Protocol of the Session on October 22, 2014

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat

das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr

Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Röwekamp, ich möchte noch einmal antworten, denn ich finde Ihr Bekenntnis als Christenmensch völlig in Ordnung, aber ich bitte Sie, dann muss auch gelten, dass Sie mir als Atheist nicht absprechen, einen Toten in Würde bestatten zu wollen oder dass ich die Freiheit des anderen nicht achte, nur weil ich Atheist bin und deswegen eine andere Einstellung zur Religion und zu den Bestattungsritualen habe. Das, finde ich, ist nicht redlich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich muss Ihnen auch deutlich sagen, ja, es ist auch

eine grundsätzliche Debatte über das Menschenbild, was ich sehr begrüße. Wenn Sie sagen, der Mensch gehört sich nicht selbst, dann finde ich, ist das ein antiaufklärerisches Menschenbild aus einer Zeit von vor ein paar Jahrhunderten!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben in Europa eine Aufklärung gehabt,

und in der Aufklärung hieß es, der Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, Kant! Das hat Kant gesagt, und das war die Position, die einschließt, dass der Mensch sich selbst gehört!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wem denn sonst? – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Den Ver wandten, sagt er!)

Natürlich! Das ist es gerade, was die Aufklärung

gegenüber dem finsteren Mittelalter und auch dem Treiben der großen Konfessionen hier erreichen wollte, das ist doch der Punkt. Insofern würde ich deutlich sagen, nein, der Mensch gehört sich selbst! Natürlich nur in Grenzen, ich predige hier keinen hoffnungslosen oder total offenen Individualismus, ich habe noch einmal in meinen Parteibuch nach geschaut, und das können Sie mir, glaube ich, nicht absprechen, darin steht ein schönes Zitat von Rosa Luxemburg: „Die Linke strebt die Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft an, in der die Freiheit ei nes jeden Bedingung für die Freiheit aller ist.“ Das ist meine ethische Grundlage, und die lasse ich mir von Ihnen auch nicht wegnehmen, Herr Röwekamp, Bestattungen hin oder her! – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat

das Wort Frau Dr. Schaefer.

Abg. Frau Dr. Schaefer (Bündnis 90/Die Grü

nen): Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Röwekamp, ich finde, das sind jetzt keine engen Gesetzesbestimmungen, die die Freiheit noch mehr einengen, wie Sie es mir gerade vorgeworfen haben, indem ich eine Scheindebatte führen und Freiheit fordern, die Menschen aber durch Bestimmungen noch mehr reglementieren würde. Nein, ich glaube, wir haben eben gesagt, dass wir in diesem Gesetz auch auf die Menschen eingehen möchten, die gefragt haben, wie es ist, wenn man das Ausstreuen erlaubt, ob das jeder darf und ob die Verwandten darüber entscheiden dürfen. Aus diesem Grund haben wir gesagt, dass wir es ernst nehmen, was die Kritiker gesagt haben und fordern, dass der Verstorbene es zu Lebzeiten selbst bestimmt haben muss. Er muss einen Totenfürsorgeberechtigten bestimmen, er muss es beglaubigen und schriftlich hinterlegen. Das betrifft doch die Punkte, die viele Kritiker befürchtet haben, dass es plötzlich einen Missbrauch gibt. Das hat nichts mit Einengen der Freiheit oder Kontrollwahnsinn zu tun, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Dann haben Sie gesagt, mit diesem neuen Gesetz

werde den Trauernden quasi der Ort für die Trauer genommen, es finde ein Ausschluss der Trauernden statt. Ich sage, nein, erstens ist Trauer nicht zwangs läufig an einen Ort gebunden – –.

(Abg. B ö d e k e r [CDU]: Doch! – Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: Für manche schon!)

Für manche schon, ja! Deswegen sage ich auch

noch einmal, Frau Neumeyer, wir möchten, dass

die Menschen selbst bestimmen, wo sie bestattet werden. Sie können das auch mit ihren Verwandten absprechen, aber der Tote gehört – und da pflichte ich Herrn Erlanson bei – weder dem Staat noch seinen Verwandten. Da frage ich auch noch einmal, was ist der Unterschied zu einer Seebestattung? Bei der Seebestattung haben wir das Meer als Trauerort, wir haben vielleicht sogar bestimmte Koordinaten. Warum soll ein öffentlicher Platz, an den alle gehen können, nicht ein Ort der Trauer sein? Diese Orte können würdevoll sein und haben nichts mit Hun deauslaufflächen zu tun, wie es hier so ein bisschen populistisch gesagt wurde, Herr Röwekamp!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Bei solchen Sätzen frage ich mich auch, was Sie

für ein Menschenbild haben, als ob die Menschen sich mit Absicht einen blöden Ort aussuchen! Nein! Die Menschen gehen mit offenen Augen dorthin, und sie haben bestimmte Orte, die sie mit ihrer Familie verbinden, mit bestimmten Gefühlen verbinden, und ich finde, es ist ein abstruses Menschenbild, das Sie hier zeichnen, als ob die Menschen nicht mündig wären, für sich selbst zu bestimmen! Das teile ich nicht!

Das Grundgesetz ist vielleicht auf christliche Wur

zeln zurückzuführen, aber in unserer heutigen Ge sellschaft gibt es eben nicht nur Christen. Es gibt Muslime, und für die gilt das gleiche Recht wie für Atheisten, Buddhisten und andere Religionsgemein schaften. Insofern finde ich, man muss sich jetzt auch langsam einmal öffnen. Ich bin selbst evangelisch, ja, ich bin auch Christin, aber ich nehme doch zur Kenntnis, dass die Gesellschaft nicht nur aus Chris ten besteht, sondern multireligiös und multikulturell besetzt ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich sage noch einmal, der Friedhofszwang ist

keine deutsche Kultur. Nein, es ist ein Gesetz, das die Nationalsozialisten im Jahr 1934 erlassen haben. Ich finde, dieses nationalsozialistische Gesetz gehört inzwischen abgeschafft.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das machen Sie ja gar nicht!)

Ich verwahre mich dagegen, dass Sie hier den

Eindruck erwecken, als ob es ein Elitegesetz wäre! Das ist nun wirklich nicht der Fall. Ich meine, es gibt Eliten in dieser Stadt, mit Handelshäusern verwo ben, die ihre Toten schon lange auf ihrem privaten, großen Grundstück bestatten, obwohl es eigentlich nicht erlaubt ist. Das, was wir machen, ist doch, dies allen Leuten zu ermöglichen und nicht nur Leuten,

die eigenen Privatbesitz haben und es auf ihrem eigenen Grundstück machen können. Nein, gera de für die Menschen, die diese Möglichkeit nicht haben, wollen wir öffentliche Flächen schaffen, wo die Asche ausgestreut werden kann, und deswegen lasse ich mir von Ihnen auch nicht sagen, dass das ein Elitegesetz ist! Das ist es wahrlich nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Uns geht es wirklich um die Würde des Toten. Die

Menschen, die sich nicht vorstellen können, auf einem Friedhof bestattet zu sein, müssen Umwege gehen, es gibt Firmen in der Schweiz, dahin können sie die Asche exportieren, sie wird mit Boden gemischt, und dann wird ein Bäumchen darauf gepflanzt. Nach einem halben Jahr gilt es juristisch nicht mehr als Totenasche, sondern als Kompost. Der Baum wird dann zurück nach Deutschland importiert und ein gegraben. Ist das würdevoll?

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Nein, es ist ja auch nicht erlaubt!)

Das, finde ich, ist zum Beispiel kein würdevoller

Umgang. Ich finde es richtig, dann ein Gesetz zu verabschieden, das es den Menschen, die an einem individuellen Ort bestattet werden wollen, ermög licht, sich in einem würdevollen Rahmen mit einer Trauerfeier vor Ort bestatten lassen zu können und nicht diese skurrilen Umwege gehen zu müssen!

Ich frage Sie auch, Herr Röwekamp, wer bestimmt

denn, was Würde ist? Sie tun so, als ob das Individu um nicht für sich selbst bestimmen könnte, was ein würdevoller Rahmen ist. Das finde ich falsch, und dieses Menschenbild teile ich auch nicht. – Herzli chen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat

das Wort der Abgeordnete Gottschalk.

Herr Präsident, meine

Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nicht noch einmal ausführlich werden. Herr Röwekamp, ich nehme Ihnen gern ab, dass Sie aufgrund Ihrer ethischen Reflexion und ihrer verfassungsrechtlichen Reflexion zu dem Standpunkt kommen, so eine Liberalisierung des Gesetzes nicht für gut zu halten und abzulehnen. Ich respektiere es ausdrücklich, dass Sie für sich zu diesem Ergebnis kommen. Wozu ich Sie aber auffordere, ist, dass Sie allen anderen in diesem Haus, die es anders sehen als Sie, nicht absprechen, auf dem gleich hohen ethischen und verfassungsrechtlichen Niveau wie Sie reflektieren und ihre Entscheidungen treffen zu können! – Danke!