Ich eröffne die 21. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) und begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse.
Auf dem Besucherrang begrüße ich eine Gruppe von Verwaltungsfachangestellten in der Ausbildung beim Magistrat Bremerhaven.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die große Koalition hat einen Antrag eingebracht, der Fragen zur Pflegeversicherung beinhaltet, die wir vom Senat gern beantwortet haben möchten. Wir fanden, es ist an der Zeit, nachdem die Pflegeversicherung in ihrem vollen Umfang fünf Jahre wirkt, dort einige Nachfragen zu stellen, welche Folgen die Pflegeversicherung für die Menschen und für das Personal in den Pflegeeinrichtungen hat.
Viele reden über die Pflegeversicherung, aber bei Zahlen und Fakten stochern doch zu viele im Nebel, und wir wollen das Licht sehen, das die Pflegeversicherung gebracht hat. Diesem Herumgestochere ohne sachliches Fakten- und Zahlengerüst wollten CDU und SPD gemeinsam ein Ende bereiten. Das ist der Grund, warum die große Koalition den Senat auffordert, für Bremen eine umfassende Diskussionsgrundlage zur Pflegeversicherung zu liefern. Die Krankenkassen haben bereits eine überwiegend positive Bilanz nach fünf Jahren Pflegeversicherung gezogen. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten Peter Pick, den Geschäftsführer des medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung: „Das Gesetz hat die Situation pflegebedürftiger Menschen deutlich verbessert.“ Ich glaube, dieser Aussage kann sich die CDUFraktion ohne Wenn und Aber anschließen.
Mag der Bericht, den wir vom Senat einfordern, auch geringe Mängel bei der Umsetzung des Gesetzes zeigen, die CDU hält ihrerseits an der Pflegeversicherung als eigenständige durch Beitrag zu finanzierende Säule im Konzert der Sozialversicherung fest. Dank der Pflegeversicherung ist in vielen Fällen der Pflegebedürftigkeit kein Bezug von Sozialhilfe mehr notwendig. Das entlastet die Familien, es entlastet aber auch den Pflegebedürftigen seelisch; dessen Wunsch war es nämlich nicht, sein erarbeitetes Kapital im Alter dem Pflegeheim zu vermachen oder seine Angehörigen durch Zuzahlung zu belasten. Den deutlichen Rückgang des Sozialhilfebezugs in den Pflegestufen eins und zwei belegen bereits erste Ergebnisse aus anderen Bundesländern.
Meine Damen und Herren, kein Mensch konnte erwarten, dass ein so lange und so heiß diskutiertes Gesetz — im Vermittlungsausschuss zwischen CDU/ CSU und FDP auf der einen und SPD auf der anderen Seite diskutiert — ohne Macken in die Umsetzung geht. Wir wollen als Koalition genau wissen, was sich für die Menschen, die der Pflege bedürfen und für die, die diesen Beruf am Menschen dankenswerterweise ausüben, durch die Einführung der Pflegeversicherung und des Pflegeversicherungsgesetzes verändert hat.
Wir haben deshalb koalitionär eine Reihe von Fragen an den Senat aufgelistet, deren Beantwortung sowohl das Verhältnis von häuslicher Pflege zu stationärer Pflege beleuchten soll als auch die Einsparung im Sozialhaushalt. Diese Frage ist uns in der Vergangenheit immer nur ungenügend beantwortet worden. Vielleicht gab es in der Vergangenheit dazu auch zu wenig Zahlenmaterial.
Meine Damen und Herren, ich wage, hier zu behaupten, dass ohne die Leistungen der Pflegeversicherung der ohnehin sehr angespannte Haushalt der Senatorin Adolf kaum zu leisten wäre oder nur mit der allergrößten Mühe. Das heißt, wir müssten weitere Einschnitte in andere wichtige Leistungen vollziehen. Die Zahlen, die wir erbitten, werden das belegen. Darüber bin ich mir für die CDU-Fraktion ganz sicher.
Im Gespräch mit Seniorinnen und Senioren hören wir parteiübergreifend immer wieder den Wunsch nach mehr und anderen Kontrollen in stationären Einrichtungen. Dieser Wunsch mag bei einigen Einrichtungen durchaus berechtigt sein. Ich erkläre hier ganz deutlich: Bei der Mehrzahl der Bremer Einrichtungen kann auch durch ein Mehr an Kontrolle keine weitere Verbesserung in der Pflege erreicht werden. Aber es geht um die schwarzen Schafe. Da wollen wir vom Senat wissen, ob er sich eine andere, verschärfte Kontrollregelung vorstellen kann und ob er bereit ist, diese gegebenenfalls umzusetzen.
Im Bereich der häuslichen Pflege ist in einigen Fällen sicherlich eine unterstützende, beratende Besuchsregelung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen angebracht. Auch dies ist ein Wunsch aus Seniorenkreisen, der immer wieder an unsere Ohren gedrungen ist.
Meine Damen und Herren, es wird viel über das Für und Wider der Pflegedokumentation geklagt. Ich halte diese Dokumentation für notwendig, denn Grundlage jeder Pflege ist der Pflegeplan. Wie aber soll der ohne Dokumentation der Leistungen, die am Menschen vollbracht werden, kontrolliert werden können und gegebenenfalls angepasst werden? Deswegen, dieser Leistungsnachweis mag zwar lästig sein, er ist aber, glaube ich, im Interesse der zu Pflegenden dringend notwendig. Eine verbesserte Möglichkeit der Qualitätsprüfung, einhergehend mit einem Gütesiegel für Pflege im Interesse der zu Pflegenden, ist ein weiterer Wunsch der Koalition an den Senat.
Nach der Antwort des Senats werden wir hinreichend Gelegenheit haben, seine Antworten zu würdigen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und die zu ihrer Umsetzung erforderlichen Schritte in die Deputation oder in das Parlament einzubringen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Fazit aus fünf Jahren Pflegeversicherung heißt unbestritten, dass die Pflegeversicherung seit ihrer Einführung als ein wichtiger zusätzlicher Baustein in der sozialen Absicherung vielen Menschen geholfen hat. Aber, und auch das hat sich in den letzten fünf Jahren deutlich gezeigt, es besteht ein erheblicher Reformbedarf, denn in einzelnen Bereichen gibt es regelungsbedürftige Gesetzeslücken.
Einige wesentliche Punkte, das zeigt die bisherige Erfahrung, müssen korrigiert oder angepasst werden. Die Vorlage aus dem Gesundheitsministerium zur Qualitätssicherung und zur Stärkung der Verbraucherrechte in der Pflege ist neben der Leistungsverbesserung für demente Menschen ein erster, aber wichtiger Schritt in diese Richtung. Ein Problem stellt allerdings die grundsätzliche Struktur der Pflegeversicherung und damit die Definition des Begriffs der Pflege dar. Die Spitzenverbände der Pflegekassen haben nach kontrovers geführten Diskussionen Richtlinien über die Abgrenzung des Pflegebegriffs erstellt. Es werden nur speziell aufgeführte Teilbereiche in der Pflege berücksichtigt, und zwar in der Körperpflege, der Ernährung, der hauswirtschaftlichen Tätigkeit oder der Mobilität.
Dieser eingeschränkte Pflegebegriff führt vor allem von Seiten behinderter Leistungsempfänger immer häufiger zu Kritik. In der Tat verhindert die Pflegeversicherung die ganzheitliche Betreuung behinderter Menschen. Es wäre meines Erachtens besser gewesen, ein eigenes Leistungsgesetz für behinderte Menschen zu schaffen, als diesen Personenkreis in die Pflegeversicherung aufzunehmen.
Die behinderten Menschen sind unbestritten die großen Verlierer bei der Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung ist von ihrem Ansatz her ausschließlich auf den Personenkreis der älteren Menschen abgestimmt. Das zeigt auch das Fazit nach fünf Jahren Pflegeversicherung. Älteren Menschen mit einer guten eigenen Rente ermöglichen die Leistungen aus der Pflegeversicherung ein unabhängigeres, selbstbestimmteres Leben, und diejenigen älteren Menschen, die eine normale Rente beziehen, werden weitgehend vor der pflegebedingten Sozialhilfeabhängigkeit geschützt. Das ist ganz unbestritten ein großer Erfolg.
Die finanzielle Besserstellung der Pflegebedürftigen hat einen rasant wachsenden Pflegemarkt — ambulant, aber auch stationär — mit sich gebracht. Die Pflege ist mit allen Vor- und Nachteilen zu einem großen Wirtschaftszweig geworden. Bundesweit — und so auch in Bremen — verzeichnen wir mittlerweile ambulant und stationär eine flächendeckende Pflegeinfrastruktur. Wie es bei jedem in kurzer Zeit so schnell wachsenden Markt ist, bietet sich den Pflegebedürftigen ein qualitativ sehr unterschiedliches Angebot. Sich in dieser Angebotsvielfalt zurechtzufinden und die Pflegedienste und stationären Einrichtungen auch noch nach zuverlässigen Kriterien zu unterscheiden, überfordert viele Pflegebedürftige.
Diese Menschen, jetzt in der Position der Nachfrager nach Dienstleistungen, das heißt als Verbraucher, haben es wegen der persönlichen, sehr schwierigen und oft überraschenden Situation der Pflegebedürftigkeit noch nicht geschafft, ein Gleichgewicht auf dem Markt herzustellen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, die Rahmenbedingungen für die Pflege zu regeln, das heißt, weitere Qualitätskriterien zu entwickeln. Ein kleiner Baustein ist das eben schon erwähnte Pflegequalitätsgesetz auf Bundesebene.
In Bremen gibt es eine Informations- und Beratungsstelle beim Amt für Soziale Dienste sowie die auf diesem Gebiet sehr kompetent arbeitende Verbraucherzentrale. Auch die unabhängige Patientenberatungsstelle leistet hier wertvolle Hilfe.
Das Fazit nach fünf Jahren Pflegeversicherung aus der Sicht der Pflegebedürftigen als Verbraucher ist vorsichtig optimistisch. Deutlich profitiert haben von
der Einführung der Pflegeversicherung die Menschen — meist Frauen —, die im Bereich der Pflege arbeiten. Der Arbeitsmarkt bietet wesentlich mehr und vor allem besser bezahlte Arbeitsplätze an als noch vor einigen Jahren. Das Lohngefüge ist trotz aller Anstrengungen noch lange nicht leistungsgerecht. Der richtige Weg ist aber eingeschlagen.
Der Arbeitsmarkt hat sich außerdem nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiterentwickelt. An unserer Hochschule und an der Universität wird eine fachlich überdurchschnittliche Ausbildung im Bereich Pflegewissenschaften angeboten. In Bremen gibt es eine qualifizierte dreijährige Ausbildung zur Altenpflegerin und zum Altenpfleger sowie einen Modellversuch zur integrierten Pflegeausbildung, dessen Finanzierung über den Europäischen Sozialfonds bezuschusst wird. Für den Arbeitsmarkt ist das Fazit nach fünf Jahren Pflegeversicherung uneingeschränkt positiv.
Erstmalig wird die Pflege durch Angehörige honoriert, indem dieser Personenkreis, abhängig vom Umfang der Pflegetätigkeit, in die gesetzliche Renten und Sozialversicherung aufgenommen wird. Da bei der häuslichen Pflege nur in geringem Umfang die Kombileistung, das heißt, die Geldleistung plus externe Unterstützung beziehungsweise ausschließlich die Sachleistung, in Anspruch genommen wird, erhalten die Frauen in der Familienpflege so gut wie keine personelle Entlastung. Das heißt, die Frauen sind auch heute noch die Hauptpersonen, die in der häuslichen Pflege die Arbeit leisten.
Die Geldleistungen des zu pflegenden Angehörigen werden meistens ganz selbstverständlich als Familieneinkommen vereinnahmt. Wichtige Entlastungen können dann aus finanziellen Erwägungen heraus nicht mehr bezahlt werden. Kritisch aber ist vor allem anzumerken, dass Frauen von der eigenen Familie und dem sozialen Umfeld noch selbstverständlicher als vorher in die Rolle der pflegenden Angehörigen gedrängt werden. Hier baut sich für die Zukunft ein gewaltiges Konfliktpotential auf.
Fazit aus fünf Jahren Pflegeversicherung für Frauen in der Familienpflege: Bis auf die Einbeziehung in die Unfall- und Rentenversicherung zeigt sich eher eine Verschlechterung der schon nicht guten Ausgangsposition.
Die öffentliche Hand, hier der Sozialhilfeträger, wurde seit Einführung der Pflegeversicherung allein im stationären Bereich mit über zehn Milliarden DM entlastet. Auch hier gibt es, und das übrigens bundesweit, Bestrebungen, noch mehr von den Leistungen der Pflegeversicherung zu profitieren. Das Fa
zit aus der Sicht der öffentlichen Hand aus fünf Jahren Pflegeversicherung: uneingeschränkt positiv!
Die Krankenkassen wurden, das wird oft verschwiegen, erheblich durch die Zahlungen der Pflegeversicherung entlastet. Das ist ja auch gut so. Dennoch darf es nicht weiter geschehen, dass vermehrt die Leistungen aus der Behandlungspflege, also einer Kassenleistung, in dem Bereich der Grundpflege, also einer Leistung der Pflegeversicherung, verschoben werden. Bei den Pflegebedürftigen würde dies zur Konsequenz haben, dass sie bei einem gleich bleibenden Budget mehr Verrichtungen zu finanzieren hätten.
Gesamtfazit aus fünf Jahren Pflegeversicherung: Als fünfte Säule des sozialen Sicherungssystems hat sich die Pflegeversicherung sicherlich im Großen und Ganzen bewährt. Zum Jubeln besteht jedoch kein Anlass, das zeigen die von mir aufgeführten Kritikpunkte. Dort, wo es Geld zu verteilen gibt, wird es immer einige Gruppen, Verbände und Institutionen geben, die sehr fantasievoll versuchen, ihr Stückchen an dem Kuchen Pflegeversicherung zu vergrößern.
Nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit der Pflegeversicherung kann es uns gelingen, die notwendigen Veränderungen und Anpassungen so zu gestalten, dass die Leistungsempfänger, das heißt die pflegebedürftigen Menschen selbst, im Vordergrund stehen und von einer Weiterentwicklung profitieren. — Danke!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die grüne Bürgerschaftsfraktion wird dem Antrag der großen Koalition zustimmen. Wir finden es richtig und auch gut, dass jetzt nach fünf Jahren Pflegeversicherung ein Bericht gemacht wird.
Ich werde hier auch keine endgültige Bilanz ziehen, weil wir es in Ordnung finden, dass man die Daten in Bremen über die Entwicklung und die Probleme der Pflegeversicherung der letzten fünf Jahren sammelt, dass wir den Bericht, wenn er vorliegt, debattieren und dass wir unser Fazit dann ziehen.
Wir hätten übrigens auch Ihren Antrag mitgemacht. Vielleicht könnten wir zu der alten Praxis zurückkehren, dass wir solche Anträge hier auch im Haus gemeinsam stellen können.
Die Grünen bleiben bei ihrer grundlegenden Kritik an der Pflegeversicherung. Das böse Wort von der Teilkaskoversicherung macht ja die Runde. Es