Protocol of the Session on May 6, 2004

Gegen Sozialabbau und „Agenda 2010“

Antrag (Entschließung) des Abgeordneten Tittmann (DVU) vom 8. April 2004 (Drucksache 16/209)

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die Agenda 2010 wird der größte, rücksichtsloseste und skrupelloseste Sozialabbau auf Kosten der Rentner, Kranken und arbeitslosen Menschen betrieben, den wir jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erlebt haben. Bei den Rentnern und bei alten Menschen, bei den kranken und hilfsbedürftigen Menschen sowie bei den ohnehin schon sozialschwachen Menschen wird rücksichtslos und skrupellos gekürzt ohne Ende.

Hier nur einmal einige Beispiele von unsozialen Kürzungen durch die Agenda 2010: beim Zahnersatz, beim Krankengeld, und das, obwohl sie dafür jahrzehntelang Krankenkassenbeiträge eingezahlt haben, bei Krankentransporten, bei Entbindungen, beim Sterbegeld, bei den Renten, sprich Anpassung

der Renten an die Preisentwicklung, bei Schulen, Schwimmbädern, Kindergärten, Altenheimen, bei der Ausstattung von Universitäten, Hochschulen, bei den Löhnen und Gehältern von Polizeibeamten und Pflegekräften! Das haben wir gestern erst erlebt, darüber brauchen Sie gar nicht zu lachen, dem haben Sie gestern schamlos zugestimmt. Unsere Rentner werden abgezockt. Ich erinnere Sie hier nur einmal an die schäbige Nullrunde, an den doppelten Beitrag zur Pflegeversicherung. Von den Betriebsrenten müssen sie auch noch höhere Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bezahlen. Hinzu kommt noch, es nimmt ja gar kein Ende, dass das Rentenniveau auf unter 40 Prozent des Durchschnittsverdienstes sinken soll und so weiter. Ohne Ende kann ich das ausführen! Meine Damen und Herren, dieses unsoziale Raubrittertum durch die rotgrüne Chaosregierung ist eine Schande für Deutschland. Diese Agenda 2010 ist für die Deutsche Volksunion unerträglich und unseren Bürgern nicht mehr länger zumutbar. Tatsache ist, auch bei den kranken und hilfsbedürftigen Menschen wird unsozialer Raubbau betrieben. Zehn Prozent Zuzahlung für Medikamente, zehn Euro Praxisgebühren pro Quartal – ich weiß, das hören Sie nicht gern, aber das sind nun einmal Zahlen und Fakten, die Sie sich anhören müssen –, bis zu 280 Euro Krankenhaustagegeld, keine Zuschüsse für Brillen oder für Fahrtkosten zu Behandlungen und so weiter! Es stellt sich doch hier die berechtigte Frage: Wovon sollen unsere Bürger das noch alles bezahlen? Ich möchte erwähnen, dass mir nicht bekannt ist, dass zum Beispiel Scheinasylanten die zehn Euro Praxisgebühr, Medikamentenzuzahlung und so weiter bezahlen müssen. Meine Damen und Herren, bei den Rentnern wird brutal gekürzt. Die Kranken müssen immer mehr dazubezahlen. Da stellen sich viele Bürger doch zu Recht die Frage: Was ist mit den Ausländern, die hier absahnen, obwohl sie nie etwas eingezahlt haben? Ich sage im Namen der Deutschen Volksunion: Ausländerfeindlichkeit ist nicht zu akzeptieren und wurde von der Deutschen Volksunion schon immer nachweislich vehement bekämpft. Diskriminierung von Ausländern, die sich bei uns anständig verhalten und die sich ihre Rechte rechtens erworben haben, darf es nicht geben! Jetzt kommt das Aber: Es kann nicht angehen, dass zum Beispiel bei uns lebende Türken und Leute vom Balkan mehr Rechte bei der Krankenversicherung haben als Deutsche, dass sogar ihre Eltern, die in ihren Heimatstaaten leben, in Deutschland auf unsere Kosten mit krankenversichert sind,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Das ist dummes Zeug!)

dass ihre Arzt- und Krankenhauskosten zum Beispiel in der Türkei und vielen anderen Ländern von

unseren Krankenkassen bezahlt werden, während unsere alten und kranken Menschen fast alles selbst bezahlen müssen und rücksichtslos zur Kasse gebeten werden. Das ist Fakt, und das kann ich Ihnen zahlreich beweisen.

Meine Damen und Herren, eine solche ungerechte und unsoziale Politik gegen das eigene Volk schafft erst Ausländerfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit, aber nicht die Deutsche Volksunion, die solche schockierenden politischen Machenschaften und traurigen Tatsachen aufdeckt und im Interesse der Bürger, auch der Ausländer, hier veröffentlicht. Man behauptet zwar immer, dass wir Abermillionen Ausländer deshalb brauchen, damit unsere Renten in Deutschland gesichert sind, aber das ist Blödsinn, das ist Quatsch, denn schon jetzt gibt es fast so viele ausländische Rentenbezieher, 1,7 Millionen, wie sozialversicherungspflichtige beschäftigte Ausländer, 1,9 Millionen. Schon bald wird es mehr Ausländer geben, die Renten erhalten, als Ausländer einzahlen. Die Zahl von Ausländern, die Anspruch auf Rente erhalten, obwohl sie nie oder nur geringe Beiträge entrichtet haben, steigt dramatisch an.

Meine Damen und Herren, so teilen die Landesversicherungsanstalten über das Fremdrentengesetz mit: „Unter bestimmten Voraussetzungen haben auch Zuwanderer, die nicht im geringsten deutsch sind, Rentenansprüche wie Deutsche.“ Das widerlegen Sie mir einmal! Da wundern Sie sich noch, dass unsere Kassen leer sind! Das scheint Ihnen aber ja völlig egal zu sein, Hauptsache, unsere Rentner und Kranken werden abgezockt durch diese Agenda 2010, so richtig abgezockt!

Weil es so unglaublich ist und der Öffentlichkeit sozusagen verschwiegen wird, werde ich jetzt einmal lauthals und langsam für die Öffentlichkeit am Radio folgende politischen entlarvenden Skandale aus der „Nationalzeitung“ mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren.

(Zurufe von der SPD und vom Bündnis 90/ Die Grünen: Oh! – Zuruf von der SPD: Darf man eigentlich alles zitieren? – Abg. F o - c k e [CDU]: Ich finde, der Präsident soll- te auch einmal Zitate ablehnen können!)

Das sollten Sie sich merken! Es gibt entlarvende Zitate aus dem vom Institut für Zukunftsforschung herausgegebenen Buch „Ausländer oder Deutsche“, ein Gemeinschaftswerk der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, der Berliner Senatskanzlei und der Gesellschaft für Zukunftsfragen, also einen sozusagen von höchster Stelle herausgegebenen Maßnahmen- und Richtlinienkatalog. Darin steht wortwörtlich, schon gleich im Vorwort: „Um den Ausländern Chancengleichheit zu verschaffen, muss jedoch für wenigstens zwei Generationen mehr für Ausländer getan werden als für Deutsche.“

Meine Damen und Herren, das ist so unmöglich und unfassbar, so etwas gibt es auch nur in Deutschland. Da braucht man sich wirklich nicht zu wundern, dass die Pleite der Sozialkassen nicht zuletzt auf die vielen versicherungsfremden Leistungen zurückzuführen ist, die wir in alle Welt hinausschleudern. Diesbezüglich ist es dringend erforderlich, dass ich diesen verantwortlichen Politikern den Amtseid nach Artikel 56 des Grundgesetzes noch einmal eindringlich und unmissverständlich ins Gedächtnis rufe: „Ich schwöre, meine Kraft dem Wohle“ – wohlgemerkt – „des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.“ Meine Damen und Herren, die Agenda 2010 ist unsozial und ungerecht, deswegen haben doch Tausende von Menschen im letzten Monat demonstriert. Das Unehrliche daran ist die Tatsache, dass die großen Gewerkschaftsbosse an vorderster Stelle lauthals großmundig gegen Sozialabbau gewettert haben und dass auch wohl nachweislich die SPD-geführte Regierung zu 90 Prozent aus Gewerkschaftsmitgliedern besteht. Das heißt also, dass sie als SPDFunktionär und Gewerkschaftsmitglied erst die unsoziale Agenda beschließen, dann vielleicht als Gewerkschaftsmitglied gegen die von ihnen eigens zugestimmten Beschlüsse des unerträglichen Sozialabbaus demonstrieren. Das ist verlogen und unehrlich, meine Damen und Herren! Durch solche Tatsachen werden Tausende von Arbeitern und Rentnern für eigennützige Zwecke einiger Gewerkschaftsbosse schäbig missbraucht, ihre berechtigten Sorgen und Ängste von Gewerkschaftsfunktionären, die selbst im Jahr zwischen 300 000 und 400 000 Euro verdienen, schäbig verraten und verkauft. Meine Damen und Herren, ich sage im Namen der Deutschen Volksunion: Es ist unanständig, dass man von anderen verlangt, was man selbst nicht in der Lage oder willens ist einzubringen oder aufzubringen. Meine Damen und Herren, deshalb stimmen Sie dem DVU-Antrag „Gegen Sozialabbau und ‚Agenda 2010’“ uneingeschränkt zu!

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Tittmann, wovon reden Sie eigentlich?

(Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

Hören Sie zu, oder – –?

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Das kann er nicht!)

Von mir aus auch nicht! Wovon reden Sie eigentlich?

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Dass Sie das nicht wissen, das glaube ich Ihnen!)

Sozialer Kahlschlag in Deutschland! Es gibt in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde und einer der größten Wirtschaftsnationen –

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Das waren wir einmal!)

nein, das ist auch immer noch so! –, für alle Menschen, unabhängig von Herkunft

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: 1,4 Billionen Schulden!)

und Geschlecht und Wohnort und Alter, für alle Menschen gibt es eine Krankenversicherung, es gibt eine kostenlose Schulausbildung und eine fast kostenlose Hochschulausbildung. Sie reden von Kahlschlag!

Es gibt eine Rente für alle Menschen, abhängig davon, wie viel sie eingezahlt haben, und eine Grundsicherung im Alter. Es gibt Rechte für behinderte und pflegebedürftige Menschen. Es gibt einen weitgehenden Kündigungsschutz, es gibt Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Es gibt eine Beschäftigungsquote für Schwerbehinderte, es gibt Erziehungsgeld, Kindergeld und Pflegegeld, und Sie reden hier von Kahlschlag! Sie wissen nicht, was Sie tun!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Ausländer zahlen in Deutschland Steuern und Sozialabgaben und erwerben darüber Ansprüche. Die Rentenansprüche sind gekoppelt an das, was man eingezahlt hat, für Deutsche und für Ausländer. Sie zeichnen hier ein Angstbild, ein Angstbild für die Bevölkerung, dass ihr völlige Verelendung droht. Was tun Sie eigentlich? Sie verbreiten Märchen und Angst. Das sind die Strategien Ihrer politischen Vorgänger, mit denen sie Hass gesät haben, Hass gegen Menschen, die anders sind, aus der Furcht, es könnte sich irgendetwas ändern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Sie verbreiten in hetzerischer Absicht Märchen über die Ansprüche von ausländischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen. Sie haben einfach keine Ahnung! Der bloße Reflex genügt Ihnen, um hier Schaum vor dem Mund zu haben gegen Menschen,

(Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

die sich hier in diesem Raum nur sehr begrenzt wehren können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Sie reden von Kahlschlag!

Der Bundeshaushalt – zum Thema Kahlschlag, Herr Tittmann, nehmen Sie irgendwann in Ihrem Leben auch einmal Fakten zur Kenntnis! – besteht aus 260 Milliarden Euro. Allein über 100 Milliarden Euro werden aufgewandt für die Alterssicherung der in Deutschland lebenden Menschen, und Sie reden von Kahlschlag! Fast 40 weitere Milliarden Euro werden aufgewendet für soziale Hilfen, insbesondere für Arbeitslosenhilfen. Was hat das wohl mit Kahlschlag zu tun?

Es ist richtig, einzelne Maßnahmen der Agenda 2010 sind umstritten. Es ist der Versuch derjenigen, die hier in Deutschland politisch Verantwortung tragen, Deutschland zukunftsfest zu machen, Deutschland eine Entwicklungsperspektive zu geben, Deutschland fähig zu machen, in der Konkurrenz mit anderen Wirtschaftsstandorten einen besseren Platz zu erreichen. Was man dagegen haben kann, das ist mir wirklich schleierhaft!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Man kann sich über einzelne Maßnahmen der Agenda 2010 in der Tat streiten. Ja, da gibt es viele, die auch mit einer Reihe der dort erzielten Kompromisse große Schwierigkeiten haben. Allesamt werden aber zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland Reformbedarf hat, dass man Dinge umbauen muss und dass wir ganz weit entfernt sind von dem, was Sie Kahlschlag nennen. Das ist ein Hohn gegenüber den Ländern, die keinerlei soziale Sicherungssysteme haben

(Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

und die bewundernd und neidisch auf uns sehen und in denen viele Menschen leben, die gern hier wären. Das wird von Ihnen ja immer noch ganz besonders in den Dreck gezogen, wenn andere Menschen sehen, wie es hier ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Sie suchen sich Menschen aus, denen man Angst einjagen kann, anstatt ihnen Mut zu machen. Sie suchen diejenigen aus, die glauben, dass eine veränderte Welt sie nur zu Verlierern machen kann. Das ist schändlich! Wir müssen den Menschen Mut machen, dass in den notwendigen Veränderungen Chancen liegen, Chancen für eine ganze Gesellschaft.

Wir werden die Zeit nicht zurückdrehen können, in der man an Schlagbäume kam, wenn man sich 20 Kilometer weiterbewegt hat. Wir leben in einer Welt, in der sich Menschen bewegen, in der sich Güter bewegen, in der sich Firmen bewegen und in der

sich Geld bewegt. Wir werden nicht zurückkommen in eine Welt, wo jeder in einem kleinen Dorf und von Subsistenz lebt. Diese Welt ist vorbei! Aus meiner Sicht zum Glück, weil diese neue Welt, in der wir jetzt leben, unendlich viel mehr Möglichkeiten und Chancen bietet, für die ganze Welt, wenn es gut geht!

(Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

Diese andere Welt, von der Sie träumen, werden Sie nicht zurückbekommen. Sie werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir uns auf eine andere Welt hinentwickeln und wir uns dafür zukunftsfest machen müssen. Das heißt, wir müssen die Bedingungen am Wirtschaftsstandort und Sozialstandort Deutschland so umbauen, dass wir mit anderen Ländern in den Wettbewerb treten können. Nicht im Sozialdumping, da können Sie sicher sein! Die meisten hier im Haus sind der Meinung, dass ein hoher Sozialstandard zu den größten Gütern der Bundesrepublik Deutschland gehört und dass das auch so bleiben muss.

Also: Wir hier im Haus stehen für Mut zur Zukunft! Sie wollen keine Veränderung, glauben, dass alles so bleiben kann, wie es ist und ernähren sich von Angst und Hass!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)