Protocol of the Session on October 11, 2000

Es ist bei Hochschulplanern ein lange bekanntes Phänomen, man nennt es dort den Schweinezyklus, ich hoffe, das ist kein unparlamentarischer Begriff, dass das Studieninteresse insbesondere in Ingenieurwissenschaften mit einer zeitlichen Verzögerung der Nachfrage des Arbeitsmarkts folgt. Genau das ist das, womit wir jetzt zu kämpfen haben. Für Chemiker und Ingenieure gab es in den neunziger Jahren eine katastrophale Einstellungspolitik in den Großunternehmen. Die haben schlichtweg dicht gemacht. Die Folge ist, dass wir jetzt massiv sinkende Studienanfängerzahlen in diesen Fächern beklagen.

Die Unternehmer, die jetzt laute Klagelieder anstimmen, dass sie keine geeigneten Arbeitskräfte finden, sollten sich doch einmal an die eigene Nase fassen und überlegen, ob ihre Personalplanung wirklich immer nur an kurzfristigen Verwertungsinteressen ausgerichtet werden sollte.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schrörs, Sie schauen ein bisschen skeptisch, aber es ist, wie es ist. Ich meine, auch die Politik muss sich natürlich diesen Problemen stellen. Dazu werde ich auch ein paar Punkte sagen.

(Abg. D r. S c h r ö r s [CDU]: Welches Weltbild haben Sie, Herr Käse?)

Ich gehe davon aus, dass wir einen ganz wichtigen Anknüpfungspunkt in der Schule bei den jungen Menschen haben. Ich möchte hier nur erst einmal eine grundsätzliche Einschätzung abgeben. Die bildungspolitischen Details erläutert gleich meine Kollegin Frau Hövelmann.

Meine These dazu ist: Die jungen Menschen in unserem Land werden sicherlich kein verstärktes Interesse für Natur- und Ingenieurwissenschaften gewinnen, wenn sie lediglich durch weitere Einschränkungen bei der Fächerwahl in die bei ihnen oft so ungeliebten Naturwissenschaften hineingezwungen werden. Nein, sie müssen schon freiwillig kommen. Das geht nur, wenn wir sie auch dafür begeistern, wenn es gelingt, dass sie sich mit Natur und Technik aus Interesse beschäftigen. Das muss der Ansatz sein.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein schwieriges Unterfangen, gar keine Frage. Mir gibt es wirklich Hoffnung, wenn ich auf die Initiativen aus dem Bereich der Wissenschaft schaue, die sich, das ist jetzt wieder ein Modewort, aber eine tolle Sache, dem „Public Understanding of Science“ verschrieben haben. Sie können das alles im Detail nachlesen in einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion mit dem Titel „Wissenschaft in der Öffentlichkeit – Public Understanding of Science and Humanities“ vom Januar 2000.

Natürlich ist nicht alles, was in diesem Bereich läuft, gut. Ich habe da ein Beispiel herausgegriffen, Sie hatten die Knoff-hoff-Show genannt, ich nehme ein anderes, es sind die Aktivitäten auf der Expo in Hannover: Ein Redakteur der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ hat dazu einen interessanten Kommentar geschrieben. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten Herrn Olaf Fritsche. Er schreibt zum Themenpark auf der Expo:

„Auf der Suche nach Informationen zu den durchaus interessanten Sujets, wie Mensch, Ernährung,

Gesundheit und Energie, geht der Besucher nur zwischen Videoinstallationen umher, die ihn mit hektischen Bildsequenzen bombardieren, unterstützt durch dröhnende Lautsprecherklänge. Die ,sinnliche‘ dreidimensionale Darstellung des Mottos Mensch, Natur, Technik vergisst, dass der Mensch über mehr Sinne als Hören und Sehen verfügt. ,Bitte nicht berühren‘ ist der häufigste Satz im Themenpark, und wo einmal Interaktivität angeboten wird, beschränkt sie sich meist auf Banalitäten. Da darf der Besucher etwa ausnahmsweise eine Wand mit der Aufschrift kalt oder heiß anfassen, und tatsächlich fühlt sie sich eben ,kalt‘ oder ,heiß‘ an. Wahnsinn!

Wenn Wissenschaft kein Spiel für Insider bleiben soll, müssen sich ihre Macher wohl oder übel in den Normalbürger hineindenken und ihn da abholen, wo er steht. Sonst geht er nämlich einfach weiter, dahin, wo es ihm besser gefällt. Im Vergleich zu solch phantasielosen Wissenschaftsinszenierungen ist das allemal noch ein Fußballspiel.“

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Der geht in das Universum!)

Genau! In Bremen können wir uns auf die Schulter klopfen und sagen: Wir machen das besser. Wir haben hier das Universum, und dort stehen die Schulklassen Schlange, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Wirklich nichts gegen Knoff-hoff-Pädagogik! Das ist ein tolles Projekt, und ich bin sehr zuversichtlich, dass sich durch die anschauliche und leicht verständliche Darstellung von Wissenschaft, auch durch die spielerische Form, viel mehr junge Leute für Wissenschaft und Technik interessieren werden, als jede von uns beschlossene zusätzliche Stunde Matheunterricht das vermag. Da bin ich ganz zuversichtlich.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich möchte auch so weit gehen, Lehrerinnen und Lehrer zu ermutigen, von dem didaktischen Konzept des Science Centers zu lernen und auch ihren Unterricht so interessant und anschaulich zu gestalten. Mein Credo wäre, weniger Formeln und weniger Kreidestaub, aber mehr Experimente!

(Beifall bei der SPD)

So viel zum Thema Schule! Kommen wir zu den Hochschulen! Leider ist es nämlich die gleiche abschreckende Form, in der sich natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer dort in der Lehre präsentieren, insbesondere die Studieneingangsphase ist problematisch. Für viele Professorinnen und Profes

soren ist das nämlich nach wie vor die Phase, in der man ein Drittel der Neuanfänger, nämlich diejenigen, die man für unfähig hält, aus dem Studium herausprüft oder durch ein auf Überforderung angelegtes Curriculum vom Fachwechsel überzeugt. Schönfärberisch nennt man das dann mangelnde Studierfähigkeit. Ja, so ist das! Aber in der Statistik bedeutet das, das sind hohe Abbrecherquoten, und die können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei der SPD)

Mit dieser Unkultur an Hochschulen muss Schluss sein, und zwar nicht nur jetzt, der Not gehorchend, dass man nämlich jeden Studienanfänger auch bis zum Diplom durchbringen muss, um in vier Jahren nicht ohne Doktoranden zu sein, wie das zum Beispiel Alltag in der Chemie an der Uni ist, sondern es muss langfristig Schluss mit solchen Unsitten sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fächer leiden an den Universitäten an einem elendigen Strukturkonservativismus. An den Fachhochschulen ist das etwas moderner, aber an den Unis ist das, das ist auch mein eigener Eindruck von meinem Studium dort, wirklich teilweise schlimm. Wir brauchen dringend inhaltliche Reformen, um die Natur- und Ingenieurwissenschaften attraktiver zu machen.

Projektstudium und Praxisbezug, schon fast verworfene Grundprinzipien des so genannten Bremer Modells, werden auf einmal wieder entdeckt, und auch das einst so gescholtene System von abgeschichteten Prüfungen, das hier in Bremen sehr umstritten war, feiert jetzt im Rahmen der Modularisierung von Studiengängen seine Wiederauferstehung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten begrüßen das selbstverständlich und fordern: Weiter so!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Konsequent zu modularisieren, die Durchlässigkeit zu anderen Fächern und Hochschultypen herzustellen und in Projekten praxisorientiert zu studieren, das sind die Prinzipien, an denen wir die Strukturreform des natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereiches ausrichten wollen.

Nach diesem Rundumschlag möchte ich noch ein spezifisches Problem beleuchten, nämlich das gravierende Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Insbesondere in den Fächern Maschinenbau, Produktionstechnik, Elektrotechnik und Informatik ist das ganz krass, das gibt auch die Senatsantwort ein

deutig wieder. Man könnte das Problem des drohenden Mangels an Naturwissenschaftlern und Ingenieuren auch so beschreiben, dass es sich gar nicht stellen würde, wenn es einfach gelänge, ebenso viele Frauen wie Männer dafür zu gewinnen, in diesen Fächern zu studieren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Nun sind die in der Senatsantwort beschriebenen Aktivitäten der Hochschulen zur Frauenförderung wirklich lobenswert, aber es ist doch ganz offensichtlich, dass sie noch nicht ausreichen. Ich nenne einmal das Beispiel der Universität: Trotz aller Fördermaßnahmen haben sich in den Jahren 1998 und 1999 zusammen lediglich drei Frauen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften habilitiert und im gleichen Zeitraum 23 Männer. Die haben damit den Weg zu einer Professur in diesem Fach beschritten, und wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden wir niemals dahin kommen, dass wir eine angemessene Zahl von Frauen in den Naturwissenschaften haben werden. Das ist einfach so!

(Beifall bei der SPD)

Sehen wir uns die Hochschulen an! An der Hochschule Bremen wurde erst in diesem Jahr ein Frauenförderplan verabschiedet, an der Hochschule Bremerhaven gibt es bis heute keinen. Das ist ein Armutszeugnis, und so geht das nicht!

(Zurufe von der SPD und vom Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich sage das einmal von hier: Meine Herren Professoren, vielleicht hört ja der eine oder andere am Radio zu, es mag bequem sein, weiter unter sich zu bleiben, aber diese Tradition von Altherrenclubs in bestimmten Fachbereichen kann sich unser Land nicht mehr leisten.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist für Frauen nach wie vor schwieriger, Professor zu werden, als für Männer. Das liegt im Wesentlichen daran, dass sich die Qualifikationsphase für den Professorenstand zeitlich mit der Phase der Familiengründung deckt, und das trifft in diesem Land leider Frauen stärker als Männer.

(Abg. Frau W a n g e n h e i m [SPD]: Nicht nur!)

Ich will jetzt hier aber nicht nur pessimistisch sein, denn zum Glück tut sich auch etwas, insbesondere

seit wir die neue Forschungsministerin Bulmahn in Berlin beziehungsweise Bonn haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Frau Bulmahn hat nämlich eingeleitet, dass im Rahmen der Dienstrechtsreform an den Hochschulen endlich dafür gesorgt wird, dass die Habilitation abgeschafft wird.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. D r. K u h n [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Sehr gut!)

Damit schneidet sie einen jahrhundertealten Zopf ab, und das ist wirklich ein Befreiungsschlag. Es ebnet nämlich den Weg zur Professur durch eine jetzt vorgesehene Juniorprofessur, und damit wird dieser Weg schneller und besser planbar. Das soll und wird auch insbesondere Frauen den Weg zum Amt der Professorin wesentlich erleichtern, und ich bin sehr optimistisch, was diesen Plan unserer Forschungsministerin angeht.

Auf einen zweiten Punkt möchte ich noch eingehen, das ist der Fortschritt im Bereich der Einführung von ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen, die sich ausschließlich an Frauen richten. Auch das begrüßen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz ausdrücklich!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wenn wir uns einmal anschauen, wie sich die Erfahrungen international, aber auch hier ganz in der Nähe, zum Beispiel an der Fachhochschule in Wilhelmshaven, darstellen, dann sind sie absolut positiv, und auch der neue Frauenstudiengang Informatik an der Hochschule Bremen stößt auf sehr großes Interesse.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt dort mehr Bewerberinnen als Plätze, und in welchem ingenieurwissenschaftlichen Studiengang gibt es das schon? Es wird Zeit, dass mit dem Vorurteil aufgeräumt wird, bei Frauenstudiengängen handele es sich um eine Art beschützender Werkstätten.