Protocol of the Session on September 24, 2014

das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr

Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich natürlich für die Unterstützung der Fraktionen bedanken. Schade, dass die CDU sich nicht ausschließt, denn unser Antrag kann und wird sehr hilfreich sein.

Ich möchte kurz noch einmal auf die Situation der

Flüchtlingscamps in Kurdistan, im Nord-Irak, und in der Türkei eingehen. Es ist natürlich so, dass sich viele Jesiden aus Deutschland – ich muss dazu sagen, dass wir eine Gemeinde von circa 90 000 Jesiden hier in Deutschland haben – natürlich persönlich eingesetzt und die Flüchtlingscamps besucht haben. Da sieht es leider sehr grausam aus. Es fehlt den Menschen an allem, was nötig ist. Die Menschen, vor allem die Jesiden, aber auch die Christen und die Schiiten, sind traumatisiert, weil ihre Nachbarn sie verraten, sich dem IS angeschlossen und die Töchter und die Frauen der Schiiten, der Jesiden und der Christen entführt haben und in Mossul als Sklaven verkaufen, das alles vor dem Hintergrund, dass ihre Gemein schaften über Jahrhunderte friedlich miteinander gelebt haben.

Ich bin tagtäglich telefonisch in Kontakt mit den

Flüchtlingscamps, und es ist für uns natürlich nicht so einfach. Wir wollen nicht, dass die Menschen, deren Religionsgemeinschaften dort über Jahrtau sende gelebt haben, alle vertrieben werden und ihre Heimat verlassen müssen. Wenn sie alle flüchten, hat die Terrororganisation eigentlich gewonnen, das ist deren Ziel. Ich als Jeside finde es besonders schlimm, wenn unser Hauptsiedlungsgebiet, in dem auch unsere Heiligtümer liegen, verlassen wird. In den Gesprächen mit den Menschen höre ich aber, dass von 100 Prozent der Menschen 95 Prozent nach Europa wollen. Wenn wir sagen, ihr könnt Shingal doch nicht verlassen, dann sagen sie, euch in Europa geht es gut, aber wir mussten zusehen, wie unsere Söhne und unsere Männer geköpft werden, wie un sere Frauen vergewaltigt wurden, wie unsere Erde mit Blut getränkt wurde, und da können und wollen wir nicht mehr leben.

Mir ist berichtet worden, dass die Menschen, die

noch über ein bisschen Geld verfügen, dies den Schleusern geben. Es ist mir auch berichtet worden, dass sie die Schleuser bis nach Istanbul bringen und da einfach im Stich lassen. Dem Thema müssen wir entgegentreten und schauen, dass wir es den Menschen von Bremen und von Deutschland aus so einfach wie möglich machen, zu ihren Verwandten kommen zu können, die hier leben. Außerdem müs sen sie auch weiterhin die Möglichkeit bekommen, nach Deutschland zu kommen und hier zu leben, weil sie wegen ihrer Religion und ihrer Herkunft verfolgt werden, so wie ich vor 30 Jahren!

Liebe Kollegen von der CDU, es ist richtig, dass

die Bundesregierung sofort 50 Millionen Euro in die Hand genommen hat. Ich bin auch dankbar dafür. Wir müssen aber auch genau hinschauen, ob die Hilfe ankommt oder nicht. Das ist das Problem, das ist nicht so einfach. Ich weiß nicht, ob das Geld an der richtigen Stelle ankommt, wenn 50 Millionen Euro an die Regionalregierung gezahlt werden, weil die Jesiden in Shingal von den Peschmerga geschützt werden sollen und das nicht geschieht. Für mich als Kurde ist das nicht so einfach, das sage ich auch hier ganz deutlich in der Öffentlichkeit. Ich habe es auch nicht glauben wollen, dass sich die Peschmerga zurückgezogen und die Menschen alleingelassen haben. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir genau hinschauen, wohin die 50 Millionen Euro gehen, ob sie ankommen und wo sie genau ankommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch ich begrüße, dass die islamischen Verbände

am letzten Freitag endlich gesagt haben, dass diese Barbaren nichts mit dem Islam zu tun haben. Ich hätte es begrüßt, wenn die islamischen Verbände das auch in Bremen getan hätten. Vielleicht habe ich es übersehen, bis jetzt habe ich aber nicht feststel len können, dass sie hier in Bremen Flagge gezeigt haben. Das wäre besonders wichtig, weil es uns alle angeht. Es geht um den Weltfrieden. Der Islam ist eine friedliche Religion, und diese Barbaren haben damit nichts zu tun. Die, die ihre Religion schützen möchten, müssen Flagge zeigen. Ich muss auch deutlich sagen, in anderen Fällen passiert das sehr schnell, in diesem Fall ist es geschehen, es hätte aber auch früher geschehen können.

Es leben circa 3 000 Jesiden in Bremen und circa

500 aramäische Christen, die Verwandte in den Flüchtlingscamps haben. Ich bitte darum, dass wir so schnell wie möglich – denn in dieser Zeit, in der wir reden, werden Menschen umgebracht und ver folgt, es sterben Menschen, weil sie an Hunger und Durst leiden – das in Bremen organisieren, was Bremen leisten kann, sodass die Menschen zu ihren Verwandten kommen können, damit die Menschen zumindest erst einmal Ruhe haben und in Sicherheit sind. Darüber würde ich mich sehr freuen.

Ich möchte auch noch einmal kurz darauf einge

hen, was meine Kollegin Frau Dr. Mohammadzadeh gesagt hat. Es ist traurig und beschämend, dass wir es hier in Bremen, in Deutschland nicht schaffen, Salafisten, Menschen, die diese Barbaren unterstüt zen, entgegenzutreten, deutlicher entgegenzutre ten! Es kann nicht sein, dass es einige Moscheen in Bremen gibt, die sich Moscheen nennen, die aber bei Kindern und Jugendlichen eine Gehirnwäsche vornehmen, damit sie von hier aus nach Syrien und in den Irak reisen, um gegen friedliche Menschen in den Kampf zu ziehen.

(Beifall)

Ich verlange von Bremen und vom Bremer Senat,

dass wir uns gemeinsam der Sache annehmen, ge meinsam dieser Gefahr entgegentreten und unsere jungen Männer diesen Terroristen und diesen Bar baren nicht überlassen. – Vielen Dank!

(Beifall)

Als nächster Redner hat

das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Präsident, meine Damen und Herren! Ich möch te vorweg eines sagen: Ich möchte dem Kollegen Tuncel persönlich ganz herzlich danken, dass er es gerade in seinem ersten Beitrag auf sich genommen hat, davon zu berichten. Ich bin ganz sicher, dass es schwierig für Sie war. Ich möchte Ihnen aber sagen, dass ich überzeugt davon bin, dass Sie die Herzen Ihrer Kolleginnen und Kollegen erreicht haben und dass wir wissen, worüber wir sprechen. Ganz herz lichen Dank dafür!

(Beifall)

Ich finde es richtig, dass wir heute Vormittag und

jetzt vor allem diskutieren, was wir für die Flüchtlinge in Europa, in Deutschland und in Bremen tun können. Ich finde es sehr ermutigend, dass doch durchgehend alle politischen Kräfte dazu bereit sind, dazu beizu tragen und auch in der Gesellschaft dafür zu werben. Natürlich müssen wir uns aber eingestehen, dass wir uns dabei nur um die kümmern, die mit ihrem Leben davongekommen sind, und dass zur gleichen Zeit 10 000 Menschen um ihr akut bedrohtes Leben fürchten müssen und ihr Leben akut bedroht ist. Die Frage, wie wir ihnen helfen, sie schützen und ihr Leben retten können, ist natürlich angeklungen, aber sie zu beantworten, liegt nicht in unserer Kompetenz und ist nicht unsere Entscheidung. Trotzdem ist es richtig, dass wir uns an dieser schwierigen und für viele natürlich auch sehr quälenden Debatte betei ligen, nicht in den Details, aber im Hinblick auf die grundsätzliche Herangehensweise.

Nachdem eine Gruppe des Islamischen Staates die

Hinrichtung eines Menschen vor laufender Kamera gefeiert hat, hat der britische Premierminister Came ron gesagt, das seien Monster. Ich verstehe gut, was er damit gemeint hat, aber es ist in Wahrheit sehr viel schlimmer, es sind Menschen. Dass Menschen so etwas machen können, damit haben wir im 21. Jahrhundert, 70 Jahre nach den Verbrechen der Nationalsozialisten, nicht mehr gerechnet.

Wir sehen überall, dass Staaten Gewalt anwenden,

indem sie entweder aggressiv ihre vermeintlichen Interessen vertreten oder sich verteidigen, aber diese Gewalt des Islamischen Staates, im Übrigen auch anderer verwandter Gruppen, ist etwas anderes. Es ist nicht nur skrupellose und brutale Gewalt, um Machteinfluss und ein gutes Leben auf Kosten ande rer an sich zu reißen, es ist auch Gewaltanwendung um der Gewalt Willen. Es ist öffentlich zur Schau gestellter Genuss der Gewalt.

Diese jungen Männer – und es sind allein junge

Männer – genießen es, Herr über Leben und Tod zu sein und damit Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich finde, das Schlimmste für uns ist diese frevelhafte Lüge, damit Werkzeug eines Gottes sein zu wollen, seinen Willen umzusetzen und im Namen einer an geblich höheren Moral zu handeln. Wir kennen das mit der höheren Moral in anderer Form aus unserer jüngsten deutschen Geschichte. Gerade deswegen, weil wir es so gut kennen, hatten wir gehofft, dass es damit endgültig vorbei sei. Ich fürchte, wir werden noch eine Zeit der Ratlosigkeit durchleben, um zu begreifen, was es wirklich bedeutet.

Wie andere Gruppen hat der Islamische Staat uns

den Krieg erklärt: gegen uns als Ungläubige und Falschgläubige, gegen unsere Liberalität, gegen un sere Vielfalt, auch gegen unsere Freizügigkeit, gegen unsere Libertinage, gegen unsere Demokratie und unser Verständnis von Menschenwürde. Sie nennen es Dekadenz, Gottesferne, Teufelswerk, wobei ich sagen muss, dass Kriegserklärung eigentlich nicht das richtige Wort ist. Sie führen zwar Krieg gegen uns, aber das Wort Kriegserklärung ist für sie genauso von gestern wie alle anderen Versuche des Völker rechts, wenigstens das Recht im Krieg einzuhalten.

Ihre Stärke ist gegenwärtig leider, dass sie sich an

nichts halten, an keine der Regeln, die wir erkämpft haben. Dass wir uns an diese Regeln, die in der Geschichte schwer erkämpft worden sind, halten, ist unsere Stärke, allerdings nur auf mittlere und lange Sicht. Zu diesen Regeln gehört aber auch die von den Vereinten Nationen feierlich angenommene Verpflichtung zu helfen und zu schützen, die Res ponsibility to Protect. Das ist Völkerrecht, das ist eine geltende Vereinbarung!

Auf dem Treffen der jüdischen Gemeinde und der

Bremer Jesiden am vergangenen Sonntag haben uns beide Gemeinden an diese Pflicht erinnert. Ich habe die Beiträge der Vertreter der Fraktionen, die dort waren, auch so verstanden, dass niemand die

ser Verantwortung ausweichen will und kann. Der Antrag, den wir jetzt debattieren, heißt auch immer noch: „Verfolgte Minderheiten im Irak und Syrien schützen“. Ich möchte auf die Einzelheiten, die die Kollegin Frau Grobien angesprochen hat, nicht ein gehen, weil ich glaube, es ist nicht der Ort, um über die konkreten Beiträge zu streiten.

Ich gehöre zu der Minderheit bei den Grünen, die

die bisherigen Entscheidungen der Bundesregierung im Rahmen des wachsenden Bündnisses im Grund satz eher für richtig halten. Vorgestern Abend habe ich einen Kabarettbeitrag zum Thema Waffenlie ferung gehört, der die zunehmende Verworrenheit der Situation dort auf das Korn nahm. Partner und Feind wechseln wöchentlich, man verliert wirklich den Überblick, das ist ein Problem der Politik, aber nicht, weil wir das nicht verstehen. Der Refrain dieses Beitrages war, dass die Bundesregierung jetzt das richtig Falsche macht, weil es richtig falsch wäre, es nicht zu tun. Das war bitterbös satirisch gemeint.

Ich glaube, es liegt im Kern Wahrheit darin, denn

es wird einfach zum Ausdruck gebracht, dass wir hier gemeinsam Lösungen diskutieren müssen und dass es eine offene Frage ist, aus der sich keiner herausstehlen kann. Ich hatte gesagt, dass unsere Ratlosigkeit noch eine Weile andauern wird, das Be greifen dieser radikalen Gegenaufklärung: Mittelalter mit modernster Technik. Das wird seine Zeit dauern.

Ich bin nicht der Meinung, dass wir diesen Krieg

mit einer Kriegserklärung von unserer Seite aus beantworten sollten. Diesen Fehler haben wir schon einmal gemacht, das war keine gute Reaktion. Ich sage aber gleichzeitig ganz klar, dass wir diesen Leuten entschlossen und wirkungsvoll entgegentre ten müssen. Das sind wir den Menschen schuldig.

(Beifall)

Ich möchte jetzt einfach alle hier bitten, auch in

den kontroversen Diskussionen der nächsten Mona te – es wird noch lange nicht vorbei sein – nicht zu vergessen, dass dort Menschen, Jesiden, Christen, andere, die beliebig zu Feinden erklärt worden sind, jetzt auf unsere Hilfe hoffen. Sie haben nicht so viel Zeit, das ist das Problem. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!