Protocol of the Session on November 15, 2000

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Ja, der fehlt auch noch!)

Sie müssen aber aushalten, dass er oder andere Leute sagen, und er hat auf der Demonstration am 9. November 2000 gesagt, und das ist ja richtig: „Überlegen Sie, was Sie sagen, und hören Sie auf, verbal zu zündeln!“ Das ist eine allgemeine Aufforderung, die in diesem Zusammenhang wirklich gültig ist. Die kann man nur nach allen Seiten wiederholen. Er hat in diesem Zusammenhang auch gesagt: „Was soll das Gerede von der deutschen Leitkultur?“ Ich kann mir das nur so erklären: Sie sind tatsächlich dabei, sich zu verabschieden von der Lebenslüge, dass wir kein Einwanderungsland sind. Ich bin ja erstaunt, man weiß jetzt überhaupt nicht mehr, woran man in der CDU ist.

Herr Jäger, ich darf Ihnen einmal aus dem Beschluss des Parteivorstandes der CDU zitieren: „Zuwanderung findet aus unterschiedlichen Gründen

statt.“ Es gab keine Zeitung in Deutschland, die dies nicht als klares Bekenntnis und Erklärung interpretiert hat, dass Sie von Ihrem alten Standpunkt abgerückt sind, dass wir kein Einwanderungsland sind. Sie sind davon abgerückt!

(Abg. T e i s e r [CDU]: Nein, sind wir nicht!)

Sie erklären sich richtigerweise jetzt bereit, über die Regelung der faktisch stattfindenden Einwanderung zu reden. Das begrüße ich sehr! Nun erlebe ich, dass Sie wieder hin- und herschwanken wie das Rohr im Winde. Das war schon bei der Frage von Helmut Kohl so, dass man den Eindruck hatte, man hätte hier so ein kleines Sprengselchen von CSULand. Gut, ich bedauere das sehr, denn an sich sind die Partei und die führenden Repräsentanten Ihrer Partei weiter.

Das Schlechte an der Leitkultur: Ich sage Ihnen einmal, was ich das Schlechte finde, und auch das Schlechte daran, was es in der Folge hervorgebracht hat. Die zweite Wortmeldung war gleich, jetzt sollen sich doch einmal die Ausländer danach richten und daran halten, was wir hier machen. In den letzten Wochen davor waren wir eigentlich dabei zu diskutieren, wie wir das hinbekommen, dass die Deutschen, und zwar alle Deutschen, sich daran gewöhnen, die Gesetze einzuhalten, auch wenn sie Ausländer betreffen. Wir haben diskutiert, dass fast hundert Leute hier nicht nur belästigt und diskriminiert, sondern dass sie getötet worden sind. Darüber haben wir hier debattiert.

Jetzt wollen Sie den Spieß wieder umdrehen und wollen in erster Linie darüber diskutieren, den Eindruck erwecken, als wären es die anderen, die sich gefälligst erst einmal an das zu halten hätten, was wir machen!

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Richtig!)

So ist die Lage aber nicht, meine Damen und Herren! So ist sie überhaupt nicht!

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: So weit kommt das noch!)

Eigentlich ist die Sache relativ klar, wenn ein Land zur Europäischen Union beitreten will, muss es das übernehmen, was wir an gemeinsamem gesetzlichen Besitzstand und Werten haben. Wenn jemand Bürger dieses Landes werden will, dann muss er das akzeptieren, was wir uns an Regeln ausgearbeitet haben. Das ist selbstverständlich, das ist eine einfache Sache, und wenn es das nur ist, was Sie uns sagen wollen, dass derjenige Verfassung und Gesetze einhalten muss, jawohl, ist richtig!

Aber ich sage Ihnen wirklich, das gilt nun wirklich für alle, und es hat ja schon jemand anderes

darauf hingewiesen: In die Kurse, die Sie anbieten wollen und zu denen Sie die Ausländer verpflichten wollen, da nehmen Sie einmal erst drei Viertel der deutschen Bevölkerung mit,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

damit das da gelernt und akzeptiert wird, was notwendig ist!

Sie produzieren, und das ist mein Hauptvorwurf, Sie produzieren weiterhin eine Atmosphäre der Ablehnung, der Abschottung nach außen. Man könnte über diese Debatte hinweggehen, die würde niemand ernst nehmen, wenn es diese Atmosphäre nicht sowieso gäbe und wenn wir nicht bitter darauf angewiesen wären, dass Leute zu uns kommen und uns helfen, unsere Probleme zu lösen und zu bereichern. Das, was Sie machen, produziert nach wie vor ein Klima und eine Atmosphäre der Abschottung und der Abweisung. Das können wir uns nicht leisten! Deswegen hat es zu Recht dieses Feuerwerk der Kritiken an dieser unseligen Debatte in Ihren Reihen gegeben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächste erhält das Wort die Abgeordnete Frau Lemke-Schulte.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren hier über den Bericht, den sowohl die Deputation für Arbeit und Gesundheit als auch die Wirtschafts- und Häfendeputation gemeinsam beschlossen haben zur Berichterstattung an die Bremische Bürgerschaft zum Antrag der Grünen, und deshalb diese Debatte hier. Herr Jäger, Sie sind darauf überhaupt nicht eingegangen! Das ist eine gemeinsame Position, nicht nur in der Koalition, sondern in den Deputationen gewesen, und das ist der Punkt, über den wir heute auch debattieren. Nach der exzellenten Rede meines Kollegen Herrn Kottisch, er hat alles gesagt, was dazu zu sagen ist, habe ich dem nichts hinzuzufügen.

(Abg. T e i s e r [CDU]: Ja, was denn nun, exzellent oder Herr Kottisch?)

Beides!

(Abg. T e i s e r [CDU]: Das war aber nicht viel!)

Nach der exzellenten Rede meines Kollegen Herrn Kottisch, er hat alles gesagt, was dazu zu sagen ist, ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

ich wiederhole es für Sie, habe ich dem nichts hinzuzufügen!

(Beifall bei der SPD)

Haben Sie das verstanden? Gut!

(Abg. T e i s e r [CDU]: Ja, war ja ganz einfach!)

Eben! Deshalb verstehe ich die Nachfrage gar nicht!

Zur Aufrechterhaltung des Punktes drei aus dem Antrag der Grünen möchte ich zitieren mit Genehmigung des Präsidenten und dann unser Abstimmungsverhalten erklären. In der Mitteilung des Senats wird unter anderem Folgendes ausgeführt: „Im Zusammenhang mit der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz hat die Bundesregierung eine überparteiliche Sachverständigenkommission eingesetzt. Der Zuwanderungskommission gehören Expertinnen und Experten der politischen Parteien, der Kirchen, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, des Flüchtlingswerkes UNHCR und verschiedener Wissenschaftsdisziplinen an. Aufgabe der Zuwanderungskommission wird es sein, Vorschläge zum Thema Zuwanderung zu erarbeiten und dabei auch die Voraussetzungen und Grundlagen für ein mögliches Einwanderungsgesetz zu prüfen, nicht aber das Gesetz selbst vorzubereiten.

Die Länder und Kommunen werden nach der Erarbeitung erster Vorschläge der Kommission in den weiteren Diskussions- und Entwicklungsprozess mit einbezogen, an dem sich auch das Land Bremen beteiligen wird.“

Das ist die Antwort aus dem Bericht der beiden Deputationen. Diese Antwort macht den weiteren Weg klar, und insofern verstehe ich nicht, warum Sie den Punkt drei aus Ihrem Antrag aufrechterhalten, weil er hier eindeutig beantwortet ist. Wir werden uns daran beteiligen. Dafür werden wir sorgen. Insofern lehnen wir den Punkt drei aus Ihrem Antrag ab, weil er sich erledigt hat.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Teiser.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: CSU Bremerhaven!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Dr. Kuhn, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Grünen schon in den Jahren vor 1998 Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, die von den ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Regierungsfraktionen nicht akzeptiert worden sind. Der Grund war, und das setzt sich in Ihren heutigen Beiträgen fort, dass Sie Einwanderungsgesetze immer als ein Daraufsatteln auf bestehende Regelungen verstanden haben.

Sie wollten die Asylfrage nicht diskutieren, Sie wollten die Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge nicht diskutieren. Sie haben immer erklärt, das alles steht völlig unabhängig davon, aber wir wollen eine Zahl, illegale Einwanderung lasse ich jetzt einmal außen vor, die wollten Sie auch nicht berücksichtigen als geschätzte Zahl. Sie wollten immer von einer Zahl ausgehen, damals waren es 200 000, die Sie dann aufgeteilt haben. Ich erinnere mich noch gut, nicht so, wie Sie es heute darstellen, das müssen die Spezialisten der Arbeitswelt aus dieser ganzen Welt sein, sondern das sollte nach sozialen Gründen, nach humanitären Gründen und nach geschlechtsspezifischen Gründen aufgeteilt werden, wie diese Zuwanderung geregelt wird.

Im Außenverhältnis versuchen Sie der Bevölkerung einzureden, dass es Ihnen darum geht, eine gesteuerte Zuwanderung zu bekommen, um Arbeitskräftemangel zu beheben, den wir in Deutschland haben. Sagen Sie den Leuten draußen, dass Sie zusätzliche Einwanderung wollen, und nur dadurch ist es überhaupt zu erklären, warum Sie an diesem Begriff und dieser Feststellung „Deutschland ist ein Einwanderungsland, und wer das nicht akzeptiert, der liegt völlig falsch“ so festhalten! Es ist wie bei dem Begriff Leitkultur, Sie streiten ja nicht des Begriffes wegen,

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Doch!)

wer macht das schon? Nein, Sie streiten darum, weil aus Ihrer Intention etwas dahinter steht, was Ihnen einmal passt und was Ihnen einmal nicht passt! Bei der Einwanderung, da sagen Sie, Deutschland ist ein Einwanderungsland, weil Sie damit begründen wollen, dass Ihr Begehren, die Einwanderung von Ausländern nach Deutschland nach oben zu treiben, gerechtfertigt ist. Deswegen sagen Sie, es ist ein Einwanderungsland, da muss man das halt so hinnehmen. Sie tun immer so, als wenn wir ein Einwanderungsland wären im klassischen Sinne, wie es einmal Australien war oder die USA.

Natürlich gibt es auch auf unserer Seite niemanden, der so dumm wäre zu glauben, es gäbe in Deutschland keine Zuwanderung! Aber ist man deswegen ein Einwanderungsland, weil 90 Prozent der Asylbewerber unberechtigt nach Deutschland kommen? Ist man deswegen ein Einwanderungsland, weil man aufgrund fehlender Regelungen in Europa das Gros aller Bürgerkriegsflüchtlinge aufnimmt? Wenn man dann, diese Zahlen alle addiert, zum Ergebnis kommt, wir hatten solche Jahre, wer 700 000, 800 000, 900 000, eine Million Ausländer pro Jahr einreisen lässt, der ist doch logischerweise ein Ein

wanderungsland, wenn man es im Prinzip zu ganzen Teilen nicht will oder verhindern kann!

Einwanderungsland bedeutet für den Durchschnittsbürger, dass der Staat sich als Einwanderungsland deklariert und alles daransetzt, um möglichst viele Leute einwandern zu lassen. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das der Bevölkerung. Wir wollen das nicht!

(Beifall bei der CDU)

Jetzt kommen wir einmal auf Ihre Debatte, was die Leitkultur betrifft!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch eure Debatte! Unse- re Debatte ist das nicht!)

Na, wir haben es ja nicht debattiert! Wir haben es in den Raum gestellt, und Sie haben angefangen zu debattieren!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Wir dachten eigentlich, das wäre für Sie eine Selbstverständlichkeit! Natürlich kann jeder unter einem Begriff subsumieren, was er möchte! Es ist politisch opportun, dass der eine das so macht und der andere so, je nachdem, wozu er es gerade in welcher Debattenlage gebraucht.

Aber, lieber Herr Dr. Kuhn, Leitkultur heißt eben nicht nur das Einhalten der Gesetze! Wenn es nur das Einhalten der Gesetze wäre, wäre das eine solche Selbstverständlichkeit, die gilt ja nicht nur für die, die hier einwandern, sondern die gilt ja für alle! Für Sie, für uns, für jeden Deutschen, für jeden Bürger!