Protocol of the Session on January 21, 2015

Wird das Wort zu den interfraktionellen Absprachen

gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wer mit den interfraktionellen Absprachen ein

verstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit

den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

(Einstimmig)

Wir setzen die Tagesordnung fort.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von der Abgeordneten

Frau Vogt und Fraktion DIE LINKE folgendes Thema beantragt worden:

Armut und Reichtum nehmen zu: Konsequenzen aus

dem Armutsbericht ziehen und umsetzen!

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin

Stahmann.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete

Frau Vogt.

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Armuts- und Reichtumsbericht liegt vor, und die Zahlen und

Befunde in diesem Bericht sprechen über weite Strecken für sich. Die Armut hat im Land Bremen zugenommen, der Reichtum aber auch. Die sozia le Spaltung hat sich zwischen sozialen Gruppen, aber insbesondere auch zwischen den Stadtteilen verschärft.

Es gibt heute in Bremen und Bremerhaven viele

Wege in die Armut, aber kaum Wege aus der Ar mut. Im Jahr 2007 betrug die Armutsquote im Land Bremen 19 Prozent, im Jahr 2012, fünf Jahre später, sind es 23 Prozent. Das ist eine Zunahme um ein Fünftel. Konkret bedeutet das, 25 000 Menschen mehr leben im Land Bremen in Armut. Bremen hat Mecklenburg-Vorpommern seit dem Jahr 2012 als trauriger Spitzenreiter in Sachen Armut abgelöst. Das kann uns alle nicht kaltlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf der anderen Seite hat sich keine Einkom

mensgruppe so explosionsartig vermehrt wie die der Reichen und Wohlhabenden. Die Zahl der Menschen, die mehr als 500 000 Euro steuerpflichtiges Einkom men im Jahr erzielen, also nicht Umsatz, hat sich in Bremen mehr als verdoppelt. Die Kluft zwischen oben und unten wird also größer.

Die Zahl der Menschen, die Leistungen nach dem

SGB II beziehen, also der ganze Hartz-IV-Bereich, hat sich kaum verändert, auch die Anzahl der Ar beitslosen hat sich kaum verändert. Konjunkturelle Entwicklungen wirken sich auf die Gruppe der Er werbslosen weitgehend nicht aus. Auch die höhere Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze im Land Bremen hat leider für die Erwerbslosen weitgehend keine Auswirkungen. Dies ist im Übrigen auch ein Befund des Armutsausschusses: Erwerbstä tigkeit führt nicht mehr zum Ausstieg aus der Armut! Eine der Ursachen dafür ist die Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse und das insgesamt gesunkene Lohnniveau infolge der Hartz-Gesetzgebung. Über setzt heißt das: Menschen bekommen häufiger Arbeit als früher, aber das Arbeitsvolumen hat nicht zuge nommen, nur die Anzahl befristeter Beschäftigung, von Teilzeitarbeit und Minijobs, die Menschen und vor allem Familien heutzutage nicht mehr ernähren.

Eine besorgniserregende Zunahme sehen wir auch

im Bereich des SGB XII, also der Grundsicherung im Alter oder der Grundsicherung bei Erwerbsminde rung. Hier geht die Kurve steil nach oben, und hier hat die Zahl derjenigen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, seit dem Jahr 2007 um 28 Prozent zugenommen. Das ist auch kein Wunder, prekäre Arbeitsverhältnisse, Niedriglöhne, unterbrochene Er werbsbiographien führen bei immer mehr Menschen dazu, dass sie von ihrer Rente nicht leben können, und dabei haben die Auswirkungen der Absenkung des Rentenniveaus, also die Rentenkürzungen durch die vergangenen Rentenreformen gerade erst begonnen.

Uns treibt aber mehr der wachsende Abstand

zwischen den Stadtteilen um. Soziale Probleme

konzentrieren sich immer stärker in bestimmten Ortsteilen. Zwischen den Jahren 2006 und 2012 hat die Arbeitslosigkeit in Schwachhausen, Horn oder Borgfeld um 40 Prozent abgenommen. In dem gleichen Zeitraum hat sie in Gröpelingen oder in Grohn um25 Prozent zugenommen, in Stadtteilen, in denen die Erwerbslosigkeit bereits im Jahr 2007 auf einem sehr hohen Niveau lag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Stadtteile,

in denen Vollbeschäftigung herrscht, und es gibt Stadtteile, in denen noch mehr Menschen arbeitslos sind als im Jahr 2007. Das hat Folgen. In Gröpelingen sind 51 Prozent aller Kinder arm, in Borgfeld ein Prozent. Entsprechend haben die durchschnittlichen Einkommen in gut situierten Ortsteilen zugenom men, und in den nicht so gut situierten Stadtteilen haben sie abgenommen. Das heißt nichts anderes, als dass die soziale Schere auf- und nicht zugeht, allen Bekenntnissen des rot-grünen Senats zum Trotz. Ich könnte das hier noch länger fortsetzen. Ich rate Ihnen auch dazu, den Armutsbericht zu lesen, auch wenn er vorläufig ist, und sich den alten Bericht aus dem Jahr 2009 daneben zu legen, denn die Zahlen werden leider nicht immer explizit verglichen.

Ein paar Fakten muss ich Ihnen aber trotzdem

zumuten. Der Anteil der Aufstocker, also derjenigen, die arbeiten, aber arm sind und Leistungen benö tigen, ist von 25 Prozent auf 30 Prozent gestiegen. Der Anteil der verschuldeten Menschen ist um 10 Prozent gestiegen. Die Armutsgefährdungsquote für Geringqualifizierte ist von 30 auf 40 Prozent gestiegen. In den Ortsteilen – auch daran hat sich nichts geändert – Gartenstadt Süd, Ohlenhof, Ho hentor, Gröpelingen, Altstadt, Bahnhofsvorstadt und Grohnen schafft weniger als jedes fünfte Kind das Abitur, während es in Borgfeld, Horn, Oberneuland sowie in dem Ortsteil Schwachhausen 85 Prozent aller Jugendlichen gelingt.

Die Fragen lauten aber: Können wir wirklich nur

zusehen? Welche Schuld trifft die jetzige und frü here Bundesregierung? Welche Schuld trifft die Landespolitik, also den Senat? Der Trend, dass die Gesellschaft auseinanderstrebt, die Spaltung der Einkommen, geht in seiner Größenordnung darüber hinaus, was die Landespolitik korrigieren könnte. Das ist tatsächlich ein Resultat der beiden wesent lichen Weichenstellungen der letzten 15 Jahre auf Bundesebene: Hartz-Gesetzgebung auf der einen und die Senkung der Spitzensteuersätze auf der an deren Seite. Das bedeutet, wenn man wirklich – wie wir das praktisch bei jedem Haushalt hier fordern – öffentliche Ausgaben in einer Größenordnung von 150 bis 200 Millionen Euro zusätzlich für Bildung, Soziales und Arbeit investieren würde, dann wäre das eine substanzielle Größe. Damit kann man die Einkommensungleichheit nicht ausgleichen, aber man kann Armut bekämpfen, insbesondere, wenn man das Geld nicht mit der Gießkanne verteilt, sondern gezielt investiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist nämlich der Bereich, der in der Verant

wortung der Landespolitik liegt: der Ausstieg aus der Armut durch Bildung und Qualifikation! Das ist der Bereich, über den wir hier in Bremen sprechen müssen. Findet hier eigentlich Armutsbekämpfung statt, oder erinnert sich die Landesregierung nur dann daran, wenn sie alle paar Jahre einen Bericht vorlegen muss? Wir als Fraktion DIE LINKE hatten im Mai 2014 eine Anfrage gestellt, was eigentlich aus den Maßnahmen geworden ist, die der alte Ar mutsbericht vorgeschlagen hat. Sind die Maßnahmen realisiert worden? Wie haben sie gewirkt? Damals haben wir als Antwort bekommen, dass das dann alles im neuen Armutsbericht stehen würde. Ein Dreivierteljahr später muss ich festhalten, dass es nicht darin steht. Es gibt keine systematische Auswer tung, und es fehlt auch – und das ist sehr interessant – eine Zusammenstellung mit neu vorgeschlagenen Maßnahmen. Das wirkt einfach nur noch hilflos, das kann man nicht anders sagen.

In dem Bereich, in dem Maßnahmen beschrieben

werden, regiert ganz oft die Vergangenheitsform. Es heißt dann, im Bereich der Alleinerziehenden gab es zwei gute Programme, leider sind sie abgeschlossen oder werden nur in geringem Umfang weitergeführt. Im Bereich der Arbeitspolitik gab es ein Landespro gramm, das vorrangig auf sozialversicherte Instru mente gesetzt hat, davon ist aber leider nichts mehr übrig geblieben. Solche Formulierungen finden wie in dem Bericht außerordentlich häufig.

Ebenso häufig hat man den fatalen Eindruck, es

werden gerade die Maßnahmen und Strukturen in dem Armutsbericht hervorgehoben, von denen es in den letzten Jahren, zumindest seit ich Mitglied dieses Parlaments bin, immer hieß, das ist zu teuer, das müssen wir kürzen, das ist nicht effektiv, das müssen wir kritisch prüfen. Das fällt schon sehr auf.

Ich muss an dieser Stelle einmal deutlich festhal

ten, verständnisvolle Worte bei Neujahrsempfängen nützen nichts, wenn man konkrete Maßnahmen zur Verhinderung und Prävention von Armut hier in diesem Hause stets blockiert.

(Beifall bei der LINKEN)