass ich die Öffentlichkeit nicht informiert habe. In dem Fall, den sie heute der Presse mitgeteilt hat, laufen staatsanwaltliche Ermittlungen, und die Polizei ermittelt. Wenn jemand beschuldigt wird, dann gilt auch da – so hart das klingt – erst einmal der Sozialdatenschutz und auch eine Unschuldsvermutung, sofern die Staatsanwaltschaft und Polizei noch ermitteln, und daran halte ich mich. Ich glaube, die Ermittlungen laufen noch, Frau Dr. Mohr-Lüllmann! Wenn die CDU da mehr weiß – oder Sie mehr wissen und schon Schlüsse aus diesem Verfahren ziehen –, dann bleibt das Ihr Geheimnis. Ich kann als Senatorin aber keine abschließende Meinung zu diesem Fall hier kundtun, und ich werde hier auch keine Familiengeschichte ausbreiten. Ich denke, wenn der Fall abgeschlossen ist, werden wir das gemeinsam bewerten und schauen müssen, ob das Amt alles getan hat. Das jetzt aber vor Beendigung des Verfahrens zu machen, halte ich für verfrüht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich will aber trotzdem deutlich sagen, dass das Amt für Soziale Dienste gemeinsam mit dem Krankenhaus aus meiner Sicht, so wie ich es beurteilen kann, alles dafür getan hat, dass, als das eine Kind im Krankenhaus war, das andere Kind in eine sozialpädagogische Familienhilfe gekommen ist. Es hat eine Verletzung gegeben, das ist wahr, die war, das finde ich auch, dramatisch. Dem Kind und auch dem Geschwisterkind geht es den Umständen entsprechend, und das ist kein schöner Fall. Ich kann mir auch vorstellen, über schönere Dinge zu berichten, aber es ist so, und das muss ich auch Tag für Tag feststellen. Ich habe mehrere Kinder in Familien – und da nehmen nicht alle Drogen –, die von ihren Eltern misshandelt oder missbraucht werden, deren Eltern sind nicht Methadon substituiert. Wir haben auch mit Familien zu tun, die in Borgfeld oder Schwachhausen wohnen, das durchzieht viele gesellschaftliche Schichten. Auch das muss man einmal klar sagen: Auch ein Kind in Horn-Lehe kann in einer gut situierten Familie die Hölle durchmachen, wenn aufmerksame Nachbarn keine Signale empfangen und an das Jugendamt melden, dass Dinge aus ihrer Sicht nicht stimmen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Amtszeit ist jetzt etwas länger als 100 Tage. Soweit ich das jetzt beurteilen kann, ist unter starkem öffentlichen Druck sehr viel gemacht worden. Frau Rosenkötter hat hier – gefühlt in fast jeder Bürgerschaftssitzung – Bericht erstattet über die Anstrengungen der Behörde und des Amts für Soziale Dienste, der Senat und die Bremische Bürgerschaft haben viele Mittel bewilligt und umgeleitet, um zu einer personellen Verstärkung in den Ämtern für Soziale Dienste zu kommen. Wir haben eine steigende Fallzahl, fast eine Verdoppelung, die Arbeitsbelastung in den Ämtern ist wieder enorm hoch, zwar haben wir ein besseres Hilfenetz, aber ich bekomme auch die Rückmeldung, dass fast wieder die Grenze erreicht ist, die man einem Sachbearbeiter psychisch und physisch zumuten kann. Da muss die Bremische Bürgerschaft auch noch einmal hinschauen, dass wir bei diesem System eventuell auch noch einmal Verbesserungen machen müssen. Wir wollen weiter daran arbeiten. Ich finde es richtig, dass wir die Haaranalysen fortsetzen. Ich bin auch für ein Haarscreening. Ich habe auch bestimmte Vorstellungen für Veränderungen im Bereich der Drogenpolitik, die will ich gern in die Debatte mit meiner Kollegin Frau Jürgens-Pieper und auch mit Ihnen und in die Deputation und die Jugendhilfeausschüsse, wie Herr Tuncel es gefordert hat, einbringen. Ich finde es ganz unglücklich, Frau Dr. MohrLüllmann, wie es gelaufen ist. Sie wussten von dem

Fall, Sie hatten einen anonymen Hinweis, und haben mich am Rande einer Sitzung gefragt. Ich habe versucht, während der Sitzung noch ganz schnell herauszufinden, was mit den Kindern ist, und habe Ihnen die Rückmeldung gegeben: Die Kinder sind nicht wieder in die Familie zurückgekehrt.

Weil Ihnen unsere ausführliche Beantwortung zu lange gedauert hat – das gebe ich auch zu! –, sind Sie zur Staatsanwaltschaft gegangen. Das finde ich auch richtig, das ist auch in Ordnung. Was ich Ihnen an dieser Stelle aber übel nehme, ist, dass Sie heute diesen Fall für diesen Antrag benutzen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich hätte es besser gefunden, Sie hätten den Antrag eingebracht und hätten darauf verzichtet, diese Familie, gegen die ermittelt wird, hier in die Öffentlichkeit zu zerren.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Die kennt nun kein Mensch, oder?)

Ja, wir haben heute aber im Ressort die Anrufe einer Rechtsanwältin gehabt, die auf Sozialdatenschutz drängt!

Ich habe auch ganz intensive Gespräche, und wir haben einen ganz intensiven Briefwechsel mit der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Ich könnte Ihnen hier gern einmal einen dreistündigen Vortrag über die Erfordernisse in der Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden halten, weil die Gerichte und die Staatsanwaltschaft natürlich von uns Auskunft haben möchte, wir uns aber in der täglichen Sozialarbeit auf einem Tanz auf dem Seil befinden.

Wir schließen freiwillige Kontrakte mit den Eltern ab. Wenn sie das Gefühl haben, wir missbrauchen seitens der Jugendämter bestimmte Informationen, passiert das, was Herr Dr. Schlenker gesagt hat, die Familien ziehen weg, sie entziehen sich. Das ist das, was wir nicht wollen! Wir sind also auf diese Kooperation angewiesen, und ein Mindestmaß an Datenschutz muss in solchen Verfahren aus meiner Sicht eingehalten werden, dafür stehe ich auch als Person, denn sonst kommt kein Mensch mehr zum Jugend

amt und vertraut ihm Informationen an und lässt sich auf solche Verfahren ein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn wir da Lösungen für einen guten Datenschutz der Betroffenen finden und für einen Datenschutz, der auch den Informationsbedürfnissen der einzelnen Dienststellen dient, dann kommen wir einen Schritt weiter. Dafür müssen wir aus meiner Sicht noch Vorschläge entwickeln, weil das Gericht natürlich auch Beschlüsse auf Einsicht in Gutachten und so weiter bei uns erwirkt. Aus meiner Sicht besteht da noch Klärungsbedarf. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Es ist interfraktionell vereinbart worden, diesen Antrag zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Soziales, Kinder und Jugend zu überweisen.

Wer der Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/106 zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Soziales, Kinder und Jugend seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Meine Damen und Herren, damit wären wir an das Ende unserer heutigen Tagesordnung gekommen. Ich bedanke mich sehr herzlich. Ich schließe die Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).