Protocol of the Session on June 29, 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erste Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) in der 18. Wahlperiode ist eröffnet.

Ich persönlich hätte es mir nicht träumen lassen, dass ich heute hier als Alterspräsident die erste Sitzung eröffne. Als man mir am Telefon sagte, Sie sind Alterspräsident, dachte ich: Mensch, so alt bist du doch noch gar nicht! Ich habe mich dann damit getröstet, dass es zumindest ein Bremerhavener ist, der diese ehrenvolle Aufgabe bekommen hat.

(Beifall)

Eigentlich wollen wir alle jünger sein, als wir es sind, von den Teenagern einmal abgesehen, da ist es eigentlich umgekehrt, aber zumindest fühle ich mich nicht so. Man kann zwar nichts dagegen tun, dass man altert, aber man kann sehr viel dagegen tun, dass man veraltet.

Gestatten Sie mir trotzdem noch einmal die Frage: Ist jemand der Anwesenden vor dem 20. August 1943 geboren? Rechnen Sie jetzt bitte nicht nach, wie alt ich bin, sondern fragen Sie sich einfach nur, ob Sie vor mir Geburtstag haben!

(Heiterkeit)

Niemand? Das habe ich befürchtet! So werden Sie also heute Morgen mit mir vorliebnehmen müssen, und so bin ich dann der Alterspräsident.

Zu meiner Ehrenrettung kann ich aber noch sagen, im Gegensatz zu Konrad Adenauer, der als Alterspräsident 89 Jahre, Ludwig Erhard in gleicher Funktion 79 Jahre und Willy Brandt 77 Jahre alt war, bin ich noch ein junger Alterspräsident.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich die „Jedermänner“ des Sportvereins Osterholz und vom Gymnasium Vegesack den Politikkurs der Jahrgangsstufe 10. – Herzlich willkommen!

(Beifall)

Wer mich kennt, der weiß, dass mir staatstragende Worte nicht liegen. Ich bin für klare Worte, die von Herzen kommen, und viele von Ihnen kennen mich. In diesem Sinne möchte ich uns allen heute Morgen einige Gedanken mit auf den Weg geben. Ich möchte Sie zunächst alle nicht nur recht herzlich willkommen heißen, sondern Sie auch alle beglückwünschen, dass Sie von den Wählerinnen und Wählern ein Mandat in diesem Hohen Haus erhalten haben.

Vor vier Jahren konnten wir 32 neue Damen und Herren in unserem Parlament begrüßen, dieses Mal

sind wieder insgesamt 32 Kolleginnen und Kollegen neu als Abgeordnete berufen worden, darunter auch Zurückgekehrte, wie ich zum Beispiel.

Dass wir dieses Mal so viele Neue mit dabei haben, zeigt, dass das neue Wahlrecht funktioniert. Die Wählerinnen und Wähler haben die neuen Möglichkeiten genutzt und vielen Kandidatinnen und Kandidaten direkt ihre Stimme gegeben. Diese vielen Personenstimmen haben im positiven Sinne einiges durcheinandergewirbelt. Das Ergebnis ist, dass die Parteilisten nicht mehr das Wichtigste sind, ich denke, dass jede angetretene Partei davon ein Lied singen kann. Wenn ich mir heute die Fraktionen ansehe, dann muss ich feststellen: Unser Haus ist bunter geworden, und ich hoffe, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, das ist gut so!

(Beifall)

35 Abgeordnete sind über Personenstimmen eingezogen, mich selbst hat es auch erwischt, und ich denke, dass einige genauso überrascht waren wie ich, dass sie in die Bürgerschaft eingezogen sind. Nun ist es aber so, dass wir alle, die wir hier nun als Abgeordnete sitzen, die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten haben.

Meine erste Botschaft ist: Das persönliche Stimmergebnis zählt jetzt nichts mehr, wir sind alle gleich viel wert, und niemand von uns kann in diesem Haus oder in der eigenen Fraktion einen Anspruch aus seinem persönlichen Stimmergebnis ableiten. Das ist wichtig, wenn es darum geht, wie wir hier im Parlament in den nächsten vier Jahren miteinander umgehen. Ich möchte Ihnen auch sagen, warum: Die künftige Koalition hat eine deutliche Mehrheit, sie hat sogar zwei Drittel der Stimmen und kann unsere Landesverfassung ändern. Das ist eine besondere Verantwortung der Regierung, es ist aber auch eine besondere Verantwortung der Fraktionen hier im Haus.

Meine zweite Botschaft an die Regierenden ist: Denken Sie bei all Ihrem Tun an das Wohl unseres Landes und an die Menschen, die hier leben, achten Sie aber genauso die Rechte der Opposition! An die Opposition: Nehmen Sie Ihre besonderen Aufgaben wahr, machen Sie der Regierung das Regieren unbequem, denn wer zu bequem sitzt, der strengt sich nicht mehr an! Wir als Abgeordnete sollen Vorbild sein durch unser eigenes Verhalten, unser Engagement und unseren Umgang miteinander.

Ich muss jetzt noch einmal etwas loswerden, aber ich denke, hier als Alterspräsident werde ich auch nicht verprügelt, also werde ich jetzt einiges sagen, was ich für meinen Geschmack viel zu oft in der Zeitung gelesen habe, dass die Anwesenheit bei den Bürgerschaftssitzungen ganz offensichtlich nicht berauschend gewesen ist. Dies muss besser werden. Helfen Sie bitte alle dabei mit, es heißt schließlich Sitz im Parlament und nicht Kaffeepause in der Lobby!

Hartmut Perschau, mein politischer Freund, hat vor vier Jahren in seiner Rede als Alterspräsident die niedrige Wahlbeteiligung beklagt. Sie ist leider weiter auf 55,5 Prozent gesunken, und dass es nicht schlimmer geworden ist, verdanken wir natürlich den jungen Erstwählern und der Informationskampagne zum neuen Wahlrecht. Ich bitte Sie deshalb alle: Lassen Sie uns keine Neiddebatten führen, weder über die Bezüge und Pensionsansprüche von Senatoren noch von Abgeordneten oder gewählten Funktionsträgern! Ich bin überzeugt, dass jeder Einzelne in diesem Haus sein Geld wert ist, wenn er sich mit ganzem Herzen für unser Land und die Städte Bremen und Bremerhaven einsetzt. Ich meine, wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine Spaltung herbeireden, die niemandem nützt, denn was ist dann das Ergebnis? Ich denke, das Ergebnis ist nicht Bürgernähe, sondern noch mehr Politikverdrossenheit, und das macht mich persönlich ganz nachdenklich.

Begrüßen möchte ich genau an dieser Stelle die Vertreter der Presse – ich habe Sie nicht vergessen, meine Damen und Herren! –, von Rundfunk und Fernsehen! Was ich eben gesagt habe, gilt aber auch für Sie, meine Damen und Herren! Ich bitte Sie: Fassen Sie meine folgenden Bemerkungen nicht als Angriff auf die unverzichtbare Pressefreiheit oder gar als Belehrung auf, beides liegt mir in keiner Weise! Sie haben die Aufgabe, den Menschen im Land Bremen darüber zu berichten, was hier in der Bremischen Bürgerschaft beraten und beschlossen wird. Sicher ist es interessanter und manchmal auch einfacher, Geschichten über persönlichen Streit zu bringen, als Berichte über inhaltliche Diskussionen, das Ringen um einzelne Argumente oder das mühsame Aufeinanderzugehen, um eine gemeinsame Lösung zu finden, aber auch das gibt es in diesem Hause an vielen Stellen. Wir erhoffen uns in diesem Sinne eine faire Zusammenarbeit und erwarten eine sachliche Berichterstattung.

Mich hat die Rede von Altbundespräsident Rau, die er 2004 in Hamburg vor Journalisten gehalten hat, sehr beeindruckt. In der Rede ging es damals um Medien und Politik und um das Problem, wie Medien mit ihrem Anspruch in der Wirklichkeit umgehen. Zwei Sätze möchte ich Ihnen daraus mit auf den Weg geben! Johannes Rau hat zum einen gesagt, Journalisten sollen die Wirklichkeit abbilden, und zum anderen, was ich noch viel wichtiger finde, Journalisten sind Beobachter und nicht Handelnde. Beides ist einfach gesagt, aber schwer getan. Ich sage das deutlich, weil Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren von der Presse, sehr wichtig ist und mit meiner dritten und letzten Botschaft zu tun hat: In den vier Jahren, die vor uns stehen, geht es ans Eingemachte. Eigentlich war es schon in den letzten vier Jahren ernst, aber ich hatte manchmal den Eindruck, das hat kaum jemand so richtig bemerkt. Jetzt wird Bremen von außen vorgegeben, was Sache ist.

Damit wir die Vorgaben unseres Grundgesetzes einhalten können, muss Bremen 120 Millionen Euro

weniger Schulden machen, und zwar jedes Jahr zusätzlich, bis 2019. Schon in diesem Herbst muss Bremen dem Stabilitätsrat erklären, wie das gehen soll, und zwar nicht mit wolkigen Worten, sondern ganz konkret. Das wird uns allen wehtun, und das werden wir auch nur gemeinsam schaffen. Ich habe mich lange gefragt: Was sagst du jetzt dazu, wenn du jetzt schon Alterspräsident bist? Ich habe mich entschlossen, das ist dann eigentlich die einzige Situation, in der du öffentlich und deutlich sagen kannst, was Sache ist, ohne dafür, von wem auch immer, verprügelt zu werden.

Die Menschen in unserem Land haben ein feines Gespür dafür, was geht und was nicht geht. Wir alle wissen, ausweichen geht nicht mehr, meine Bitte deshalb: Schenken wir den Menschen reinen Wein ein, denn wer so tut, als ob man sparen könnte, ohne dass es jemand merkt, der führt die Menschen an der Nase herum! Es geht nicht um kaputtsparen oder Spardiktat, es geht darum, was wir daraus machen. Anderen die Schuld zuzuschieben ist für mich kein Gestalten, sondern Ausweichen. Dreimal ist Bremer Recht, sagen wir ja immer, Sie alle kennen diesen Spruch. Wenn wir ihn ernst nehmen heißt das aber auch, beim dritten Mal muss es sitzen. Wir hatten die Sondermittel des Bundes in der Zeit der Großen Koalition, das war das erste Mal. Wir hatten die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, das war das zweite Mal, und jetzt haben wir die Schuldenbremse und die Hilfen des Bundes, das ist das dritte Mal.

Als Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft sind wir nur unserem Gewissen verantwortlich und nicht an Aufträge oder Weisungen gebunden, und wir haben eine besondere Treuepflicht gegenüber der Freien Hansestadt Bremen. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind groß. Es kommt jetzt darauf an, was wir daraus machen, dass wir unsere Treue zu Bremen auch leben und bestehende Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen, damit das soziale Gefüge nicht weiter in die Schieflage gerät, dass Bremerhaven auch weiter eine Perspektive hat, die Häfen als unsere traditionelle Lebensader weiter blühen, unsere Kinder bessere Bildungschancen haben und die Freie Hansestadt Bremen selbstständig bleibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns allen deshalb eine glückliche Hand, jedem in der Aufgabe, die er übernommen hat, damit wir unseren Wählerinnen und Wählern in vier Jahren sagen können: Wir haben etwas bewegt.

Die Treuepflicht des Alterspräsidenten erfordert jetzt, dass ich gleich einige Formalien abarbeite und Hinweise zum weiteren Verfahren gebe, damit wir die Wahl des neuen Präsidenten vornehmen können. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

Ich schlage Ihnen vor, die Geschäftsordnung der 17. Wahlperiode zunächst zur gemeinsamen Verfah

rensgrundlage bis zur Feststellung der Geschäftsordnung zu erklären. – Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Um die Abwicklung der Sitzung bis einschließlich der Wahl des Vorstands ordnungsgemäß durchführen zu können, sind folgende vier vorläufige Schriftführer benannt worden: von der SPD-Fraktion die Abgeordnete Sybille Böschen, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Linda Neddermann, von der CDU-Fraktion die Abgeordnete Sandra Ahrens und von der Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Klaus-Rainer Rupp.

Ich gehe davon aus, dass das Haus mit diesem Verfahren sowie der Benennung einverstanden ist. – Ich höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.

Ich bitte die Abgeordnete Sybille Böschen, zu meiner Linken Platz zu nehmen!

Die Eingänge bitte ich dem heute verteilten Umdruck zu entnehmen.

I. Kleine Anfragen gemäß § 29 Abs. 2 der Geschäftsordnung

1. Beschäftigungsstruktur und Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen im Land Bremen

Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 24. März 2011

Antwort des Senats vom 24. Mai 2011 (Drucksache 17/1779)

2. Ressourcenbewirtschaftung an Schulen

Kleine Anfrage der Fraktion der CDU vom 5. April 2011

Antwort des Senats vom 24. Mai 2011 (Drucksache 17/1780)

3. Kompetenzanerkennung für berufsbildene Abschlüsse

Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 6. April 2011

Antwort des Senats vom 17. Mai 2011 (Drucksache 17/1778)

4. Nächtlicher Fluglärmschutz

Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 8. April 2011