Protocol of the Session on February 27, 2014

Draußen laufen einige Damen mit großen Scheren herum.

(Zuruf: Ich wollte meine gerade aus der Ta- sche nehmen! – Unterbrechung der Sitzung 12.53 Uhr)

Vizepräsidentin Schön eröffnet die Sitzung wieder um 14.30 Uhr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Wir setzen die Tagesordnung fort.

Änderungen der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft – Einsetzung einer Enquetekommission ermöglichen

Antrag der Fraktion der CDU vom 11. Februar 2014 (Drucksache 18/1252)

Die Beratung ist eröffnet.

Als Erster hat das Wort Herr Kollege Röwekamp, CDU Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Initiative hat ihren Ursprung in den Debatten, die wir in den letzten Jahren in diesem Parlament zum Umgang mit Enquetekommissionen geführt haben. Wir als CDU-Fraktion finden, es ist Zeit, sich über dieses Instrument, das mittlerweile seit mehr als 34 Jahren Inhalt unserer Geschäftsordnung ist, noch einmal grundlegend deswegen Gedanken zu machen, weil es bisher noch in keinem einzigen Fall zur Einsetzung einer solchen Enquetekommission gekommen ist. Übrigens: Ein Alleinstellungsmerkmal der Bremischen Bürgerschaft (Landtag), weil in allen anderen Landtagen – –.

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Saarland!)

Auch im Saarland hat es zwischenzeitlich die Einsetzung von Enquetekommissionen gegeben.

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Eine!)

Immerhin eine. Das ist deutlich mehr als in Bremen! Auch in diesem Fall, Herr Dr. Güldner und Kollege Tschöpe, sind wir mal wieder am Ende der Tabelle. Warum klappt es eigentlich in Bremen nicht mit der Einsetzung einer Enquetekommission?

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Je mehr desto besser?)

Nein, das sage ich ja nicht. Aber „gar nicht“, Herr Dr. Kuhn, heißt nicht, dass es gut läuft. „Gar keine Enquetekommission“ ist eigentlich ein Armutszeugnis für die Bremische Bürgerschaft, um das einmal so deutlich zu sagen.

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. G ü l d - n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie haben es selbst anders zitiert!)

Wer sich einmal anschaut, warum es eigentlich Enquetekommissionen gibt, der stellt fest, dass sowohl in der Wissenschaft als auch in der Literatur die Enquetekommission als eines der starken Instrumente der Legislative beschrieben wird. Sie soll gerade ein ausgesprochenes Gegengewicht dazu sein, die Arbeit des Senats zu begleiten und aus dem Parlament selbst heraus in entscheidenden Dingen auch zu in tiefgründigen Diskussionen vorbereiteten Entscheidungen und am Ende auch zu Entscheidungen zu kommen.

Die Enquetekommission hat den Geist, dass in diesem „Ausschuss“ eben nicht nur gewählte Mitglieder der Legislative sitzen, sondern eben auch externer Sachverstand. Warum führe ich das an dieser Stelle in besonderer Weise aus? Wer sich die Debatten um die Einsetzung von Enquetekommissionen der letzten Jahre anschaut – fernab übrigens der Frage, welche Koalition gerade regiert hat –, der findet nahezu stereotyp immer die gleiche Begründung, warum eine Enquetekommission, wie beantragt, gerade nicht eingesetzt werden soll, nämlich weil das Thema durch den Senat schon hinlänglich bearbeitet wird.

Als die CDU-Fraktion die Einsetzung einer Enquetekommission zur Begleitung der Konsolidierungsvereinbarung hier im Parlament vorgeschlagen hat, hieß es: Das ist Aufgabe des Senats, das ist Haushaltspolitik, das beschäftigt uns jedes Jahr, dafür brauchen wir keine Enquetekommission. Als die CDU-Fraktion eingebracht hat, eine Enquetekommission für die Neuausrichtung unserer Bildungspolitik und die Vorbereitung des dann später überparteilich geschlossenen Bildungskonsenses zu bilden, hieß es: Das ist eine Aufgabe, die wir in unseren laufenden Deputationen und Unterausschüssen wahrnehmen.

Als die CDU-Fraktion beantragt hat, eine Enquetekommission zur Neuausrichtung der Drogenpolitik

einzusetzen, hieß es: Das ist eine Aufgabe, die wir in unserem parlamentarischen Alltag bereits begleiten, übrigens ja mit den Auswirkungen, die wir heute Morgen in der Debatte gehört haben. Als wir zuletzt, Ende letzten Jahres, die Einsetzung einer Enquetekommission zum Thema Armutsbekämpfung beantragt haben, wurde uns entgegengehalten: Da warten wir auf den Armuts- und Reichtumsbericht des Senats.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jedes Mal, wenn beantragt wurde – egal, von wem im Übrigen –, dass wir uns hier im Parlament eines Themas mittels einer Enquetekommission annehmen sollten, wurde die Ablehnung damit begründet, dass der Senat sich bereits um dieses Thema kümmert. Meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für ein Selbstverständnis eines Parlaments, dass es immer nur auf das wartet, was der Senat macht, und nicht den Mut hat, als selbstbewusstes Parlament, als direkt gewähltes Parlament, selbst zu inhaltlichen Entscheidungsprozessen zu kommen?

(Beifall bei der CDU)

Deswegen ist es, glaube ich, ein Grundfehler in der Konstruktion der Enquetekommission, dass in Bremen, wie zugegebenermaßen auch in vier weiteren Ländern, die Einsetzung einer Enquetekommission kein Minderheitenrecht ist, sondern dass die Mehrheit darüber entscheidet, ob eine Enquetekommission eingesetzt wird oder nicht. In 11 anderen Ländern ist es anders. Trotzdem ist es in allen 15 anderen Ländern und im Bundestag bereits mehrfach zur Einsetzung von Enquetekommissionen gekommen. Das ist auch deswegen logisch miteinander verknüpft, weil die Mehrheit, die die Enquetekommission einsetzen müsste, ja immer auch die Mehrheit ist, die den Senat stellt. Dass Regierungsfraktionen in der Regel ein geringeres Interesse daran haben, zu beobachten und infrage zu stellen, ob der Senat in wichtigen, wegweisenden Themenstellungen alles richtig und vollständig bearbeitet, liegt auf der Hand.

Deswegen werben wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag darum, wie in 11 anderen Ländern auch die Einsetzung einer Enquetekommission eben nicht von der Mehrheit im Hause abhängig zu machen, sondern auch der Minderheit zu gestatten, wie im Bundestag und 11 anderen Landtagen auch, eine solche Enquetekommission zu beantragen, und das Parlament dazu zu verpflichten, auf Antrag einer qualifizierten Minderheit dann eine solche Kommission auch einzusetzen. Das wäre ein wegweisender Schritt zu einem anderen Selbstverständnis dieses Parlaments, das wäre ein wegweisender Schritt im Übrigen auch hinsichtlich des Umgangs mit der Opposition, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es besonders bemerkenswert, dass unsere Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen sehr wahrscheinlich unserem Antrag nicht zustimmen werden. Wer sich die Debatte der letzten Wochen im Deutschen Bundestag zu den Minderheitenrechten angehört hat und sich die Debattenbeiträge insbesondere der Vertreterinnen und Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen dazu angehört hat, der müsste ja den Eindruck haben, als sei die Partei Bündnis 90/Die Grünen die Kämpferin für die Minderheitenrechte von Oppositionen. Das waren Sie auch, Herr Dr. Güldner, solange Sie noch selber in der Opposition waren.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt, da Sie mit den Sozialdemokraten eine Mehrheit hier im Hause haben, sind Ihnen plötzlich Minderheitenrechte nichts mehr wert. Ich finde das armselig, um es so deutlich zu sagen. Man kann nicht im Bund für Minderheitenrechte einschließlich Enquetekommissionen kämpfen und sogar verlangen, dass noch weniger als 25 Prozent eine solche Kommission einsetzen können, und das dann hier im Landtag in Bremen verhindern. Das ist so was von widersprüchlich, dass man das ehrlicherweise auch nicht mehr erklären und nachvollziehen kann. Ich finde es fatal, wie Sie das immer von politischen Stimmungslagen und Mehrheitsverhältnissen abhängig machen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen ein Angebot machen, das Sie eigentlich nicht ausschlagen können.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Da muss man ja aufpassen!)

Eben! – Ich weiß ja, dass Sie vielleicht die Sorge haben könnten, dass wir vor dem Ende dieser Legislaturperiode, nachdem Sie die Geschäftsordnung geändert haben, noch schnell eine Enquetekommission einsetzen. Ich sage Ihnen zu, dass wir als CDU-Fraktion von dieser dann neu geschaffenen Möglichkeit keinen Gebrauch machen werden. Ich sage Ihnen zu, dass wir, wenn wir heute die Geschäftsordnung ändern, diese Änderung für die nächste Legislaturperiode beschließen. Wer dann in der Regierung und wer dann in der Opposition sein wird, entscheiden die Wählerinnen und Wähler.

Deswegen ist meine herzliche Bitte: Machen Sie ihre Entscheidung über solche Minderheitenrechte nicht von ihrer derzeitigen Auffassung als Mehrheitsfraktionen in diesem Parlament abhängig! Stärken Sie die Legislative, und stärken Sie die Minderheitenrechte der Opposition! Sie würden dem Parlamentarismus in Bremen einen großen Gefallen tun! – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Tschöpe, SPD Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Röwekamp, wir haben darüber ja schon häufiger diskutiert. Ich glaube, dass Ihre Analyse, die Sie hier vorgetragen haben, dass Enquetekommissionen Kern des Parlamentarismus sind und auch Kern eines Oppositionsrechts sein können, schlicht falsch ist. Ich will das auch begründen.

Wer in die Geschichte des Parlamentarismus zurückgeht und sich einmal die Philosophie der Gewaltenteilung anguckt, wer dem näher tritt, was Montesquieu dazu geschrieben hat, der stößt darauf, dass die erste Gewalt folgende Aufgaben hat: Die erste Gewalt hat als vorderste Aufgabe, eine Regierung zu wählen und abzuwählen, sie hat der Regierung die notwendigen Mittel zuzuteilen oder zu entziehen, sie hat Gesetze zu beschließen, sie hat Handlungsanweisungen im Einzelfall an die Regierung zu erteilen, und – das ist die wichtigste Aufgabe des Parlaments – sie hat die Regierung zu kontrollieren. Das ist übrigens nicht Aufgabe der Opposition, das ist Aufgabe des Parlaments.

Ich stimme Ihnen völlig zu, dass all diese Instrumente, die der Kontrolle der Regierung durch das Parlament dienen, starke Minderheitenrechte sein müssen. Ich bekenne hier ganz ehrlich, dass ich das, was unsere beiden Parteien in Berlin mit der kleinen Minderheit, weil es eine Große Koalition gibt, veranstalten, parlamentarisch entwürdigend finde. Ich finde es entwürdigend, dass man im Bundestag der Opposition 10 Prozent der Redezeit zubilligt. Ich finde es entwürdigend, dass man lange darüber streitet, ob diese Opposition Untersuchungsausschüsse einsetzen kann. Natürlich muss die Opposition im Deutschen Bundestag Untersuchungsausschüsse einsetzen können!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Absolut daneben – das kann ich nicht anders sagen; ich habe mich auch mit meinem Parlamentarischen Geschäftsführer auf Bundesebene schon darüber gestritten – ist die Diskussion darüber, ob man der parlamentarischen Opposition in Berlin einräumen soll, dass sie zum Bundesverfassungsgericht gehen kann. Natürlich muss die Opposition zum Bundesverfassungsgericht gehen können!

Wir haben übrigens in Bremen, weil die Mehrheiten hier immer so waren, dass das 25-Prozent-Quorum nur schwer zu erreichen war, immer eine Vereinbarung in den Koalitionen – wir als Sozialdemokraten mit Ihnen, wir jetzt in der Koalition mit den Grünen – getroffen, dass diese Minderheitenrechte gewahrt sind. Für uns war es immer selbstverständ

lich, dass Untersuchungsausschüsse durch die jeweilige Opposition, auch wenn sie nicht 25 Prozent hat, eingesetzt werden können. Für uns ist es selbstverständlich, dass Sie zum Staatsgerichtshof gehen können. Für uns sind Minderheitenrechte absolut selbstverständlich.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Aber hinter Ihre These, dass Enquetekommissionen den Kernauftrag des Parlamentes betreffen, die Kernaufgaben des Parlamentes steigern können, würde ich ein paar Fragezeichen setzen.

Was ist eine Enquetekommission? Eine Enquetekommission ist ein „Ausschuss“, in dem Parlamentarier meistens mit Wissenschaftlern oder auch mit anderen Vertretern der Zivilgesellschaft zusammenkommen, um langfristige Probleme zu erörtern, mit Expertise zu erörtern, Empfehlungen zu geben, und das möglichst einvernehmlich zu machen.

Der Hintergedanke einer Enquetekommission ist, dass dort gesellschaftliche Dissense mit fachlicher Beratung aufgelöst werden können, sodass sich am Ende eines solchen Prozesses eventuell auch die Minderheit, die sich nicht durch eine parlamentarische Mehrheit vertreten fühlt, hinter dem Ergebnis versammeln kann. Nach einer klassischen Definition passt das überhaupt nicht zusammen: auf der einen Seite ein breiter gesellschaftlicher Konsens und auf der anderen Seite für eine Enquetekommission ein Minderheitenrecht zur Einsetzung.

Ich weise noch auf folgendes Detail hin, Kollege Röwekamp, weil wir darüber auch schon diskutiert haben. Wenn man Montesquieu ernst nimmt, ist eine Enquetekommission an sich schon demokratisch nicht ganz unproblematisch. Dass ich einen parlamentarischen Prozess mache, der nicht auf die erste Gewalt beschränkt ist, sondern dass ich Dritte, die demokratisch nicht legitimiert, sondern vielleicht nur mittelbar legitimiert werden, einbinde, ist auch immer wieder in Literatur und Schrifttum diskutiert worden. Ist das eigentlich richtig? Trotzdem kann es sinnvoll sein, so einen parlamentarischen Think Tank einzurichten.

Wenn man sich einmal anguckt – Kollege Röwekamp, Sie haben eben gesagt, Bremen ist das einzige Bundesland, dass noch keine Enquetekommission hat –, wie viele Enquetekommissionen es gibt oder gab – ich habe mir das einmal heraussuchen lassen –, dann stellt man fest, dass es ungefähr 60 Enquetekommissionen in deutschen Landtagen gegeben hat.

Wenn man einmal guckt, wozu es die eigentlich gegeben hat, dann stellt man fest: Ungefähr ein Sechstel befasst sich mit Demografiefragen. Ein interessantes Thema! Ich hätte die These, dass die Demografiefrage, die in Niedersachsen mit einem sehr umfangreichen Papier von circa 300 Seiten beantwortet ist,