Protocol of the Session on January 24, 2013

Das bedeutet für uns im Übrigen in der Ausprägung nicht

(Glocke)

das ist der letzte Punkt, Frau Präsidentin! –, dass wir für einen katholischen, einen evangelischen, einen jüdischen und einen islamischen Religionsunterricht sind. Selbstverständlich kann man einen christlichen Religionsunterricht unter Beteiligung beider christlichen Kirchen erteilen, und selbstverständlich ist für uns auch, dass ein islamischer Religionsunterricht in staatlichen Schulen erteilt werden muss. Uns als CDU-Bürgerschaftsfraktion ist nur wichtig, dass über die Überzeugungen und Werte, die uns leiten, die dazu geführt haben, dass wir uns in der Gesellschaft Werte, Bedingungen und Gesetze gegeben haben, auch in staatlichen Schulen unterrichtet wird.

Deswegen tun wir uns als CDU-Bürgerschaftsfraktion nicht leicht mit der von uns ja erst durch die Neufassung der Mitteilung von letzter Woche erbetenen Zustimmung zu dem bereits unterzeichneten Vertrag.

Bisher ist dieser Vertrag nur eine Vereinbarung zwischen acht Senatoren und drei Verbänden. Es ist aber noch keine Vereinbarung zwischen dem Parlament und diesen Verbänden, und es ist schon gar keine Vereinbarung zwischen den Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen in Bremen und Bremerhaven. Es ist bisher nur ein Vertrag auf dem Papier.

Deswegen haben wir uns in der CDU-Fraktion lange Gedanken darüber gemacht, wie wir mit der nun begehrten Zustimmung zu diesem Vertrag umgehen wollen. Ich kann Ihnen sagen, wir geben die Abstimmung über diesen Punkt für die CDU-Fraktion frei. Es handelt sich nicht um einen Punkt, bei dem eine Mehrheit einer möglichen Minderheit vorschreiben kann, wie sie sich zu diesem Vertrag stellen kann. Ich will aber ausdrücklich sagen, wir stimmen in der CDU-Fraktion überein, dass es zu solchen verlässlichen Verabredungen kommen muss.

Deswegen kann ich für diejenigen, die den Vertrag heute unterstützen und ihm ihre Zustimmung geben, erklären: Wir verbinden damit die Erwartungshaltung, dass dieser Vertrag erstens nicht statisch ist, sondern wir ab morgen in einen Dialog darüber eintreten, welche Veränderungen, Verbesserungen, Klärungen und Klarstellungen dieser Vertrag vertragen kann. Wir verbinden damit außerdem die Erwartung, dass das nachgeholt wird, was man normalerweise macht, bevor man einen solchen Vertrag schließt, nämlich die Menschen, deren Vertretung und Vertrauen wir hier im Parlament als Abgeordnete haben, über den Inhalt dieses Vertrags, seine Auswirkungen und seine Bedeutung aufzuklären und mit ihnen in den Dialog über diesen für uns sehr weitreichenden Vertrag einzutreten.

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion wird daher der Mitteilung des Senats mit der Bitte um Zustimmung heute zum Teil folgen, aber zum Teil eben auch nicht. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Röwekamp, zur Kritik am Verfahren! Am 2. Oktober 2012 ist der Vertragsentwurf den Fraktionsvorsitzenden per E-Mail überstellt worden mit der Aufforderung, ihn erst in vertraulicher Beratung zu diskutieren. Am 5. Oktober 2012 haben Sie ausgeführt – ich weiß nicht, ob im Wege einer Presseerklärung, aber Sie sind sowohl auf RadioBremen.de als auch im „Weser-Kurier“ so zitiert worden –: „Ich empfehle meiner Fraktion, dem zuzustimmen.“

Dann ist vor der Bürgerschaftssitzung im Dezember die Mitteilung des Senats eingegangen mit dem Hinweis, dass der Senat beabsichtigt, vor der nächsten

Bürgerschaftssitzung diesen Vertrag zu unterschreiben. Es hätte jeder Fraktion in diesem Haus freigestanden, in der Dezember-Sitzung der Bürgerschaft zu sagen, wir wollen über diesen Vertrag diskutieren. Ich glaube, man kann über diesen Vertrag alles Mögliche sagen, aber dass er durchgepeitscht oder zumindest dieses Haus nicht einbezogen worden sei, kann man ihm nicht unterstellen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. S e n k a l [SPD]: Hört, hört!)

Kommen wir aber unabhängig davon zur Sache! Sie haben Christian Wulff zitiert, aber ich glaube, man könnte vielleicht noch ein anderes Zitat zur Einführung nehmen: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas, der Islam ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft.“ Wer hat das wohl gesagt?

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Frau Merkel?)

Wolfgang Schäuble, und zwar in einer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag im Jahr 2006! Da war es sozusagen völlig unproblematisch, diese Feststellung zu tätigen. Dass dann im Jahr 2010 nach der Neuwahl von Christian Wulff die Debatte entbrannt ist, wunderte einen dann doch, aber auch das ist nur eine Petitesse am Rande.

Unzweifelhaft ist das Christentum Teil Deutschlands, und dankenswerterweise ist trotz jahrtausendelanger Verfolgung und dem unfassbaren industriellen Massenmord das Judentum Teil Deutschlands geblieben. In Bremen bekennen sich circa 40 Prozent der Bevölkerung zum evangelischen Glauben, circa zwölf Prozent haben ein katholisches Bekenntnis, sieben Prozent sind Muslime, 0,15 Prozent sind Juden. Die verbleibenden 40 Prozent der Bevölkerung teilen sich auf in die anderen Weltreligionen, Sekten und sonstige Konfessionen, zwischen 34 und 36 Prozent der Bremer sind konfessionslos.

Schon diese Zahlen zeigen, dass Bremen in religiösen wie auch in vielen anderen Bereichen ausgesprochen bunt ist. Keine Religionsgemeinschaft in Bremen kann für sich in Anspruch nehmen, so etwas wie eine Hegemonie zu haben. Das war in der Vergangenheit anders. Zu dem Zeitpunkt, als unsere Verfassung im Jahr 1947 ins Werk gesetzt wurde und zum Zeitpunkt der ersten Volkszählung im Jahr 1950 waren die Mehrheitsverhältnisse in Bremen ganz andere. 85 Prozent der Bremer Bevölkerung waren Protestanten, zehn Prozent waren Katholiken. Es hat mit der Geschichte Bremens zu tun, dass wir seit der Reformation gut protestantisch geprägt waren.

Trotzdem hat der Verfassungsgeber im Jahr 1946 zentrale Bestimmungen in die Bremer Landesverfassung eingefügt, die die religiöse Pluralität in Bremen sicherstellen sollen. Artikel 59 Landesverfassung lautet deshalb: „Die Kirchen und Religionsgesellschaften

sind vom Staate getrennt. Jede Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre sämtlichen Angelegenheiten selber im Rahmen der für alle geltenden Gesetze.“ Artikel 60 führt aus: „Die Freiheit der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird gewährleistet.“ Schon damals wollte die Bürgerschaft unterschiedliche Formen des religiösen Bekenntnisses gleichbehandeln, aber gleichzeitig sicherstellen, dass die allgemeinen Gesetze für alle gelten.

Die gesamte Struktur der Landesverfassung ist in religiösen Angelegenheiten darauf angelegt, dass Gleiches auch gleich behandelt werden muss. Ich bin übrigens auch persönlich der Überzeugung, dass das im Umgang mit unterschiedlichen Bekenntnissen auch gar nicht anders geht. Religiöse Überzeugungen stellen oftmals persönliche Gewissheiten dar, aber diese entziehen sich naturgemäß jeder Form von empirischer Nachprüfung. Religiöse Überzeugungen waren und sind Triebfeder für menschliches Handeln, sie haben sehr viel Positives, aber auch Negatives bewirkt. Religiöse Überzeugungen sind etwas zutiefst Persönliches. Etwas, das für mich eindeutig und klar belegbar ist, ist für meine Nachbarin vielleicht völlig abstrus, unsinnig oder gar gefährlich. Die Antwort des modernen Rechtsstaates darauf kann nur eine verfassungsmäßig abgesicherte Religionsfreiheit sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Diese Religionsfreiheit schützt übrigens keine Religionsgesellschaft vor dem öffentlichen Diskurs und davor, begründen zu müssen, was sie macht, sie schützt sie aber in ihren inneren Angelegenheiten, dass die Freiheit des Bekenntnisses ermöglicht und gefördert werden soll. Diese Auseinandersetzung über Religion gibt es auch innerhalb jeder Religionsgemeinschaft. Ich will hier keine Bespiele nennen, aber wer sich damit beschäftigt, der weiß, dass es in der Bremischen Evangelischen Kirche oder in der katholischen Kirche Auseinandersetzungen gibt, es gibt sie in jeder Religionsgesellschaft. Die Grenzen des staatlichen Eingriffs sind aber auch klar begrenzt. Der Staat hat sich dazu entschieden, dass jede Religion ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwaltet und ordnet.

Die Bürgerschaft hat bereits einen Staatsvertrag mit dem Heiligen Stuhl geschlossen, eine Vereinbarung mit der Evangelischen Kirche und eine mit der Jüdischen Gemeinde. Das bedeutet für mich ganz unzweifelhaft, wenn Gleiches gleichbehandelt werden muss, dann sind die islamischen Gemeinden mit derselben Elle zu messen wie die, mit denen wir bisher Vereinbarungen haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Genau dies macht der vorliegende Vertrag auch: Er behandelt die islamischen Gemeinden wie die evangelische Kirche, die katholische Kirche und die jüdische Gemeinde, und die Vertreter dieser Religionsgesellschaften haben übrigens dem Inhalt, der Form und der Tatsache des Vertrags zugestimmt und dies sehr begrüßt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der Staat macht sich mit einer solchen Vereinbarung auch nicht die Inhalte einer Religion zu eigen, sondern er regelt ausschließlich sein Verhältnis zu Religionsgesellschaften, aber anders als in den anderen vorliegenden Verträgen – und das ist, glaube ich, noch einmal wichtig zu betonen – gibt es in diesem Vertrag eine Ergänzung. Diese Vereinbarung enthält nämlich ein Bekenntnis beider Seiten, das in den anderen Vereinbarungen nicht enthalten ist. Ich möchte hierzu den Artikel 2 des Vertrags zitieren:

„1. Die Freie Hansestadt Bremen und die islamischen Religionsgemeinschaften bekennen sich zu den gemeinsamen verfassungsgemäß verbrieften Wertegrundlagen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen zur Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Geltung der Grundrechte, der Völkerverständigung und der Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen sowie der freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassung des Gemeinwesens. Sie sind sich einig in der Ächtung von Gewalt und jeder Art von Diskriminierung und werden gemeinsam dagegen antreten.

2. Die Freie Hansestadt Bremen und die islamischen Religionsgemeinschaften bekennen sich darüber hinaus zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am familiären, gesellschaftlichen und politischen sowie am schulischen und beruflichen Leben. Sie setzen sich für die Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern ungeachtet ihrer religiösen Überzeugungen an Bildung, Erwerbstätigkeit und gesellschaftlichem Leben ein und wenden sich entschieden gegen jede Diskriminierung.“

Man könnte sich eigentlich fragen, was ein solches Bekenntnis, das unmittelbar aus der Verfassung folgt – das ist unmittelbar geltendes Recht –, in einer solchen Vereinbarung eigentlich soll, aber ich glaube, dass sich sehr schnell herausstellen wird, wie wichtig ein solches Bekenntnis ist. Wir haben erleben müssen, dass ein Amtsträger in Bremen beziehungsweise in Bremerhaven mit der These an die Öffentlichkeit getreten ist, dass ein hundertprozentig gläubiger Moslem nicht das Grundgesetz achten kann. Er begründet das damit, dass er selbst oder irgendjemand für ihn eine Exegese eines 1 300 Jahre alten Textes ge

macht hätte und es daraus hervorginge. Das ist so ehrenwert wie der Versuch, aus den Apostelbriefen der Bibel herauslesen zu wollen, dass die Frau dem Mann untertan sei und alle Christen daran noch glaubten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Nun kann man nichts für Leute in der eigenen Partei und der eigenen politischen Couleur, die abstruse Thesen vertreten – wer wüsste das besser als die SPD? –,

(Heiterkeit)

aber es macht deutlich und klar, wie wichtig dieses vereinbarte Bekenntnis beider Seiten in diesem Vertrag war. Mir als Sozialdemokraten könnte es egal sein, aber ich glaube, das Problem daran ist, dass solche Thesen etwas anderes bewirken, als der Vertrag eigentlich will: Sie trennen, statt zusammenzuführen, sie fördern Ressentiments, statt für gegenseitiges Verständnis zu werben, sie setzen nicht auf Integration, sondern auf Ausgrenzung.

Ich glaube, wir sollten in diesem Haus alle – Herr Röwekamp, Sie haben ja angekündigt, dass Sie es mehrheitlich tun werden – in religiösen Angelegenheiten stattdessen eher auf Willy Brandt setzen: Wir sollten versöhnen statt spalten!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Lassen Sie mich an dieser Stelle vielleicht einfach mit Folgendem abschließen: Sie haben die Äußerungen der beiden Bundespräsidenten in den letzten zwei Jahren zitiert. Ich kann sie mir für die SPD zu eigen machen. Für die SPD sage ich ganz klar: Die Muslime, die hier leben, gehören zu Bremen, und der Islam gehört zu Bremen. Die SPD stimmt diesem Vertrag zu. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften! Mit dem Abschluss des Vertrags zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den islamischen Religionsgemeinschaften im Land Bremen ist ein Meilenstein zur Gleichstellung einer großen Gruppe von Migrantinnen und Migranten erreicht worden. Wir haben es hier ein––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

deutig mit einem Highlight der bremischen Integrationspolitik zu tun.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die vielen kleinen Schritte, mit denen sich die Muslime und ihre Organisationen selbst auf den Weg in die Öffentlichkeit gemacht haben, werden jetzt durch diesen Vertrag gekrönt, und das begrüßen wir.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich sehe dies als einen überzeugenden Erfolg der drei Generationen von Muslimen an, die seit vier bis fünf Jahrzehnten aufeinander folgend und aufbauend das islamische Leben in Bremen geprägt haben und prägen. In der Bildung, im sozialen und kulturellen Leben, in den Medien, im Sport, in der Wirtschaft und in der Politik haben die Muslime am gesellschaftlichen Leben teil und bringen sich ein.

Davon legt der Vertrag ein eindrucksvolles Zeugnis ab. Auf der Grundlage der gemeinsamen Verfassungs- und Werteordnung bekennen sich die Vertragspartner zur Religionsfreiheit. Ihr wird ausdrücklich der gesetzliche Schutz des Bundeslandes zuerkannt. Künftig wird es keine überflüssige Streiterei mehr um die Errichtung einer Moschee in Bremen geben, Minarett- und Kirchturm werden Seite an Seite zum Lob des gleichen Gottes in den Himmel ragen. Familien werden in der Lage sein, ihre verstorbenen Angehörigen würdig und nach ihren frommen Bräuchen zu bestatten, hier in der Stadt, die ihre Heimat geworden ist. Islamische Religionsgemeinschaften werden ihre Verantwortung auch im Rahmen des Bildungswesens übernehmen. Arbeitnehmer werden in der Lage sein, ihre religiösen Feiertage wahrzunehmen. All dies sind Belege für ein großes Maß an Verständnis und Akzeptanz, das die gesamte Gesellschaft der islamischen Minderheit entgegenbringt. Das ist wahrlich eine neue Qualität des Zusammenlebens.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Auch die islamischen Religionsgemeinschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Sie gewinnen allmählich die Einsicht, dass man nicht nur die positive Religionsfreiheit genießen kann, sondern es auch ein Menschenrecht ist, keinem Glauben angehören zu wollen, also auch die sogenannte negative Religionsfreiheit akzeptieren zu müssen.