Meine Damen und Herren, da um Behandlung und um Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung gebeten wurde, lasse ich darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite Lesung durchführen wollen.
Wer das Gesetz zur Änderung des Bremischen Wahlgesetzes, Drucksache 17/1212, in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von dem Bericht des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses, Drucksache 17/1211, Kenntnis.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit der Regierungsübernahme betreibt die schwarz-gelbe Koalition aktiv die Einführung einer Kopfpauschale beziehungsweise einer Gesundheitsprämie. Dies bedeutet für die Millionen Krankenkassenmitglieder in Deutschland nichts
Gutes. Bundesminister Rösler hat seit seiner Amtseinführung kaum Initiativen entwickelt, die Ausgaben zu begrenzen. Es gibt ein Hin und Her, wie die Regierung ihre geplante große Kopfpauschale erreichen will: Die CSU ist und war immer gegen sie, die CDU und die FDP wollen sie immer noch. Auf dem Leipziger Parteitag 2003 hat Frau Merkel sie durchgedrückt, und der Parteitagsbeschluss ist bis heute gültig. Einzig einig sind sich CDU und FDP, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren.
Wir als Koalition sind gegen eine einheitliche Kopfpauschale, denn eine einheitliche Prämie ist sozial unausgewogen.
Der Chef zahlt soviel in die Kasse wie sein Chauffeur. Wir wollen immer noch Unterschiede durch einen prozentualen Beitragssatz. Wir wollen die Beitragsbemessung bis zur Rentenbemessungsgrenze erhöhen. Wir wollen, dass die private Krankenversicherung in den Finanzausgleich aller Kassen einbezogen wird. Das nennt sich Bürgerversicherung.
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Vizepräsidentin D r. M a t h - e s übernimmt den Vorsitz.)
Zusätzlich sollten aus unserer Sicht Kapitaleinkünfte wie Zinsen, Mieteinkünfte der Krankenversicherungspflicht unterliegen. Die können unbürokratisch mit entsprechenden Freibeträgen über die Steuer beim Finanzamt eingezogen werden.
Was bedeutet die Kopfpauschale oder die Gesundheitsprämie? Sie ist ein Einheitsbetrag für alle, das heißt, wenn alle gesetzlichen Versicherungen den Betrag pro Kopf aufteilen würden, kämen gegenwärtig 145 Euro pro Kopf heraus, Kinder wären ausgenommen. Das bedeutet letztlich, dass alle Bürger, die weniger als 1 835 Euro als Person im Monat verdienen, mehr für die Krankenversicherung zahlen müssen, während Einkommen darüber entlastet würden. Deshalb müsste ein Sozialausgleich her. Das kann nur über direkte Steuern, also über die Einkommensteuer finanziert werden. Mehrwertsteuererhöhungen wären eine zusätzliche Belastung für untere und mittlere Einkommen, das heißt, die Zielgruppe finanziert den Transfer selbst. Deshalb müsste die Einkommensteuer erhöht werden.
Das widerspricht natürlich den Aussagen, die die FDP vor der Wahl getroffen hat. Minister Schäuble sagt, für den Ausgleich wären 30 Milliarden Euro, das heißt, ein Spitzensteuersatz von 73 Prozent oder eben eine fünfprozentige Einkommensteuererhöhung für alle notwendig. Des Weiteren wäre dieser Ausgleich, auf den 36 Millionen Menschen einen Anspruch hätten, von den jährlichen Haushaltsberatun
gen abhängig. Wie die Zuschüsse an diejenigen ausgezahlt werden sollen, die keine Steuern zahlen, ist noch ein Rätsel. Hierzu müsste eine neue Behörde errichtet werden. Wie sieht es bei Menschen aus, die laufend unterschiedliche Einkommen haben? Müssen sie jeden Monat einen Antrag auf Beihilfe stellen, oder bekommen sie den Ausgleich am Jahresende? Sie müssten dann in Vorleistung treten. Aber das passt ideologisch zur FDP-Forderung nach dem Kostenerstattungsprinzip anstatt dem Sachleistungsprinzip.
Inzwischen versucht Herr Rösler, mit einer Kopfpauschale von 29 Euro vorzudrängen. Für uns ist klar, auch eine kleine Kopfpauschale, die von Jahr zu Jahr wächst, bleibt am Ende eine Kopfpauschale.
Die Berechnungen zeigen, schon eine kleine Pauschale belastet die unteren Einkommen von Rentnern, Familien, Studenten, Teilzeitbeschäftigten und Beschäftigten auf 400 Euro Basis überproportional.
Wir sagen, zunächst muss die Ausgabenseite angegangen werden. Es müssen Einsparungen bei Arzneimitteln, bei den Apotheken und bei den Ärzten erfolgen. Hier hat die FDP das Standesinteresse über den Wettbewerb gestellt und bisher nichts fertiggebracht.
Wir haben in der sozialen Bürgerversicherung eine klare Alternative formuliert. Wir sagen auch ganz klar, wir wollen die Wiederherstellung der vollen paritätischen Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Wir wollen keine einkommensunabhängigen Pauschalen wie Zusatzbeiträge oder Kopfpauschalen oder eben den Sonderbeitrag von 0,9 Prozent. Diese Maßnahmen führen letztlich dazu, dass gute medizinische Leistungen nur noch über private Zusatzversicherungen zu bekommen sind.
Wir wollen keine Verhältnisse wie in den USA. Ich zitiere die „Financial Times“ vom 4. Februar 2010: „Gesucht: Mann mit Kasse. Weil sie unheilbar krank ist, bekommt Terri Carlson keine Versicherung. Verzweifelt sucht die Amerikanerin nun im Netz nach einem Ehemann. Hübsch muss er nicht sein, er muss sie nur richtig gut mitversichern.“ Meine Damen und Herren, das wollen wir nicht! – Danke!
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Haben Sie ihr schon geschrieben?)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein leistungsfähiges und in der Bevölkerung breit akzeptiertes System der Sozialversicherung. Sie bietet allen Mitgliedern den gleichen Versicherungsschutz unabhängig davon, wie viel Beiträge sie eingezahlt haben. Der einkommensabhängige Solidarausgleich trifft in der Bevölkerung auf große Zustimmung. Seit Jahren ist klar, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens dringend auf stabile finanzielle Füße gestellt werden muss. Dabei darf aber nicht nur die Ausgabenseite betrachtet werden, sondern auch die Einnahmenseite muss vergrößert werden.
Bis jetzt erfolgt die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung einseitig durch Beiträge auf Löhne, Renten und Arbeitslosengeld. Dagegen bleiben Vermögenseinkommen und Gewinne beitragsfrei. Das ist unsolidarisch, führt zu unnötig hohen Beiträgen und gefährdet die Fähigkeit der Krankenversicherung, um den wachsenden Anforderungen durch den demografischen Wandel und den medizinisch-technischen Fortschritt gewachsen zu sein. Überdies können sich ausgerechnet die wirtschaftlich leistungsstärksten und im Durchschnitt auch gesündesten Bevölkerungsgruppen dem Solidarausgleich entziehen. Das ist nicht gerecht!
Wir Grüne wollen, dass diese Gerechtigkeitslücke geschlossen wird. Diese Gerechtigkeitslücke wollen wir durch die Weiterentwicklung der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung schließen. Alle Bürgerinnen und Bürger, auch Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete und Selbstständige, werden versicherungspflichtig. Die bisher privat Versicherten werden ebenfalls in die Bürgerversicherung aufgenommen, ihre zusätzlichen Leistungsansprüche, die sie über die private Krankenversicherung erworben haben, bleiben ihnen erhalten und werden über Zusatzversicherungen gewährleistet.
Ich möchte hier noch einmal deutlich sagen, die von uns entwickelte Bürgerversicherung ist keine Einheitsversicherung, wie sie von den LINKEN befürwortet wird, sondern die Versicherungen konkurrieren innerhalb des gleichen Rechtsrahmens untereinander. Das ist zurzeit jedenfalls nicht der Fall. Das dauerhafte Einfrieren des Arbeitgeberanteils und die damit verbundene einseitige Belastung der Kosten durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lehnen wir ab.