Der Präsident Dieter Klink wies mich auf die abgelaufene Redezeit hin, ich war ganz verdattert, da rief der Kollege Metz von der CDU-Bank: „Lassen Sie ihn zu Ende reden, das ist gut!“ Ich durfte tatsächlich zu Ende reden. Ich habe mir diese Geschichte gemerkt, nicht nur weil sie so nett für mich war, das merkt man sich immer lieber, sondern weil sie ein Anstoß war, bewusster zuzuhören und von Ihnen zu lernen, und das ist eigentlich das vor allem Nette, was ich Ihnen sagen wollte: Ich habe viel von Ihnen allen gelernt, und ich glaube, es geht uns insgesamt in diesem Haus so.
In den letzten Jahren ist das Ansehen der Abgeordneten nicht viel besser geworden, fürchte ich. Das Problem ist, für jeden Fehler, ob in Berlin oder in Kiel, müssen auch wir hier geradestehen, werden wir haftbar gemacht, und da kommt einiges zusammen. Ich wollte einmal die Frage stellen, ob es vielleicht auch an den Erwartungen liegt, die uns gegenüber gehegt werden. Ich glaube, die Quadratur des Kreises, das ist eher so ein Kinderspiel, eine Aufgabe aus dem Iglu-Test gegenüber dem, was von uns Abgeordneten in der Öffentlichkeit erwartet wird.
Wir sollen unserer persönlichen Überzeugung und unserem Gewissen verpflichtet sein, aber natürlich gemeinsam effektiv und geschlossen auftreten; eigenwillig, aber zuverlässig. Wir sollen selbst nachdenken und trotzdem der Parteilinie folgen. Wir sollen fachlich versiert sein, aber natürlich über jede politische Frage reden können. Wir sollen die Probleme des Stadtteils, der einzelnen Straße kennen, aber uns natürlich gut auskennen im Berliner und Brüsseler Denken; der Gegenwart verbunden, mit Visionen, selbstbewusst, aber natürlich ganz bescheiden.
Jedes Wort muss tief authentisch sein, aber die Sache muss gut inszeniert sein hier. Wir müssen auch einen ordentlichen Beruf ausüben, aber jederzeit für alle Bürgerinnen und Bürger da sein, also auf Deutsch: Wir müssen ganz normal sein und ganz anders. Am Ende sollen wir auch noch nett anzusehen sein!
Ich falle mit Sicherheit durch diese Prüfung. Ich habe lange nachgedacht, ich habe auch unter Ihnen niemanden gefunden, der das so richtig, ganz und gar erfüllt. Vor die Wahl gestellt, an sich selbst zu zweifeln oder an den Kritikern, dann wählt man doch lieber das Letztere, dann ärgert man sich auch nicht so, das ist gesünder. Ich sage Ihnen, dennoch sollte man über die Kritik nachdenken. Darüber kann man sich ziemlich ärgern, sie hat aber auch ihre gute Seite, dass nämlich die Leute noch etwas von uns erwarten, und sie erwarten noch ganz viel von uns.
Das ist wirklich das Pfund, mit dem wir wuchern müssen bei allem Realismus, bei unserem Beruf, unserem Amt, daraus kann man etwas Positives machen. Wenn Sie mich fragen, in welche Richtung das gehen sollte, sage ich natürlich: ein bisschen mehr Unabhängigkeit, ein bisschen mehr Individualität, es darf ruhig ein bisschen Verquertheit sein, ein bisschen mehr Unruhe und Überraschung, dann macht, Herr Hattig, das Parlament auch tatsächlich manchmal Spaß.
Ich möchte zwei Sätze zu Selbstbewusstsein und Überhebung der Abgeordneten sagen. Es nutzt niemandem, und ich glaube, es schadet am Ende auch der Bürgerschaft in jedem Sinn, wenn Abgeordnete sich klein machen und ihre eigenen Angelegenhei
ten vernachlässigen. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir das Börsennebengebäude drüben wieder hergestellt haben und dass wir im kommenden Herbst das Haus der Bürgerschaft wieder in Ordnung bringen, dass zum Beispiel endlich die so genannte Klimaanlage hier hinauskommt,
die keine Klimaanlage ist, sondern Pest und Cholera zusammen oder nacheinander, wie immer man das will. Ich bin sicher, die neuen Abgeordneten werden es uns danken.
Wozu allerdings auf der anderen Seite Überhebung und Leichtfertigkeit führen, das kann man gerade an meiner Heimatstadt Kiel studieren, wo eine Diätenreform, sprich Erhöhung der Diäten, bei Anlass einer Parlamentsverkleinerung ziemlich kläglich gescheitert ist bei wiederum erheblichem öffentlichen Schaden. Dazwischen müssen wir irgendwie unseren Weg sorgfältig auf einem sehr schmalen Grat suchen.
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, viele sind in diesem Haus damit beschäftigt, unsere Unzulänglichkeiten auszugleichen oder sie wenigstens in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Ich möchte mich – ich glaube, da spreche ich für alle – sehr herzlich bedanken für die zuverlässige und loyale Arbeit der Verwaltung der Bremischen Bürgerschaft, beim Plenardienst, beim Wissenschaftlichen Dienst, beim Protokoll, bei der Bewirtung, bei der Presseabteilung, der Haustechnik, der Allgemeinen Verwaltung und bei allen anderen. Wer mich kennt, weiß, das ist keine Höflichkeit, sondern meine Überzeugung. Ich hatte nie das Gefühl, was manchmal so kolportiert wird, dass wir Abgeordneten die Beschäftigten stören würden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ende kommt zum Schluss! Mir scheint, das Geheimnis für den Erfolg des parlamentarischen Weges ist, unser Mandat ist auf Zeit. Ich gestehe Ihnen gern ein, dass ich mit Wehmut, wenn auch selbstverschuldet, gehe, denn das Parlament, so unvollkommen es einigen auch erscheinen mag und auch wir manchmal darüber anfangen zu grübeln, ist eine wunderbare, unersetzbare Erfindung. Wahrscheinlich betone ich das deswegen so, weil ich das nicht immer so empfunden habe. Deswegen will ich denjenigen sagen, die uns noch zuhören, und ich sage Ihnen, es gibt sie tatsächlich, die uns zuhören: Es gibt nur einen Weg, noch bessere Abgeordnete zu bekommen. Gehen Sie am 25. Mai zur Wahl, nehmen Sie Ihr Recht wahr, damit Sie zu Recht hinterher kritisieren können! Ich wünsche mir von den 83 neuen Abgeordneten, dass sie das Ansehen und die Würde dieses Hauses mehren. Ich wünsche ihnen eine glückliche Hand bei der Lenkung des Staates und vor allen Dingen bei der Kontrolle der Regierung. Frau Wulff hat das sehr schön gesagt: Lassen Sie den Senat nicht allein! Lassen Sie ihn niemals allein! Ich wünsche dem Land Bremen in den kommenden stürmischen Jahren auch einmal ein bisschen Rückenwind, aber immer die berühmte Handbreit Wasser unter dem Kiel. Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute und bedanke mich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit!
Herzlichen Dank, Herr Dr. Kuhn, für Ihre Ausführungen! Wir sind zum Schluss des heutigen Tages gekommen. Ich schließe die letzte Sitzung der fünfzehnten Legislaturperiode.