Protocol of the Session on November 19, 2014

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Noch einmal vorweg an Herrn Tuncel gerichtet: Ich habe nie von Sieg gesprochen, in allererster Linie kann man das vielleicht als Niederlage der rot-grünen Koalition bezeichnen.

(Beifall bei der CDU – Abg. R ö w e - k a m p [CDU]: Das ist nicht die erste ju- ristische Niederlage dieser Koalition!)

Ich habe lediglich davon gesprochen, dass wir von Anfang an recht hatten. Das ist ein erheblicher Unterschied. Ob Sie das als Sieg verstehen oder nicht, sei Ihnen überlassen.

Das Homogenitätsgebot des Artikels 28 Absatz 1 gebietet nämlich auch am 19. November 2014 wie bereits vor zweieinhalb Jahren und wie bereits letztes Jahr, als wir hier in der Bürgerschaft und im Ausschuss die Debatte um die Ausweitung des Wahlrechts geführt haben – also zu jeder Zeit –, die verfassungskonforme Ausgestaltung der demokratischen Ordnung der Länder. Darunter fällt im Besonderen der Grundsatz, dass das Volk auf Länderebene angemessen vertreten sein muss, sodass sich der Volksbegriff in Bremen nicht vom Volksbegriff im Bund unterscheidet, geschweige denn unterscheiden darf.

(Beifall bei der CDU)

Mit diesem unumstößlichen Prinzip ist unweigerlich die Ausgestaltung des Wahlrechts verbunden; vor allem ist sie an dieses Prinzip gebunden. Nicht nur aus dem jüngsten Urteil des Staatsgerichtshofs lernen wir, dass die Ausgestaltungsfreiheit des Wahlrechts durch den Landesgesetzgeber in fundamentalen Angelegenheiten schnell an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen stößt, etwa dann, wenn sich der Landesgesetzgeber davon abkehrt, den Volksbegriff des Grundgesetzes, wie er in Artikel 116 Absatz 1 niedergelegt ist, an die Staatsangehörigkeit zu knüpfen und somit die Konzeption der deutschen Verfassung generell infrage stellt.

(Beifall bei der CDU)

Das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland sind gemäß Grundgesetz, laut Bundesverfassungsgericht und nach Auffassung des Staatsgerichtshofs weiterhin alle deutschen Staatsbürger und die ihnen durch Artikel 116 gleichgestellten Personen. Somit ist die Staatsangehörigkeit die rechtliche Voraussetzung für alle staatsbürgerlichen Pflichten und vor allem für die damit verbundenen staatsbürgerlichen Rechte, durch deren Ausübung die Staatsgewalt in unserer Demokratie ihre Legitimation erfährt. Gemäß

der aktuellen Rechtsprechung ist also die Eigenschaft als Deutscher nach der Konzeption des Grundgesetzes der Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Volk als Träger der Staatsgewalt, sodass dieses rechtliche Kriterium für das Wahlrecht vorausgesetzt sein muss.

(Beifall bei der CDU – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Das hat der Staatsgerichtshof nicht gesagt!)

Vor dem Hintergrund, dass Sie die Diskussion erheblich politisieren und politisch aufladen, bin ich dem Staatsgerichtshof sehr dankbar, dass er in seiner Urteilsbegründung zur Überprüfung des Gesetzes zur Wahlrechtsausweitung explizit betont, dass die Staatsangehörigkeit kein wertendes oder gar ideologisches, sondern lediglich ein formales Kriterium darstellt.

(Beifall bei der CDU)

Auf Bundes- und Landesebene kann die Staatsgewalt gemäß Artikel 20 Absatz 2 und Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz also nur von denjenigen getragen werden, die Deutsche im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 oder – auf kommunalem Gebiet – Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der EU sind.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Geht also doch! – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Es geht doch!)

Die Unionsbürgerschaft ist, wie gesagt, ein herausragendes Recht, das man auch nur durch eine Staatsangehörigkeit verliehen bekommt und das Drittstaatler nicht haben.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was haben Drittstaatler auch nicht?)

Hoffentlich muss ich Ihnen das nicht noch erklären. Ich gehe davon aus, dass Sie wenigstens das wissen.

(Unruhe bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Glocke)

Dadurch wird die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage im Staatsaufbau sichergestellt, sodass es den Landesgesetzgebern aufgrund der Bestimmung des Artikels 28 nicht möglich ist, eine neue Legitimationsgrundlage im Staatsaufbau der Länder und der ihnen untergliederten Gemeinden zu konstruieren

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Frau Häsler, was ist denn jetzt Ihre politische Haltung?)

und somit Regelungen gegen geltendes Verfassungsrecht zu erlassen. Das wurde Ihnen ja vom Staatsgerichtshof „glorreich“ bestätigt.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch jüngst der Staatsgerichtshof zum wiederholten Mal die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers im Hinblick auf die Änderungsbefugnis über die verfassungsrechtliche Beschränkung des Kreises der Wahlberechtigung verneint und die Ausdehnung des Wahlrechts durch den Landesgesetzgeber in dieser Form kategorisch ausgeschlossen.

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Das ist richtig!)

Ganz bewusst haben Sie sich als Regierungskoalition dennoch dazu entschlossen, mit Ihrem Gesetz zur Ausweitung des Wahlrechts die eingangs betonte verfassungsrechtliche Grenze mehr als offensichtlich zu überschreiten. Umso deutlicher wurden Sie nicht nur von der CDU-Fraktion, sondern vor allem vom Staatsgerichtshof Anfang des Jahres in Ihre verfassungsrechtlichen Schranken verwiesen.

(Beifall bei der CDU)

Man könnte meinen, dass Sie nach dem ergangenen Urteil des Staatsgerichtshofs, das man ohne Zweifel als klare Niederlage Ihrer rot-grünen, realitätsfernen Wahlrechts- und Integrationspolitik begreifen kann, eines Besseren belehrt worden sind. Wenn man sich jedoch Ihren abschließenden Antrag zur Ausweitung des Wahlrechts heute anschaut, muss man traurig feststellen, dass Sie durch das ergangene Urteil unseres höchsten bremischen Gerichts rein gar nichts dazugelernt haben!

(Beifall bei der CDU)

Mit Ihrem Antrag wirken Sie fast wie ein verzweifeltes, bockiges Kind, das, obwohl es absolut im Unrecht ist, noch irgendwie versucht, sich gegen die Eltern aufzulehnen.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

So, wie Ihre Antragspunkte gefasst sind, verstoßen Sie nämlich weiterhin und aus den Gründen, die ich schon gefühlte hundertmal von diesem Pult aus erklärt habe, gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze. Sie wollen einfach nicht akzeptieren, dass die deutsche Staatsangehörigkeit zwangsweise an den Volksbegriff unserer Verfassung und somit an das Wahlrecht gebunden ist.

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das stimmt doch gar nicht! – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Nicht zwangsweise, Frau Häsler! Es gibt eine Ge- staltungsmöglichkeit des Bundesgesetzge- bers!)

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Lesen Sie das Urteil rechtlich korrekt vor! Es gibt Gestal- tungsspielraum!)

Ich lese das Urteil überhaupt nicht vor. Das brauche ich gar nicht. Ich habe es auch so verstanden. Danke, Herr Tschöpe!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber einen Gestaltungsspielraum Bremens gibt es nicht! – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Das habe ich nicht behauptet! – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber Sie tun so!)

Als wäre in den letzten Jahren nichts geschehen, fordern Sie wieder pauschal, Initiativen zur Ausweitung des Wahlrechts auf Bundesebene zu unterstützen und zu ergreifen, obwohl Sie wissen, wie heikel die konkrete Forderung sein kann, das Staatsangehörigkeitsrecht abzuschaffen und einen neuen Volksbegriff in das Grundgesetz einzuführen. Dessen sind Sie sich durchaus bewusst.

(Beifall bei der CDU – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Die gleiche Rede wurde zur Gleich- stellung von Homosexuellen vor zehn Jah- ren auch gehalten! Schauen Sie es sich ein- mal heute an! So schnell kann es gehen!)

Das wäre nämlich der einzige mögliche Weg, Ihre Politik verfassungskonform werden zu lassen, doch selbst dieser Schritt ist verfassungsrechtlich höchst umstritten und nicht erfolgversprechend.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie bei der mündlichen Verhandlung Anfang des Jahres zugehört haben, dann wissen Sie, dass der Staatsgerichtshof ausdrücklich gesagt hat, dass selbst bei diesem Weg nicht sichergestellt ist, dass man eine verfassungskonforme Lösung findet. Der besondere Schutz der Grundsätze unseres demokratischen Rechtsstaats, wie sie in Artikel 1 und 20 Grundgesetz und maßgeblich durch die sogenannte Ewigkeitsgarantie, die sich aus Art. 79 ableitet, festgeschrieben sind, würde die Abschaffung der Staatsangehörigkeit und die Einführung eines neuen Volksbegriffs extrem schwierig, fast unmöglich machen. Da Sie sich über die Konsequenzen einer solchen Forderung im Klaren sind, bleiben Sie nicht nur einfach bei Ihrer ebenso verfassungswidrigen Pauschalität, sondern scheuen auch weiterhin den logischen Weg über den Bundesrat – diesen Weg wollen Sie mit Ihrem Antrag wieder nicht beschreiten – oder die eigenen Bundesparteien. – Zumindest ist das aus Ihrem Antrag nicht ersichtlich. – Warum tun Sie das? Weil Sie wissen, dass Sie von Anfang an auf einem sterbenden Gaul geritten sind und

diesen, um wenigstens etwas Glaubwürdigkeit zu bewahren, mit Ihrem scheinheiligen Antrag nun bis zum bitteren Ende totreiten wollen!

(Beifall bei der CDU – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Was ist jetzt Ihre Haltung?)

Ihre Inkonsequenz, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Prozess gezogen hat, zeigt sich somit nicht nur in der Vermeidung des politischen Weges zur Umsetzung Ihres Vorhabens, sie zeigt sich auch in der fehlenden Courage, ein generelles Wahlrecht für alle ohne nationale Koppelung einzuführen, wie das beispielsweise von der LINKEN gefordert wird.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Dann hätten Sie „Hurra!“ gesagt? – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Dann wären Sie dafür?)

Natürlich ist auch dies verfassungswidrig. Anderes sage ich ja nicht. Aber immerhin ist es konsequent und nicht in einem höheren Maß verfassungswidrig als das, was Sie gefordert haben.

(Beifall bei der CDU)

Dies alles zeigt, dass Sie von Anfang an genau wussten, wie unrealistisch eine derartige Ausgestaltung des Wahlrechts sein würde. Diese Debatte haben Sie meiner Meinung nach nur geführt, um sich als Anwälte der vermeintlich Stimmlosen in diesem Land aufzuspielen und nun sagen zu können: Wir haben alles für euch versucht, aber der böse Staatsgerichtshof, die böse deutsche Verfassung lassen uns nicht weiterkommen,

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Und die böse CDU!)

und die böse CDU nimmt euer Anliegen sowieso nicht ernst. Das tun Sie hier und heute. Sie geben uns die Schuld, weil Sie das Urteil des Staatsgerichtshofs nicht akzeptieren wollen.

(Beifall bei der CDU)