Protocol of the Session on December 13, 2000

Einzige Ausnahme ist die Annahme der hier bereits, wie Herr Dr. Kuhn angesprochen hat, sehr intensiv diskutierten Grundrechtecharta, die dort behandelt wurde. Ansonsten ist Nizza nicht mehr als ein Minimalkonsens. Die Entscheidungen werden zukünftig noch intransparenter. Die Kompetenzen ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

des Europäischen Parlaments wurden nicht etwa gestärkt, sondern im Gegenteil, bestehende Kompetenzen wurden sogar zurückgenommen. Die Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union, den Nationalstaaten und den Bundesländern ist in eine Regelungsebene bezogen auf das Jahr 2004 vertagt. Der deutsche Einfluss ist in Wirklichkeit, wenn man es an den Fakten misst, zurückgegangen. 23 Millionen Menschen, die hier in Deutschland leben, mehr als in Frankreich sind nicht eine Stimme mehr im Ministerrat wert, während hingegen fünf Millionen Menschen in den Niederlanden gegenüber den Belgiern selbstverständlich eine Stimme mehr wert sind. Ist das ein Durchsetzen deutscher Interessen? Ich glaube, eher nicht!

Eine abschließende Begrenzung der Anzahl der Kommissare, so wie wir das ja auch einvernehmlich im Parlament gefordert haben, ist nicht gelungen. Es ist allerdings klar, dass Deutschland in Zukunft nur noch einen Kommissar haben wird. Deutschland ist aus diesem Gipfel aus meiner Sicht als moralischer Sieger hervorgegangen. Gemessen an den Ergebnissen haben sich allerdings die Blockierer durchgesetzt. Ob sie aus Frankreich oder Spanien kommen, sie haben im Grunde genommen das Tempo dieses Gipfels bestimmt und letztendlich auch den zementierten Handlungsrahmen vorgegeben.

Das Ergebnis ist leider auch, dass die über mehr als vier Jahrzehnte entwickelte Motorenfunktion der Staaten Deutschland und Frankreich mittlerweile einen Kolbenfresser hat. Es bleibt zu hoffen, dass hier kein irreparabler Motorschaden entstanden ist und dass Deutschland und Frankreich wieder ihre gemeinsame Rolle wahrnehmen und den Motor in Europa wieder in Gang bringen.

(Beifall bei der CDU)

Die Annahme der Grundrechtecharta ist ausdrücklich zu begrüßen. Hierin liegt ein wichtiger Schritt, zu einem Europa der Bürger zu gelangen. Die Charta wird helfen, die Rechtsstellung der EU-Bürger und die Kontrolle über die europäische Hoheitsgewalt zu verbessern. Die Entwicklung der Grundrechtecharta und auch ihre Debatte zeigen deutlich, dass geschicktes Handeln sehr wohl nationalstaatliche Egoismen in den Hintergrund drängen kann. Zudem zeigt es sich, dass im Konvent das gemeinsame Interesse der Europäer, anders als jetzt beim Gipfel in Nizza bei den Staats- und Regierungschef nie aus dem Blick verloren wurde. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst von Altbundespräsident Roman Herzog.

Meine Damen, meine Herren, die Frage der Stimmengewichtung hatte ich bereits angesprochen, aber Herr Dr. Kuhn hat auch zu Recht darauf hingewiesen, aus deutscher Sicht ist das zusätzliche Quorum, dass es auch eine repräsentative Mehrheit der EUBürger geben soll, natürlich von Vorteil, um die In

teressen wahrzunehmen. Es macht allerdings insgesamt die Entscheidungsfindung noch komplizierter, es erhöht die Chance, Blockaden einzuziehen, und letztendlich ist es für die Menschen noch weniger transparent, wer eigentlich wann, wo und weshalb welche Entscheidungen trifft oder möglicherweise auch verhindert.

Im Europaparlament spiegelt sich nach den Entscheidungen von Nizza zukünftig die Bevölkerungsgröße wider, so dass Deutschland mit sehr viel mehr Abgeordneten vertreten sein wird, 99 an der Zahl. Das ist aus deutscher Sicht selbstverständlich zu begrüßen. Schade, muss man einschränkend hinzufügen, dass der Gipfel dabei sein selbstgestecktes Ziel, nämlich die absolute Anzahl von Europaabgeordneten nicht zu steigern, nicht einhalten konnte.

Es ist also einerseits zu begrüßen, man muss allerdings auch hier wieder Wasser in den Wein gießen, wenn man denn feststellt, dass andererseits die Kompetenzen des Europäischen Parlaments, ich erwähnte es bereits, nicht ausgebaut wurden, so wie wir uns das hier wünschen. Also, die Mitgestaltungsund -bestimmungsmöglichkeiten des Parlaments, wie wir sie hier auch in unserem Parlament für das Europäische Parlament immer wieder eingefordert haben, finden nicht statt. Im Gegenteil, wichtige Kompetenzbereiche, wie etwa die Strukturpolitik, die auch für unser Bundesland immer wieder ein wichtiges Kernthema im Zusammenhang mit Europa ist, sind aus der Mitbestimmung des Europäischen Parlaments herausgenommen worden mit der Konsequenz, dass heute rund 80 Prozent des Haushaltes der Europäischen Union in Zukunft nicht mehr vom Parlament zu begleiten sind! Dies kann sicherlich nicht als ein Akt von Demokratisierung bewertet werden.

Sehr negativ ist zu bewerten, dass es zu keinem ernsthaften Durchbruch bei der Rückführung des Einstimmigkeitsprinzips, so wie wir das hier auch wieder sehr einvernehmlich gefordert haben, in Nizza gekommen ist. Aus meiner Sicht ist dies sogar das gewichtigste Manko der Konferenz, da hiermit der Aufnahmefähigkeit gegenüber weiteren Partnern natürlich Grenzen gesetzt wurden. Deswegen muss eigentlich die zentrale Forderung an den nächsten Gipfel im Jahr 2004 sein, dass analog zu der Aufnahme weiterer EU-Staaten das Einstimmigkeitsprinzip konsequent zurückzuführen ist. Nach meinem Eindruck sind heute die meisten beitrittswilligen Staaten sehr viel besser auf ein gemeinsames Leben in der Europäischen Union vorbereitet, als es die Union selbst ist.

Der Gipfel hat hier nur Schlimmeres verhindert. Ich erinnere an den Vorstoß aus Spanien, dass Polen beispielsweise bei der Stimmengewichtung anders zu behandeln sein sollte. Das hätte sehr schnell dazu geführt, dass wir zu einer ersten und einer

zweiten Kategorie von Mitgliedsstaaten gekommen wären. Das würde dem, wie ich finde, positiven Druck, zur Europäischen Union zu kommen, um eben damit auch die Friedensgestaltungsfunktion für Gesamteuropa anzunehmen, entsprechend einen deutlichen Dämpfer verpassen. Das kann nicht unser Ziel sein.

Die für den nächsten Gipfel in Aussicht gestellte Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten einschließlich der Region zeigt, dass die Forderungen der deutschen Bundesländer ihre Berechtigung haben. Insofern kann Nizza diesbezüglich als Teilerfolg gewertet werden. Wir haben uns in diesem Haus ebenfalls mehrfach mit diesem Thema befasst. Aus bremischer Sicht ist die klare Kompetenzabgrenzung zwischen den Ebenen und die Kompetenzbegrenzung der europäischen Administration eines der wichtigsten Gestaltungsthemen spätestens für das Jahr 2004.

Meine Damen und Herren, wie kann die Europäische Union mit zukünftig bis zu 30 Mitgliedsstaaten, mit 500 Millionen Einwohnern, mit einer enorm wachsenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Heterogenität überhaupt funktionieren? Wie muss die Demokratie in Europa organisiert werden, damit die Europäische Union eben nicht über die Köpfe der Menschen hinweg gestaltet wird? Die Antwort auf diese Fragen lautet: Wir brauchen ein starkes, handlungsfähiges Europa der Nationen und Regionen, das sich auf Eigenverantwortlichkeit, Vielfalt und Wettbewerb stützt und auf einem gemeinsamen Wertefundament aufbaut. Der Schlüssel dazu liegt zuallererst in einer klaren Verteilung der Aufgaben zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten.

Die Kompetenzen Europas müssen präzise und transparent definiert sein. Wer die Fortsetzung des europäischen Friedens- und Wohlstandsprojektes in ganz Europa wirklich will, muss für eine Aufgabenverteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip eintreten. Dies ist die einzige Antwort auf die Frage, wie Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union gleichzeitig realisiert werden können.

(Beifall bei der CDU)

Der EU-Gipfel in Nizza hat uns in diesem Sinne nicht voran gebracht, nun gilt es allerdings auch nicht, in Larmoyanz auf Nizza zurückzublicken, sondern neu durchzustarten, damit der Zeitplan bis zum Jahr 2004 für die Osterweiterung noch erreicht werden kann.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste erhält das Wort die Abgeordnete Frau Kahrs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als dieser denkwürdige Gipfel am Montag frühmorgens nach unglaublich schwierigen und langwierigen viertägigen Verhandlungen zu Ende ging, haben die einen, die Ministerpräsidenten, die Ergebnisse als einen großen Erfolg herausgestellt, die anderen, die Europaparlamentarier wie Herr Prodi, haben kritisiert, dass nicht genügend Kompetenzverstärkung für das Europaparlament erzielt worden sei, und die Kommentatoren und die öffentliche Meinung teilen unterschiedlich diese beiden Einschätzungen.

Ich glaube, wer erwartet hat, dass aus diesem Gipfel heraus die Vision, die hier und da im Vorfeld angeklungen ist, sich schon verwirklichen werde, hat die Realitäten falsch eingeschätzt. Man kann nicht eine Vision, ein ferneres Ziel eines vereinten europäischen Staatenbundes umsetzen und festen Grund, den wir alle kennen, wo die Nationen ihre eingespielten Verantwortlichkeiten haben, zugunsten von etwas Neuem aufgeben, das ohne Zweifel Faszination hat, das aber keineswegs eingespielt, verankert oder gewöhnt ist, das die Menschen nicht kennen und dem sie auch noch nicht so recht trauen. Deshalb ist meine Einschätzung die, dass hier mindestens doch etwas sehr Pragmatisches gelungen ist, nämlich kleine Schritte nach vorn hin auf dieses Ziel und diese Vision. Wenn der Fortschritt eine Schnecke ist, dann mag das schneckenmäßig gewesen sein.

Ich glaube, es ist insgesamt ein gutes Ergebnis, nicht, wie die einen gesagt haben, so etwas wie Salade Nicoise, diese schöne Vorspeise, die von allem etwas hat, wohlschmeckend, aber nicht wirklich nahrhaft. Die anderen haben gesagt, Europa ist doch mehr als ein Rechenexempel, mehr als Mathematik, hier ist ja nur nach Mehrheiten und nach Interessen ausgezählt worden. Nein, ich glaube, die Vision war vorhanden, und trotzdem hat man pragmatisch die richtigen Schritte, die kleinen Schritte, voreinander gesetzt.

Deshalb ist es auch folgerichtig, das ist vielleicht auch ein Erfolg der deutschen Delegation, des Bundeskanzlers, dass man feste Verabredungen für das Jahr 2004 getroffen hat. Dann hat man vier Jahre Zeit, und in dieser Zeit soll ja ein sehr intensiver Dialog mit allen Beteiligten und insbesondere mit den Menschen in den Ländern geführt werden. Die Verabredung, dass im Jahr 2004 dann beispielsweise die EU-Charta Teil einer Verfassung sein soll und dass wir dann wissen möchten, wie die Kompetenzen wirklich verteilt sind, ist doch notwendig und richtig, dass wir wissen, welche Rolle die nationalen Parlamente und das EU-Parlament haben, dass wir wissen, wie die Verantwortlichkeiten wirklich gestrickt sind in all den Lebens- und Überlebensfragen, die uns hier betreffen. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Keine Rolle hat gespielt, das wird in einem Kommentar kritisch angemerkt, dass überhaupt nicht über die Europäische Zentralbank gesprochen wurde. Die Währungsunion, die ja ein Beispiel dafür ist, dass es auch innerhalb der 15 unterschiedlich starke Zusammenarbeit gegeben hat, also Flexibilitäten, die auch ausgeweitet werden sollen, diese Währungsunion wird ja, wenn ab 2004 die ersten Beitrittskandidaten hinzukommen können, einer möglicherweise weiteren Belastung ausgesetzt. Auch wenn Stabilitätskriterien zu erfüllen sind und wenn wie bisher nach den jetzigen institutionellen Vorstellungen mit Wim Duisenberg an der Spitze und um ihn herum ein kleines gewähltes Fachgremium ist, ist es so, dass jedes Land in der Europäischen Zentralbank einen Vertreter hat, könnte möglicherweise die Gefahr entstehen, dass nach Interessengruppen von Ländergruppen europäische Währungs- und Stabilitätspolitik veranstaltet würde. Hier müsste wahrscheinlich bis 2004 auch noch einmal dieses wichtige Gremium EZB in den Blick genommen werden. Die EZB hat nicht einmal, wie ich höre, am Verhandlungstisch in Nizza gesessen, und darüber, denke ich, muss man auch noch einmal nachdenken.

Ich finde es sehr gut, dass hier nicht so die Sprachregelung gewählt worden ist, wir wollen einen inneren Kern bilden, und darum herum gibt es Satelliten, die dann möglicherweise mit minderen Rechten ausgestattet sind, sondern man hat gesagt, alle Länder sind gleichberechtigt nach ihrer Größe, nach ihren Bevölkerungsmehrheiten, und sie können sich alle frei entscheiden, mit wem sie besondere Projekte kooperativ gestalten wollen wie schon jetzt in der Währungsunion und auch in einigen anderen Fragen. Das soll verstärkt werden, das ist gut, weil es nämlich den Einigungsfortschritt fördert, wenn auf diese Weise zusätzliche integrative Vorhaben auch in Ländergruppen gestaltet werden können.

Ich finde es ausgezeichnet, dass das, was schon vorgedacht war, man hat ja für die Kandidatenländer auch schon ihre Gewichtung praktisch beschlossen, dass man den Polen entsprechend ihrer Größe gleich viele Mitglieder zugebilligt hat wie den Spaniern, nämlich 27, und nicht, wie zunächst angedacht worden ist, weniger. Das wäre ein Fauxpas gewesen, wie er vorbereitet worden ist durch das Vorsitzland Frankreich. Das wäre nicht wieder gut zu machen gewesen, und ich glaube, dass das aufgedeckt worden ist, ist auch ein großer Erfolg und spricht auch für die Offenheit und Ehrlichkeit, dass alle wirklich bereit sind, die Beitrittskandidaten, wenn sie denn auf dem Weg der Erfüllung der Vertragsziele sind, zu akzeptieren und mit in das gemeinsame Europa hineinzunehmen.

Es ist schon darüber gesprochen worden, dass das Veto-Prinzip in bestimmten Fragen nicht aufgegeben wurde. Daran wird gearbeitet werden müssen. Ich halte es auch für nachvollziehbar, dass sich je

des Land nach eigenen Interessen auch noch bestimmte Türchen offen lässt, bis man wirklich weiß, wohin die Reise geht. Das gehört dann am Ende auch zum Pragmatismus dazu. Insgesamt halte ich es für richtig, dass man, wenn man schon nicht das Europaparlament gestärkt hat, den Präsidenten gestärkt hat, indem man dem Präsidenten die Richtlinienkompetenz zugebilligt hat. Man sagt Lex Prodi, er hat, wie er das ja auch schon praktiziert hat, die Möglichkeit, mehrheitlich Kommissare abzuberufen. Damit wird deutlich, dass dies nicht einfach eine Summe von Nationalveranstaltungen ist, sondern dass hier auch sehr wohl gestaltende Elemente gesehen werden.

Sehr hilfreich war für diese Konferenz in Nizza, dass die Kommission im Vorfeld deutlich gemacht hat, dass sie keineswegs beabsichtigt, wie ein zentraler Moloch nun in alle nationalen Besonderheiten hineinzuregieren, dass nämlich klar gemacht worden ist, dass es natürlich den einzelnen Ländern weiterhin überlassen bleibt, wie sie ihre Sozialpolitik ausgestalten wollen. Nicht jedes Ding hat nun europaweite Auswirkungen. Man wird hier mit Augenmaß schauen, und wenn dies bis 2004 auch noch präzisiert ist, können, glaube ich, alle gelassen dem Prozess beitreten. Wir können dann auch gemeinsam die Vorzüge, die vielfach beschrieben sind, die in einem geeinigten Europa liegen, herausstellen und auch als Wertegemeinschaft Standards in der Welt setzen, die dann auch über Europa hinaus ausstrahlen können, nicht nur als Wirtschaftsregion, sondern auch als eine Region, die gemeinsamen Zielen verpflichtet ist und eine Verantwortung in der Welt übernimmt für Regionen, die auch noch ein Stückchen Unterstützung und Entwicklung brauchen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort Bürgermeister Dr. Scherf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich stimme ausdrücklich dem Satz von Herrn Neumeyer zu, dass man dieses Ergebnis nicht mit einer gewissen Larmoyanz noch niedriger hängen soll, als es sowieso schon hängt, sondern man muss damit umgehen. Ich höre aus allen drei Reden, die Sie gehalten haben, heraus, dass Sie nüchtern damit umgehen, dass Sie nun nicht durch Euphorie bedingt eine riesige Enttäuschung durch den langsam gewordenen Entwicklungsprozess in Europa entfalten, sondern sagen, immerhin, es war schwer, aber sie haben es in die richtige Richtung entwickelt. Ich finde, genau wie Sie alle drei, dass die Sache mit der Mehrstimmigkeit nicht optimal gelaufen ist, aber das ist ein Einstieg. Das Thema ist auf der Tagesordnung geblieben. Das wird nicht für die nächsten 25 bis 30 Jahre so bleiben,

sondern wir werden das immer wieder aufrufen auf der europäischen Ebene.

Ich würde gern etwas zu Herrn Kuhn sagen, weil wir beide uns immer fröhlich zanken. Die erste Einschätzung teile ich mit Ihnen. Bei der Rolle der Länder habe ich eben sehr genau hingehört. Sie haben früher nicht so freundlich argumentiert und das begleitet wie jetzt im Ergebnis. Die Länder haben sich, das sagen auch alle, die dabei waren, auch der Ihnen nahe stehende Außenminister, mit der Forderung nach einer Fortsetzung der Regierungskonferenz durchgesetzt. Zunächst klang diese Forderung ganz schrill. Die eine Regierungskonferenz war noch nicht zu Ende, und schon wurde die nächste gefordert. Die Kommission wollte aus dem Regierungskonferenzgequäle heraus, weil sie da keine aktive Rolle hat oder mehr zuhören muss.

Es ist schon richtig, dass die Länder in der Vorbereitung und eben immer eng mit der Bundesregierung und der Verhandlungsdelegation verbunden diese Forderung nach einer weiteren Regierungskonferenz hochgehalten haben, und ich freue mich, dass das gelungen ist. Das ist nicht nur Edmund Stoiber, der sich freut, sondern wir alle. Wir haben den Eindruck, dass wir alle an diesem Punkt Europa ein Stück in die richtige Richtung entwickelt haben. Es ist noch nicht unter Dach und Fach, aber die Tatsache, dass sich die Länderchefs auf eine weitere Regierungskonferenz eingelassen haben, die möglicherweise, wenn es gelingt, eine europäische Verfassung schaffen wird, ist doch eigentlich die richtige Richtung.

Dass wir uns mit der Bundesregierung einig sind, dass dabei die Kompetenzfrage im Vordergrund steht, ist auch eine Klärung. Dass die anderen Länder, die eben nicht über eine vergleichbare föderale Erfahrung verfügen wie die Bundesdeutschen, das angenommen und in diese nächste Konferenz hineingezogen haben, ist gut. Es ist auch für die neuen Länder, die Beitrittsländer, keine weitere Hürde, über die sie nun weg müssen, sondern ein Stück Einladung zum Mitarbeiten an der zukünftigen Konstruktion und Struktur Europas.

Wohin ich in diesen ganzen Monaten höre, wächst die Zustimmung zu föderalen Strukturen in Europa. Jetzt am Sonntag war hier eine große französische Delegation mit dem Stadtentwicklungsminister der französischen Regierung, die sich Bremen anschauen, ob sie nicht ein paar Projekte übernehmen können. Er hat mir detailliert erklärt, dass sie in der Auseinandersetzung in Frankreich um Korsika und um die Autonomie in Korsika natürlich einen Schritt auf Europa machen. Sie lernen in diesem zentralistischen Frankreich, und das ist da ja nicht einfach. Der Rücktritt von Chevenement ist symptomatisch. Da gibt es auf der linken wie auf der rechten Seite scharfe Kritiker, aber es geht in die Richtung, dass dieses föderale Beispiel der Bundesrepublik ein friedenstiftendes Beispiel für Europa ist und dass es

natürlich von anderen Ländern genauso konstruktiv aufgenommen werden kann.

Wenn sogar die Franzosen anfangen, wird verständlich, dass auch die Spanier und die Italiener und die Österreicher das gleiche Interesse haben. Die Briten müssen das ebenfalls haben, weil sie sonst die Schotten, die Waliser und die Nordiren doch nur so vorsichtig differenziert im Lande halten können. Ich glaube, wir 16 sind da an der richtigen Ecke konsequent gewesen, und ich finde das Ergebnis in diesem Punkt richtig erfreulich.

Dass Hermann Kuhn das nun in den öffentlichen Kommentaren gar nicht breit ausgeführte Thema der Weiterbehandlung der Daseinsvorsorge hier thematisiert, auch da, verehrter Kollege, ist es nicht etwa so, dass uns die Sache aus der Hand gerutscht ist und dass das Beispiel der West LB ein Beleg dafür ist, dass sich das sowieso alles nicht gelohnt hat. Nein, Sie sind da auf dem falschen Dampfer, sage ich noch einmal freundschaftlich. Wir sind, auch was die Landesbanken, insbesondere was die Sparkassen angeht, in einer Weise verabredet und entschlossen, dass niemand, auch nicht Hermann Kuhn von den Grünen, uns Länder davon abbringt, dass wir einen Schutz brauchen, ich sage das noch einmal ganz klar, um regionale Strukturen vor zentralistischen Gleichmachereien zu schützen.

Wenn Sie begleiten und verfolgen, was in der bundesdeutschen Öffentlichkeit über die Fläche und die Versorgung in der Fläche zum Beispiel mit Sparkasse und mit Filialen der privaten Banken und anderer passiert, dann müssen Ihnen doch helle Lichter aufgehen, dass, wenn wir da nicht aufpassen, ein Stück bundesrepublikanischer Dienstleistungsstruktur abgeräumt wird. Das kann nicht unser Interesse sein.

Wir Bremer halten das übrigens länger aus als die Flächenländer. Die haben da viel dramatischere Probleme. Aber natürlich gehören wir an deren Seite. Das ist nicht nur mit Landesbanken und Sparkassen so, sondern das geht ja bei den Öffentlich-Rechtlichen weiter. Da muss doch Ihr Herz schlagen, lieber Hermann Kuhn, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten auf dem Index des Wettbewerbskommissars sind! Genauso geht es weiter bis zu den Opern. Haben Sie das schon einmal gehört? Der Wettbewerbskommissar in Brüssel meint, es sei ein beihilfefähiger und genehmigungswürdiger Zustand, dass wir unsere Opern subventionieren. Er hat offenbar die Phantasie, dass wir das alles privatwirtschaftlich machen.

Lieber Hermann Kuhn von den Grünen, das kann doch nicht in Ihrem Sinn sein, dass wir uns dagegen nicht wehren, sondern da müssen wir, ich finde zu Recht, nicht nur in den Länderkabinetten, das stimmt, sondern da müssen wir breit, über die Landesparlamente und auch über die Öffentlichkeit, uns couragiert vor die bundesrepublikanische Struktur

und Gesellschaft stellen und nicht einfach sagen, da kommt der nächste Fundi, egal ob im Gewand von Chicagoboys oder im grünen Gewand von Hermann Kuhn!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir stehen auch ein Stück davor, dass wir eine schrittweise, schön differenzierte und die Identität nicht verlierende weitere europäische Stärkung und Entwicklung haben. Aber das Heil, lieber Kollege, ich sage das jetzt ganz sanft, friedlich und weihnachtlich gestimmt, liegt nicht in einer weiteren Stärkung der zentralen Bürokratie, sondern das Heil liegt in einer intelligenten Differenzierung, in der sich die Regionen in ihrer Unterschiedlichkeit wieder finden müssen. Dafür kämpfe ich, solange mich die große Koalition in diesem Amt lässt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte gedacht, er schafft das ohne das, aber es war nicht der Fall. Ich muss darauf noch eingehen. Das Heil, Herr Bürgermeister, liegt sowieso weder in dem einen noch in dem anderen. Wir diskutieren in der Politik Gott sei Dank nicht mehr, wo irgendwo das Heil liegt, sondern wir suchen Lösungen, in denen die Tatsache, dass die Dinge vor Ort gemacht werden, gebraucht werden, mit der anderen Tatsache, dass sie grenzüberschreitende Wirkungen, Konsequenzen haben, übereingebracht wird, das heißt, ein politisches Mischsystem, in dem die eine Seite die eine Aufgabe hat und die andere Seite die andere.

In Fragen der öffentlichen Daseinsvorsorge hat jetzt die Kommission noch einmal eine sehr gute und differenzierte Stellungnahme vorgelegt, wo sie sagt, die Regionen und die Länder sollen selbst festlegen, was öffentliche Daseinsvorsorge ist. Sie sollen selbst die Form festlegen, wie es gemacht wird, privat oder staatlich. Sie können aber nicht erwarten, dass die Kommission aufgrund ihres Auftrages nicht sieht, ob dadurch Wettbewerbsregeln verletzt werden.