Protocol of the Session on June 29, 2004

(Beifall)

Sehr geehrte Frau Kollegin, als Mitglied des Haushaltsausschusses möchte ich mich auch ganz herzlich bei Ihrer kompetenten, fairen Verhandlungsführung bedanken. Ich glaube, das kann ich im Namen der Mitglieder des Haushaltsausschusses gern sagen. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wiedemeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dem nun von der Bürgerschaft zu beschließenden Haushalt für die Jahre 2004 und 2005 sind einiger Streit und harte, aber konstruktive Verhandlungsrunden vorangegangen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Auseinandersetzungen gelohnt haben. Wichtige Projekte werden

auf den Weg gebracht, offene Fragen geklärt. Damit hat die große Koalition wiederholt ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

Wir bedanken uns bei unserem Finanzsenator, der maßgeblichen Anteil an den erarbeiteten Lösungen hat, ohne dabei zu verkennen, dass sich auch die CDU-Senatoren letztlich konstruktiv beteiligt haben.

(Abg. F o c k e [CDU]: Da bin ich aber froh! – Zuruf von der SPD: Ja, wir auch!)

Mit diesem Doppelhaushalt wird die oberste Prämisse des verfassungskonformen Haushalts 2005 formal eingehalten. Dieses Ziel ist nicht Selbstzweck, sondern wir verpflichteten uns dazu seit 1999 mit der Fortsetzung der Sanierungszahlungen. Das bedeutet, dass im Jahr 2005 ausschließlich Investitionsausgaben über Kreditaufnahme finanziert werden dürfen. Mit dem Beschluss über den Doppelhaushalt gehen wir einen wichtigen Schritt auf einem steinigen Weg. Ob wir das Ende des Weges in 2005 erreichen werden, liegt auch in der gemeinsamen Verantwortung des Senats und der Bürgerschaft. Um die Verfassungskonformität im Vollzug zu erreichen, bedarf es noch erheblicher Umbaumaßnahmen in den Ressorthaushalten. Das fordert auch von uns noch viel Mut und Kraft.

Der Doppelhaushalt enthält weitere Positionen, die risikobehaftet sind. An erster Stelle ist die Einlösung des „Kanzlerbriefs“ zu nennen. Ex-Finanzminister Perschau versäumte es, rechtzeitig die Ansprüche aus dem „Kanzlerbrief“ zu verhandeln. Durch den Zeitablauf ist es nicht leichter geworden. Die notwendigen Verhandlungen wurden nun unter Finanzsenator Nußbaum auf höchster Ebene aufgenommen. Der Ausgang dieser Gespräche entscheidet über die längerfristigen Perspektiven der bremischen Haushaltsentwicklung, darüber, ob die extreme Haushaltsnotlage Bremens beseitigt wird.

Die nachhaltige Sanierung Bremens gelingt nur, wenn die Einnahmen deutlich erhöht werden. Neben einer finanziell besseren Ausstattung der Stadtstaaten, die die verfassungsrechtlichen Prinzipien der Einheitlichkeit und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wahrt, gehört hierzu eine Reform des Steuerrechts, in der alle nach ihrer Leistungsfähigkeit beteiligt werden. Sozialdemokraten erwarten deshalb vom Senat, dass entsprechende Initiativen eingebracht oder im Interesse Bremens unterstützt werden.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Unsicherheit besteht in der Entwicklung der Sozialleistungen, maßgeblich bestimmt durch wirtschaftliche und demographische Daten. Als Haushaltsnotlageland liegen unsere steuerbaren Leistungen für die betroffenen Bürger und Bürgerinnen am unteren Rand vergleichbarer Städte.

Wir nutzen weiterhin alle Möglichkeiten, die Ausgaben zu steuern. Eines sage ich hier ganz deutlich: Eine einseitige Sanierungspolitik zu Lasten der Bedürftigsten unserer Stadt gibt es mit uns Sozialdemokraten nicht!

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, dass im Sinne der gemeinsamen Erklärung zur Sanierungspolitik weiterhin alle gesellschaftlichen Kräfte zur Sanierung beitragen.

Ein drittes Risiko liegt in der Umsetzung des Solidarpakts. Es war für Sozialdemokraten nicht einfach, den Personalkostenreduzierungen zuzustimmen. Wir haben bei der Konkretisierung durchgesetzt, dass die Kürzungen sozial gestaffelt wurden. Damit es nicht nur eine einseitige Belastung der Beamten wird, unterstützen wir die Verhandlungen des Senats, dass auch Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes den Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts unterliegen. Für uns Sozialdemokraten ist selbstverständlich, dass unsere vielen Gesellschaften dabei keine Inseln der Glückseligen darstellen.

(Beifall bei der SPD)

Nur wenn alle Risiken des Doppelhaushaltes abgewendet werden, ist ein verfassungskonformer Haushalt auch im Vollzug zu erreichen. Insbesondere in den Verhandlungen um den „Kanzlerbrief“ wünschen wir unserem Finanzsenator Ulli Nußbaum dabei viel Erfolg.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, trotz aller Risiken und des eingeschränkten finanziellen Gestaltungsspielraums haben wir nicht kapituliert und uns nicht auf das Verwalten des Mangels beschränkt. Mit diesem Doppelhaushalt stärken wir die Zukunftspotentiale unseres Zwei-Städte-Staates. Wir halten fest an der von Sozialdemokraten entwickelten Sanierungsstrategie des Sparens und Investierens. In Bremen und Bremerhaven werden wir auch weiterhin in wirtschafts- und finanzkraftstärkende Projekte investieren. Besonders wichtig für uns Sozialdemokraten ist, dass wir im Bildungsbereich und in der Kindertagesbetreuung Schwerpunkte setzen, auf die wir in der heutigen Debatte noch zurückkommen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, was lange währt, wird endlich gut. So wurden die Verhandlungen der Staatsräte und des Senats zum Thema Zukunftsinvestitionen geführt. Nicht zuletzt auf Druck der SPD-Fraktion einigte sich der Senat endlich auf einen Rahmen für die zukünftige Investiti

onsplanung. Damit sind die politischen Spielräume für die Zukunft klar. Durch die Setzung enger Grenzen der Vorverpflichtung auf zukünftige Jahre sind die Ressorts jetzt gefordert, ihre Investitionsplanung durchschnittlich um die Hälfte zu reduzieren.

Die SPD-Fraktion begrüßt, dass der Senat unserer Idee folgte und sich auf die Festlegung jährlicher Kontingente im Vorgriff auf die Haushalte der Jahre 2011 bis 2014 im Grundsatz geeinigt hat. Die SPD-Fraktion erwartet, dass nun die Ressorts eine Prioritätenliste der Projekte vorlegen, die innerhalb des festgelegten finanziellen Rahmens realisiert werden können, und wer immer noch verkündet, es wird weitergehen wie bisher, der hat nichts begriffen, zeigt sich verantwortungslos und verspielt heute die Gestaltungschancen der Zukunft.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, halten Sie die Bürger und Bürgerinnen eigentlich für so dumm, dass diese das nicht begreifen?

Blicken wir auf zehn Jahre Sanierungspolitik zurück, sehen wir das Ergebnis unserer Strategie: die Annäherung an eine bundesdurchschnittliche Haushaltsentwicklung, die Einleitung des wirtschaftlichen Aufholprozesses und die überdurchschnittliche Entwicklung der Arbeitsplätze. Für die Stadt Bremen besonders bedeutsam ist die mittlerweile positive Entwicklung der Einwohnerzahlen. Diese Erfolge belegen, dass unsere Strategie von den Bremerinnen und Bremern angenommen wurde.

Schwierige wirtschaftliche Zeiten engen den Raum für politische Gestaltung ein, doch darin kann auch eine Chance liegen. Es werden Kräfte geweckt und wird Umdenken gefördert. Die große Koalition hat auch unpopuläre Entscheidungen getroffen, und mit dem Haushaltsentwurf werden auch weitere unpopuläre Maßnahmen zu treffen und umzusetzen sein. Es sind aber auch neue Strukturen entstanden, in denen mehr Bürgerfreundlichkeit, Qualität, Effizienz und Kostenbewusstsein zusammenpassen. Die Zeit der vor allem nach außen gerichteten Großinvestitionen der ersten Sanierungsphase ist vorbei. Nun geht es darum, die inneren Strukturen der Städte zu festigen, Stadtteile als konkrete Orte von Wohnen und Arbeiten zu stärken und für Einwohner und Investoren attraktiv zu gestalten. Auch unser Koalitionspartner hat sich dieser Sicht angeschlossen, das gemeinsame Stadtteilkonzept ist sichtbarer Ausdruck dafür.

Die Bewerbung zur Kulturhauptstadt fußt auf der Erkenntnis, dass neben den traditionellen Einrichtungen eine Vielzahl kultureller Angebote in den Stadtteilen die Kultur bei den Bürgern und Bürgerinnen verankert. Die SPD-Initiative „typisch bremisch“ orientierte sich ebenso an diesem Zusammenhang wie das von uns durchgesetzte Impulsprogramm. Mit Sanierungsinvestitionen wird auch die

Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt gestärkt. Nicht in jedem Fall sind dafür große Summen erforderlich, aber ohne finanzielle Schwerpunktsetzung zugunsten der Stadtteile würden wir viele Chancen vergeben.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, bevor ich diesen Teil der Debatte beende, blicke ich zurück. 1904 betrug der Haushaltsanschlag der Zinsen auf Staatsschulden hier in Bremen 6,4 Millionen bei Gesamtausgaben von rund 30 Millionen, eine Zinsbelastung, die mit der heutigen durchaus vergleichbar ist! Trotz Depression wurde investiert, vor allem in Verkehrs- und Hafenanlagen. Heute müssen wir sie renovieren. Das Finanzierungsdefizit konnte 1904 auf 1,6 Millionen reduziert werden.

An dieser Stelle möchte ich gern Hermann Rhein zu Bremens Finanz- und Steuerwesen aus der Schrift „Bremen und die Sozialdemokratie“ von 1904 zitieren: „Diese Streichungen basieren allerdings zum Teil auch auf der wenig wünschenswerten finanztechnischen Manipulation, große Ausgaben für Bauten auf eine erhebliche Anzahl von Jahren zu verteilen, so dass die bremische Finanzwirtschaft voraussichtlich in immer steigendem Maße sich ungünstig gestalten wird, wenn nicht eine Zeit hoher Prosperität eine wesentliche Verbesserung der Verhältnisse herbeiführt.“

Das klingt vertraut, aber auch 100 Jahre später gilt: „Der vorgelegte Haushalt ist alternativlos, auf stetigem Konsolidierungskurs, aber mit den notwendigen Impulsen für eine nachhaltige Stärkung Bremens und Bremerhavens und der Hoffnung auf den langersehnten Aufschwung.“ Ich ende mit einem Zitat von Heinz Schenk, der sagte: „Das Einzige, was man ohne Geld machen kann, sind Schulden.“

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Wiedemeyer, alternativlos ist das gar nicht. Politik ist nämlich die Kunst, Alternativen zu finden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die heute zu beschließenden Haushalte 2004 und 2005 markieren den Endpunkt des Sanierungszeitraums, in dem Bremen seit 1992 insgesamt 8,5 Milliarden Euro Bundeshilfen erhalten hat, um den Anschluss an das Bundesgebiet zu erreichen, um ausgeglichene Staatsfinanzen vorzulegen und den Strukturwandel einer immer noch einseitigen Wirtschaftsstruktur zu fördern. 2004 erhält Bremen den letzten Sanierungsbeitrag, und diese Regierung hatte zum ersten und wichtigsten Ziel erklärt, 2005 einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen.

Sie haben, meine Damen und Herren von der großen Koalition, Ihre Ziele nicht erreicht. Weder entspricht der Haushalt 2005 den verfassungsrechtlichen Vorgaben, nach dem nur für Investitionen Kredite aufgenommen werden dürfen, noch belegen die von Ihnen selbst vorgelegten Zahlen einen erfolgreichen Strukturwandel, eine über dem Bundesdurchschnitt liegende Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes, der Anzahl der Arbeitsplätze, beim Gewinnen neuer Einwohnerinnen und Einwohner für unser Bundesland oder eine überdurchschnittliche Entwicklung beim Abbau der Arbeitslosigkeit.

Dass wir uns hier gleich am Anfang richtig verstehen: Dass Sie das nicht geschafft haben, ist auch aus Sicht der Grünen nicht das Verschulden der großen Koalition. Räumen Sie es ein, das ist das Problem! Ursachen sind teilweise nur von Ihnen, aber teilweise auch gemeinsam angestellte unrealistische Annahmen über die kurzfristigen Wirkungen von staatlichen Investitionen, die nachhaltig schlechte Konjunkturlage und eine von Bremen nicht zu verantwortende Stadtstaaten benachteiligende Finanzverfassung, die Steuern zu einem zu kleinen Teil dort belässt, wo sie erwirtschaftet werden. Mit ursächlich ist allerdings auch Ihre eigene Selbstüberschätzung, das krampfhafte Rechtfertigen Ihrer Sanierungsphilosophie, in der die bloße Höhe von Investitionsausgaben eine inhaltlich begründete Politik hat in den Hintergrund treten lassen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

So legen Sie heute zwei Haushalte vor, die in einmaliger Weise Ihr Dilemma zu Tage treten lassen: hohe Sparquoten bei den so genannten konsumtiven Ausgaben im Bereich Bildung, Jugend, Soziales, Justiz und Sport, also genau in den Bereichen, die für die Attraktivität und Vielfältigkeit unserer Städte mindestens so wichtig sind wie nun auch noch das neue Pflaster in der Ostertorstraße. Wenn Finanzsenator Nußbaum erklärt, dass, Zitat, „weiteres überdurchschnittliches Sparen die Funktionsfähigkeit Bremens als Stadtstaat“ gefährden würde, so hat er aus Sicht der Grünen völlig Recht. Leider fehlen die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. Konsumtive Kürzungsquoten von über elf Prozent in diesen beiden nächsten Jahren zuzüglich einer Minderausgabe von insgesamt über 100 Millionen Euro sind nicht nur völlig unrealistisch, sie gefährden in der Tat die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens.

Auch der Personalabbau hat in vielen Bereichen das Zumutbare für Bevölkerung und Beschäftigte überschritten. Der angestrebte Solidarpakt wird nicht zu erreichen sein. Die auftretenden Defizite sollen durch weitere Personaleinsparungen erwirtschaftet werden. Dies wird zu einem inhaltlich und fachlich nicht begründeten Sparen nach dem Zufallsprinzip führen, und am Ende werden Sie bei den Beschäftigten noch mehr Entmutigung und Frust

ernten, als heute sowieso schon da ist. Einzig die Investitionsquote liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt, wobei alle öffentlichen Zusagen, auch hier endlich kritischer hinzusehen, bisher nur leere Versprechungen gewesen sind.

In diesen beiden Haushalten treten die zentralen Irrtümer und Fehlannahmen Ihrer Politik ungeschminkt zutage. Erstens: Sie unterschätzen die Wirkung so genannter weicher Standortfaktoren für ein florierendes Gemeinwesen. Gute Schulen und Kindergärten, Sportanlagen, ein vielfältiges Kulturangebot, ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr und wohnortnahe Erholungsgebiete sind entscheidend, auch für die Attraktivität Bremens für Firmen, die sich hier ansiedeln wollen und Arbeitsplätze schaffen. Das ist übrigens auch einer der Gründe, diese Fehleinschätzung, warum die Förderung von Arbeitsplätzen im Bereich Dienstleistungen bei Ihnen einen so nachgeordneten Stellenwert hat. Die Grünen werden Haushaltsanträge einbringen, die exemplarisch diesen von Ihnen so unterschätzten Bereich unterstützen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zweiter zentraler Irrtum: Sie haben sich immer noch nicht von dem Gedanken verabschiedet, dass staatliche Investitionen per se etwas Gutes und Sinnvolles sind. Die Probleme mit dem Space-Park, das dauerhaft teure Musical, der unnötige Hemelinger Tunnel, der leere Büropark Oberneuland haben offensichtlich immer noch kein wirkliches Umdenken ausgelöst. Tapfer wird verkündet, jedenfalls von dieser Seite des Hauses, wir halten an der hohen Investitionsquote fest. Nur mühsam kehrt zumindest in die SPD-Fraktion die Erkenntnis ein, dass bei jeder Investition die Frage gestellt und beantwortet werden muss, ob der Staat in vertretbaren Zeiträumen genug Steuern einnehmen wird, um Zinsen und Tilgung für Ihre Wünsche zu bezahlen.

Dritter Grundirrtum: Sie nehmen immer noch die Höhe der Staatsverschuldung zu leicht. Bremens Schulden sind nach dem Sanierungszeitraum höher als zu Beginn. Es sind die 500 Millionen Euro Zinsen jährlich, die den Haushalten die Spielräume für Leistungen für unsere Bevölkerung nehmen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Vierter Grundirrtum und Fehler: Sie setzen sich selbst und Ihre eigenen Lösungsansätze absolut. Sie belasten zukünftige Haushalte in unverantwortlicher Weise durch heutige Entscheidungen. Der Versuch der SPD-Fraktion, hier einen Riegel vorzuschieben, ist kläglich gescheitert.