Protocol of the Session on May 17, 2001

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüße ich auf der Besuchertribüne eine Gruppe des Altenheims Luisental.

Herzlich willkommen!

(Beifall)

Gesetz zur Änderung des Bremischen Wahlgesetzes (Verringerung der Zahl der Bürgerschaftsmit- glieder)

Bericht und Antrag des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses vom 6. März 2001 (Drucksache 15/644) 1. Lesung 2. Lesung

Wir verbinden hiermit:

Gesetz zur Änderung des bremischen Wahlrechts (Verringerung der Zahl der Bürgerschaftsmitglieder, Wegfall der 5-Prozent-Klausel, Herabsetzung des Wahlalters)

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 12. März 2001 (Drucksache 15/655) 1. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Staatsrat Dr. Böse.

Wir kommen zur ersten Lesung der beiden Gesetzesvorlagen.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Zuerst erteile ich das Wort dem Berichterstatter, dem Präsidenten Weber.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu Beginn der Wahlperiode hat die Bürgerschaft den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss gebeten, Vorschläge für eine Verkleinerung des Parlaments vorzulegen. Die Verkleinerung ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarung und auch von den Grünen gefordert. Außerdem hatte sich der Ausschuss mit dem Wahlalter, der etwaigen Verlängerung der Wahlperiode und den Arbeitsstrukturen der Bürgerschaft zu befassen. Darüber hinaus hat er die Fünfprozentklausel erörtert.

Meine Damen und Herren, über die Parlamentsverkleinerung haben seit 1993 drei Ausschüsse beraten. Sie hat auch den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss am intensivsten beschäftigt. Ziel der Verkleinerung ist vor allem, die Kosten der politischen Führung zu senken. Wir rechnen damit, dass wir bis zu eineinhalb Millionen DM jährlich einsparen können. Der Ausschuss hat dabei auch erörtert, ob sich für die Abgeordneten Mehrarbeit ergibt und das Auswirkungen auf die Diäten haben kann. Meine Damen und Herren, dazu wird die Diätenkommission Stellung nehmen. Der Vertreter vom Bündnis 90/Die Grünen hat sich gegen eine Erhöhung ausgesprochen.

Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen haben sich für 83 Landtagsabgeordnete ausgesprochen. Der Vertreter vom Bündnis 90/Die Grünen tritt für 79 Abgeordnete ein.

Die Schwierigkeiten, an denen die Ausschüsse der vorletzten Wahlperiode scheiterten, lagen vor allem im verfassungsrechtlichen Bereich. Die Landesverfassung und das Bundesverfassungsgericht fordern, dass jede Partei, die fünf Prozent der Stimmen in einem Wahlbereich erzielt, einen Sitz bekommt. Das ist zurzeit im Wahlbereich Bremerhaven mit seinen 20 Abgeordneten gewährleistet. Senkt man die Abgeordnetenzahl, kann es passieren, dass eine Partei in Bremerhaven mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommt, aber keinen Sitz erhält. Das darf nicht sein.

Der Ausschuss schlägt jetzt eine Änderung des Sitzverteilungsverfahrens vor, die die Verletzung der Fünfprozentklausel aller Voraussicht nach ausräumt. Technisch ausgedrückt: Statt wie bisher nach HareNiemeyer werden die Sitze nach der Methode Saint Lague-Schepers verteilt.

Ein anderes Problem war die Verteilung der Sitze zwischen Bremen und Bremerhaven. Das bisherige Verhältnis von 80 zu 20 Abgeordneten in Bremen und Bremerhaven beruht auf dem Verhältnis der Wahlberechtigten beziehungsweise der Bevölkerung beider Städte. Es hat sich aber in der Zwischenzeit zu Lasten von Bremerhaven verschoben, weil dort die Einwohnerzahlen stärker abgenommen haben als in Bremen. Rechnet man das bisherige Verhältnis von 80 zu 20 Abgeordneten auf 83 Mitglieder der Bürgerschaft um und legt die Verschiebung zugrunde, müsste Bremen eigentlich 68 und Bremerhaven 15 Abgeordnete stellen. Der Ausschuss hat sich dennoch für einen zusätzlichen Sitz zugunsten von Bremerhaven entschieden.

Maßgebend dafür war zum einen, dass es schon früher geringfügige Abweichungen von dem Verhältnis der Einwohnerzahl gegeben habe, zum anderen hat folgende Überlegung eine Rolle gespielt. Der Ausschuss befürwortet eine ungerade Zahl der Abgeordneten, damit Pattsituationen in der Stadtbürgerschaft möglichst vermieden werden. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn Bremerhaven eine gerade Zahl von Abgeordneten stellt. Das ist bei einer Verteilung von 67 zu 16 Abgeordneten gewährleistet. Der Vertreter vom Bündnis 90/Die Grünen verweist darauf, dass bei seinem Vorschlag, 79 Mitglieder der Bürgerschaft, davon 64 aus Bremen und 15 aus Bremerhaven, das Verhältnis der Bevölkerung von Bremen und Bremerhaven korrekt eingehalten würde.

Der zweitwichtigste Punkt während der Ausschussberatungen, meine Damen und Herren, betraf das Wahlalter. Es hat ja auch die Veranstaltung „Jugend im Parlament“ beschäftigt. Auf kommunaler Ebene ist das Wahlalter in einigen Ländern schon heute auf 16 Jahre festgesetzt. Der Ausschuss hat dazu eine Anhörung durchgeführt. Der Sachverständige, Herr Professor Hurrelmann aus Bielefeld, hat sich dafür ausgesprochen, das Wahlalter auch für die Wahl zum Landtag auf 16 Jahre zu senken. Jugendliche seien heute durchaus in der Lage, die Be

deutung der Wahl einzuschätzen. Auch die Mehrheit der angehörten Jugendlichen trat für eine Herabsetzung des Wahlalters ein.

Die Ausschussmitglieder sind unterschiedlicher Meinung. Der Vertreter vom Bündnis 90/Die Grünen ist für ein Wahlalter von 16 Jahren. Die CDU ist gegenteiliger Ansicht. Die SPD hält eine Herabsetzung für sinnvoll, hat sich aber mit Rücksicht auf die Koalitionsvereinbarung, nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen, für die Beibehaltung eines Wahlalters von 18 Jahren ausgesprochen. Im Einzelnen werden die Vertreter der Fraktionen hier sicherlich noch ihre Gründe dafür vortragen.

Eine Wahlperiode von fünf Jahren, meine Damen und Herren, die es in den meisten Bundesländern mittlerweile gibt und die auch auf Bundesebene vor kurzem ins Gespräch gebracht wurde, hat der Ausschuss verworfen. Er verkennt nicht, dass die Verlängerung der Wahlperiode um ein Jahr die Arbeitsfähigkeit des Parlaments verbessern kann. Schließlich ist damit eine längere Zeit mit größerer Wahlkampfferne verbunden. Das könnte der Sacharbeit zugute kommen.

Meine Damen und Herren, die Arbeitsstrukturen des Parlaments erschweren es, neben dem Mandat einer Berufstätigkeit nachzugehen. Der Ausschuss schlägt deshalb vor, für Ausschüsse und Deputationen einen Sitzungsrhythmus festzulegen und außerdem eine sitzungsfreie Woche vorzusehen.

Zum letzten Punkt! Ich habe vorher auf die Fünfprozentklausel hingewiesen. Sie hat den Ausschuss nicht nur im Zusammenhang mit der Parlamentsverkleinerung beschäftigt. Er hat außerdem grundsätzlich erörtert, ob die Klausel beibehalten werden solle. Ausgelöst war diese Prüfung durch die neue Rechtsprechung zum Kommunalwahlrecht in mehreren Ländern.

Der Vertreter vom Bündnis 90/Die Grünen hat vor diesem Hintergrund die Ansicht vertreten, man solle für den Landtag und die Stadtbürgerschaft eine Sperrklausel aus der Verfassung und aus dem Wahlgesetz streichen. Dem haben sich die Koalitionsfraktionen nicht angeschlossen. Sie sehen in der Fünfprozentklausel eine Sicherung klarer Parlamentsmehrheiten. Außerdem verweisen sie darauf, dass der Staatsgerichtshof die Klausel im letzten Jahr für das Land und für die Stadtgemeinde für zulässig erklärt hat.

Meine Damen und Herren, soweit mein Bericht! Ich bitte Sie, den Anträgen des Ausschusses zur Verkleinerung des Parlaments, der Änderung des Sitzverteilungsverfahrens im Wahlgesetz und der Festlegung eines Sitzungsrasters zuzustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann nur für die Grünen sagen, es wird auch höchste Zeit! Nachdem die CDU 1991 mit dem Versprechen in die Wahl gegangen ist, die Bürgerschaft zu halbieren, haben Sie sich 1995 bereit erklärt, die Verkleinerung des Parlaments in Angriff zu nehmen. Nach zwei Monaten war die Sache beerdigt, und Ihr Wahlversprechen war gebrochen. Jetzt schlagen Sie also im Endergebnis vor, die Bürgerschaft um ein Sechstel zu verkleinern.

Wir hatten die letzten vier bis fünf Jahre wirklich eine verkehrte Welt hier im Haus. Die großen Fraktionen blockierten eine Verkleinerung, und die kleineren Fraktionen, bei denen es wirklich darauf ankommt, für die es wirklich schmerzlich sein wird, traten dafür ein. Dem einen oder der anderen wird das natürlich jetzt auch klarer, was das bedeutet, wenn wir diese Reform durchführen. Wir sind für eine Verkleinerung des Parlaments ohne Wenn und Aber eingetreten.

Ich sage auch ganz deutlich für die Grünen, seitdem wir hier über die Sanierung des Landes Bremen diskutieren, ist für mich jedenfalls ganz klar, dieses Parlament muss sich selbst und der Öffentlichkeit beweisen, dass es sich auch selbst ändern kann. Es muss beweisen, dass es auch bei sich selbst sparen kann, auch dann, meine Damen und Herren, wenn dann hier im Hause einige Stühle weniger stehen werden. Entgegen weit verbreiteter Ansicht ist es aber jedenfalls nicht in erster Linie die Aufgabe der Politik, sich um den eigenen Stuhl zu sorgen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie hatten also angekündigt, auf 80 Abgeordnete verkleinern zu wollen. Darauf aufbauend haben wir einen, glaube ich, realistischen Vorschlag gemacht, 79 Abgeordnete, 64 Abgeordnete aus Bremen und 15 Abgeordnete aus Bremerhaven. Sie sagen jetzt 83 Abgeordnete mit der ganz pfiffigen Begründung, die dem Kollegen Eckhoff eingefallen ist, dass Sie dann kein Patt in der Stadtbürgerschaft haben.

Ich glaube, die Gründe waren wirklich andere. Es ist auch nicht so furchtbar überzeugend. Erstens haben wir 54 Jahre ganz gut mit der Situation leben können, und zweitens sind Sie es gewesen, die beim Wahlrecht für EU-Ausländer völlig andere Lösungen eingeführt haben, die dazu führen können, dass wir hier ganz andere Mehrheitsverhältnisse in der Stadtbürgerschaft und im Landtag haben können. Da finde ich, dass die theoretisch mögliche Pattsituation in der Stadtbürgerschaft durchaus ein sehr viel geringeres Übel ist.

Wir haben zwei sehr gute Argumente dafür, unser Rechenmodell beziehungsweise unseren Vorschlag zu machen. Der Präsident hat in seinem Bericht als Ausschussvorsitzender darauf hingewiesen, die Einwohnerzahlen in Bremen und Bremerhaven haben sich auseinander entwickelt. Bremerhaven hat noch schneller Einwohner verloren als Bremen.

Bei Ihrem Vorschlag, das muss man ganz klar festhalten, ist Bremerhaven, was die Zahl der Sitze angeht, in einem Ausmaß überrepräsentiert, das nach unserer Auffassung das im Wahlrecht Zulässige klar überschreiten dürfte, denn ein Grundsatz des Wahlrechts ist es, dass jede Stimme das gleiche Gewicht haben kann. Jede Ungleichbehandlung muss strikt vermieden werden. Nur dann, wenn sie nicht vermieden werden kann, darf sie auch gemacht werden. In diesem Fall ist sie vermeidbar. Man muss nur diese eine Zahl ändern, dann hat man eine korrekte Widerspiegelung der Verhältnisse der Einwohner zu den Stimmenzahlen. Das müssen wir auch machen.

Sie haben ja, habe ich gelernt, eine neue Maßzahl gelernt, Augenmaß, auf Deutsch Pi mal Daumen. Das kann man im Wahlrecht nicht anwenden, meine Damen und Herren. Das geht einfach nicht, deswegen haben auch die Vertreter der beiden Ressorts, die vorgetragen haben, im Ausschuss klipp und klar gesagt, und das steht auch im Bericht, ich darf zitieren: „Vertreter der Verwaltungen halten deshalb die Regelung, die von der Koalition vorgeschlagen wird, für nicht unbedenklich.“ Im Protokoll ist es sehr viel klarer ausgedrückt, da steht: „Justiz und Innenressort haben klare starke rechtliche Bedenken vorgetragen, haben davor gewarnt, diese Regelung umzusetzen.“

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Waren das städtische Verwaltungsbeamte?)

Mit unserem Vorschlag, meine Damen und Herren, sind wir sowohl politisch als auch rechtlich auf der sicheren Seite. Das ist das erste Argument.

Das zweite Argument ist, dass es noch dazu eine Menge Geld spart, wenn wir weniger Abgeordnete haben, als Sie jetzt vorschlagen. Insofern bleiben wir bei unserem Vorschlag, auf 79 Abgeordnete zu gehen.

Ich hatte jedenfalls gedacht, dass das Geld hier eine Rolle spielt, meine Damen und Herren. Dann kam ja die Sache mit der so genannten Nebenabrede zum Koalitionsvertrag in die Öffentlichkeit. Die verdeckte Rangelei um diese Nebenabrede hat ja dazu geführt, dass der Bericht exakt ein Jahr zu spät hier vom Ausschussvorsitzenden vorgelegt werden konnte. Der Ausschussvorsitzende, jetzt Präsident der Bürgerschaft, hatte ja Mitte 1999, damals war er noch Fraktionsvorsitzender der SPD, zusammen mit seinem Kollegen von der CDU, Herrn Neumeyer, eine nichtöffentliche Absprache unterschrieben, in der

bei Gelegenheit der Parlamentsverkleinerung – ich weiß nicht genau, ob als Ausgleich, ob als Trostpflaster oder nur als gute Gelegenheit, wenn sie schon einmal da ist – eine doch happige Erhöhung der Abgeordnetenbezüge vereinbart worden ist.

Teile der SPD, die – sagen sie – von dieser Absprache nichts wussten, wollten dann nichts mehr von der Unterschrift wissen, und der Ausschuss trat praktisch unter fadenscheinigen Begründungen in seinen Beratungen ein ganzes Jahr auf der Stelle. Jetzt hat man den Ausweg für Helden gefunden, die Diätenkommission zu fragen. Für die Grünen sage ich hier klar und eindeutig: Wir werden bei einer Erhöhung der Abgeordnetenbezüge wegen Parlamentsverkleinerung nicht mitmachen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In dieser geheimen Nebenabsprache steht übrigens unter dem Punkt 2. d) – ich darf wiederum mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –: „Die Parlamentsreform darf zu keiner Schlechterstellung der Fraktionen führen. Insbesondere erfolgt keine Reduzierung der Fraktionszuschüsse und der weiteren Zuwendungen.“ Ich darf Sie fragen, Herr Weber, Sie haben das ja unterschrieben, oder Herr Böhrnsen und Herr Eckhoff als Fraktionsvorsitzende,

(Abg. T e i s e r [CDU]: Die Vereinba- rung ist doch geheim!)

Sie sollten einmal hier und heute öffentlich sagen, heißt das, dass Ihre Fraktionen das gleiche Geld haben wollen, auch wenn jeder sechste Abgeordnete hier nicht mehr sitzt? Oder was bedeutet diese Absprache? Ich denke, wir haben ein Recht darauf, das heute von Ihnen zu erfahren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, die Grünen haben die Verkleinerung des Parlaments mit weiteren Reformvorschlägen verbunden, die darauf zielen, dieses Parlament moderner, lebendiger zu machen und den Bürgerinnen und Bürgern besser zu ihrem Recht, zu ihrer Stimme zu verhelfen.

Über eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre haben wir heute Vormittag debattiert. Ich konzentriere mich jetzt auf den Punkt Abschaffung der Fünfprozentklausel aus dem bremischen Wahlrecht. Wir sagen nicht, dass wir das aus rechtlichen Gründen machen müssen. Wir sagen nur, wir können es machen, es ist nach wie vor von der Rechtsprechung eher als Ausnahme deklariert und nicht als Regel. Vor allen Dingen sagen wir, wir wollen es politisch. Darin liegt die Differenz, nicht aber darin, dass wir das rechtlich unterschiedlich beurteilen. Wir wollen es, Sie wollen es nicht.