Protocol of the Session on April 24, 2007

Die Grünen sagen, dass es branchen- und regionenspezifische Mindestlöhne geben soll. Ich möchte nur kurz etwas zum Kombilohnmodell der CDU sagen! Das ist bei den Grünen auch lange diskutiert worden, und ich sage Ihnen eines: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto klarer wird einem, dass es folgenden Effekt haben wird. Sie werden dann in eine Situation hineinkommen, in der Sie massenweise untere Einkommen aus staatlichen Transfers finanzie

ren müssen, und dann erzählen Sie immer noch, die Staatsquote soll nicht erhöht werden. Ich will das nicht! Ich will, dass ein normales Arbeitsverhältnis in Deutschland den Mann und die Frau ernährt, und ich möchte nicht, dass eine größere Gruppe – Sie werden ja Mitnahmeeffekte ohne Ende erzielen –, eine steigende Gruppe von Menschen zwar 40 Stunden arbeitet, aber dann zusätzlich zum Sozialamt gehen muss. Das entspricht nicht unserem Menschenbild und meiner Meinung nach auch nicht dem Grundgesetz.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Argument, dass dieses Modell Arbeitsplätze kostet, habe ich schon oft gehört, aber Belege dafür haben Sie nicht. Wenn in 18 EU-Staaten Mindestlöhne eingeführt wurden, herrscht dort doch nicht Massenarbeitslosigkeit! Das Gegenteil wird der Fall sein, dass wir, indem wir endlich Standards festschreiben, eine Meinung haben, auch den Arbeitgebern gegenüber, und auch die Arbeitnehmer in ihrer Argumentation stärken, dass es jetzt dieser Betrag sein muss und man nicht darunter gehen will. Es wird eine Stärkung des Arbeitsmarktes und keine Schwächung ergeben, und den Beweis dafür, dass das Arbeitsplätze kostet, konnten Sie bisher an keiner Stelle antreten.

Ich will gern noch eine Sache sagen, warum ich auch glaube – in der öffentlichen Debatte spielt das im Moment keine große Rolle, aber für Grüne ist es besonders wichtig –, es geht auch um eine sozialpolitische Debatte, weil nämlich die Frage, was ist menschenwürdig von Hartz IV, also, in welcher Höhe bewegen sich die sogenannten Transferzahlungen, doch davon abhängt, was untere Einkommensgruppen erzielen. In den letzten Jahren hat es eine ständige Spirale immer weiter nach unten gegeben, und die Transferleistungen in der Sozialhilfe bis zu Hartz IV wurden einem permanenten Spardruck unterworfen. Ich will gern durch die Mindestlöhne einen Riegel davorschieben und natürlich ein Bekenntnis zum sogenannten Lohnabstandsgebot ablegen, aber der Unterschied zwischen den Transferleistungen und dem, was man dann als Mindestlohn erzielt, muss gesellschaftlich ausgehandelt werden. Die Einführung von Mindestlöhnen ist eine Bremse dagegen, diesen Armen immer weitere Kürzungen zuzumuten, und genau das wollen wir auch. Wir wollen das arbeitsmarktund sozialpolitische Instrument der Mindestlöhne in Deutschland einführen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dass sich eine Große Koalition in Bremen auf so etwas nicht einigen kann, ist ja kein Wunder, aber Sie haben im Deutschen Bundestag, sage ich jetzt einmal an die Adresse der SPD, Gelegenheit, dem grünen Antrag „Arbeit in Armut verhindern“ zuzustimmen, in dem es heißt, dass eine gesetzliche Re

gelung rechtlich verbindliche Mindestlöhne und Mindestarbeitsbedingungen unter Beteiligung von Sozialpartnern und Wissenschaft in jenen Bereichen ermöglichen soll, in denen eigene Tarifstrukturen vorhanden sind. Da können Sie sich dann zu dem bekennen, was hier als Bremer Initiative im Moment nicht auf den Weg gebracht werden konnte, weil es eine Große Koalition gibt. – Danke!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mindestlöhne ja oder nein? Die Frage heißt übersetzt: Will man sich mit einem gesellschaftlichen Skandal abfinden oder nicht? Ich will mich nicht abfinden mit einem gesellschaftlichen Skandal, und dieser Skandal heißt, den haben wir hier gemeinsam herausgearbeitet: Wenn jemand den ganzen Tag über arbeitet und sich und seine Familie davon nicht ernähren kann, dann ist das ein Verstoß gegen die Würde des Menschen, gegen die Würde der Arbeit. Damit muss Schluss sein, und zwar schnell und konsequent!

(Beifall bei der SPD)

Lieber Herr Perschau, Sie haben hier so süffisant über Gewerkschaften gesprochen. Ich bin stolz darauf, dass ich an diesem Punkt mit den Gewerkschaften in einem Schulterschluss stehe. Dafür schäme ich mich nicht, sondern es ist gut, dass Sozialdemokraten mit Gewerkschaften hier einer Meinung sind!

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Dann höre ich: Hier in Bremen müssen wir uns doch nicht damit beschäftigen, das ist doch Aufgabe des Bundes! Wieso Senat und Bürgerschaft? Das haben wir ja hier und da auch gelesen. Ich glaube, es ist zynisch, wenn man das so sagt, vor allen Dingen ist es Ausdruck davon, dass man von der Lebenswirklichkeit der Menschen in Bremen und Bremerhaven keine Ahnung hat.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich begebe mich heute Nachmittag auf eine Tour durch Bremen, da lade ich Sie einmal ein, und dann lernen wir Menschen kennen in Bremen, die im privaten Postzustelldienst, im Bewachungsgewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe, bei den Kinos, die in dieser Stadt nur Armutslöhne erhalten!

(Abg. P e r s c h a u [CDU]: Deshalb wollen wir sie ja auch beseitigen!)

Deswegen wissen Sie, warum wir auch in Bremen aufgerufen sind, hier tätig zu werden, und deswegen gehört hier in die Mitte der Volksvertretung dieses Thema, das die Menschen wirklich berührt, hinein, und hier muss es beredet werden. Es ist gut, dass wir heute darüber reden.

(Beifall bei der SPD)

Aber es gehört noch mehr dazu! Ich möchte nicht, dass wir nur auf Festveranstaltungen zu „60 Jahre Freie Hansestadt Bremen“ erklären, wie gut und wie wichtig unsere Selbstständigkeit ist, sondern es ist auch eine Verantwortung und eine Verpflichtung, nämlich eine Verpflichtung, dass wir das, was wir als sozialpolitischen Notstand, Missstand erkannt haben, mit unseren Möglichkeiten als Bundesland angehen, und deswegen habe ich eine Bundesratsinitiative vorgeschlagen; nicht zur Show, sondern weil es ein Thema ist und weil Bremen die Chance in dieser Frage hat, wirklich einmal initiativ zu werden und in Deutschland etwas zustande zu bringen! Das steht Bremen gut an, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einmal erwähnen, was wir und was ich konkret vorgeschlagen habe: eine Bundesratsinitiative, die sich auf 2 Felder konzentriert, nämlich einen Gesetzentwurf, der sicherstellen soll, dass im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit haben, sich in Deutschland auf Löhne zu verständigen, die nicht nur nicht sittenwidrig, sondern die menschenwürdig sind. Zweitens: Löhne als Untergrenze, weil wir wissen – die Zahlen sind schon genannt worden –, nur 68 Prozent der Menschen im Westen und 53 Prozent im Osten erhalten tarifvertragliche Löhne, und weil wir auch wissen, dass es Tarifverträge gibt, die wegen der nicht hinreichenden Machtbalance nicht so ausfallen, wie sie ausfallen müssten und wir deswegen eine Untergrenze definieren müssen, die bei 7,50 Euro liegt. Das ist es, worum es geht.

Ich habe mit einem gewissen Erstaunen erlebt, wie die CDU sich dazu verhalten hat. Es war eigentlich die erste Bewährungsprobe, wo Sie das, was Sie so lautstark vor sich hertragen, nämlich dass Sie die soziale Frage in Bremen mit entdeckt haben – willkommen im Klub! –, auch hätten zeigen können. Sie haben eigentlich bei der ersten Bewährungsprobe schon versagt an diesem Punkt.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Das, was Sie vorschlagen, wir müssen einmal die Unterschiede herausarbeiten, worin diese bestehen. Der Unterschied liegt darin, dass Sie sagen: Ich ak

zeptiere es, wenn Unternehmen und Arbeitgeber in Deutschland menschenunwürdige Löhne zahlen –

(Abg. P e r s c h a u [CDU]: Gewerkschaf- ten und Unternehmer in einem Tarifvertrag!)

lassen Sie mich einmal zu Ende erzählen! –, aber der Staat soll sie dann in einer Weise aufstocken, dass die Menschenunwürdigkeit von diesen Löhnen genommen ist. Ich habe soziale Marktwirtschaft immer anders verstanden, und ich würde Sie auch bitten, einmal darüber nachzudenken, ob es nicht auch anders zu verstehen ist, dass nämlich für ordentliche Arbeit auch ordentliche Löhne gezahlt werden. Das ist der Kern von sozialer Marktwirtschaft, und da sollten Sie sich einmal wieder hinbewegen und nicht einen Subventionsmechanismus aufbauen!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich in dieser, ich bekenne, für mich äußerst wichtigen Frage die CDU nicht als Bündnispartner an meiner Seite habe. Ich werde mir andere Bündnispartner suchen, nämlich bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ich bin der Überzeugung, dass die Mehrheit der Menschen in Bremen, Bremerhaven und in Deutschland sagt: Schluss mit der Lohndrückerei, wir brauchen gesetzliche Mindestlöhne! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Röwekamp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich von einigen Debattenrednern direkt angesprochen worden und offensichtlich bewusst oder unbewusst teilweise falsch verstanden worden bin, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, an dieser Stelle vielleicht zu meinen Vorschlägen im Zusammenhang mit Mindesteinkommenssicherung etwas zu sagen!

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Aber hallo, aber ja!)

Das erste Bekenntnis – im Übrigen auch aus der Betriebsrätekonferenz, Herr Dr. Sieling, die Sie bereits zitiert haben – ist, dass Gewerkschaften und sicherlich auch Arbeitgeber unverändert außerordentlich stolz darauf sind, mit welchem Erfolg wir in Deutschland seit dem Kriegsende die Tarifautonomie gelebt und auch gewahrt haben. Deswegen ist mein erstes deutliches Bekenntnis an dieser Stelle, dass gerechte Löhne bei uns in Deutschland in der Regel gefunden wer

den in dem Ausgleich zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Das sind für mich gerechte Löhne.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen bin ich dafür, dass wir die zwischen Tarifvertragsparteien gefundenen Löhne im Entsendegesetz für allgemein verbindlich erklären, und zwar für alle Branchen. Ich halte es für unvertretbar, dass immer mehr Arbeitsverhältnisse austarifiert werden und hier keine Verpflichtung mehr besteht, die tariflich vereinbarten Löhne zu zahlen. Das ist mein eindeutiges Bekenntnis zur Tarifautonomie. Ich will, dass für jedes Arbeitsverhältnis in Deutschland ein Tarifvertrag gilt, das können wir gemeinsam im Entsendegesetz verabreden, und eine solche Bundesratsinitiative zu unterstützen bin ich jederzeit bereit!

(Beifall bei der CDU)

Dann sprechen wir nämlich nur noch über die Arbeitsverhältnisse, bei denen Tarifvertragsparteien sich nicht in der Lage gesehen haben, einen Mindestlohn von 7,50 Euro festzulegen. Dass ein solches Mindesteinkommen aus meiner Sicht wegen des Abstandsgebotes zwischen Erwerbstätigkeit und Erwerbslosendasein dringend erforderlich ist, darauf hat Herr Kollege Perschau bereits hingewiesen. Ein Mindesteinkommen von 7,50 Euro lässt sich daraus rechtfertigen, dass man sagt: Jemand, der arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet; im Übrigen auch aus Gründen der Rentensicherheit, denn diejenigen, die heute ein Mindesteinkommen von unter 7,50 Euro haben und ihr Leben lang sogar 40 Stunden die Woche dafür mit eigener Hände Arbeit arbeiten, werden auch im Alter eine Rente haben, die wir staatlich subventionieren müssen, weil die Rentenbeiträge aus diesen geringfügig bezahlten Beschäftigungsverhältnissen eben nicht zur Alterssicherung ausreichen werden.

Wir reden also nicht nur über die Menschen, die heute Arbeit haben, sondern auch über die Menschen, die später, obwohl sie ihr Leben lang, 40 Jahre lang jeden Tag 8 Stunden gearbeitet haben, auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sein werden, weil sie ein Mindesteinkommen, das ihnen am Ende auch eine Mindestrente gewährleistet, nicht erzielt haben. Auch das ist eine ganz soziale Begründung dafür, dass wir über Mindesteinkommen in Deutschland reden müssen. Wir reden also, Herr Kollege Böhrnsen und Herr Dr. Sieling, nicht mehr über die Frage, ob ein Mindesteinkommen von 7,50 Euro gerechtfertigt ist, sondern wir reden über den Weg dorthin, und darin unterscheiden wir uns.

Ich finde es im Übrigen sehr pauschal, wenn Sie sagen, in 20 von 27 EU-Ländern gibt es Mindestlöhne. Das stimmt, aber der Mindestlohn in Bulgarien beträgt 53 Cent, in Rumänien 66 Cent, in Lettland 69 Cent, meine Damen und Herren, in Litauen einen

Euro. Ich finde, wir müssen schon einmal ein wenig die Verhältnisse wahren.

(Beifall bei der CDU)

Wir leben in einem Wohlstandsland, und ich gehe einmal davon aus, dass Sie sich diese gesetzlichen Mindestlöhne nicht zum Vorbild genommen haben, das unterstelle ich Ihnen gar nicht. Aber ich finde, es gehört eben einfach zur Wahrheit dazu.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich Gewerkschaften, im Übrigen auch ganz häufig DGB-geführte Gewerkschaften, nicht in der Lage gesehen haben, Tarifabschlüsse zu vereinbaren, die ein Mindesteinkommen von 7,50 Euro gewährleisten. Das ist zum Beispiel in Bremen für ver.di das Friseurhandwerk, das Wach- und Sicherheitsgewerbe, der Einzelhandel, das ist für die IG Bau der Bereich Floristik, Maler- und Lackiererhandwerk, das ist für die IG Metall Bekleidungsindustrie und Kfz-Handwerk, das ist für die IG BCE die feinkeramische Industrie; alles Tarifabschlüsse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die zum Ergebnis hatten, dass man sich nicht in der Lage gesehen hat, 7,50 Euro Mindesteinkommen festzulegen! Die Antwort der Gewerkschaften – das hat mich allerdings erstaunt, was Frau Ziegert im „Weser-Kurier“ erklärt hat –: „Unsere Gewerkschaften sind eben nicht mächtig und kraftvoll genug, andere Tarifabschlüsse zu erzielen.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Armutserklärung für die deutsche Gewerkschaftsbewegung und an die Tarifautonomie. Gewerkschaften haben in unserer Gesellschaft ein solches Standing, dass sie in der Lage sind, für gerechte Arbeit auch gerechte Löhne zu vereinbaren. Sie machen es nur dann nicht, wenn sie – wie in diesen Fällen – genau wissen, dass wir über Arbeitsverhältnisse reden, in denen im Wesentlichen ungelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig sind und für die sich höhere Löhne nicht erwirtschaften lassen und weil sie genau wissen, dass ein festgelegter Mindestlohn von 7,50 Euro niemandem nützt, der am Ende keine Arbeit mehr hat. Das ist nämlich auch die gesellschaftliche Realität in Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich werden deutsche Gebäude weiter in Deutschland geputzt werden müssen, und natürlich werden deutsche Männer wie Frauen auch weiterhin in Deutschland einen Friseur besuchen, darüber reden wir in der Regel nicht. Aber, meine Damen und Herren, es gibt Dienstleistungen in Deutschland, bei denen lässt sich ein höherer Tariflohn nicht einmal eben auffangen durch Preissteigerungen. Das wäre ja die Konsequenz Ihres gesetzlichen Tariflohnes, dass wir die Produkte am Ende für alle Menschen in Deutschland teurer machen, weil wir die Lohnkosten erhöhen. Wir reden ja nicht über unternehmeri

sche Gewinne in diesen Bereichen, sondern wir reden darüber, dass höhere Löhne sich offensichtlich nicht erzielen lassen, weil sie Arbeitsplätze gefährden. Das ist die große Gefahr!