Protocol of the Session on January 25, 2001

Es steckt aber meiner Ansicht nach auch eine ernsthaftere Debatte in dieser Anfrage, allerdings kommt sie leider dort bei Ihnen so nicht zum Ausdruck. Das ist nämlich die Debatte, die bundesweit sehr wohl in den letzten zehn Jahren geführt wird, die Debatte um die Zukunft des Verfassungsschutzes. Es wird vielleicht nicht ganz an Ihnen vorbeigegangen sein, dass nach der Beendigung des OstWest-Konfliktes und nach der Aufgabe der Blockkonfrontation sich die Ziele und Aufgaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden dramatisch verändert haben. Das ist ja auch eine Erklärung für den Umgang mit dem Personal und auch mit den haushaltsmäßigen Rahmenbedingungen.

Es geht aber nicht nur um eine Veränderung der Ziele und Aufgaben des Verfassungsschutzes, sondern es geht auch um einen Rollenwandel, den der Verfassungsschutz eingenommen hat, und wenn wir hier einmal in die Berichte, die es ja schriftlich gibt – im Unterschied zu Bremen –, des Bundesamtes für

Verfassungsschutz und dort wiederum in die Vorworte des neuen Bundesinnenministers hineinschauen, kann man dessen Worten sehr wohl entnehmen, dass dieser Rollenwandel bei der Aufgabe des Verfassungsschutzes schon sehr weit fortgeschritten ist.

Meine Damen und Herren, wir haben über dieses Thema, Herr Herderhorst hat es auch gesagt, schon verschiedentlich hier im Hause gesprochen, nun stellen Sie es aber in den Kontext der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Deswegen verdient das auch noch einmal eine wesentliche Erwähnung hier in dieser Debatte. Wir waren uns in der Debatte, die wir hier im Hause über den Rechtsextremismus geführt haben, in zwei Punkten meines Erachtens einig: Erstens waren wir uns einig, dass die Aussage, die der Bürgermeister Scherf noch im letzten August getroffen hat, dass Rechtsextremismus in Bremen kein Problem sei, dass es hier keine zitierfähigen Gruppen gäbe und dass das alles hier für Bremen kein Thema sei, spätestens – aber man hätte es auch vorher wissen können – seit der Aufdeckung des versuchten Bombenanschlags in Bremen-Nord absolut indiskutabel und zurückzuweisen ist. Das haben alle Menschen hier in der Stadt gemerkt, und damit ist auch klar geworden, dass wir hier eine andere Strategie einschlagen müssen.

Wir waren uns aber, glaube ich, auch einig – und jetzt komme ich wieder auf Ihr Thema „Rolle des Verfassungsschutzes“ zurück –, dass der allererste Adressat bei der Aufgabe „Bekämpfung des Rechtsextremismus“ zunächst einmal die demokratischen Selbstheilungskräfte der Gesellschaft sind, also nicht Institutionen wie der Verfassungsschutz oder andere Institutionen an erster Stelle stehen, sondern der Kampf gegen den Rechtsextremismus und der Erfolg stehen und fallen mit den Selbstheilungskräften der Demokraten und Demokratinnen in Bremen und Bremerhaven. Gerade Bremerhaven hat ja mit der Aktion der Menschenkette einen wirklich sehr eindrucksvollen Beitrag geleistet, um deutlich zu machen, was an erster Stelle steht, wenn wir in Bremen und Bremerhaven diesen Rechtsextremismus bekämpfen wollen, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Selbstverständlich kommt zu diesem Aspekt der demokratischen Selbstheilungskräfte der Gesellschaft auch der ganze repressive Bereich, der, wenn Straftaten vorliegen, Flagge zeigen muss und der sich im Rahmen der geltenden Gesetze auch Geltung verschaffen muss. Das ist der viel zitierte Aufstand der Zuständigen, wenn Sie so wollen, der hier hinzukommen muss.

Wenn es also richtig ist, dass nur die Demokraten und Demokratinnen selbst rechtsextremistische Sprüche, Bedrohungen, aber auch Gewalttaten zurückdrängen können, dann ist vollkommen klar: Wenn es denn überhaupt eine Rolle für den Verfas

sungsschutz in diesem Prozess gibt, muss der Verfassungsschutz sich öffnen und sich als Informationsquelle und als gemeinsamer Partner sozusagen der demokratischen Öffentlichkeit im Kampf um den Rechtsextremismus präsentieren!

Ich möchte Ihnen gern mit Genehmigung des Präsidenten aus einem Aufsatz von Hans-Gerd Jaschke aus der Beilage zur Zeitschrift „Das Parlament“ zitieren, der genau dies in den letzten Jahren auch bundesweit beobachtet hat. Offensichtlich ist nicht alles davon auch tatsächlich in Bremen angekommen. Er schreibt in seinem Artikel des Heftes 39/ 2000: „Der Verfassungsschutz entwickelt sich von einer sich selbst abschottenden, daher geheimnisumwitterten und skandalanfälligen Institution hin zu einer aktiv öffentlichkeitsbetreibenden, Züge einer normalen Behörde annehmenden Einrichtung.“

Das vom Land Hessen initiierte und später von anderen Ländern und dem Bund übernommene Konzept „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ sieht vor, die Bürger stärker über die Ergebnisse zu informieren, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen und Referenten für die politische Bildung anzunehmen. Verfassungsschutzexperten nehmen selbst in den Medien Stellung zu Fachfragen, eine Entwicklung, die vor zehn Jahren noch kaum denkbar gewesen wäre.

Nun schauen wir uns noch ein kleines Beispiel am Ende an, wie das konkret in Bremen aussieht, im Beirat Vegesack, also da, wo die engagierten Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil zusammenkommen! Der Beirat Vegesack hat angesichts der Vorgänge in Bremen-Nord eine Anfrage an den Innensenator gerichtet auf Initiative der Grünen, genau im Sinne dieses Artikels jemanden zur Information über die Gefahren durch den Rechtsextremismus vor Ort nach Bremen-Nord kommen zu lassen. Dies wurde mit einem lapidaren Schreiben aus dem Hause des Innensenators beantwortet, dass dafür keine Kapazitäten vorhanden seien und dass es dafür keine Notwendigkeit gäbe und dass man doch bitteschön den schriftlichen Bericht über den Rechtsextremismus, in einer Ausgabe beim Ortsamtsleiter hinterlegt, einsehen könne, dann wisse man schon Bescheid, worum es gehe.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Das sagt doch alles!)

Meine Damen und Herren, wenn es überhaupt eine wichtige Rolle – wie Sie unterstellen – des Verfassungsschutzes in der Frage Bekämpfung des Rechtsextremismus gibt, und ich glaube nach wie vor, dass entscheidend sein wird, wie wir uns alle angesichts dieser Bedrohung verhalten, dann als eine Institution, die in der Tat in die Öffentlichkeit geht, wie das in einem ersten Schritt mit Internetseiten und ähnlichen Dingen jetzt sehr, sehr vage versucht wird, die offensiv mit den gesammelten In

formationen umgeht, die eine transparente Information der Bürgerinnen und Bürger betreibt und die sich so als Teil dieses Kampfes gegen den Rechtsextremismus versteht und dies, wenn es von den Bürgern getragen wird, so unterstützt.

Sie haben aber selbst in der Antwort des Senats auf Ihre Anfrage gesehen, dass in diesem Punkt, wie bei vielen anderen Punkten, der Senat hier kein besonderes Engagement in diese Frage legt. Sie hatten etwas anderes erhofft, das merkt man bei Ihrer Anfrage deutlich, und haben vom Senat eine deutliche Abfuhr bekommen. Vielleicht tragen heute sowohl die Fraktionen als auch der Senat zu unserer Aufklärung bei, welche Ansicht sich im Endeffekt durchsetzen wird. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU-Fraktion, die diesem Tagesordnungspunkt zugrunde liegt, bedient sich meines Erachtens eines Etikettenschwindels. Es geht der CDU nur am Rande darum, was sie in der Überschrift verkündet, nämlich den Extremismus auch durch die Arbeit des Verfassungsschutzes zu bekämpfen. Welche Aufgabe der Verfassungsschutz, und dazu hat Herr Dr. Güldner gerade einige Ausführungen gemacht, bei der Bekämpfung des politischen Extremismus haben soll, darüber gibt die Große Anfrage der CDU trotz der vollmundigen Überschrift überhaupt keine Auskunft, und der Senat verzichtet in seiner Antwort auf tiefergründige Erörterungen, wahrscheinlich weil auf kleinem parteipolitischen Dienstweg klar war, dass die Extremismusbekämpfung nur das bei der CDU zur Zeit modische Verbalvehikel für höhere Aufmerksamkeit sein sollte.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können an den Anfang stellen, dass unser bremischer Verfassungsschutz bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben aus dem Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Bremen eine gute Arbeit macht. Laut Gesetz besteht die Aufgabe darin, Auskünfte, Nachrichten und sonstige Unterlagen über verschiedene Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu sammeln und auszuwerten. In der vergangenen Sitzung der Innendeputation haben wir ein Lagebild über die extremistische Szene in Bremen vermittelt bekommen, das nach unserer Einschätzung umfassend und erhellend ist und eine gute Grundlage für Politik und übrige Behörden vermittelt. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Insoweit können wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landesamtes dafür danken, und ich glaube, das hat auch die Fraktionssprecherin der Grünen deutlich gemacht, dass wir gern einen solchen Bericht jedes Jahr haben wollen und dass wir aus diesem Grund das Landesamt für diese Aufgaben für unverzichtbar halten.

(Beifall bei der SPD)

Für die Wahrnehmung dieser Aufgabe reicht laut Senatsantwort das Personal des Landesamtes aus. Das, finde ich, ist eine gute Feststellung, und Sie wissen ja aus den früheren Debatten, dass ich das auch für eine ganz richtige Feststellung halte. Dass wir dramatische Veränderungen im Landesamt für Verfassungsschutz haben, das kann ja niemandem verborgen geblieben sein, auch dass es dafür vernünftige Gründe gibt. Fahren Sie heute einmal nach Dresden, oder fahren Sie heute einmal nach Warschau und vergleichen Sie das mit Ihren Anstrengungen, die Sie für die gleiche Reise 1979 oder 1989 machen mussten! Also, dass auf ein solches Amt diese Veränderung der Weltpolitik nicht ohne Rückwirkung bleiben konnte, das war nun wirklich nicht auszuschließen, und das hat der Senat in seiner Antwort auch sehr deutlich gemacht.

Ich habe in der Frage der CDU und in der Antwort des Senats auch den Wunsch von Herrn Herderhorst wieder finden können, dass er für den Verfassungsschutz nach neuen Aufgaben sucht und ihn in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität einbinden möchte. Dieser Weg, der ja nicht allein schon deshalb schlecht oder falsch sein muss, weil er in Bayern begangen wurde, auch wenn dies ein Indiz sein könnte, soll vom Senat geprüft werden.

Ich halte das für ziemlich überflüssig. Ich glaube, dass wir sagen können, dass dieser Weg falsch ist und dass er wegen des Trennungsgebotes auf sehr starke rechtsstaatliche Bedenken stößt. Deshalb hoffe ich auch, dass der Senat auf diesen Weg bei der Veränderung des Verfassungsschutzgesetzes nicht weiter eingeht.

(Beifall bei der SPD)

Richtig helfen, ehrlich gesagt, in unserer jetzigen Situation würde uns eine Ausweitung des Verfassungsschutzes nicht, denn das, was mich an dieser Anfrage am meisten überrascht hat, war, dass sie gestellt worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Güldner hat schon Probleme damit. Ich als Koalitionspartner habe damit ehrlich gesagt noch mehr Probleme,

(Abg. T e i s e r [CDU]: Was können wir dafür, dass Sie Probleme haben?)

denn die CDU-Fraktion, die ja neben uns den Innensenator auch wesentlich mitträgt,

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Theoretisch!)

hat gefordert, das Landesamt aus der PEP-Quote herauszunehmen. Das ordne ich einmal in die Nachrichten ein, die in den letzten Wochen aus dem Innenressort gekommen sind. Das Ausländeramt macht Schlagzeilen, weil die Abschiebegruppe ihren Namen nicht verdient und der Rechnungshof das moniert, die Führerscheinstelle bricht zusammen. Die Zeiten, die Bremen braucht, um aus einem ausländischen Mitbürger einen deutschen Neubürger zu machen, sind rekordverdächtig lang. Immer noch! Die Polizei unternimmt eine Reform nach der nächsten, um Ressourcen zu generieren und kostenneutral die zweigeteilte Laufbahn einführen zu können, und beschäftigt jetzt auch Roland Berger mit diesen Fragen. Beiräte bemängeln, dass sie wegen Personalknappheit nicht tagen können, Ortsämter melden: Land unter! Dies sind die Rahmenbedingungen des Bereichs Inneres, und dahinein platzt der CDU-Wunsch nach mehr Personal für das Landesamt.

Herr Senator, ich hoffe sehr, dass Sie mir als Koalitionspartner diese politische Schwerpunktsetzung erklären können, denn das geht ja zu irgendwessen Lasten. Ich kämpfe in meiner Fraktion für Feuerwehr, Polizei, Stadtamt und Ausländeramt. Sie müssen mir sagen, was ich davon in Zukunft nachlassen soll, damit wir gemeinsam das Landesamt stärken können. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Senator Dr. Schulte das Wort gebe, begrüße ich auf der Besuchertribüne ganz herzlich den Psychoanalytiker und Schriftsteller Herrn Dr. Dr. h. c. Hans Keilson.

(Beifall)

Herr Dr. Keilson ist Ehrendoktor der Universität Bremen und auf Einladung der Deutsch-israelischen Gesellschaft und der Universität zu Gast in Bremen.

Herzlich willkommen in unserem Hause!

(Beifall)

Als Nächster hat das Wort Herr Senator Dr. Schulte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor ich zu Ihrer Frage komme, Herr Kleen, will ich zunächst einmal feststellen, dass

das Landesamt für Verfassungsschutz eine gute Arbeit leistet. Ich möchte das hier klar und deutlich erklären!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Bis auf einen Herrn aus der rechten Ecke hat das ansonsten hier im Raum auch keiner bestritten. Das ist wichtig für mich festzuhalten.

Der Extremismusbericht, den wir vorgelegt haben, der nicht nur der Deputation für Inneres, sondern auch der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hat eine positive Resonanz erhalten. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, damit das auch ganz klar ist: Dieser Extremismusbericht befasst sich mit allen Formen des Extremismus, den Formen der rechtsextremen Gewalt, der linksextremen Gewalt und dem leider auch in Bremen immer mehr zunehmenden Zulauf bei ausländerextremistischen Gruppen, was sehr besorgniserregend ist.

Hier brauchen wir ein engagiertes gutes Amt, das uns mit Informationen bedient, damit wir entsprechend politisch handeln können. Ich teile auch die hier von Ihnen geäußerte Meinung, dass dies nicht nur für den Senat eine Information sein sollte, sondern auch für die Öffentlichkeit. Darum haben wir diesen Extremismusbericht auch zum ersten Mal öffentlich gemacht und vorgestellt, auch der Presse. Wir wollen dies auch künftig tun, weil ich glaube, dass das wichtig ist.

Was aber nicht geht, Herr Dr. Güldner, ist, dass Sie jeden Stadtteilbeirat unserer Stadt einladen sollten, sich die Redner des Verfassungsschutzes in ihre Beiratssitzungen zu holen. Das wiederum leistet dieses Amt personell nicht. Dafür haben wir auch unsere parlamentarischen Gremien, die außer der Deputation auch noch in anderer Weise befasst werden. Das muss ausreichen! Es geht nicht mehr, sonst ist die Personaldecke zu knapp.

Damit bin ich auch schon, Herr Kleen, bei Ihrer Frage. Ich finde es völlig legitim, dass der Abgeordnete Herderhorst hier auf die Koalitionsverabredung aufmerksam gemacht hat. Das ist doch sein gutes Recht, und ich bedanke mich bei ihm.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Seine Pflicht!)