Protocol of the Session on April 26, 2012

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Beim Fiskalpakt geht es nicht um eine nationale, politisch umstrittene Frage, aus der man innenpolitisch Kapital schlagen kann, und das schon gar nicht auf Länderebene. Der Fiskalpakt ist für die Stabilität des Euros und Europas und für die Zukunft Europas von entscheidender Bedeutung. Der Fiskalpakt ist ein sehr starkes Signal für ein starkes Europa, und ein starkes Europa brauchen wir in Zeiten der Krise ganz besonders. interjection: (Beifall bei der CDU)

Ich freue mich deshalb, dass unsere Bundesregierung mit ihren Gesetzentwürfen zur Schaffung einer Fiskalunion und eines dauerhaften Stabilitätsmechanismus einen weiteren wichtigen Baustein zur Überwindung der Vertrauenskrise an den Finanzmärkten geschaffen hat, um die Lage der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts in Europa nachhaltig zu verbessern.

Vor dem Hintergrund der bremischen Haushaltspolitik ist es sicherlich nicht ganz verwunderlich, dass die bremische Koalition hier einen Antrag vorgelegt hat, der davon ausgeht, dass die Bundesrepublik in den nächsten fünf Jahren die Vorgaben, die der Fiskalpakt im Bereich Verschuldung vorsieht, nicht einhalten kann.

Nur in diesem Fall würden nämlich ihre verfassungsrechtlichen Bedenken überhaupt greifen.

(Beifall bei der CDU)

Wir als CDU haben aber nicht vor, und wir werden unsere Meinung nach der Bundestagswahl 2013 diesbezüglich auch nicht ändern, den gerade mühevoll errungenen Fiskalpakt zu brechen. Nach einer Übergangszeit von fünf Jahren – das hat Herr Gottschalk gerade selbst auch gesagt – wird dann der Fiskalpakt in die europäischen Verträge übernommen, und Sie fordern es hier in Ihrem Antrag noch einmal.

Warum ist es nicht gelungen, eine gemeinsame europäische Finanztransaktionssteuer einzuführen? Natürlich war man sich in Berlin darüber einig, dass man am gesamten Paket auch die Finanzmärkte beteiligen muss. Die Bundesregierung hat sich zwei Jahre lang mit sehr großem Nachdruck dafür eingesetzt, eine gemeinsame Finanztransaktionssteuer zu vereinbaren. Erst auf Drängen von Herrn Dr. Schäuble und Frau Dr. Merkel hat die Europäische Kommission überhaupt einen Entwurf entwickelt. Eine Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten kann und darf man nicht erzwingen, das wissen Sie ja genauso gut wie ich. Dieser Wunsch ist nicht das, was uns die Realität zeigt. In Ihrem Antrag verweisen Sie auch auf den Artikel 20 des EU-Vertrags, wenn die Einstimmigkeit nicht erreichbar ist. In diesem Fall müssen neun Länder den Antrag unterstützen. Vielleicht hören wir noch im Verlauf der Debatte, welche neun Länder Sie dort meinen.

Im Antrag fordern Sie – und das finde ich als bremische Politikerin besonders schön – ein Wachstumsund Investitionsprogramm. Ich finde, das ist geradezu die Gelegenheit, in dem Zusammenhang auf Bremen hinzuweisen. Bremen stünde eine solche Strategie sicherlich gut zu Gesicht. Das kann man in diesem Zusammenhang eigentlich nur von Ihnen fordern, denn auf Bundesebene haben wir in Deutschland eine Wachstumsstrategie. Im Jahr 2011 gab es bundesweit 182 000 Arbeitslose weniger als im Jahr 2010. Die Jugendarbeitslosigkeit ist erheblich zurückgegangen. Diese Zahlen sprechen doch eine deutliche Sprache.

(Beifall bei der CDU)

Bei uns gibt es eine Perspektive, und diese geben wir natürlich auch gern an die anderen Länder weiter.

Bund-Länder-Anleihen – dazu wird Frau Piontkowski gleich noch etwas ausführen – mögen Sie sich vielleicht wünschen, weil Bremen dadurch zinsgünstiger Geld aufnehmen könnte. Mit einer Schuldenkonsolidierung auf Bundesebene haben sie allerdings gar nichts zu tun, übrigens genauso wenig wie mit der Ausstattung der Europäischen Investitionsbank mit höheren Mitteln, wie auch Ihre anderen Vorschläge. Die nationale Souveränität, die Sie hier einfordern, beschränken Sie so zusätzlich.

Der Fiskalpakt braucht, das haben wir eben schon gehört, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat, und damit sind die Länder dann auch ausreichend beteiligt. Dazu, dass auch Bremen zu dieser Zweidrittelmehrheit im Bundesrat beiträgt, können wir Sie ja heute eigentlich nur auffordern, denn, ich sage es noch einmal, dieses Thema eignet sich nicht für politische Grabenkämpfe, dafür steht dort viel zu viel auf dem Spiel. Europa und alle großen Errungenschaften, die durch diese Ideen entstanden sind, brauchen ein starkes Signal, um ein starkes Europa zu bleiben. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute einen Antrag der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen. Dieser Antrag schlägt im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen für den sogenannten Fiskalpakt in Europa zu klären.

Mit diesem Fiskalpakt sollen im Wesentlichen drei Dinge erreicht werden: Er soll die Schulden eines Landes auf 60 Prozent der Wirtschaftleistung und die Neuverschuldung je nach Bedingung auf circa 0,5 bis 1 Prozent pro Jahr begrenzen. Das heißt für Deutschland, wenn man relativ zügig den Schuldenstand von derzeit zwei Billionen Euro auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen will, eine Senkung um 1,5 Billionen Euro und jetzt eine Neuverschuldung von ungefähr 38 Milliarden Euro. Wenn man sagt, die Neuverschuldung ist auch noch zu begrenzen, dann wird sich wahrscheinlich der Bundeshaushalt um circa 20 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr auf der Ausgabenseite reduzieren oder auf der Einnahmenseite erhöhen müssen.

Das ist eine Strategie, die zunächst erfolgversprechend und möglich scheint, wenn man aber genau hinschaut, an welcher Stelle in der Regel gekürzt wird, ist es relativ sicher, dass es auch zu drastischen Einschnitten kommt.

Die dritte Regelung besagt, wenn Länder sich nicht an diesen Pakt halten, dann haben sie mit Sanktionen zu rechnen, unter anderem bekommen sie dann kein Geld mehr aus dem sogenannten Rettungsschirm. Die Grundfrage, die sich aber dabei stellt ist: Zunächst scheint es für jeden logisch zu sein zu sagen, in Ordnung, wir haben irgendwie über unsere Verhältnisse gelebt. Den einzelnen Staaten muss jetzt einmal von irgendjemanden – in der Form eines Übervaters, einer Kontrollkommission oder eines Sparkommissars – gesagt werden, so weit dürft ihr gehen und soweit nicht. Das heißt, allein die Idee, dass wir irgendeine Form von übermächtiger Instanz brauchen, die die demokratischen Entscheidungen in einzelnen Län

dern kontrolliert und notfalls aufhebt, finde ich persönlich ausgesprochen fragwürdig.

Wahr ist, dass die Länder ihre Haushalte bisher selbst verantwortet haben und dass möglicherweise an der einen oder anderen Stelle Parteien mit ihren politischen Beschlüssen für große Defizite in unterschiedlichen Ländern verantwortlich sind. Hier in Deutschland ist unter anderem ein Großteil der Defizite in öffentlichen Haushalten auf die Idee zurückzuführen, die wir gestern auch schon einmal diskutiert haben, wenn wir einen Euro Steuern erlassen, entstehen irgendwie 1,17 Euro Mehreinnahmen. Das war und ist ein Mythos. Ein Großteil der Probleme der Haushalte – wenn nicht gar der überwiegende Teil – ist einfach darauf zurückzuführen, dass in Deutschland nicht genügend und vor allen Dingen keine gerechten Steuern erhoben werden, aber er ist nicht unbedingt darin zu sehen, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das wahr ist, dann muss man, finde ich, in der Debatte über Schulden einmal die Frage stellen: Woher kommen eigentlich die Schulden der öffentlichen Haushalte? Geht man dieser Frage auf den Grund – das haben wir hier an dieser Stelle schon oft diskutiert, und das darf man bei dieser Debatte nicht dauernd verleugnen –, dann ist es im Wesentlichen eine Steuersenkungspolitik, die in den letzten 15 Jahren in Bremen und auch auf Bundesebene dafür gesorgt hat, dass über diese Haushalte mehr Neuschulden aufgenommen worden sind, als gut ist. Wenn man dann sagt, in Ordnung, alles kein Problem, dann verbieten wir höhere Schulden, wo ist denn dort eine Logik? Wir kommen dann doch aus der Falle nicht heraus.

Es ist doch jetzt nicht so, dass sich der Schuldenstand in Griechenland verringert hat, seitdem es den Rettungsschirm in Anspruch genommen hat, die Renten und Mindestlöhne verändert hat und 150 000 Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen musste! Er hat sich von 150 auf 170 Milliarden Euro erhöht, und das hat Arbeitslosigkeit zur Folge. Es hat auch zur Folge, dass ein Staat nicht lebensfähiger wird und sich selbst saniert. Diese Logik greift nicht!

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was machen wir jetzt in Griechenland?)

Ich sage an dieser Stelle noch einmal, diese Sache durch die Schuldenbremse und das Verbot von Schulden zu klären, wird nicht gehen. Man kann die Probleme der öffentlichen Haushalte, sei es in der Kommune, im Bundesland Bremen, in der Bundesrepublik oder auf europäischer Ebene, nur lösen, wenn man dort, wo Profite gemacht werden, gerecht besteuert. Das gilt für die Finanztransaktionssteuer genauso wie für Steuern auf Gewinne von großen Un

ternehmen. Man kann sie nur lösen, wenn man anfängt, die Vermögen, die sich in den letzten 20 Jahren in einer höheren Geschwindigkeit angesammelt haben als die Verbindlichkeiten der Länder, zu besteuern. Aus solch einer Logik kommt man nicht heraus, wenn man diese Situation langfristig positiv ändern will.

Wir haben auch noch eine andere Situation. Es ärgert mich immer maßlos, wenn man sagt, Schulden sind per se schlecht.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! Ich melde mich gleich noch einmal dazu!

Wir haben gestern über Energieeffizienz und Investitionen in Energie gesprochen. Wir kommen in eine Situation, ohne es zu wollen, in der wir das nicht mehr dürfen. Allein das müsste für die grüne Partei eine Möglichkeit sein, ihre Position der Schuldenbremse zu überdenken.

Wir werden dem Antrag – Die Voraussetzungen für den Fiskalpakt klären! – zustimmen, aber nicht deshalb, weil wir mit allem einverstanden sind, was in dem Antrag steht. Wir teilen auch nicht die Forderungen im Einzelnen. Ich finde aber, es muss von diesem Hause zumindest ein Signal ausgehen, dass wir diesen Fiskalpakt kritisch sehen und dass wir im Bundesrat diesem Fiskalpakt nicht zustimmen sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das mit dem Antrag gemeint ist, stimmen wir ihm gern zu. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Gottschalk.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Mohr-Lüllmann, ich würde mir auch wünschen, dass wir hier von Bremen aus die gemeinsamen Interessen sehen und darüber nicht in Grabenkämpfe verfallen würden. Ich sehe es aber auch, dass wir bei der Einschätzung des Fiskalpakts, sehr genau hinschauen müssen, ob die Diagnose und die Rezeptur, die jetzt gerade von der Bundesregierung in dieser Form angedacht wird, richtig ist. interjection: (Beifall bei der SPD)

Die Position der Bundesregierung ist, die Staatsschulden zu der Mutter aller Krisen zu erklären, und das ist nicht richtig!

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l - m a n n [CDU])

Die Verschuldungskrise ist erstens – es wäre schön, wenn Sie mir zuhören würden! – die Folge der Finanzmarkt- und Bankenkrise und des Ausbügelns dieser Krise, das können Sie an den Daten sehen. Sie ist zweitens eine Folge der strukturellen Unterfinanzierung aller staatlichen Haushalte im Wettlauf um möglichst niedrige Steuern, um Steuergeschenke und um das schlechte Eintreiben von Steuern.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie ist drittens eigentlich keine Staatsschuldenkrise im Allgemeinen, wenn man nämlich einmal genau hinschaut, ist sie eine Krise der Auslandsstaatsschulden. Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien sind nicht bei ihren eigenen Bürgern, sondern im Ausland und hauptsächlich in Deutschland verschuldet. Das ist ein Punkt, den man bei einer Krisenbekämpfung sehen muss.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss Ihnen sagen, das Rezept, das die Bundesregierung mit dem Fiskalpakt verfolgt, nämlich nur zu sparen, ist der falsche Weg! Wenn wir nur sparen – das weiß jeder Ökonom –, dann geht die Binnennachfrage zurück. Wenn die Binnennachfrage zurückgeht, verlangsamt sich die Wirtschaft, kommt ins Stocken oder gerät in die Krise. Wenn das passiert, sinken die Steuereinnahmen. Die Folge ist, dass die Staatsschulden im Vergleich mit der Folge steigen, dass wiederum gefordert wird, dass wir noch mehr sparen müssen. Das ist ein Teufelskreis, der in Griechenland, Spanien und Portugal probiert worden ist, und die Konsequenzen sehen Sie.

Wenn Sie die Hoffnung haben, dass das nur kurzfristig ist, dann schauen Sie sich einmal an, was in der Krise in Lateinamerika passiert ist: Diese Sparpolitik ist gescheitert! Schauen Sie sich an, was in Südostasien war: Diese Sparpolitik ist gescheitert! Wenn Sie historisches Wissen haben, dann erinnern Sie sich vielleicht an die Politik von Heinrich Brüning, der vorletzten Regierung vor der Machtübernahme in Deutschland, er hat diese Politik versucht, und er ist auch gescheitert, und zwar mit katastrophalen Folgen.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss Ihnen sagen, das, was hier als radikale, einseitige Sparpolitik gefordert wird, ist nicht die Cleverness der schwäbischen Hausfrau, sondern das Wunschdenken des Barons von Münchhausen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es für uns wichtig – das hat Herr Dr. Kuhn auch schon betont –, dass dieser Fiskalpakt unbedingt durch ein Investitions- und Wachstumspakt ergänzt

werden muss, und zwar in doppelter Hinsicht, und das möchte ich auch noch einmal deutlich machen!

Es muss den Volkswirtschaften in der Peripherie geholfen werden, wieder auf die Beine zu kommen, um überhaupt Exporte zu generieren, mit denen sie ihre Schulden auch abbauen können. Wenn sie das nicht schaffen, dann wird die Wirtschaft immer weiter nach unten gehen.

Es wird aber noch eine andere Sache geben, und deshalb reicht es nicht, darauf zu verweisen, dass wir doch die Lokomotive sind. Frau Dr. Mohr-Lüllmann, Sie müssen genauer hinschauen! Das Problem ist, wenn die Staaten im Süden sparen, dann müssen sie mehr exportieren, sonst geht das gar nicht anders. Wenn sie mehr exportieren müssen, dann müssen wir vor allen Dingen mehr importieren. Das heißt, es geht nicht nur um ein Wachstum in Deutschland, sondern auch um den Abbau dieser vielen Zahlungs- und Handlungsungleichgewichte, die wir in Europa haben.