Protocol of the Session on July 11, 2012

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte an dieser Stelle auch gern die Vertreterinnen und Vertreter des Bremer Pflegerates begrüßt, sie hatten sich aber leider auf eine morgige Debatte eingestellt.

Auch wenn wir an manchen Stellen etwas unterschiedlicher Auffassung sind, finde ich es sehr gut, dass wir hier eine eigentlich sehr fruchtbare Diskussion führen und auch in einem Austausch miteinander sind.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen in Deutschland werden immer älter, und sie werden zum Glück auch immer gesünder älter. Ein 60-jähriger Mann hatte im Jahr 1960 noch eine Lebenserwartung von 15 weiteren Jahren, heute sind es mehr als 20 Jahre. Wer sich wie ich mit fast 30 Jahren einmal Bilder von seinen Großeltern anschaut, wie sie mit 60 Jahren ausgesehen haben, der stellt fest, es waren dann wirklich alte Menschen. Heute sind wir zum Glück in der Situation, dass man – zumindest in den meisten Fällen – mit 60 Jahren tatsächlich noch ein langes und aktives Leben vor sich hat. Die Ursachen dafür sind die gesünderen Lebensbedingungen, der medizinische Fortschritt und ein Gesundheitssystem, das trotz aller Schwierigkeiten international immer noch vorbildlich ist.

Sehr wichtig sind aber auch die vielen Männer und vor allem auch Frauen, die mit einem hohen Maß an persönlichem Engagement und viel Professionalität eine qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Sie sichern die Lebensqualität für pflegebedürftige Menschen oft bis ins hohe Alter, und wer einmal längere oder auch kürzere Zeit im Krankenhaus war, der wird wissen, dass gute Pflege zum Gesundwerden mindestens genauso wichtig ist wie die Arbeit der Ärzte. Diesen Menschen gebührt unser Dank und unsere Unterstützung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Diese große Bedeutung der Pflege hat ihren Niederschlag leider oft nicht in dem Maße, wie es wünschenswert wäre, sowohl in Bezug auf ihre Rolle im

Gesundheitssystem als auch in Bezug auf die medizinische Bezahlung. Eine Krankenpflegerin kann heute, sofern sie nach TVöD bezahlt wird, am Ende ihres Berufslebens maximal ein Gehalt von 2 800 Euro erreichen. Mein Einstiegsgehalt als Diplom-Politologin bewegte sich nur knapp darunter. Ich möchte meine eigene Profession nicht geringschätzen, aber ich finde, für eine solch körperlich schwere Arbeit ist das absolut unzureichend.

(Beifall bei der SPD)

Aus meinen Aussagen hören Sie, dass uns das Ziel eint, dass wir den Stellenwert der Pflege in Deutschland erhöhen müssen, dies ist unser gemeinsames Ziel. Warum stehen wir als SPD-Fraktion der Einrichtung einer Pflegekammer dennoch skeptisch gegenüber? Der Grund ist vor allem der, dass für uns fraglich ist, ob die Ziele, die Sie, Herr Bensch, im Antrag der CDU-Fraktion formuliert haben, mit der Einrichtung einer Pflegekammer erreicht werden. Hier wird von vornherein von der Annahme ausgegangen, dass mit der Einrichtung einer Pflegekammer viele Probleme gelöst werden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist offen. Für mich stellt sich auch einfach die Frage: Kammern sind ein Instrument der freien Berufe in Deutschland. So ist die Ärztekammer in einer Zeit entstanden, in der es kaum angestellte Ärzte gab und die Notwendigkeit bestand, dass die Menschen ihre beruflichen Angelegenheiten und auch die Qualifikationen, die Qualitätskontrolle selbst lösen mussten. In einem Angestelltenverhältnis sieht die Situation ganz anders aus. Selbst wenn wir es schaffen, im Zuge der Selbstverwaltung einen stärkeren Einfluss der Pflegenden auf Qualitätsstandards oder Fragen der Aus- und Weiterbildung auszurichten, ist die Umsetzung doch immer auch noch Aufgabe der Pflegeeinrichtungen und der Krankenhäuser, und der einzelne Angestellte hat an der Stelle bei der praktischen Durchsetzung sehr wenig Möglichkeiten. Ich sehe darin auch ein Problem, was die Frage der Sympathie vieler Pflegender für dieses Konzept angeht. Herr Bensch, Sie haben auf das Konzept in Rheinland-Pfalz hingewiesen, dort soll es diese Befragung aller Pflegenden geben. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen mit vielen Personen auch aus dem Pflegebereich gesprochen, und vielen war dieses Konzept auch erst einmal vollkommen unbekannt. Ich glaube, wenn wir eine Pflegekammer haben wollen, dann muss auch deutlich sein, dass sie etwas ist, was diese Menschen auch wirklich wollen. Da muss ich sagen, das sehe ich an der Stelle noch nicht.

(Abg. B e n s c h [CDU]: Deswegen der Prüfauftrag!)

Ja, dazu komme ich gleich noch! Ich denke aber, wir müssen erst einmal schauen, dass wir die Möglichkeiten ausschöpfen, die wir jetzt

schon haben, dass wir sagen, es kann nicht sein, dass wir beispielsweise in der Gesundheitsbehörde einen Schwerpunkt nur darauf legen zu sagen, wir müssen die ärztliche Kompetenz erhöhen, denn wir müssen auch in dem Bereich die pflegerische Kompetenz erhöhen. Wenn ich höre, dass im Referat für ältere Menschen niemand arbeitet, der in der Altenpflege gelernt hat, dann halte ich das für ein Problem. Uns geht dort sehr viel Kompetenz verloren, und an der Stelle müssen wir dringend nacharbeiten.

Ein weiteres Argument, das unserer Meinung nach gegen die Einrichtung einer Pflegekammer spricht, ist die Tatsache, dass wir – ich glaube, dort sind wir uns auch alle einig – bei der Ärztekammer durchaus kritisch die Frage diskutieren, ob sie noch ein zukunftsfähiges Modell ist. Gerade was die Frage angeht, wer Ansprechpartner für Pflegende oder in diesem Fall für Patienten ist, ist die Ärztekammer häufig mitnichten ein neutrales Instrument, sondern da gibt es ja auch an vielen Stellen Klagen. Ich glaube, dass wir uns insgesamt überlegen müssen, wie wir in Bezug auf die Krankenkassen die Selbstverwaltung umgestalten und wie wir den Einfluss der einzelnen Berufsgruppen im Gesundheitswesen auch über den Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, verändern müssen.

Ich glaube, dass wir Gefahr laufen, mit der Pflegekammer einen Scheinriesen zu produzieren, an den wir ganz große Erwartungen stellen, und dass am Schluss weder für die zu Pflegenden noch für die Pflegenden etwas übrig bleibt. Deswegen möchten wir diesen Prüfauftrag auch nicht weiter verfolgen, weil ich sagen muss, ich möchte auch nur Dinge prüfen, die ich grundsätzlich erst einmal für sinnvoll halte. Wir sollten auch aufpassen, dass wir mit dem Begriff „prüfen“ nicht inflationär umgehen, weil wir ansonsten Erwartungen wecken, die wir am Schluss nicht einhalten können. – Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Koalitionäre, ich fand das, was Sie zu dem Punkt gesagt haben, einfach ein bisschen zu ungenau. Ich bin da ein bisschen deutlicher und vor allen Dingen interessenbezogener. Ich habe am Anfang, als ich den Antrag der CDU gelesen habe, geglaubt, ja, darüber könnte man vielleicht einmal nachdenken. Nachdem ich den Text mehrmals gelesen habe, fand ich dann aber doch ziemlich entlarvend die letzte Zeile in Ih––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

rem Antragstext, in der steht, dass für die Einrichtung einer solchen Kammer zu prüfen ist und insbesondere darauf eingegangen wird, „inwieweit eine doppelte Beitragsbelastung der Pflegenden durch Arbeitnehmer- und Pflegekammer vermieden werden kann“. Da habe ich gesagt: Aha, darum geht es also!

Um es einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Das sind die 6 000 Beschäftigten der Gesundheit Nord, die ja sozusagen Zwangsmitglieder in der Arbeitnehmerkammer sind, und wenn man das dann ordentlich prüft, dann können sie natürlich nicht gleichzeitig Mitglied der Pflegekammer sein. Dann holt man sie also aus der Arbeitnehmerkammer heraus, und dann kann die Arbeitnehmerkammer, sagen wir einmal, die Hälfte ihrer Stellen gleich streichen oder vielleicht nur ein Viertel oder vielleicht mehr, je nachdem! Das scheint die Richtung zu sein, aus der bei dem Ganzen hier der Wind weht.

Wenn man es sich weiter anschaut: Herr Bensch hat sich immer sehr oft auf den Bremer Pflegerat bezogen. Auch da habe ich meinen Gewerkschaftssekretär einmal zurate gezogen und ihn gefragt, wer denn Mitglied dieses Pflegerates ist. Interessant ist: Von den Institutionen, die Mitglied des Bremer Pflegerates sind und die dann noch eigene Unternehmen unterhalten, sind es alles Unternehmen, in denen keine Tarifverträge gelten. Diese sind dann – Herr Bensch hat es so angepriesen – die Spezialisten für Pflege, die eine Pflegekammer mit gestalten sollen. Das sehe ich doch ganz anders!

Meine Vorrednerin – auch wenn ich gesagt habe, ich fand es ein bisschen ungenau – hat doch auch deutlich gesagt, dass der Unterschied von Kammern, also Ärztekammer und Pflegekammer, in der Tat immer ist, dass die Mitarbeiter in der Pflege in der Regel bei irgendwelchen privaten oder auch kommunalen Institutionen angestellt sind. Die strukturellen Probleme – das sind die Probleme, die es heute in der Pflege gibt – werden von diesen Institutionen vorgegeben, bei denen die Pflegenden beschäftigt sind, und daran wird auch eine Kammer nichts, aber auch gar nichts ändern. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Jürgens-Pieper.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Erlanson hat schon ziemlich zugespitzt formuliert, und ich kann es noch ein bisschen weiter zuspitzen. Wenn man den Antrag so liest, dann hat man schon den Eindruck, dass es auch ein Angriff auf die Arbeitnehmerkammer sein soll.

(Abg. B e n s c h [CDU]: Völliger Quatsch!)

Ich will aber auch sagen, Herr Bensch, ich glaube nicht, dass man mit einer so kontroversen Einrichtung gerade die Attraktivität der Pflegeberufe fördert. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie erst einmal alle in eine Debatte jagen, in der es eher ein Hauen und Stechen gibt. Ihnen ist hoffentlich auch bekannt, dass außer Bremen nur noch das Saarland eine Arbeitnehmerkammer hat und dass Rheinland-Pfalz exakt dieses Problem eben nicht hat, wenn es denn eine einrichten sollte, und auch Schleswig-Holstein hatten Sie, glaube ich, genannt. Deshalb ist es eine etwas andere Situation.

(Abg. B e n s c h [CDU]: Das ist es sowieso!)

Nun hat es ja durchaus einen Prüfauftrag im Ressort gegeben vor meiner Amtszeit, weil der Bremer Pflegerat da war und auch initiativ geworden ist. Diese zumindest aufgenommene Debatte – man hat den Bremer Pflegerat gefragt, wer denn alles dazu steht – hat ergeben, dass dort bisher keine große Einigkeit vorhanden ist, da war nicht viel. Bei einer Unterschriftenaktion, bei der 18 000 Pflegende gefragt worden sind, sind etwa 1 000 Unterschriften zustande gekommen. Da kann man auch nicht sagen, dass es dort eine große Bewegung gibt, die das Ganze unterstützt. Deshalb, Herr Bensch – und das ist Ihnen ja wahrscheinlich bekannt –, kann man sagen, damit werden wir vermutlich die Attraktivität des Pflegeberufes nicht weiterentwickeln können.

(Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Sicher nicht!)

Es gibt, glaube ich, bessere Instrumente, die hier heute auch schon genannt worden sind, die dort hilfreicher sind. Wir haben ja eine Offensive in Gang gesetzt, und ich finde, das ist auch außerordentlich bedeutend, ich fand die Debatte zu den Pflegeberufen heute auch außerordentlich interessant. Deshalb lohnt es sich natürlich – und jetzt werde ich ein bisschen versöhnlicher –, über die Pflege weiter zu reden, weil sie ein bedeutendes Thema ist, aber lassen Sie uns nicht mit der Kontroverse anfangen, sondern erst einmal mit den Dingen, die sinnvoll sind! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/361 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU und Abg. T i m k e [BIW])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Zum Schluss des heutigen Tages rufe ich noch die Tagesordnungspunkte ohne Debatte auf.

Wahl eines Mitglieds des staatlichen Rechnungsprüfungsausschusses

Der Wahlvorschlag liegt Ihnen schriftlich vor.

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Wahl.

Wer entsprechend dem Wahlvorschlag wählen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) wählt entsprechend.

(Einstimmig)