Protocol of the Session on November 10, 2005

Die 50. Sitzung der Bürgerschaft interjection: (Landtag) ist eröffnet.

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Schüler der Berufsschule für Technik des technischen Bildungszentrums der ehemaligen Schule Holter Feld.

(Beifall)

Gemäß Paragraph 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgenden Eingang bekannt:

Perspektiven Bremens nach der Wahl des Präsidenten des Senats, Mitteilung des Senats vom 9. November 2005, Drucksache 16/800.

Ich gehe davon aus, dass Einverständnis darüber besteht, diese Mitteilung des Senats gleich zu Beginn dieser Sitzung aufzurufen.

Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen von einem Schreiben des Präsidenten des Senats mit Datum vom 8. November 2005, eingegangen am heutigen Tag, Kenntnis geben:

„Sehr geehrter Herr Präsident, nach meiner Wahl zum Präsidenten des Senats durch die Bremische Bürgerschaft beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass der Senat mir am heutigen Tag gemäß Artikel 120 der Landesverfassung über seine Geschäftsverteilung ebenfalls das Ressort ‚Der Senator für Justiz und Verfassung’, damit zugleich ‚Der Senatskommissar für den Datenschutz’, übertragen hat. Mit vorzüglicher Hochachtung, Jens Böhrnsen, Bürgermeister.“

Des Weiteren möchte ich davon Kenntnis geben, dass mir der Landeswahlleiter mitgeteilt hat, dass für den in den Senat gewählten Jens Böhrnsen die bereits für den Landtag berufene Frau Karin Garling ab 10. November 2005 in die Stadtbürgerschaft und Frau Gule Iletmis ebenfalls ab dem 10. November 2005 in die Bürgerschaft (Landtag) eingetreten ist. Ferner ist Frau Karin Markus ab 10. November 2005 anstelle des durch Verzicht aus der Bürgerschaft ausgeschiedenen Abgeordneten Frank Pietrzok Mitglied der Bürgerschaft.

Ich möchte Sie, Frau Iletmis und Frau Markus, ganz herzlich beglückwünschen, Sie im Hause begrüßen und Ihnen für Ihre Arbeit hier im Parlament alles Gute wünschen.

(Beifall)

Nachträglich wurde interfraktionell vereinbart, den Tagesordnungspunkt 15 für heute auszusetzen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Perspektiven Bremens nach der Wahl des Präsidenten des Senats

Mitteilung des Senats vom 9. November 2005 (Drucksache 16/800)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Bürgermeister, es ist mir ein Vergnügen, dies so ankündigen zu dürfen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich heute als Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen zu Ihnen sprechen darf, das verdanke ich Ihrem Vertrauen, und dafür möchte ich mich noch einmal recht herzlich und aufrichtig bedanken. Ich will Ihnen versprechen, ich werde mich mit ganzer Kraft anstrengen, dieses mir ausgesprochene Vertrauen auch zu rechtfertigen.

Meine Damen und Herren, ich bin zehn Jahre lang Parlamentarier gewesen, ich bin es gern und mit Überzeugung gewesen. Deswegen sage ich, eine gute Zusammenarbeit mit den Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft wird mir auch in meiner neuen Aufgabe ein ganz zentrales Anliegen sein. Auch das möchte ich Ihnen gern versprechen.

Meinen Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank möchte ich an dieser Stelle noch einmal zusagen, ich will mit Ihnen fair, offen, vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten, denn mir ist sehr bewusst, und so steht es auch in unserer Landesverfassung, nur gemeinsam kann der Senat überzeugende Lösungen erarbeiten und das Vertrauen der Menschen rechtfertigen und immer wieder neu gewinnen.

Meine Damen und Herren, als sich Henning Scherf als Bürgermeister hier von uns verabschiedet hat und sich übrigens gleichzeitig als interessierter und engagierter Bürger unserer Stadt und unseres Bundeslandes zurückgemeldet hat, da hat, glaube ich, jeder gespürt, das ist ein Einschnitt. Henning Scherf war 27 Jahre Mitglied des Senats, zehn Jahre davon Bürgermeister und Präsident des Senats. An der Spitze der großen Koalition hat er den Strukturwandel in unserem Land wesentlich mitgestaltet und geprägt, und mit seiner großen Integrationskraft war er, übrigens auch in schwierigen Zeiten, Garant des gesellschaftlichen und des sozialen Zusammenhalts in unserem Land. Mit seiner Fähigkeit, Brücken zu bauen, Vertrauen zu stiften, Optimismus auszustrahlen und Menschen gemeinsam für die Sache zu gewinnen, hat er sich für sich, aber auch für Bremen hohes Ansehen erarbeitet. Dafür danke ich Henning Scherf, und ich bekenne gern, ich bin stolz darauf,

seine Arbeit im Bremer Rathaus weiterführen zu dürfen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in den letzten zehn Jahren hat die große Koalition eine Menge für unser Land und für unsere beiden Städte erreicht. Ich will heute ganz bewusst keine Neuauflage der Grundsatzdebatte über die Bilanz der bisherigen Sanierungsarbeit anregen. Ich will nicht erneut die Erfolge aufzählen, vom Technologiepark über die Häfen zu Airport-City und Stadt der Wissenschaft. Wir haben diese Diskussion in der Vergangenheit aus guten Gründen immer wieder geführt. Wenn die eine Seite in diesem Hause auf die Erfolge der Luft- und Raumfahrtindustrie hingewiesen hat, sagte die andere Musical und Space-Park. Ich will diese Debatte heute hier nicht wiederholen.

Ich will heute auch nicht erneut die Grundlagen der Zusammenarbeit in der großen Koalition erläutern. Der Koalitionsvertrag gilt. Beide Parteien stehen uneingeschränkt zu ihren Vereinbarungen. Das Gleiche gilt für die Verabredungen, die wir im Frühjahr im Koalitionsausschuss getroffen haben. Beides, der Koalitionsvertrag und diese Verabredungen, bleibt Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit in der großen Koalition.

Schließlich: Ich will heute bewusst auch keine von der Liebe zum Detail geprägte Übersicht über sämtliche Aufgaben des Senats und der einzelnen Ressorts für die vor uns liegenden Jahre geben. Alle Mitglieder des Senats wissen, dass in jedem Politikfeld unverzichtbare Beiträge für die Zukunft unserer beiden Städte vorbereitet und geleistet werden müssen.

Ich will heute mit Ihnen nach vorn blicken und mich dabei bewusst auf die entscheidenden und größten Herausforderungen konzentrieren. Die erste lautet: Trotz der unübersehbaren Erfolge der letzten zehn Jahre ist es uns nicht gelungen, die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven abzubauen. 53 000 Arbeitslose, davon 13 000 in Bremerhaven, damit will und werde ich mich nie abfinden, und ich bin sicher, niemand in diesem Haus kann und will das, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die zweite Herausforderung liegt in der dramatischen Situation unserer öffentlichen Haushalte. Fast 13 Milliarden Euro Schulden, vier Milliarden Euro Ausgaben bei drei Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr, 500 Millionen Euro Zinsen mit steigender Tendenz bei der Gewissheit, dass wir weitere finanzielle Hilfen des Bundes erst vor dem Verfassungsgericht erstreiten und in Verhandlungen durchsetzen müssen, all das zwingt uns, unsere Anstrengungen zu einer

Konsolidierung des Haushalts nachdrücklich zu verstärken.

Meine Damen und Herren, für die Lösung dieser beiden eben genannten Kernfragen sehe ich keine Patentrezepte. Es gibt keinen einfachen Königsweg; es gibt kein erlösendes Zauberwort. Es bleibt nur der mühsame Weg, uns in jedem Politikfeld, bei jeder einzelnen Entscheidung die Frage vorzulegen: Was trägt zur Lösung dieser beiden Hauptprobleme unseres Landes bei? Wie sichern wir trotz unabweisbarer weiterer Sparzwänge den sozialen Zusammenhalt in unserem Lande und die Lebensqualität in unseren beiden Städten? Das, meine Damen und Herren, ist mir das Wichtigste.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Unsere erste Hauptaufgabe lautet deshalb, den Haushalt für die beiden kommenden Jahre so aufzustellen, dass wir unserem ersten Teilziel, nämlich einem ausgeglichenen Primärhaushalt, ein deutliches Stück näher kommen und die Neuverschuldung begrenzen und abbauen müssen. Das heißt, wir müssen noch deutlicher als bislang das absolut Notwendige vor das Wünschenswerte stellen. Das gilt, meine Damen und Herren, für alle Bereiche und alle Ressorts. Nur wenn wir uns insgesamt an diesem Prinzip orientieren, werden wir den notwendigen Eigenbeitrag zur Sanierung unserer Haushalte darstellen können.

Wir sind uns in der großen Koalition einig, dass diese Maxime für alle Ausgaben gilt, für konsumtive und für investive. Wir sind uns in der großen Koalition auch einig, dass wir deshalb das hohe Investitionsniveau der vergangenen Jahre so nicht aufrechterhalten werden können. Auf manches werden wir verzichten, manches verschieben, für manches preiswertere Lösungen suchen müssen. Dennoch, wir werden auch in Zukunft weiter in die Leistungsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit unserer beiden Städte investieren. Der Senat stellt sich dabei insgesamt seiner Verantwortung für eine faire und gerechte Balance bei den unverzichtbaren Sparanstrengungen einerseits und für Investitionen in zukunftsfähige Arbeitsplätze und gute Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum andererseits.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir sind uns über die finanziellen Spielräume, die wir auch in Zukunft für Investitionen nutzen werden, einig. Der vom Senat beschlossene Rahmen für das Anschlussinvestitionsprogramm gilt, auch wenn wir derzeit noch einen wichtigen Vorbehalt machen müssen, so haben wir es auch in unser Ergebnispapier hineingeschrieben, denn wenn die Strategie unserer Klage vor dem Verfassungsgericht steht, werden wir auch das Anschlussinvestitionsprogramm

nochmals überprüfen und gegebenenfalls unserer Klagestrategie anpassen müssen.

Meine Damen und Herren, wir brauchen gerade angesichts weiterer Einschränkungen eine Politik aus einem Guss. Wir brauchen ein Maß, bei dem die Bürgerinnen und Bürger auch bei unpopulären Entscheidungen die Gewissheit haben können, der Senat insgesamt steht zu seinen Entscheidungen, und er kann das, weil jedes einzelne Senatsmitglied auch über die Folgen von Entscheidungen in anderen Ressorts sorgfältig Rechenschaft abgelegt und bei jeder Einzelentscheidung das Gesamtwohl über die Fachpolitik im eigenen Haus gestellt hat.

Ich bin überzeugt, wir erhalten und gewinnen das Vertrauen in unsere Arbeit gemeinsam, und wir würden es gemeinsam gefährden, wenn uns diese soeben genannte Balance nicht überzeugend gelingt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, noch etwas gehört zu einer überzeugenden Politik: Auch beim Sparen müssen wir Ehrgeiz und Realismus zusammenbringen. Wir tun uns und niemandem einen Gefallen, wenn wir Sparziele verkünden und sie anschließend nicht einhalten können. Wir dürfen nicht nur sagen, wie viel wir sparen wollen, sondern auch wo und wie und vor allem mit welchen Folgen. Entschlossen vorgetragene Prüfaufträge, die am Ende mit Wiedervorlagen, Vertagungen oder der Erkenntnis enden, es geht doch nicht, nützen niemandem. Sie bringen keinen zusätzlichen Euro in die Kasse, sondern sie kosten Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit aber ist der Kern unserer Politik, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es muss einen fairen Dialog über weitere Einsparmöglichkeiten auch bei den Personalausgaben geben. Wir werden mit den Gewerkschaften über Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen und deren Ausgestaltung selbstverständlich weitere Gespräche führen. Unsere Leitziele sind dabei: Wir wollen unabweisbare Belastungen unter den Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes gleichgewichtig und sozial ausgewogen gestalten, und wir verzichten auf betriebsbedingte Kündigungen. Ich denke, auch dies ist eine wichtige Botschaft an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Bremen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir wissen, wir müssen weiter sparen, aber wir wissen auch, im Rahmen des heutigen Systems der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern wird Bremen die dramatische Haushaltslage nicht allein be

wältigen können. Erneute Verhandlungen mit Bund und Ländern über eine faire und leistungsgerechte Finanzausstattung der Stadtstaaten und eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sind deshalb ein zweiter Schwerpunkt der vor uns liegenden Anstrengungen. Ich bin überzeugt, wir können selbstbewusst und erhobenen Hauptes in Berlin und Karlsruhe antreten. Wir können belegen, dass uns die heute gültigen Verteilungsschlüssel der Steuereinnahmen systematisch benachteiligen.

Meine Damen und Herren, wir sind keine Kostgänger. Klaus Wedemeier hat Anfang der neunziger Jahre vor seinem Gang nach Karlsruhe es so ausgedrückt, wir fordern, was uns zusteht, und dieses Motto, meine Damen und Herren, gilt heute genauso vor dem nächsten Gang nach Karlsruhe.