Protocol of the Session on June 18, 2014

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Herr Senator, möchten Sie die Antwort mündlich wiederholen? – Das ist nicht der Fall.

Ich frage, ob wir in eine Aussprache eintreten wollen. – Das ist der Fall.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier heute über die Konsequenzen aus dem systematischen Staatsversagen im Fall des NSU. Der NSU konnte, obwohl diverse V-Leute in seinem Umfeld agierten, sieben Jahre lang unbehelligt morden. Mindestens neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin wurden, das ist bekannt, Opfer des NSU, und dazu kommen noch diverse Banküberfälle. Derzeit läuft in München der Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Unterstützer.

Es gab und gibt verschiedene Untersuchungsausschüsse in den Landesparlamenten, und es gab den Untersuchungsausschuss im Bundestag. Gegen den Widerstand der Grünen wurden vor Kurzem auch noch neue parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Hessen und in NRW eingerichtet. Baden-Württemberg, wo es einen ziemlich üblen Sumpf aus KuKlux-Klan und Sicherheitsbehörden gab und immerhin eine Staatsbedienstete ermordet wurde, muss nun folgen. Wir hoffen, dass sich die kritische Zivilgesellschaft hier noch durchsetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Obwohl die gerichtliche und parlamentarische Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen ist, gibt es schon Mindestforderungen im Bereich Geheimdienst, Polizei und Justiz. Der Bundestag hat im September des Jahres 2013 einstimmig – das betone ich hier noch einmal, einstimmig! – ein Bündel von Maßnahmen gefordert. Weil bis heute bundesweit kaum Schritte

zur Umsetzung dieser Maßnahmen sichtbar sind, sah sich der Bundestag im Februar des Jahres 2014 – also vor vier Monaten – gezwungen, diesen Beschluss noch einmal einstimmig zu bekräftigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kommt relativ selten vor, und dieser Vorgang zeigt, dass es gewisse Widerstände aus den Behörden gegen die Reformvorhaben gibt.

Mit der vorliegenden Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage gibt es zum ersten Mal eine schriftliche Wasserstandsmeldung über das, was Bremen im Zusammenhang mit dem NSU und den eigenen Sicherheitsbehörden verändert und reformiert hat. Die Antwort ist dankenswerterweise einigermaßen ausführlich. Der Senat führt aus, dass alle wesentlichen Forderungen des Untersuchungsausschusses des Bundestages von den zuständigen Stellen in Bremen bereits umgesetzt worden wären. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dem Punkt sind wir allerdings anderer Meinung als der Senat. Ich möchte mich in der ersten Runde auf zwei Punkte beschränken, die der Bundestag gefordert hat und die eben noch nicht umgesetzt worden sind.

Es wird Sie nicht überraschen, als wir hier die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes diskutiert haben, habe ich mich auf die Forderungen des Untersuchungsausschusses bezogen und gefordert, dass sie in die Gesetzesnovelle einfließen, das ist leider abgelehnt worden. Erstens, der Bundestag hat gefordert, die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste zu stärken. Es wurde ganz eindeutig gesagt, dass eine systematische und strukturelle Kontrolle notwendig ist. Dafür, so empfahl der Untersuchungsausschuss, und der Bundestag schloss sich einstimmig an, ist eine professionelle Personal- und Sachausstattung dieser Gremien nötig. Das haben wir hier im September gefordert und auch in der Deputation für Inneres noch einmal begründet.

Es ist aber leider so, dass die Bürgerschaft in Bremen wieder entschieden hat, den Abgeordneten, die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission sind, nicht zu erlauben, Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mitzunehmen oder in die Diskussionen einzubeziehen. Das finden wir nach wie vor schade, weil wir nach wie vor der Auffassung sind, dass es nicht möglich ist, vor allem für Mitglieder einer Einzelfraktion und zum Beispiel auch für mich mit einem Gaststatuts, dort wirksam zu kontrollieren, wenn ich keine Möglichkeit habe, das hinterher oder auch währenddessen mit jemandem zu eruieren. Man hätte sich ja darüber Gedanken machen können, ob und in welcher Art und Weise die Mitarbeiter verpflichtet werden, das ist vollkommen selbstverständlich.

Wir finden es nach wie vor sehr bedauerlich, dass hier im Herbst letzten Jahres die Gelegenheit nicht ergriffen worden ist, dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zu folgen. Wir haben einige Fragen zum Verfassungsschutz gestellt, und was lesen wir? Diese Fragen unterliegen natürlich der Geheimhaltung, die Richtlinie ist Verschlusssache. Wir lesen wei

terhin, dieser Punkt wird in einem streng geheimen Kontrollgremium, das ist es nun einmal, beraten, und über das Ergebnis darf im Nachhinein niemand sprechen. Das sind im Grunde die wesentlichen Antworten auf die Große Anfrage, die den Geheimdienst, also das Landesamt für Verfassungsschutz, betreffen.

Wir sagen dort nach wie vor: Ja, die Novellierung hat zu Änderungen geführt, aber nein, die Kontrolle darüber hätten wir gern ein wenig öffentlicher gehabt. Es hat natürlich die Beratungen in den Kontrollgremien über Dienstanweisungen und Veränderungen gegeben, aber ich finde, dass man diese auch in einem anderen Rahmen hätte ausführlicher diskutieren können, auch hierzu haben wir in der Deputation für Inneres im Herbst Vorschläge gemacht. Wir haben gesagt, es wäre auch möglich, eine vertrauliche Sitzung der Deputation für Inneres dazu einzuberufen. Es sind ja Verschlusssachen, die zwar jetzt nicht irgendetwas offenlegen würden, aber die doch das Arbeiten des Verfassungsschutzes betreffen. Ich bin dennoch der Meinung, Parlamentarier haben die Verpflichtung – und ihnen hätte diese Möglichkeit eingeräumt werden müssen –, das genauer zu kontrollieren.

Vergangene Woche tagte die Innenministerkonferenz in Bonn. Dort wurde unter Tagesordnungspunkt 20 auch die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes beraten. Es wäre auch für uns hier im Hause sicher interessant gewesen, was dort konkret besprochen wurde. Leider ist die dazugehörige Vorlage wieder eine Verschluss- und eine Geheimsache. Die Behörden haben sie als Beschlusssache nur für den Dienstgebrauch eingestuft –

(Glocke)

ich komme gleich zum Schluss! –, das Papier ist deswegen entweder nicht zugänglich, oder wir würden uns strafbar machen, wenn wir es hätten und im Parlament daraus zitierten.

Es ist nach wie vor einer unserer Hauptkritikpunkte, dass der Geheimdienst nach wie vor an einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle vorbeiarbeitet. Das ist unser wichtigster Kritikpunkt, und das ist eine Forderung des Untersuchungsausschusses, die leider nicht in Bremen umgesetzt worden ist. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Senkal, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zehn Jahren zündeten Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds, kurz NSU, mitten in Köln eine Nagelbombe. An diesem Tag wurden 22 arglose Menschen verletzt. Mitten am Tag veränderte sich ohne Vorahnung das

Leben von 22 Menschen und deren Angehörigen, insbesondere der Schwerverletzten. Der Sprengkörper war mit unzähligen Nägeln gespickt, um möglichst viele Menschen zu verletzen oder sogar zu töten.

Dieses Ereignis vor nunmehr einer Dekade schockierte insbesondere in Köln, aber auch deutschlandweit, und doch wurden die Ereignisse schnell unter milieutypische Auseinandersetzung abgehakt und in der Sackgasse der Ermittlungen belassen. Ermittelnde Behörden und der Bundesinnenminister schlossen lange Zeit einen rechtsextremen Hintergrund der Tat aus.

Bei dem beschriebenen Anschlag handelte es sich nicht um die erste und traurigerweise auch nicht um die letzte Tat der Gruppe um das NSU-Trio. Der erste bekannt gewordene Mord ereignete sich bereits am 9. September 2000, der letzte im April des Jahres 2006. Die Opfer dieser Morde durch den NSUTerror waren acht türkischstämmige und ein griechischer Kleinunternehmer.

Ein Zusammenhang mit zielführendem Ermittlungsansatz wurde viel zu lang nicht hergestellt. Die Fragen danach, wie blind Deutschland und seine Ermittlungsbehörden auf dem rechten Auge sind, wurden zu Recht laut.

Angesichts dieses Jahrestages erfolgen Beileidsbekundungen und viele Erklärungen über das Entsetzen und die alles überschattende Frage danach, wie all das überhaupt wieder und noch dazu, wie man heute weiß, in Serie passieren konnte. So äußerte sich zuletzt auch Heiko Maas bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Birlikte-Veranstaltung zum Gedenken an den Nagelbombenanschlag in Köln. Er sagte dort: „Ich schäme mich dafür, dass der deutsche Staat es über so viele Jahre nicht geschafft hat, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger besser geschützt wurden.“ Dem kann ich mich uneingeschränkt anschließen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dennoch genügt das alleinige Feststellen hier nicht. Die Worte des Bedauerns sind wichtige Worte, insbesondere auch für die über Jahre gescholtenen Hinterbliebenen, damit immer wieder aufgerissene Wunden nun langsam heilen können. Wichtig sind aber auch die Taten, die darauf folgen, und die Konsequenzen, die zu ziehen waren und sind.

In der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Umsetzung der Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses in Bremen kann man genau nachlesen, was im Lande Bremen bereits passiert ist und erfolgreich umgesetzt wurde. Die umfassende Umstrukturierung bis hin zu einem neuen Verfassungsschutzgesetz haben wir als Parlamentarier begleitet. Die Forderungen des Untersuchungsausschusses des Bundestags an die Verfassungsschutzämter wurden in das neue Gesetz eingearbeitet und

befinden sich seit dem Inkrafttreten zum 1. Januar 2014 in der aktiven Umsetzung. Gleiches gilt auch für die Forderungen, die für die Arbeit der Polizei formuliert wurden. Die Zusammenarbeit zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz und der Polizei wurde außerdem neu aufgestellt und Kompetenzen eindeutig abgegrenzt.

Die neu gewonnene besondere Sensibilität für Taten, die rechtsextrem motiviert sind, ist höher denn je. Die typischen Neonazi-Gruppierungen in Springerstiefeln und Bomberjacken sind nicht mehr der Regelfall. Rechtsextreme sind schon lang nicht mehr so einfach auszumachen, genau das öffnet ihnen aber Tür und Tor und verlangt dem Verfassungsschutz ab, in alle Richtungen zu blicken und auf keinem der beiden Augen blind zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Der Antwort kann man auch entnehmen, dass auf dem Gebiet der Aufklärung und Prävention gute Arbeit geleistet wird. Wichtig finde ich besonders, die begleiteten Aufstiegsmöglichkeiten für Mitglieder von eben diesen Gruppen mit rechtsextremem Gedankengut, denn so leicht es auch ist, in diese Gruppen hineinzugeraten, so schwierig ist oftmals der Ausstieg. Prävention, Ausstiegsmöglichkeiten und entschlossenes Vorgehen gegen bestehende fremdenfeindliche Zusammenschlüsse sind die wichtigen Eckpfeiler, die ich von den Ermittlungsbehörden, insbesondere dem Landesamt für Verfassungsschutz, und den entsprechenden Senatsressorts als Ganzes erwarte.

Ich muss noch einmal sagen, dass ich über die Entwicklung der letzten Jahre in diesem Bereich in Bremen sehr erfreut bin. Gleichzeitig finde ich es aber auch wichtig, sich nun nicht auf dem Erreichten auszuruhen, sondern in dieser Richtung weiterzuarbeiten. Das eigene Handeln regelmäßig zu hinterfragen und immer den Blick darauf gerichtet zu halten, wie man bestimmte Abläufe gerade in der Ermittlungsarbeit, denn dort sind die Pannen vorwiegend geschehen, stetig verbessern kann, ist wichtig. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Neddermann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Bekanntwerden der schockierenden Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds im November 2011 wurde offenbar, dass es dieser rechtsterroristischen Gruppierung über einen Zeitraum von fast 14 Jahren gelungen war, von den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder unentdeckt schwerste

Straftaten zu begehen. Es ist klar, die deutschen Sicherheitsbehörden haben hier versagt, es müssen daraus Konsequenzen gezogen werden, und es bedarf einiger Reformen und struktureller Korrekturen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat daher für den Bund und die Länder Empfehlungen ausgesprochen. Wir diskutieren heute darüber, wie Bremen diese Empfehlungen umsetzt. Ein zentrales Thema in dieser Debatte sind natürlich die Verfassungsschutzbehörden, deren Arbeit im Zusammenhang mit dem NSU zu intransparent war und die teils mit gewaltbereiten Neonazis zusammengearbeitet haben. Es wird gefordert, die Verfassungsschutzorgane transparenter und offener aufzustellen, klare Vorgaben für den Einsatz von V-Leuten zu schaffen und die parlamentarische Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden effektiver zu gestalten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Konsequenz aus dem Versagen der bundesdeutschen Sicherheitsorgane und insbesondere der Verfassungsschutzbehörden haben wir das Bremische Verfassungsschutzgesetz novelliert, das seit diesem Jahr in Kraft getreten ist. Der Verfassungsschutz wurde neu aufgestellt, sodass mehr Öffentlichkeit und Transparenz gewährleistet wird. Durch gesetzliche Vorgaben und Dienstvorschriften wurden Regeln im Umgang mit V-Leuten geschaffen und die parlamentarische Kontrolle ausgeweitet.

Der Verfassungsschutz unterliegt mit der Parlamentarischen Kontrollkommission, PKK, und der G-10Kommission einer parlamentarischen und demokratischen Kontrolle. Es kann jederzeit eine zusätzliche Sitzung der PKK einberufen werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde sind gegenüber den Mitgliedern der PKK auskunftspflichtig, und die Mitglieder der PKK haben das Recht der Akteneinsicht. Die Rechte der PKK sind also sehr ausführlich.

Das neue Verfassungsschutzgesetz legt ganz klare, verbindliche und gesetzliche Regeln für den Einsatz von V-Leuten fest und auch dafür, was sie tun und was sie nicht tun dürfen, wer sie sein können und wie das Führen von V-Männern vonstattengehen soll. Das Landesamt für Verfassungsschutz wurde außerdem als Abteilung in die Innenbehörde integriert. Man sieht, Bremen ist eines der Bundesländer, das genau diese Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses in Bezug auf den Verfassungsschutz schon umsetzt.

Zusätzlich wird für die Polizei gefordert, dass interkulturelle Kompetenz ein fester Bestandteil der Polizeiausbildung wird. Auch das ist in Bremen im Ausund Fortbildungskonzept der Hochschule für Öffentliche Verwaltung schon länger im Lehrplan verankert, genauso sind der Rechtsextremismus, der Rechts

terrorismus und der NSU Gegenstände des Studiums. Wir erwarten, dass die Polizei dementsprechend sensibel agiert, denn es kann nicht sein, wie es im NSUKomplex der Fall war, dass die Opfer erst einmal als potenzielle Täter gesehen werden, weil sie Ausländer sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aus den Empfehlungen gehen außerdem noch zwei weitere wichtige Themenfelder hervor. Der erste Punkt ist der Umgang mit den sogenannten „Hate Crimes“, den Straftaten, die sich gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen richten. Das Versagen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem NSU hat auf dramatische Weise offenbart, dass die Bekämpfung von Hasskriminalität in Deutschland verbessert werden muss. Auch die zahlreichen Fälle von Hassverbrechen, die von öffentlichen Stellen nicht als solche erkannt und verfolgt werden, verdeutlichen hier den Reformbedarf.

Bei polizeilichen Ermittlungen nach Gewalttaten gegen potenzielle Opfer rassistischer Gewalt muss Rassismus als mögliches Tatmotiv eingehend geprüft und dieses nachvollziehbar dokumentiert werden. Die Kriterien für die Erfassung politisch rechter Straf- und Gewalttaten müssen überarbeitet werden.