Protocol of the Session on December 11, 2002

Für die Aktuelle Stunde liegen zwei Themen vor, und zwar erstens auf Antrag der Abgeordneten Dr. Kuhn, Frau Linnert und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:

Ulrich Mäurer Justizstaatsrat – wie lange noch?

Als zweites Thema wurde beantragt von den Abgeordneten Focke, Eckhoff und Fraktion der CDU:

Liberalisierung des Ladenschlusses – nicht auf halbem Wege stecken bleiben!

Hinsichtlich der Reihenfolge der Redner wird nach der Reihenfolge des Eingangs der Themen verfahren. – Ich stelle Einverständnis fest.

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Dr. Scherf, Frau Senatorin Röpke und Senator Hattig.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Angesichts der wiederholten Äußerungen von Staatsrat Mäurer, deren Kern es war, eine dumme und ehrabschneidende Verbindungslinie herzustellen zwischen justizpolitischen Diskussionen unter Bremer Richtern und der Untergrabung der Weimarer Demokratie und der Beförderung des Nationalsozialismus durch konservativ-reaktionäre Richter, fragen die Bremer Grünen heute: Ulrich Mäurer Justizstaatsrat – wie lange noch?

Sie erinnern sich, das ist ja nicht die erste Debatte über diesen Staatsrat! Wir haben erst vor einem halben Jahr hier diskutiert über die gesetzeswidrigen Äußerungen von Herrn Mäurer, in denen er gemeint hatte, Jugendliche abschreiben zu müssen mit der Bemerkung, sie seien nicht sozialisiert und auch nicht mehr resozialisierbar. Wir fragen: Wie lange will der Senator für Justiz dem noch zusehen, und wie lange will die SPD-Fraktion das eigentlich noch hinnehmen?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zur Vorgeschichte dieser neuen Skandale: Die Grünen haben vor einem Jahr ein Gesetz eingebracht, das zur Erhöhung der Transparenz in der Justizverwaltung die Mitwirkung der Richterwahlausschüsse auf die Beförderung von Richtern ausdehnen wollte. Die Richterverbände haben diesen Vorschlag unterstützt. Sie haben auch andere Vorschläge in die Diskussion gebracht, zum Teil auch direkt andere in diesem Verfahren, auch weitergehende. Herr Mäurer hat von Anfang an versucht, diesen Antrag, den wir gestellt haben, diese Diskussion, diese Reform in die Ecke der Verfassungswidrigkeit zu stellen. Ohne Erfolg, wie das Gutachten von Professor Pottschmidt eindeutig und klar gezeigt hat!

Die große Koalition hat dann unseren Gesetzentwurf über mehrere Monate hin- und hergeschoben, aus dem einfachen Grund, dass Herr Dr. Scherf und Herr Mäurer nicht gewillt waren und sind, auch nur eine Handbreit ihrer Macht an das Parlament abzugeben.

Vor zwei Wochen, am 28. November, hat dann Herr Isola im Rechtsausschuss einen Vorschlag vorgestellt, einen so genannten Kompromissvorschlag, in dem der Richterwahlausschuss über Beförderungen nur informiert werden soll. Herr Mäurer hat in der Aussprache über diesen Vorschlag darauf be

standen, unsere Initiative dann „politisch einzusortieren“, wie er es formuliert hat, denn sie sei Teil einer bundesweiten Initiative aller Richterverbände. Ich darf Ihnen aus dem Protokollauszug dieser Sitzung Folgendes zitieren, was Herr Mäurer dort gesagt hat, mit Genehmigung des Präsidenten darf ich vortragen:

„Diese Verbände“ – gemeint sind tatsächlich alle großen Richterverbände, weil das dort auf unterschiedliche Weise diskutiert wird, hat man einfach so zusammenfassend gesagt – „wollen weg von den Justizministern, sie wollen ihr eigenes Personal einstellen, sie wollen sich selbst befördern und letztlich auch ihre Präsidenten wählen. Das ist das, was es in anderen Ländern gibt. Insofern ist das, was hier läuft, nur so ein kleiner Finger, um den es geht, aber ich halte es aus prinzipiellen Gründen für unerträglich, dieses System zu fördern, dafür die Hand zu reichen, weil, das System hatten wir schon einmal gehabt.“ Meine Damen und Herren, das ist die Aussage: „Weil, das System hatten wir schon einmal gehabt. Es ist das Modell einer Richterschaft, die als Staat im Staat organisiert ist.“ Er, Mäurer, werde alles tun, diese Tendenz zu verhindern, Zitat, „so wahr mir diese Möglichkeit gegeben ist“. Ich hoffe nicht!

Ich habe im Ausschuss gleich zu Protokoll gegeben, dass ich diese Parallele entschieden zurückweise, dass ich sie allerdings für eine einmalige Entgleisung gehalten habe. Ich habe ja nicht geahnt, dass offensichtlich der Artikel schon geschrieben war, der dann drei Tage später in einem Bremer Anzeigenblatt erschienen ist. Dort behauptet Herr Mäurer wiederum, dass nur er aus der Geschichte gelernt habe, und er schließt wieder ausdrücklich seinen Artikel, ich darf wiederum zitieren: „Nach 1918 lehnten die Richter die Demokratie ab, bekämpften republikanische Justizminister und deren Personalpolitik und gaben sich als Staat im Staat. 1933 lag die erste deutsche Republik, auch durch die Schuld solcher Richter, am Boden.“ Staat im Staat, ich darf erinnern: Er behauptet, die Richterverbände wollten heute dieses Modell, und er sagt, dieses Modell hatten wir schon einmal, und solche Richter hätten damals die Demokratie der Weimarer Republik zerstört.

Man reibt sich verwundert die Augen, meine Damen und Herren, und ist dann doch empört. Ist Herr Mäurer denn ernsthaft der Meinung, dass über dem Richter der Weimarer Republik nur noch der blaue Himmel gewesen ist, und damals habe das System geherrscht, was die Richterverbände heute diskutieren? Er sagt ja, dieses System hatten wir schon einmal. War die Justiz damals, in der Weimarer Republik, wirklich demokratisch, transparent organisiert, unter der politischen Kontrolle der Parlamente und im Übrigen selbstverwaltet? Offen gestanden, davon ist mir noch nichts zu Ohren gekommen, dass das damals so gewesen sei. Im Gegenteil, damals herrschte eher Befehl und Gehorsam!

Zu Recht hat der Parlamentarische Rat nach 1945 bei der Beratung des Grundgesetzes festgestellt, ich darf zitieren: „Die hinter uns liegenden bitteren Erfahrungen erklären sich zu einem nicht unwesentlichen Teil daraus, dass der Richter auch nach der Trennung der Gewalten ein kleiner Justizbeamter geblieben war.“ Nach 1945 war genau die richtige Schlussfolgerung: Nicht ein Zuviel an Selbstverwaltung und parlamentarischem Einfluss hat die Gegnerschaft zur Demokratie bei den Richtern befördert, wie übrigens auch bei den Professoren und Oberlehrern, um das nicht zu vergessen, sondern vielmehr ein Zuwenig an Demokratie, ein Zuwenig an Transparenz, ein Zuwenig an Mitwirkung. Das ist doch die Lehre der Geschichte!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Deswegen wurden in Bremen nach 1945 auch die Richterwahlausschüsse für die parlamentarische Kontrolle eingeführt. Deswegen hat bis heute die Diskussion um die Selbstverwaltung des Gerichtswesens nicht aufgehört, eine lange Reihe von Befürwortern gefunden, zuletzt den Präsidenten des Bundesgerichtshofs, Herrn Hirsch, der vor kurzem erst die Einrichtung eines Justizrats vorgeschlagen hat.

Man kann ja über all diese Vorschläge streiten, dem einen werden sie zu weit gehen, für den anderen unpraktikabel sein. Ich denke auch überhaupt nicht daran, sie eins zu eins zu übernehmen, aber über die Zielsetzung und die Philosophie, die dahinter steht, nämlich die Unabhängigkeit des Gerichtswesens und die demokratische Kontrolle und die Transparenz zu stärken, darüber habe ich keinerlei Zweifel, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Im Übrigen macht man es auch schon in vielen europäischen Ländern anders als bei uns, Portugal, Spanien, Italien, Herr Mäurer sagt das mit so einem verächtlichen Nebenton, dann füge ich auch noch Dänemark und Holland dazu. Eine vom Europarat 1998 beauftragte Gruppe hat eine „Charta über das Statut der Richter in Europa“ ausgearbeitet, an dem sich übrigens die Debatte der Richterräte hier bei uns und der Richterverbände orientiert. Das ist deren Leitbild, was der Europarat 1998 ausgearbeitet hat!

Angesichts dieser Tatsachen, meine Damen und Herren, ist es eine nicht hinzunehmende Entgleisung von Herrn Mäurer, der in seinen Dementis, die er dann gegeben hat, gerade nichts zurückgenommen hat, nämlich die Behauptung, dieses System, was die Richterverbände wollen, hatten wir schon einmal! Das ist die ungeheuerliche Behauptung, die hat er auch in keiner Weise zurückgenommen! Er behauptet hartnäckig, das von den Richterverbänden

heute gewollte System sei das gewesen, das in der Weimarer Zeit geherrscht habe und dazu beigetragen habe, diese Weimarer Demokratie zu zerstören. Diese Behauptung ist dumm, weil sie den geschichtlichen Tatsachen nicht entspricht, und sie ist infam, meine Damen und Herren, weil sie einen Kontrahenten in einer politischen Debatte mit den schlimmsten Feinden der Demokratie in eine Reihe stellt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Kaum noch nötig zu erwähnen, dass solche Äußerungen mit der Fürsorgepflicht eines Staatsrates für die ihm unterstehenden Richter nicht das Mindeste zu tun haben, im Gegenteil! Ich kann Ihnen sagen, die Empörung der Richter ist nur zu verständlich in dieser Frage.

Meine Damen und Herren, eine solche dumme, infame und ehrabschneidende Behauptung ist für uns nicht hinnehmbar. Herr Mäurer muss sie zurücknehmen und vom Senator für Justiz und Verfassung in seine Schranken verwiesen werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Isola.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen über zwei Komplexe reden, einmal über den Inhalt, was Richterselbstverwaltung bedeutet, und über diesen Vorschlag des Deutschen Richterbundes und dann zweitens über Form und Stil, wie man mit solchen Vorschlägen umgeht.

Ich kann für die SPD-Fraktion eindeutig erklären, dass der Vorschlag des Deutschen Richterbundes, eine Richterselbstverwaltung einzuführen, bei uns auf wenig Sympathie stößt. Wir halten diesen Vorschlag für falsch, übrigens wie die Mehrheit des Deutschen Juristentages, der das erst kürzlich in Berlin sehr sorgfältig in Arbeitsgruppen diskutiert hat, und der Verband der Deutschen Verwaltungsrichter hat sich übrigens auch eindeutig dagegen ausgesprochen, auch mit vielen Gründen, die ich jetzt hier nicht näher ausbreiten will.

Die SPD-Fraktion will daher auch einen anderen Weg gehen, den haben Sie ja auch schon angeschnitten, der ruht noch in den Beratungen dieses Parlaments. Wir wollen den Weg der erweiterten Kompetenz im Richterwahlausschuss gehen. Das wird noch diskutiert, und ich hoffe, dass wir da auch zu einem brauchbaren Ergebnis kommen.

Ich halte, Herr Kollege Kuhn, es auch für falsch zu sagen, die Richterselbstverwaltung würde mehr demokratische Kontrolle und mehr Transparenz brin––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

gen. Ich bin da eher der Meinung, da ist vielleicht sogar eher das Gegenteil der Fall. Die Kooptation, das ist das Fremdwort für ein Verfahren, dass Richter sich selbst ergänzen, auch in der Beförderung, halte ich, mit Verlaub gesagt, und jetzt werde ich etwas polemisch, für ein vordemokratisches Modell. Dem können wir uns auf keinen Fall anschließen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist auch sehr deutlich von vielen Richtern auf dem Deutschen Juristentag so gesagt worden, dass man das ablehne. Hier besteht die Gefahr, dass sie sich aus der demokratischen Legitimationskette, die das Bundesverfassungsgericht ja einmal in einem Urteil aufgestellt hat, dann verabschieden. Insofern, denke ich, sagen wir dann deutlich Nein. Wir halten das deutsche System so mit den Justizministern, wie das vorgesehen ist, an sich für gut, und das gerade mit Blick auf andere Länder. Italien ist ja nun weiß Gott ein Beispiel, das ja grauenhaft ist, es liegt allerdings weniger an der Justiz

(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Eher im Gegenteil!)

als vielmehr an einem hoch kriminellen Regierungschef, aber der Kriminalität dadurch bekämpft, indem er die Tatbestände dann durch das Gesetz beseitigen lässt.

(Beifall bei der SPD)

Wer gestern den Film in Arte gesehen hat, der weiß, was für schlimme Dinge sich da vorbereiten. Das wollen wir verhindern, schützt aber auch leider nicht die Richter und das Richterselbstverwaltungsmodell vor solchen üblen Angriffen. Hier haben wir die Kontrolle des Parlaments gegenüber dem Justizminister und Senator, und das möchten wir erhalten mit den Vorschlägen, die wir unterbreitet haben.

Was anderes ist es, da haben wir auch eine ganz eindeutige Position als Fraktion, Vergleiche zur NSZeit im Zusammenhang mit dieser Diskussion herzustellen. Diesen Vergleich, den Herr Mäuer in diesem Gastkommentar angestellt hat, macht sich die SPD-Fraktion nicht zu Eigen. Wir distanzieren uns auch davon.

(Beifall bei der SPD)

NS-Vergleiche sind auch immer sehr heikel, wie die jüngste Vergangenheit zeigt. Da hat es ja einige Beispiele gegeben von Frau Däubler-Gmelin über Lafontaine bis hin zu Goppel, der Einzige, der noch im Amt ist.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das hängt vielleicht an den Mehrheiten in der CSU.

Wir sagen sehr deutlich, und darauf legen wir Wert, es kann heftig über politische Vorschläge, auch übrigens Richterverbände sind nicht frei von Kritik, diskutiert werden. Das ist im Rahmen eines demokratischen Diskurses möglich, aber im Rahmen eines demokratischen Diskurses müssen auf jeden Fall die persönliche Integrität und das persönliche Ansehen des anderen respektiert werden, sonst erleidet zum Beispiel die Justiz erheblichen Schaden. Hierauf legen wir Wert, und darauf bestehen wir auch, dass zukünftig diese Grenzen beachtet und nicht überschritten werden.

(Beifall bei der SPD)

Es ist uns signalisiert worden, dass jetzt auch Gespräche mit den Richtern und den Richterräten stattfinden sollen, das finden wir in Ordnung, wir unterstützen das. Wir hoffen, dass die Verärgerungen, die zu Recht entstanden sind, und die Irritationen auf diese Weise ausgeräumt werden können. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit noch einmal sagen, es sind zwar keine Schulklassen da, aber wer solche Vergleiche anstellt, Parallelen zur NS-Zeit und Richter, was sollen eigentlich junge Menschen dann noch vom NS-Staat halten! Dann sagen die, das kann ja bei dieser Art von Verharmlosung wohl alles nicht so schlimm gewesen sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)