Protocol of the Session on August 21, 2002

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss einmal mit Bertolt Brecht anfangen.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Das ist mir klar! – Heiterkeit)

Das verschlägt einem wirklich die Sprache!

(Heiterkeit)

Herr Tittmann, wenn Ihnen das klar ist, ehrlich gesagt, ist es mir erst bei der Debatte eingefallen, dass es sich bei dem, worüber wir reden, um das Einfache handelt, das so schwer zu machen ist, nämlich Steuergerechtigkeit herzustellen auf der einen Seite, tatsächlich dafür zu sorgen, dass Steuerhinterziehung, und bei dem, was Frau Schwarz angesprochen hatte, handelt es sich natürlich um Steuerhinterziehung, so weit, wie es überhaupt irgendwie geht, vermieden wird, auf der anderen Seite aller––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

dings der Schutz der Privatsphäre der einzelnen Bürger gesichert bleibt. Das ist ein Problem, das wir in dieser Gesellschaft nicht nur in dieser Frage haben, sondern in vielen anderen Fragen. Ich denke nur an die Auseinandersetzung um die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung. Da hat die CDU ganz anders geredet, als Frau Speckert hier heute geredet hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich will es damit bewenden lassen, bei dieser Frage der doppelten Moral. Die Interessen liegen offensichtlich verschieden. In der Sache selbst, um die es hier geht, können wir erstens feststellen, dass Bremen in der Tat in den letzten Jahren, und das hat etwas mit der Steuerfahndung und mit dem gesamten Prüfsystem in der Steuerverwaltung insgesamt zu tun, ein kleines Stück vorangekommen ist. Ob aber das erhöhte Eintreiben von Steuern aus Spekulationsgewinnen daran liegt, dass hier soviel besser gearbeitet wird oder dass insgesamt die Beträge auch höher geworden sind, was bei den Jahren 1999 und 2000 sehr auf der Hand liegt, das lasse ich einmal dahingestellt. Ich glaube, wir können das nicht nachweisen.

Frau Schwarz hat es angedeutet, die Deutsche Steuergewerkschaft, und die ist wenigstens fachlich relativ nah daran, schätzt bundesweit, dass nur fünf Prozent der Spekulationsgewinne abgeschöpft werden, wenn es gut kommt. Ich vermute, trotz Frau Speckerts Bekenntnis zur hanseatischen Kaufmannschaft und zu der Bremer Steuertreue, dass insgesamt die Bremer in der Steuervermeidung genauso geschickt und effektiv sind wie die Bundesbürger in vielen anderen Bundesländern. Das ist der Kern!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich will diese ganzen Details jetzt hier nicht vertiefen, denn die Schwierigkeiten sind doch genauso klar. Der Kern ist, dass Frau Schwarz fordert, den Paragraphen 30 a der Abgabenordnung abzuschaffen, der das Bankgeheimnis sichert. Ich spitze das einmal so schlicht zu, so einfach geht das natürlich nicht. Ich denke, diese Debatte kommt eigentlich zum falschen Zeitpunkt, das muss man einfach sagen.

Am 16. Juli hat der Bundesfinanzhof einen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht auf die Klage, Sie haben ihn schon zitiert, des bekannten Kölner Steuerrechtsprofessors, Herrn Tipke, entsprechend entschieden. Die Vorlage der Überprüfung der Verfassungswidrigkeit wird sich dann auch auf das Bankgeheimnis beziehen. Falls das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommt, das Bankgeheimnis ist in Gänze oder in dieser Form nicht mehr verfassungskonform, und darauf deutet ja vie

les hin aufgrund dieses Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofs, dann, denke ich, werden wir über diese Frage neu und ernsthaft reden müssen.

So lange dies nicht der Fall ist, finde ich es unsinnig, hier jetzt in einem laufenden Verfahren große Gesetzesinitiativen zu starten. Auch Herr Gabriel ist für mich nicht gerade die Leitfigur, denn was Herr Gabriel will, ändert sich leider immer sehr schnell und passt sich den politischen Opportunitäten von Wahlkämpfen an. So lange dieser Beschluss des Bundesfinanzhofs nicht durch das Bundesverfassungsgericht entschieden ist, rate ich zu ein bisschen Geduld und zur Stärkung und Unterstützung der Steuerfahndung, damit wir wenigstens kurzfristig mehr Geld hineinbekommen.

Wenn das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, und das muss es ja in dieser Frage, das wird auch nicht endlos auf sich warten lassen bei solchen Vorlagebeschlüssen, dann ist die Zeit gekommen, daraus die rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Ich glaube, es lohnt sich weder um diese Tageszeit noch zu anderen Tageszeiten, darüber eine aufgeregte Debatte zu führen. Eine fachliche Debatte darüber zu führen ist angemessen, aber hier stellt sich nur die Frage der Prüfung und der Steuerfahndung und der Verstärkung in diesen Bereichen. Nur darum kann es heute gehen.

Dass es generell für uns als Vertreter der Bürger, die wir die Gesetze machen und darauf achten sollen, dass Steuergerechtigkeit herrscht und dass die Steuervermeidung so weit wie möglich begrenzt wird, unsere Aufgabe ist, sich einheitlich dafür auszusprechen, ich glaube, das müsste für jedes Parlament klar sein. Liebe Frau Kollegin Speckert, liebe Kollegin Frau Schwarz, auch wenn es hier nicht um große Koalitionen geht, könnte es um Einigkeit gehen, dass niemand in diesem Hause Interesse daran haben kann,

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Das ist richtig!)

schon im Interesse der Steuereinnahmen des Landes Bremen, Steuervermeider, Steuerbetrüger und Steuerhinterzieher durch irgendwelche rechtlichen Maßnahmen zu stützen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wenn wir uns soweit einig sind, dann, sage ich, treffen wir uns wieder, wenn das Bundesverfassungsgericht seinen Spruch gesprochen hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Jägers.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Herr Mützelburg und Frau Speckert, Sie haben beide davon geredet, dass es der falsche Zeitpunkt für so eine Debatte sei. Ich sehe diese Debatte unter dem Oberbegriff „Gerechtigkeit herstellen“. Um Gerechtigkeit herzustellen, gibt es überhaupt nie den falschen Zeitpunkt, sondern immer den richtigen Zeitpunkt, weil es richtig ist, Gerechtigkeit herzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Man kann, wenn man die Antwort des Senats liest, auf die Idee kommen, dass hier im Lande mit zweierlei Maß gemessen wird. Die einen, die genügend Schwarzgeld haben, die drohen können, es über die Grenze zu bringen, werden nicht verfolgt, die anderen, die Arbeitnehmer, bekommen jeden Monat das Geld sofort direkt abgezogen vom Arbeitgeber in Richtung Finanzamt, müssen zahlen, müssen ehrlich arbeiten und sind dann – leider ist das in Deutschland so, aber nicht nur hier – oft die Dummen. Um diesem entgegenzuwirken, soll auch diese Große Anfrage dienen, die wir Sozialdemokraten eingebracht haben. Wir wollen auch hier Gerechtigkeit herstellen.

(Beifall bei der SPD)

Ich hätte vom Senat mehr Vorschläge erwartet, was man denn machen kann. Einfach zu sagen, wir müssen einmal schauen, und vielleicht können wir ja die Steuereinnahmen irgendwie, einmal sehen – das kann man ja nachlesen in Frage vier –, erhöhen, reicht mir einfach nicht. Ich hätte durchaus von Ihnen erwartet, dass Sie Vorschläge machen, was man tun kann, die Steuergerechtigkeit zu erhöhen, weil es schwierig ist, draußen zu erklären, was im Lande passiert.

Ich habe da ein Beispiel mitgebracht: In „Buten un binnen“ wird am 9. Juli 2002 verkündet, dass die CDU einen großen Erfolg erzielt hat. Durch Datenabgleich bei den Sozialhilfeempfängern hätte man in fünf Jahren 35 000 Euro Sozialhilfe eingespart. Toller Erfolg!

(Abg. Karl Uwe O p p e r m a n n [CDU]: Die fünf Jahre stimmen nicht!)

Ich kann nur das wiedergeben, was hier steht! Es ist egal! Aber Sie haben 35 000 Euro Sozialhilfe, meinetwegen auch per anno, eingespart. Ein ganz toller Erfolg!

(Abg. Karl Uwe O p p e r m a n n [CDU]: Wir gemeinsam!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Gleichzeitig lesen die Leute in der Zeitung, verkündet von Herrn Professor Dr. Kirchhoff – Frau Schwarz hat ihn eben schon einmal zitiert –, dass jährlich durch Steuerhinterziehung sechs Milliarden Euro am Fiskus vorbeigebracht werden. Das verstehen die Leute nicht! Hier werden die Sozialhilfeempfänger noch einmal untersucht, und es wird noch einmal geschaut, ob sie nicht auch ein Auto haben, dass sie das nicht fahren dürfen, und da geht das Geld durch die Lappen – sechs Milliarden Euro jedes Jahr –, und der Finanzsenator sagt, wir wollen einmal sehen, ob wir zukünftig noch ein bisschen etwas machen können.

(Unruhe bei der CDU – Abg. D r. S c h r ö r s [CDU]: Was haben Sie eigentlich für ein Weltbild?)

Lesen Sie Ihre eigene Antwort nach, dann wissen Sie es! Man muss noch mehr Gerechtigkeit herstellen, da können Sie ruhig mit dem Kopf schütteln. Ein Instrument, Herr Mützelburg, haben Sie genannt, Kontrollen zu verbessern, da finden Sie uns an Ihrer Seite. – Schönen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner erhält das Wort Herr Bürgermeister Perschau.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Mützelburg hat leider ungewöhnlich Recht. Das Problem des Bankgeheimnisses und des Paragraphen 30 a Abgabenordnung ist ein so lang diskutiertes Problem, und es sieht so aus, als würde es sozusagen in ein neues Finale gehen, nämlich der rechtlichen Bewertung des Konflikts des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Kunden und seiner Bank, zwischen dem Bürger und dem Staat und der notwendigen Transparenz, um Steuerhinterziehung zu unterbinden. Um diesen Sachverhalt geht es, es ist ja auch dargestellt worden.

Hier ist es sicherlich so, wenn der Bundesfinanzhof diesen Sachverhalt an das Bundesverfassungsgericht zur Beschlussfassung abgibt, dann sind wir im Grunde gut beraten abzuwarten, was dabei herauskommt, denn wenn wir jetzt sozusagen genau in diese Situation hinein gesetzgeberisch tätig würden, dann könnte es uns auch passieren, dass das, was wir dann beschließen, vom Bundesverfassungsgericht auch gleich mit für verfassungswidrig erklärt wird.

Insofern denke ich, und ich habe das wiederholt gesagt, dass die Frage der Steuergerechtigkeit die zentrale ist, aber sie hat viele Väter. Die Steuergerechtigkeit wird auch durch von der Politik gemachte Gesetze beeinflusst, und zwar ganz erheblich. Wenn es zurzeit so ist, dass beispielweise international ver

flochtene Unternehmen ihre Gewinne ins Ausland transferieren, weil sie dort günstigere Steuersätze finden, und die Verluste in die Bundesrepublik importieren, weil sie für die Erstattungen bessere Voraussetzungen finden, dann müssen wir uns fragen, ob unsere Gesetze so sind, dass Steuergerechtigkeit hergestellt wird.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Deshalb gibt es sehr viele Dinge, an denen hart gearbeitet werden muss. Die Frage der Persönlichkeitsrechte des Datenschutzes und des Vertrauensverhältnisses sind keine Fragen, die man einmal leichtfertig so herum oder so herum beantworten kann, sondern diese bedürfen einer intensiven Prüfung.

Nun will ich etwas sagen, weil wir ja im Kreise der Länderfinanzminister, auch mit dem Bundesfinanzminister, über diese Fragen nicht zum ersten Mal diskutieren! Es gibt unter den Finanzministern insgesamt ein doppelschichtiges Unwohlsein, was die Aufhebung des Bankgeheimnisses angeht mit der Befürchtung einer erweiterten Kapitalflucht, wenn diese Aufhebung nicht europaweit in der gesamten EU Rechtsgrundlage wird. Das ist zurzeit ungeheuer schwer durchzusetzen.

(Abg. J ä g e r s [SPD]: Global!)

Global wäre es noch besser, aber das werden wir wohl nicht schaffen, dafür gibt es zu viele Diktatoren auf der Welt. Wenn wir in unserem Rechtsraum in der Europäischen Union dies aber sicherstellen könnten, hätten wir eine sicherere gemeinsame Grundlage. Wir werden dies wohl auch leisten müssen, weil die Kapitalflucht, die ja heute bereits da ist und die ja letztlich zu dieser Diskussion führt, doch nicht deshalb entsteht, weil die Leute sich bei uns besonders gut behandelt fühlen, sondern sie entsteht deshalb, weil sie das Gefühl haben, sie könnten mit ihrem Kapital in anderen Ländern höhere Erträge erzielen.

Nun stellt sich doch die Frage: Wie reden wir denn da miteinander, mit der EU, mit unseren Partnern, wie ist die Rechtsfrage? Wenn man sich die Daten und Fakten ansieht, was Bremen angeht, dann haben wir gerade einen Bericht bekommen, vom Bund und den Ländern zusammengestellte Daten über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Steuerbereiche in den Ländern im Hinblick darauf, ob die Ausschöpfung überdurchschnittlich oder durchschnittlich ist. Wir liegen merkwürdigerweise in fast allen Steuerarten unter den ersten drei Ländern, was den Ausschöpfungsgrad angeht. Wir liegen in einem Bereich relativ weit hinten, der ist aber ziemlich unerheblich. Wir liegen relativ weit hinten – ich habe den Grund noch nicht erfassen können – bei der Lohnsteuer.

Da nun aber die Lohnsteuer sozusagen die Steuer ist, die direkt veranlagt wird und die direkt einbehalten wird, die natürlich auch sofort in die Kasse fließt, haben wir natürlich gerade bei der Lohnsteuer die geringsten Möglichkeiten, Schlupflöcher zu suchen. Bei den Schlupflöchern, liebe Frau Schwarz, geht es nicht nur um die Schlupflöcher im Gesetz, sondern es geht im Grunde genommen darum, dass wir eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage brauchen. Das heißt, dass die Ausnahmetatbestände, die einzelne Steuerpflichtige dazu berechtigen, Steuervorabzüge zu machen oder Verrechnungen durchzuführen, am Ende dazu führen, dass einige überhaupt keine Steuern mehr und andere einen relativ stabilen regelmäßigen Steuersatz zahlen. Das hat auch etwas mit Steuerungerechtigkeit zu tun. Zurzeit ist es leider so, dass, je internationaler die Verflechtung ist, desto niedriger ist die Steuerquote derjenigen, die hier bei uns Steuern zahlen; im Regelfall kaum. Insofern haben wir viele Probleme zu lösen, und die Körperschaftsteuerproblematik mit allen ihren Verrechnungsmodalitäten ist sicherlich auch kein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sehen es auch heute in den enormen Defiziten. Ich habe es wiederholt gesagt: Wenn ich in diesem Jahr die Juli-Zahlen nehme, also von Januar bis Juli dieses Jahres, haben wir in diesen sieben Monaten 24 Millionen Euro bei der Körperschaftsteuer mehr an Erstattungen als an Einnahmen. Wenn Sie sich einmal überlegen, dass wir die Körperschaftsteuer einmal als Äquivalent für eine Steuer an der Arbeitstätte hatten im Verhältnis zu der Lohnund Einkommensteuer, die am Wohnsitz erhoben wird, dann haben wir zurzeit eine Situation, dass es sich für die Finanzpolitiker und die Politiker in den großen Städten kaum noch lohnt, Arbeitsplätze zu schaffen, weil man über das Schaffen von Arbeitsplätzen keine adäquate Steuerkraft erwirtschaften kann.

Das ist ein Problem, wenn nachher am Wohnsitz die Steuerquote anfällt und nicht mehr an der Arbeitsstätte, und das gilt auch für die Pläne, die die Wirtschaftsverbände haben, die Gewerbesteuer irgendwann einmal abzuschaffen und an ihre Stelle Zuschlagserhebungsmöglichkeiten der Kommunen zu schaffen auf die Lohn- und Einkommensteuer. Dann haben wir noch weniger Steuern, die auf der Arbeitsstätte entfallen. Hier gibt es eine Fülle von Problemen, auf die wir ganz genau und ganz aufmerksam reagieren müssen, bei denen unsere Interessen fundamental berührt sind, gerade die Interessen der großen Städte und die des Stadtstaates.

Ich glaube, dass wir in der Frage der Erhebung eine relativ gute Qualität haben. Wir werden wahrscheinlich bei der Komplexität unserer Steuergesetze